Altgeorgisches Epos

Nachdichtung von Dr. phil. Dr. h.c. Hermann Buddensieg

VERLAG „SABTSCHOTA SAKARTWELO“

TBILISSI 1976

Vorbereitet zur Veröffentlichung auf Allgeo.org durch Herrn Guram Braun

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ZUVOR

Das Epos Schota Rustawelis „Der Mann im Pantherfell“ hat ein wechselvolles Schicksal. In zahlreichen Handschriften ist es überliefert. Im Institut der Handschriften zu Tbilissi ist vieles davon heute noch zu bewundern. Das Verfahren früherer Abschreiber ist freilich bekannt: sie ließen manches weg oder machten den Text für ihre Zwecke brauchbar. Es waren gewiß nicht immer Dichter, die sich, als hier vor allem zuständig, des Werkes annahmen. Verstanden die Abschreiber den Text immer recht, veränderten sie ihnen Unverständliches, weil es nicht ihrer Denkart paßte, und machten es ihrer Meinung nach in anderer Fassung ihnen genehmer oder anderen vermeintlich zugänglicher? Das sind gewichtige, notwendig kritische, nicht nur philologische Fragen. Unter dem König Wachtang VI (1675–1737), ein Dichter und Forscher, wurde das Epos 1712 zum ersten Male gedruckt. Heute ist das Rustaweli-Institut für die Geschichte der georgischen Literatur der Georgischen Akademie der Wissenschaften in Tbilissi um einen sachgerechten Text bemüht.

Über das Leben Schota Rustawelis, des Dichters von „Wepchistkaossani“ (Der im Pantherfell), ist wenig bekannt. Es bezeichnet einen Mann aus Rustawi, einem heute nicht mehr vorhandenen Ort in Meßcheti, der südwestlichen Provinz Georgiens. Fest steht, daß er, wie aus dem Prolog und dem Epilog des Epos hervorgeht, seine Dichtung unter der Herrschaft der Königin Tamar schuf. Die Königin Tamar regierte von 1189 — 1212, in der der Glanzzeit, dem „Goldenen Zeitalter“ Georgiens. Es ist also etwa die Zeit, in der Wolfram von Eschenbach (geb. um 1170) seinen „Parsival“ dichtete, mit dessen Ritterdichtung er viel Gemeinsames hat. Die im Prolog erwähnten Preisgesänge Rustawelis auf die Königin Tamar sind verloren. Indirekt will man auf Grund eines Wechsels der Zahl der Mitglieder des Thronrates auf den Beginn des XIII. Jahrhunderts schließen. Auch kannte Rustaweli wohl den Dichter Nizāmi (Ilyās ben Jūssuf, Nizāmi, 1141— 1211), dessen Diwan ihm wohl bekannt war — nach Goethes „Noten und Erläuterungen zum West-Östlichen Diwan“, „ein zarter, hochbegabter Geist“, der nach der früheren Heldendichtung „die lieblichsten Wechselwirkungen innigster Liebe zum Stoffe seiner Dichtungen wählt“, die Liebespaare Medschnūn und Leila und Chosrūn und Schirin (WA, 1, 7, 56) — Gestalten, deren Vorbild die Heldendichtung Rustawelis gewiß in nicht wenigen Szenen aufgelockert haben: eine Diastole gleichsam zur Systole. Das gilt auch für die Kenntnis der Dichtung „Wisramiani“, eine Dichtung der georgischen Frühzeit von der Art Tristan und Isoldes, die aus dem Persischen kommt. Rustaweli erwähnt auch den jüdischen Dichter Esra (Esrom), der in arabischer Sprache – Rustaweli verstand also auch diese! — einen „Diwan“ verfaßte. Das Epos wird somit zwischen 1187 und 1213 entstanden sein.  

Weder der Geburts- noch Sterbeort Rustawelis noch die Spanne seines Lebens ist bekannt. Man nimmt an, daß er seine letzten Lebensjahre als Gesandter — er klagt über die treulose Welt! — in einem georgischen Kloster in Jerusalem verbracht hat. Das Kloster „Zum Heiligen Kreuz“ ist eine griechisch-orthodoxe Kultstätte, aber vieles in ihr läßt auf einen georgischen Ursprung schließen. In dieser Kirche will man auch ein Porträt Rustawelis in Form eines Freskos entdeckt haben. Bei Restaurierungsarbeiten in der Kirche fanden Mitglieder der Georgischen Akademie der Wissenschaften bei vorsichtigem Arbeiten das Porträt eines Greises und über ihm die georgische Aufschrift: „Dem Schota, der dieses malen ließ, möge Gott verzeihen. Amen“, und über den Kopf den Namen „Rustaweli“. In einer 1905 herausgegebenen alten Chronik „Neues Sion“ heißt es: „Schota Rustaweli unternahm eine Fahrt zu den heiligen Stätten im Jahre 1192. Er wurde von der Königin Tamar in das Kreuzeskloster gesandt mit dem Auftrag, das Kloster wiederherzustellen, das die Kreuzfahrer beschädigt hatten“. Die einst reiche Ausstattung mit Fresken läßt auf Gaben schließen, die man der Königin Tamar zuschreibt.

Das Epos Rustawelis vom „Mann im Pantherfell“ ist ein Ritterroman in Versen, ein Heldenepos. Die Abenteuer dreier Ritter, Tariel, Awtandil und Pridon, Angehörige dreier verschiedener Völker, eines Inders, Arabers und Persers, hat es zum Gegenstand. Es schildert ihre bewegten Schicksale, ihre Kämpfe mit Menschen und Tieren, ihre Liebesverbindungen und -verstrickungen, ihren Willen zur Treue, ihre Bewährung als Kämpfer und als Liebende. Rustaweli ist in hohem Masse im Besitz der Bildung, der Einsichten und Erfahrungen seiner Zeit und er war gewiß nicht der einzigste — Hellas ist ihm vertraut, zu dem es von Georgien vielfältige Verbindungen gibt — ist Südwest-Georgien doch die Gegend von Kolchis, das Ziel der Argonauten, Prometheus, georgisch Amirani, war am Kaukasus angeschmiedet, die milesische Kolonie Dioskurias trieb Tauschhandel mit kaukasischen Bergvölkern und Mithridates zog im Jahre 65 v. u. Zt. über die georgische Heerstraße. Rustaweli kennt die Bibel, biblische Personen, Adam, David, Goliath, Salomon, biblische Gegenden, Euphrat und Tigris, auch den biblischen Mythos, Eden, das Paradies. Beelzebub und den Satan. Er kennt Platon, Aristoteles, den christlichen Neuplatoniker Dionysios Areopagita, dessen Gesinnung und Denkart das ganze Epos durchweht, wie Muhammed, Mekka und den Koran, auch Iranisches und Arabisches nennt er. Rustaweli soll eine der Bildungsstätten, eine Akademie im griechischen Stil, in Gelati bei Kutaissi besucht haben, die noch heute zu sehen ist. Gott, Vorherbestimmung und Unsterblichkeit beschäftigen Rustaweli. Seltsamerweise wird, obgleich er doch Christ ist, wenn auch in einem souveränen, neuplatonisch aufgelockertem Sinne, der Name Christus nie erwähnt, nur in einem übertragenen Sinne vorgebracht. Rustaweli gibt ein beredtes Beispiel der georgischen Beredsamkeit, die heute noch den Georgier in Ansprachen, in Lobreden auf Freunde und Ereignisse auszeichnet.

Rustaweli kennt georgische Märchenerzählungen von fliegenden Menschen, von Menschen, die sich unsichtbar machen können, von Riesen, auch jene Romangestalten Wis und Ramin, das Liebespaar. Rustaweli wendet Pflanzen seine Aufmerksamkeit zu, den Rosen, Narzissen, Veilchen und Zypressen, wie der Tierwelt mit Löwe, Panther und Steinbock, Adler und Falke, der Nachtigall wie dem Raben. Sie dienen ihm auch zu Vergleichen. Rustaweli ist mit der Sonne vertraut und dem Monde in Vergleichen und Metaphern, wie mit den Sternen, der Astronomie, der Astrologie seiner Zeit. Aufschlußreich sind seine Beschreibungen der Landschaften, des Lebens an den damaligen Fürstenhöfen, ihrer Feste und Gelage, ihrer Beziehungen zu ihren Vasallen und Untertanen, wie auch das Meer und die Schiffahrt — Erfahrungen, die er nicht in meerfernen Gegenden Georgiens gemacht haben kann. Von Kämpfen und Turnieren bekommen wir Nachrichten, von den Kaufleuten der Karawanen — durch Georgien führte einst die Durchgangsstraße von Hellas nach Persien und Indien, — von Kaufmannssitten und von ihren Beziehungen zum Hof und den Bewohnern der Städte.

Im Werk Rustawelis begegnen sich, einen sich Okzident und Orient. Er nennt im Prolog sein Epos „eine Geschichte aus Persien, wiedergeboren georgisch.“ Dem georgisch-orientalischen Charakter entsprechen die zahlreichen Metaphern: Rosen, Rubine für Lippen, Narzissen für Augen, Korallen und Perlen für Zähne, die Freude am Geschmeide, an Perlen und Gold, Diamanten, Saphiren und Rubinen, an kostbaren Stoffen, an Brokat und Samt, die Freude an leuchtenden Farben, die Übermaße bei Maßen, Zahlen und anderen Angaben zehntausend Wächter! schmückende Vergleiche auch zeigen das: zypressenschlank, pappelgleich,  nachtigallwürdig. Nicht zum wenigsten zeugen davon die Ausbrüche der Leidenschaft, das Rasen im Wahnsinn, das Maßlose im Tränenvergießen, die Wut der Taten, der Anklage und Klage und der peinigenden Entsagung, aber auch die Geschenkfreudigkeit, wie das Gedenken an die Armen, die dem Gast Fülle bietende Gastfreundschaft, wie die Augenlust und Freude am Schmausen und Trinken dem Alten Testament der Bibel und aus Hellas kennen.

Wie treffend sind die drei Ritter unverwechselbar charakterisiert, jeder eine geprägte Persönlichkeit, Möglichkeiten des Menschen verkörpernd, und das gültig bis ins Heute. Da erscheint Tariel, der wie wahnsinnig wütende, sich für seinen Verlust am Leben rächende Recke, Awtandil, der unermüdlich zielstrebig Suchende, immer Hoffende, immer zur Versöhnung Bereite, Pridon, der friedliche Freund, Rostewan, in seiner Königswürde und Reife, Schermadin, der treue Vasall, Ussen, der: schmeichelnde Schwächling. Nicht minder gilt das für die Frauengestalten der Dichtung, sie sind sogar das treibende Element: Tinatin, die königlich sonnenhaft Strahlende, Harrende, Nestan-Daredshan, die auch in schweren Bedrängnissen Ausharrende, Asmat, die sich im Dienen Verschwendende, Patman, die Begehrende, doch Mitleidende. Ein weiter Kreis des Menschenwesens ist da gestaltklar vergegenwärtigt. Und mit welcher Kunst sind die Fäden der Erzählung geknüpft, damit alles in Frieden ausklingt: Spannung bis zuletzt, kein fades Happy-End!

Das alles tritt uns mit einer bewunderungswürdigen Anschaulichkeit entgegen. Sie bezeugt den großen Dichter sich immer eins mit dem, was er beschreibt. Der Dichter ist ja nicht Versemacher und Reimer: seine Größe bezeugt sich darin, daß er uns in Menschen jeweils unmittelbar zu versetzen vermag, sodaß wir, wenn Zonen getrennt, mit ihnen leben und leiden und lieben die Poesie, auch für die Prosa. Darin ist Rustaweli Meister. Im Prolog stellt er hohe Anforderungen an den Dichter, den „wahren Dichter" gegen die „schwülstigen Reden“ bloßer Reimer abhebend. Wenn Goethe vom Dichter „Breite, Tiefe und Konsequenz der Bildung" fordert (WA 1, 7, 121), so erfüllt Rustaweli das in hervorragendem Maße. Rustawelis Werk ist eine Weltdichtung, nicht nur eine Dichtung der Weltliteratur. Literatur veraltet, die gründenden Werke eines Volkes bleiben. Die Renaissance brach in Georgien, in der Dichtung Rustawelis bereits im XIII Jahrhundert an. Da ist frischschauende, lichte Weite, keine umgrenzende Enge!

Rustawelis Epos gibt nicht nur ein farbenreiches Gemälde der Welt im Auf und Ab erregender Schicksale, es ist auch ein Buch der Weisheit vom rechten Verhalten des Menschen. In dichten, heute keineswegs veralteten Aphorismen gibt seine Dichtung Einsichten in das Leben und Denken des Menschen, Grundmenschliches, Lebensweisung in Beispiel und Gegenbeispiel. „Die Dichtkunst", sagt Rustaweli im Prolog, „ist ein Gefilde der Weisheit“.

Das alles hat wegen seiner gegenständlichen Schau der Dichtung Rustawelis über die Jahrhunderte ein unbestrittenes Ansehen gegeben. Es wurde zu einer weltlichen Bibel, die die Welt und was mehr ist als sie ernst nimmt, wie die Aufgaben des Menschen im Leben. Es wurde zu einem Lebensweiser, auch wenn das einzelne aus einer heldenfeiernden Zeit kommt. Es zeigt, wie auch der Überragende, der Held, die Liebste, ins Ganze des Volkes gebettet ist. Darum ist es nicht erstaunlich, welches Ansehen Rustawelis Epos, das doch in Alt-Georgisch geschrieben ist, bei den Georgiern heute noch hat, und das nicht nur bei Gebildeten, sondern im Volk überhaupt. Viele Georgier können ganze Stücke auswendig sagen. Der Georgier spürt sich in diesem Epos noch heute. Das Volk Georgiens fühlt sich, durch das historische Kostüm hindurchschauend, durchschaut und erkennt sich wieder in seinem Nationalepos, von ihm beredt angesprochen — ein einzigartiges seltenes Ereignis, das den Georgier auszeichnet, ihn ehrt. — Rustawelis Werk entspricht damit dem, was Hegel in seiner „Ästhetik“ über das Epos ausführt. Es sei eines jener poetischen Grundbücher, „in denen ihr, als der Bibel eines Volkes, was ihr ursprünglicher Geist ist, ausgesprochen wird. Insofern sind diese Denkmäler nichts Geringeres als die eigentlichen Grundlagen für das Bewußtsein eines Volkes“ (Berliner Ausgabe, DDR, 1955, S. 941).

Wie kann ein solches überragendes Dichtwerk wesensgerecht in einer anderen Sprache wiederaufleben? Nicht jeder kann jeden übertragen! Jede treffende Übertragung aus einer fremden Sprache — Apollon, der Meister der Musen, ist der Sichertreffende, der Fernhintreffende! — muß sich in der Nachdichtung lesen wie eine Dichtung der eigenen Sprache in einem der anderen Sprache gemäßen Kolorit, der Eigenheit ihrer Vorstellungen und Bilder. Entscheidend ist dabei nicht die Kenntnis der fremden Sprache, sondern die souveräne Meisterschaft in der Beherrschung der eigenen. So erst kann die Nachdichtung zu einem Abglanz des Originals zu einer kongenialen Schöpfung werden. Auch sie fordert  den Dichter und Denker, geschult am klassisch Gründenden. Der Kenner beider Sprachen muß das Original mit dem gleichen Behagen lesen wie die Nachdichtung.

Drei Stufen der Übersetzung wären wohl zu unterscheiden. Da ist einmal die wörtliche Ü b e r s e t z u n g. Sie wird vom Schüler etwa für die Übersetzung griechischer und lateinischer, überhaupt fremdsprachlicher Texte verlangt, aber auch für Urkunden, Verträge, Verlautbarungen in einer anderen Sprache. Hier muß der Wortlaut des Originals genau wiedergegeben werden.

Als zweite Stufe wäre die Ü b e r t r a g u n g zu fordern. Sie wird vom Schüler der höheren Schulklassen erwartet wie auch für Prosatexte in Romanen und Novellen oder für Dramen.  Sie sollte in Ausdruck und Fluß ganz den Ansprüchen der Sprache entsprechen, in die übersetzt wird. Eine Übertragung darf nicht zwischen die Forderungen zweier Sprachen geraten, wobei schließlich das berüchtigte Übersetzer-Deutsch entsteht.

Das Höchste wäre die N a c h d i c h t u n g. Diese kam freilich dadurch in Verruf, daß sich Übersetzer Eigenmächtigkeiten, Freiheiten, selbstmächtig interpretierende Auslegungen erlaubten, die im Wortlaut des Originals keine Entsprechungen haben, weil sie über den Text willkürlich phantasieren. Treue gegenüber dem Original ist nicht nur eine moralische sondern hier auch eine ästhetische Forderung. Nicht zum wenigsten verleitet zu solchen Überdichtungen, Umdichtungen der Reimzwang eines Dichtwerks in Versen. Er führt leicht — insbesondere beim Mangel einer kongenialen poetischen Begabung gerade für diese Dichtart, hier das Epos — zu Künsteleien, zu Krampf. Da muß auf Bilder, Metaphern und Vergleiche verzichtet und so das Vorbild verfälscht werden. Um schließlich immer zum passenden Endreim zu kommen, wird diesem Ziel Bild und Aussage des Urtextes geopfert. So fragt man sich dann staunend: Wo steht das im Original? Wie ist die Übertragung verzerrt „um des Reimes willen“ (Morgenstern)! Anstelle des ursprünglichen Glanzes eines bedeutenden Dichtwerks, gibt der Reimer einen eigenen Scheinglanz, den er vielleicht gar zu schönen, in seinem Sinne steigern zu müssen glaubt, wodurch das Ganze zu einer Paraphrase entartet. Wie kann aber einer sich so an einer großen Dichtung vergreifen, an einer Dichtung, die klassisch ist, streng und herb bei allem west-östlichen Leuchten ihrer Aussage? Ein unverantwortliches Verhalten, eine grobe Täuschung des Lesers, der gutgläubig vertrauend dem Original Entsprechendes erwartet! Wer Kongeniales, dem gleichen Genius Entstammendes leisten will, muß sich Rustaweli, so wie er ist, besessen ganz eins machen, „mit allen liebenden, verehrenden, frommen Kräften“ (Goethe) in seinem Werk leben und weben, auf daß es ein Widerhall des georgischen Vorbildes werde, ihm Vollendung und Dauer gebend. Wer einen modernen Dichter gut übersetzt, ist noch lange nicht fähig, ein klassisches Epos wesensgerecht nachzudichten. Welche Nachdichtungen einem Dichter kongenial gelingen, offenbart im Was und Wie, welcher Art Mensch er ist.

*

Wie ist aber nun ein Epos nachzubilden, das in einem der heimischen Sprache völlig fremden, ungewohnten Versmaß geschrieben ist? Wer da den Versuch unternimmt, „das Versmaß des Originals“ zu kopieren, läuft Gefahr — das zeigen abschreckende Beispiele von Übertragungen griechischer Tragödien! — der läuft Gefahr von vorneherein zu verlieren, seine Übertragung derart zu verfremden, daß der heimische Kenner das Vorbild kaum mehr wiedererkennt.

Das georgische Nationalepos von Rustaweli ist in Schairi verfaßt, das heißt in sechzehnsilbigen Langversen mit bestimmt festgelegten Zäsuren und vier gleichen Endreimen. Diese Versform hat in der deutschen Poesie keinerlei Entsprechung. Sie läuft Gefahr, den dargest ellten Gegenstand von vorneherein derart zu entstellen, daß sie das poetische Behagen, den stillen Genuß, die schöpferische Aufnahme, die Aneignung einer Dichtung stört, wenn nicht gar nach kurzem Anlesen hintertreibt. Maßgebend ist dabei die Dynamik und Bildkraft, die bewegte Aussage einer Sprache, der möglichst Entsprechendes gewonnen werden muß. Viel Geduld ist oft nötig, um treu das rechte Wort zu treffen. Aber eine so bedeutende Dichtung wie Rustawelis „Mann im Pantherfell“ lohnt jede Mühe, um ihr ein dem Vorbild wohlangepasstes Gewand zu geben.

In der deutschen Dichtung würde sich, der zeitlichen Nähe zu Rustaweli entsprechend, der Nibelungenvers als Langvers anbieten. Dieser hat freilich auch Endreime. Die deutsche Sprache ist aber im Vergleich zur italienischen oder spanischen auch der georgischen reimarm. Die georgische ist reimreich tönend. Gerade der Reim aber ist es, der Sinn und Bild des Originals oft zu entstellen zwingt. Der Nibelungenvers blieb bezeichnenderweise ohne Nachfolge. Er ist unserer Zeit fern. Er gäbe einer Nachdichtung in diesem Versmaß einen archaisierenden Charakter. (Es ist aufschlußreich, daß der georgische Dichter Konstantine Tschitschinadse (1891 — 1960) das Nibelungenlied, als er es ins Georgische übertrug, nicht in der dem Georgischen fremden Nibelungen-Strophe faßte, sondern in das vertraute Versmaß der heimischen Schairi!)

Der deutschen Sprache bieten sich als Langverse der Alexandriner und der Hexameter an. So ist der französischen und polnischen Sprache der Alexandriner in seinem jambischen Gang gemäß. In der deutschen Sprache bei ihrem häufig daktylischen Gang, dem stark Akzentuierenden wirkt er leicht leirig. Deshalb mischte zum Beispiel Bürger in seine Ilias-Übertragung in Jamben (1771) Daktylen und Anapäste ein.

Aus Gründen des Sprachrythmus ist der Alexandriner seit Gottscheds 1730 und öfters erschienenem „Versuch einer kritischen Dichtkunst* als dem deutschen Sprachgeist für das Epos wenig gemäße Versart nicht mehr üblich, es sei denn, man beabsichtigte beim Drama etwa bestimmte Wirkungen des Alexandriners wie Goethe in seinen Jugendwerken „Die Laune des Verliebten“ oder „Die Mitschuldigen“. Auch der Alexandriner fordert Reime.

Der Hexameter aber, abgeleitet von den Epen Homers und Vergils, ist durch die Übertragung antiker Dichtungen ins Deutsche geweiht. Aus Eigenem bedienten sich des Hexameters Klopstock, Goethe, Schiller und Hölderlin, später auch Mörike und Gerhart Hauptmann. Sie deutschten den Hexameter ein, sie gaben ihm eine Entsprechung zu den antiken Formen der griechischen und römischen Dichtung. Entsprechend den Forderungen der deutschen Sprache ist der deutsche Hexameter der klassischen Dichtung durch Hebungen und Senkungen gekennzeichnet statt wie der antike durch Längen und Kürzen. Dank dieser Verwandlung ist der Hexameter wie für die deutsche Sprache geschaffen. Sie vermag wie kaum eine andere aus vielen Gründen antike Verse treffend wiederzugeben, sich dem Gehalt des Originals auf das Treuste anschmiegend.

Der Hexameter ist eines der genialsten Versmaße, die je für die Dichtung erfunden wurden. Er kann jede Stimmung, das zögernd Verweilende wie das zupackend Fortdrängende, Lyrisches wie Dramatisches wiedergeben. Er schreitet keineswegs nur auf hohem Kothurn. Assonnanzen sind in seiner deutschen Gestalt möglich wie Alliterationen, die beide auch die Dichtung Rustawelis auszeichnen. Dieser Hexameter ist imstande, jedes Bild, jede Metapher, alles Originelle in der Nachdichtung fortleben zu lassen.

Der Hexameter ist auch in seiner deutschen Gestalt ein klassischer Vers, das heißt eine Dichtung oder Nachdichtung, in ihm gefaßt, veraltet nicht rasch. Bei Klopstocks „Messias“ ist es der Gegenstand, der uns in dieser Weise heute fremd anmutet bei allem poetischen Glanz der Gestalt und Erfindung. Bei Voß ist es eine gewisse pedantische, altväterlich biedere Steifheit, sein Bemühen, vor allem in späteren Auflagen seiner Nachdichtungen aus der Antike, griechische Längen und Kürzen mit deutschen Hebungen und Senkungen in Einklang zu bringen. Voß liegt scheint’s der Gegenstand seines Hexameter-Epos „Luise“,  eine Landpastoren-Idylle, näher als Homers Odyssee oder gar Ilias — was zugleich zeigt, daß es sehr darauf ankommt, wer wen überträgt. Da geht es nicht nur um Philologisches, es ist eine existentielle Frage.

Die Hexameter Goethes, Schillers oder Hölderlins atmen, einer klassischen Dichtung gemäß, Frische, Würde und Weihe. Sie sind dank ihrer inneren Lebenskraft selbst noch in einem „ländlichen Epos“ wie Goethes „Hermann und Dorothea“ auch in dessen Schelmenstück „Reineke Fuchs“ zu spüren. Da wirkt beschwingend Weite, gesunde klassische Frische, die wohltuend jeder Freund der Poesie gewahrt, der imstande ist, die „Geisteswendung“ im Sinne Goethes ins „Land der Dichtung* — in „Dichters Lande“ kann jeder gehen! — zu vollziehen. Eine solche Dichtung in deutschen Hexametern liest sich heute noch nach fast zweihundert Jahren wie eine Schöpfung, die von einem Liebhaber dieses Versmaßes erst jüngst hätte geschaffen werden können. Dazu wächst der Hexameter, in dem hier die Dichtung Rustawelis deutsch wiedergeboren wurde, über seine frühere Gestalt im achtzehnten Jahrhundert hinaus, noch unmittelbarer aus Gehalt und Gestalt der deutschen Sprache. Der Hexameter verbürgt die größtmögliche Nähe zum Original der Dichtung Rustawelis: er fließt fern von Verkrampfungen, gequälten Wortbildungen und sprachlichen Verstiegenheiten. Er vergewaltigt die Sprache nicht, die, „in spanische Stiefel eingeschnürt“ (Goethe), dem Freunde erlesener Poesie eine ungetrübte Teilhabe bringen sollte. Der Zugang zu einer Dichtung ferner und fremder Zeiten wird so erleichtert: Fremdartiges ist Vertrautem eingebildet.

So ist die Wahl des Hexameters für Rustawelis Epos „Der Mann im Pantherfell“ gerechtfertigt. Sie findet die Zustimmung der georgischen Kenner, Forscher und Kritiker des Epos. Das geht auch aus der Tatsache hervor, daß in Georgien, in Tbilissi die Nachdichtung, als dank des Hexameters besonders geglückt, in dieser Gestalt in deutscher Sprache veröffentlicht wird.

*

Für ihre Mühewaltung ist diese Nachdichtung aus dem Georgischen nicht Wenigen zu Dank verpflichtet. Sie wurde geschaffen auf Wunsch des Rustaweli-Instituts zu Tbilissi und unter dessen Obhut.

Auf Grund einer wortwörtlichen Übersetzung, die das Rustaweli-Institut lieferte, vor fünfundzwanzig Jahren von Professor Micheil Zereteli verfaßt, von Guram Kartosia, von der Textkommission der Akademie der Wissenschaften in Tbilissi beraten, legten Frau Nelly Amaschukeli und Frau Natela Chuzischwili, beide an der Universität Tbilissi für die  deutsche Sprache tätig, den Grund, auf dem die poetische Gestalt geschaffen werden konnte. Mit beiden wurde die Nachdichtung mit dem Original in Tbilissi noch einmal gründlich verglichen, um die größtmögliche Nähe zum Urtext zu gewinnen. Einiges trug auch Herr Swiad Gamssachurdia von der Universität Tbilissi bei. Ein Dank für sein Interesse sei aber dem Direktor des Rustaweli-Instituts der Georgischen Akademie der Wissenschaften gesagt, dem Akademiker Professor Dr. Alexandre Baramidse und nicht zum wenigsten dem Dozenten des Instituts Herrn Dawid Laschkaradse, der vielem den Weg ebnete. Daß die Leitung des Staatsverlages in Tbilissi die Veröffentlichung in deutscher Sprache in Georgien, der Heimat Rustawelis, zusagte, verpflichtet zu aufrichtigem Dank.

So ging aus gemeinsamen Bemühungen, von herzlicher Freundschaft belebt, die Nachdichtung dieses einzigartigen georgischen Nationalepos von Schota Rustaweli „Der Mann im Pantherfell“ in deutschen Hexametern hervor.

Heidelberg, H e r m a n n   B u d d e n s i e g
Goethes Geburtstag 1972

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INHALTSVERZEICHNIS

1. Prolog
2. Die Geschichte von Rostewan, dem Araberkönig
3. König Rostewan und Awtandil auf der Jagd
4. Begegnung des Araberkönigs mit dem Mann im Pantherfell
5. Tinatin sendet Awtandil auf die Suche nach dem Recken
6. Awtandils Schreiben an seine Vasallen
7. Awtandils Ausfahrt zur Suche nach dem Mann im Pantherfell
8. Awtandil spricht mit Asmat in der Höhle
9. Begegnung Tariels mit Awtandil
10. Tariel erzählt Awtandil seine Geschichte
11. Die Geschichte von Tariel, wie er sich erstmals verliebte
12. Erstes Schreiben Nestan-Daredshans an den Geliebten
13. Erstes Schreiben Tariels an die Geliebte
14. Tariels schreiben an die Chataer. Er schickt einen Boten
15. Nestan ruft Tariel zu sich
16. Brief des Königs der Chataer an Tariel
17. Tariels und Nestans Begegnung unter vier Augen
18. Tariels Feldzug ins Chataerland — die große Schlacht
19. Tariels Brief an den indischen König und siegreiche Heimkehr
20. Schreiben Nestan-Daredshans an den Geliebten
21. Tariels Weinen und Ohnmacht
22. Tariels Schreiben an die Geliebte
23. Thronrat über die Vermählung Nestan-Daredshans
24. Tariels und Nestan-Daredshans Gespräch und Entschluß
25. Ankunft des Sohnes von Chwarasmschah in Indien zur Hochzeit und sein Tod durch Tariels Hand
26. Tariel erfährt von dem Verschwinden Nestan-Daredshans
27. Die Geschichte von Nuradin-Pridon, dem Tariel begegnet
28. Tariels Hilfe für Pridon
29. Pridons Erzählung von Nestan-Daredshan
30. Die Rückkehr Awtandils nach Arabien
31. Awtandils Bitte an den König Rostewan um Urlaub und das Gespräch mit dem Wesir
32. Awtandils Gespräch mit Schermadin
33. Awtandils Vermächtnis und heimliche Ausfahrt
34. Awtandils Gebet
35. Rostewan erfährt von Awtandils heimlicher Abreise
36. Awtandils Aufbruch, um Tariel wieder zu begegnen
37. Awtandil findet Tariel
38. Tariels Erzählung, wie er den Löwen und den Panther erschlagen
39. Tariels und Awtandils Ankunft in der Höhle und Wiedersehen mit Asmat
40. Awtandil reist zu Pridon
41. Awtandils Ankunft bei Pridon nach der Trennung von Tariel
42. Awtandils Ausfahrt zur Suche nach Nestan-Daredshan und die Begegnung mit der Karawane
43. Awtandils Ankunft in Gulanscharo
44. Patman verliebt sich in Awtandil
45. Patmans Liebesbrief an Awtandil
46. Awtandils Brief an Patman
47. Patmans Erzählung von Nestan-Daredshan
48. Nestan-Daredshans Gefangennahme durch die Kadshis
49. Patmans Brief an Nestan-Daredshan
50. Nestan-Daredshans Brief an Patman
51. Nestan-Daredshans Schreiben an den Geliebten
52. Awtandils Schreiben an Pridon
53. Awtandils Abreise von Gulanscharo und seine Begegnung mit Tariel
54. Tariels und Awtandils Reise zu Pridon
55. Nuradin-Pridons Rat
56. Awtandils Rat
57. Tariels Rat
58. Ankunft Tariels beim König der Meere
59. Tariels und Nestan-Daredshans Hochzeit bei Pridon
60. Ankunft der Drei in der Höhle und Weiterfahrt nach Arabien
61. Awtandils und Tinatins Hochzeit beim Araberkönig
62. Die Hochzeit von Tariel und Nestan-Daredshan
63. Epilog
64. Hermann Buddensieg. Rustaweli


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PROLOG

1
Er hat dank seiner Macht die Himmelsfeste geschaffen,
Wesen, in die seinen Geist Er vom Himmel gehaucht hat,
Er gab uns Menschen die Erde, die Welt in unzähligen Farben,
Jeder Herr lebt Ihn in der Gestalt, die Er ihm verliehen.

2
Gott, Du Einer, Du hast jedes Körpers Urbild geschaffen,
Schütze mich, leih mir den Sieg, auf daß ich den Satan vernichte,
Leih mir, ich bitt’ Dich, der Liebenden Leidenschaft, die bis zum Tod währt,
Auch Erleichtrung der Sünden, die uns ins Jenseits noch folgen.

3
Jenen Löwen, dem’s zusteht, Schild, Lanze und Schwert zu gebrauchen,
Tamars, der Sonnenkönigin, achathaarig und rubinwangig —
Soll ich es wagen, ich weiß nicht, soll ich preisend ihn rühmen?
Seinen Betrachtern geziemt es, ihm Kandis und Honig zu reichen.

4
Preisen wir Königin Tamar, blutige Tränen vergießend,
Deren Lob ich früher schon sang, das trefflich erklang einst.
Tinte bot mir der Achatsee, die Feder Email sanften Schwunges,
Wer das vernimmt, den trifft die Lanze, sein Herz ihm durchbohrend.

5
Huldvolle Verse zu ihrem Lobe warn mir befohlen,
Preis ihren Brauen und Wimpern, Haaren, Lippen und Zähnen —
Dicht aneinander gereiht wie geschliffne Kristalle, Rubine.
Auch diamantnen Kristall zerbricht noch der bleierne Hammer.

6
Eine Zunge zum Reden brauch ich, ein Herz und den Kunstsinn —
Kraft verleihe mir, Hilfe von Dir, meinen Geist ihr zu weihen;
Tariel helfen wir, wenn wir in Versen ihn trefflich besingen.
Die drei Helden, die Himmelsgestirne, gehorchen einander.

7
Setzen wir uns! Für Tariel weinen wir unstillbar Tränen:
Wer unter allen Gebornen sollte ihm jemals wohl gleichen?
Ich, speerdurchbohrt für ihn, Rustweli, brachte ihm Verse,
Was bisher eine Mär nur, reihte zur Schnur ich wie Perlen.

8
Ich, Rustweli, begeh diese Tat, wie vom Wahnsinn besessen,
Der die Heerscharn gehorchen, für die bin ich fühllos, ja tot fast.
Kraftlos bin ich geworden, für Liebende gibts keine Rettung,
Entweder soll sie mich heilen oder ein Grab mir hier richten.

9
Diese Geschichte aus Persien, wiedergeboren georgisch:
Wie eine kostbare Perle rollte sie mir durch die Hände,
Als ich sie fand, schrieb ich Verse. Zweifelschweres beging ich.
Die mir den Wahnsinn erregte, die Schöne soll stolz sie nun richten.

10
Wieder recht sehend zu werden, ersehnen geblendete Augen;
Jetzt ist das Herz verliebt, nun muß es durch Fluren umherirrn.
Tamar fleht an, nicht zu verbrennen den Körper, die Seele zu heitern.
Jene drei Arten zu preisen, gelingt den Versen nur dürftig.

11
Was das Schicksal ihm gibt, dem soll er genügsam sich fügen:
Arbeiter sollen stets arbeiten, Krieger immer voll Mut sein,
Liebende sollen die Minne treu lieben, auf sie sich verstehen;
Keiner tadle den Liebenden, noch er des Anderen Minne.

12
Dichtkunst ist seit Urzeiten schon ein Gefilde der Weisheit,
Göttliches gottrein zu hören, bringt guten Nutzen dem Hörer.
Hier auch ist hoch sie geachtet, falls es ein kundiger Mann hört,
Schwülstige Reden werden gerafft, deshalb lobt man die Verse.

13
Wie die Länge der Rennbahn, rasches Rennen das Roß prüft,
Ballspieler auch der Spielplatz, Gewandtheit im Schlagen und Ausholn,
So wird der Dichter geprüft, der lange Gedichte zerstückelt,
Obs ihm an Wortkraft gebricht, so daß seine Verse versiegen.

14
Dann erst kann man den Dichter und seine Künste erkennen,
Wo am georgischen Wort es ihm mangelt, die Verse ihm stocken,
Niemals sollte die Fabel er kürzen, wortkarg nie werden.
Trefflich soll mit dem Schlagholz er schlagen, Heldenmut zeigen.

15
Dichter ist nicht, wem irgendmal ein paar Verse gelangen,
Dünke sich keiner jemals dem wahren Dichter gewachsen!
Macht er auch mal ein paar Verse, die, ohne Zusammenhang, schlecht sind
Sagt er dann: „Meine sind besser!“ wie ein störrisches Maultier.

16
Eine zweite Versart, Verseleien von Reimern,
Die nicht herzzerreißende Worte zu formen vermögen,
Scheint mir dem nutzlosen Bogen junger Jäger zu gleichen,
Welche, unfähig Großwild zu treffen, Kleinwild nur töten.

17
Eine dritte Versart ist gut bei Gelagen zu bieten,
Wie beim Liebeln, Erheitern und Kameraden zu tadeln;
Diese auch sind uns willkommen, wenn man klar sie uns vorträgt,
Das ist kein Dichter, wer nicht mit langem Atem den Vers spinnt.

18
Seine Schöpfungen soll der Dichter nicht billig vergeuden.
Eine nur soll er als Liebste erkiesen, eine nur lieben,
Alles soll er für sie nur vollbringen, sie allein preisen —
Außer ihr nichts begehren, ihr nur gelte sein Singen.

19
Jedermann künd ichs: ich rühme die, die ich oft schon gepriesen;
Das ist der größte Ruhm mir, daß ich mich niemals entehrte,
Sie ist mein Leben, unbarmherzig gleich einem Tiger,
Ihren Namen nenne ich unten, verborgen, ich lob sie.

20
Diese erste Art Liebe, der höchsten verwandt aller Höhen,
Kann man mit Mühe nur rühmen, schwer nur in Worten verkünden;
Ein Erhabenes ist sie, das beschwingt und begeistert.
Wer in ihr sich versucht, der hat viel Leiden zu dulden.

21
Diese Höhe der Liebe faßt nie, wer nicht liebebesessen.
Uns wird matt unsre Zunge, die Ohren der Hörer ermüden;
Sprechen will ich vom irdischen Wahnsinn, dem Wahnsinn des Körpers;
Der gleicht der höchsten Liebe, wenn man nie hurt oder schmachtet.

22
Liebender heißt auf arabisch ein vom Wahnsinn Befallner;
Wahnsinn befällt ihn, falls man ihn hindert, den Liebesdurst stillen:
Einige sind gottnah, die mühen sich ab um den Aufstieg,
Andere, hier auf der Erde, sie hegen minnend die Schöne.

23
Sonnengleich, schön an Gestalt, soll ein Liebender immer erscheinen,
Weisheit, Güte, Reichtum, Jugend und Muße besitzen,
Zähheit, Vernunft, scharfe Zunge zur Überwindung der Feinde.
Wem das nicht völlig zueigen, mangelt’s an Sitte der Minne.

24
Schön ist die Liebe, gewiß, ein nur schwer zu begreifendes Etwas.
Liebe gleicht nicht dem niederen Huren, sie ist etwas andres,
Eines ist Liebe, ein anderes Huren, durch Welten geschieden.
Mengt sie nur nie durcheinander! Vernehmt ihr recht meine Worte?

25
Ausdauernd sei der Liebende, kein schmutzger Ehbrecher, Buhler,
Von seiner Liebsten getrennt, vermehre er Stöhnen und Klagen.
Eine nur sei ihm zueigen, wenn sie auch mürrisch und freudlos;
Herzlose Liebe haß ich, Umarmen, Abschmatzen, Küssen.

26
All das nennt der wahrhaft Liebende nicht wahre Liebe:
Heute begehrt er die eine, morgen die andre, leicht wechselnd;
Das ist ein schnödes Spiel, es gleicht der schweifenden Jugend.
Wahrhaft liebt einer nur dann, wenn auf die Welt er verzichtet.

27
Das ist die reinste Liebe, die Schmerzen verbirgt, sie nicht kundtut,
Wenn man allein ist, der Liebsten gedenken, stets Einsamkeit suchen,
Während der Trennung vergehen, sterben, leiden und brennen,
Zürnt die Liebste, erduld es, bewahre ihr immer die Ehrfurcht.

28
Keiner soll klagend anderen seinen Kummer je kundtun,
Soll umsonst „Wehe!“ nicht rufen, seine Geliebte entehrend,
Nicht soll er sich ihrer Liebe immer für würdig erachten,
Schmerzen um sie mit Freuden empfangen, ins Feuer sich stürzen.

29
Wie kann der Nüchterne dem traun, der seine Liebste beleidigt?
Was kanns ihn nützen, als daß er ihr und sich selber nur schadet?
Womit erhöht er sie wieder, wenn sein Wort sie entehrte?
Was wäre, wenn der Geliebten man keinen Kummer bereitet?

30
Soll denn einer die Liebe als ein ihm Gebührendes nehmen?
Warum entehrt er, für die gestorben, sie, die verwundet?
Liebt er sie nicht, warum haßt er sie nimmer, sondern entehrt sie?
Böses Wort liebt der Böse mehr als die eigene Seele.

31
Weint der Liebende um seine Liebste, so ist das nur würdig;
Einsamkeit, Irrfahrten ziemen ihm dann, das rühmt man als Weltflucht.
Denken soll er an sie, für anderes hab er nie Muße,
Besser ists, spürt man von seiner Liebe nichts unter Menschen.

DIE GESCHICHTE VON ROSTEWAN, DEM ARABERKÖNIG

32
Rostewan war in Arabien König, von Gott wohlbegnadet,
Freigebig, demütig, huldvoll, Herr vieler tapferer Mannen,
Gnädig, gerecht, sieghaft und scharfsinnig weise,
Selber ein unvergleichlicher Krieger, gewandt auch im Reden.

33
Keinen Erben hatte er, nur eine einzige Tochter,
Ein die Welt erleuchtend Gestirn aus den Scharen der Sonne,
Wer sie ansah, dem nahm sie das Herz, den Verstand und die Seele,
Einen Weisen braucht man zum Lobe und zehntausend Zungen.

34
Tinatin war ihr Name — damit ihr alle es wisset!
Als sie heranwuchs, voll reifte, strahlte sie mehr als die Sonne.
Seine Wesire berief der König, selbst ist er Würde und Ruhe,
An seiner Seite hieß er sie sitzen, mit ihnen zu reden.

35
„Über etwas befrage ich euch, das wolln wir gemeinsam beraten:
Wenn die Rose all ihre Blätter läßt welken, vertrocknen,
Stirbt sie ab, erblüht eine andere in dem prächtigen Garten:
Unsere Sonne ging unter, wir schauen ins mondenlos Finstre.

36
Ich geh dahin, ich leide am Alter, dem schwersten der Übel,
Heut oder morgen sterbe ich, das ist nun einmal der Weltlauf.
Was ist das irdische Licht, dem immer die Finsternis nachfolgt?
Küren wir drum meinen Thronerben, strahlender noch als die Sonne!“

37
Die Wesire darauf: „Warum sprecht Ihr von Euerem Alter?
Wenn die Rose verwelkt, so müssen wir uns schon bescheiden:
Ihrer Blüten Farbe und Duft sind allzeit das Schönste.
Dürfte ein Stern es wohl wagen, dem schwindenden Mond sich verfeinden?!

38
Sagt doch, König, nur das nicht, noch ist nicht verwelkt Eure Rose,
Besser ist noch Euer schlechtester Rat als ein guter von andern:
Sicher muß alles geschehen, was Euerem Herzen so schmerzlich:
Ist’s Dir genehm, gib die Würde der, die die Sonne verdunkelt.

39
Wenn sie auch Weib ist, zur Herrscherin ist sie von Gott doch geboren.
Ohne zu schmeicheln, sie weiß zu regieren, wir sagten das oft schon:
Einem Lichtstrahl gleicht ihre Tat, so hell wie die Sonne.
Gleich sind die Jungen des Löwen, ob männlich oder ob weiblich.“

40
Awtandil führt das Heer, der Sohn des Marschalls der Mannen.
Schlanker als eine Zypresse, der Sonne ähnlich, dem Monde,
Bartlos noch, edlem Kristall, kostbarem Email zu vergleichen:
Denkt er an Tinatins dichtdunkle Wimpern, könnt ihn das töten.

41
In seinem Herzen trug er zu ihr eine heimliche Liebe,
Konnte er sie nicht sehen, verblaßten die Rosen der Wangen;
Sah er sie, fachte das wieder sein Feuer, die Wunde ward wunder,
Schmerzlich ist’s wahrlich, die Liebesglut macht den Menschen tottraurig.

42
Als seiner Tochter der König befahl, auf dem Thron ihm zu folgen,
Freute das Awtandil, weil er spürt’, wie sein Brand sich beschwichtigt:
„Immerfort“, sagte er sich, „werd ich ihre Kristallbrust jetzt sehen,
Ob ich so wohl ein Heilmittel finde für mich, den Erbleichten?“

43
Ganz Arabien verkündete nun der große Araberherrscher:
„Ich, ihr Vater, befahl meiner Tochter, den Thron zu besteigen:
Alles wird sie erleuchten wie die leuchtende Sonne.
Kommt jetzt und seht sie alle, die ihr sollt lobend sie preisen!“

44
Alle Araber kamen, es schwoll der Höflinge Scharen:
Awtandil mit dem Sonnenblick, Führer viel Tausender Mannen,
Sograt auch, der Wesir, der Vertraute des Königs begleitet.
Von dem Thron, den sie aufstellten, sagte man: „Er ist unschätzbar!“

45
Tinatin mit dem Strahlenantlitz führte ihr Vater,
Er geleitet’ zum Thron sie und setzt’ auf das Haupt ihr die Krone,
Reicht’ ihr das Szepter und kleidete sie in Königsgewänder.
Alle schaute die Jungfrau an, wie die Sonne erhaben.

46
Ehrerbietig verneigt’ sich der König mit seinem Gefolge,
Huldigten ihr als Königin, ringsum priesen sie andre,
Mächtig stieß man ins Horn, und Zimbeln versüßten die Stimmen.
Tränen vergießt die Jungfrau, sie senkt ihre rabschwarzen Wimpern.

47
Für den Thron ihres Vaters hielt sie mitnichten sich würdig;
Darum weint sie, ihr Rosengarten füllt sich mit Tränen;
„Durch seinen Erben wird jeder Vater ersetzt“, sagt der König,
„Hätte ich das nicht bewirkt, wär gedämpft nicht mein zehrendes Feuer.“

48
„Weine nicht“, sprach er zur Tochter, „höre jetzt recht meine Worte:
Königin bist Du nun über Arabien, von mir heut berufen.
Jetzt ist dies Königreich wahrhaft in Deine Obhut gegeben.
Kluge Taten vollbringe, sei voller Ruhe verständig!

49
Weil die Sonne sich gleich über Rosen, auf Unrat verbreitet,
Sollst Du auch nie Deine Huld für Große und Kleine vergessen.
Großmut bindet den Ungebundnen, freiwillig tun es Gebundne.
Reichlich spende, die Meere auch haben ja Zufluß und Abfluß!

50
Freigebigkeit der Könige gleicht der Pappel in Eden;
Jeder gehorcht dem, der freigebig, selbst noch, wer treulos;
Essen und Trinken sind nützlich, was nützt da alles Ersparte?
Was Du ausgibst, ist Dein, was nicht, geht doch alles verloren!“

51
Diese Belehrung des Vaters hört’ klugen Sinnes die Jungfrau.
Aufmerksam hörte sie’s an, es langweilt sie nicht die Belehrung;
Jetzt trinkt und singt der König, er vergnügt sich von Herzen.
Tinatin dunkelt die Sonne, ihr Sonnenlicht ließ alles funkeln.

52
Ihren Erzieher rief sie zu sich, den Treuen Ergebnen,
Sie befahl: „Meine Schätze, die unter Dein Siegel gegeben,
Bring mir alles, was mein, was der Tochter des Königs zueigen!
Alles schaffte man her, sie verschenkte es maßlos, ohn’ Ende.

53
An jenem Tage verschenkte sie, was sie erwarb seit der Jugend,
So, daß sie Groß und Klein in üppiger Fülle bereichert.
Darauf sprach sie: „Ich tue jetzt das, was mein Vater mich lehrte,
Wage es keiner, von meinen Schätzen ein Stück zu verstecken“.

54
„Geht“, befahl sie, „öffnet die Schatzkammern, wo sie auch wären!
Stallmeister, führe die Herde her, Maultiere, auch alle Rosse!“
Maßlos verschenkte sie alles, sie wurde der Großmut nie müde.
Kostbares rafften die Mannen so wie richtige Räuber.

55
Schätze erbeutete man, als wärn sie den Türken genommen,
Vollblüter aus Arabien, die, wohlgepflegt, lang schon im Stall warn,
Tinatins Großmut glich dem Schneegestöber vom Himmel;
Keinen, Mann nicht noch Weib, ließ Tinatin unbeschenkt ziehen.

56
Stunden verflogen mit Trinken, Schmausen, sich Laben an Früchten,
Eine Versammlung aller beim Festmahl tafelnden Mannen.
Aber der König neigte sein Haupt, er schaute betrübt drein.
„Was beschwert ihn? Was fehlt ihm?“, begannen die Mannen zu fragen.

57
Awtandil, sonnengleich strahlend, sitzt an der Spitze der Tafel,
Flink, dem Panther, dem Löwen gleich, ist er der Führer der Mannen;
Sograt, der alte Wesir, sitzt neben ihm an der Tafel.
„Was beschwert wohl den König? Warum ist er so blaß jetzt?“

58
„Eine üble Laune“, sagten sie, „peinigt den König,
Sonst ist doch hier nichts geschehen, was ihm Kummer bereitet.“
„Sograt“, sprach Awtandil, „fragen wir ihn, was ihn gegen uns aufbringt.
Wagen wir, mit ihm zu scherzen, sollte auch das ihm mißfallen?“

59
So erhoben sich Awtandil, schön von Gestalt, dazu Sograt,
Füllten jeder den Becher, schritten in ruhiger Haltung,
Ließen sich kniefällig nieder vorm König mit lachendem Antlitz.
Scherzend sprach der Wesir eine Rede mit flüssiger Zunge:

60
König, Du bist betrübt, es lacht leider nimmer Dein Antlitz,
Recht hast Du: Tinatins Schatz ist zerronnen, der kostbare, teure.
Alles gab Eure Tochter, sie schenkte allen so reichlich:
Hättst Du zur Königin sie nicht gekrönt! Jetzt schufst Du Dir Unheil“.

61
Als der König das hörte, schaute er lächelnd auf Sograt.
Er war erstaunt: wie konnte er’s wagen, ihm solches zu sagen.
„Du hast recht getan“, dankte er ihm, ihm die Antwort versprechend,
Wer da schwätzt und mir Geiz nachredet, der ist ein Lügner!

62
Das nicht bedrückt mich, Wesir, ein andres betrübt mich unbändig:
Mich hat das Alter befallen, zuende ging meine Jugend,
Nicht einen einzigen Mann gibt’s, soweit unsre Herrschaft sich ausstreckt,
Der von mir als dem König die Männersitten gelernt hat.

63
Nur eine einzige Tochter hab ich in Liebe erzogen,
Gott gab mir keinen Sohn — das muß ich im Leben ertragen — ,
Der mir als Bogenschütze oder beim Ballspiel wohl gliche;
Awtandil hilft mir ein wenig, er wurde von mir einst erzogen.“

64
Ruhig vernahm der stolz-kühne Jüngling die Worte des Königs,
Mit gesenktem Haupt lächelnd, zierte ihn dieses sein Lächeln.
Licht von den weißen Zähnen ergoß sich über die Fluren.
„Schämst Du Dich etwa vor mir, warum lachst Du?“, fragt ihn der König.

65
„Bei meinem Haupt, warum lachst Du, was hast Du an mir denn zu tadeln?
Drauf der Ritter: „Ich werd es Dir sagen, doch gib mir die Hand frei,
Daß Dich nicht kränkt, was ich sage, daß Du nicht zürnend mir grollest.
Mich nicht für dreist hältst, ich ob meiner Worte in Ungnade falle.“

66
„Warum soll, was Du fordernd mir sagst, mich beleidigen, kränken?“
Bei der die Sonne verdunkelnden Tinatin schwur einen Eid er.
Awtandil sprach: „Ich beginn meine Rede und wage zu sagen:
Prahl nicht mit Bogenschützkünsten, besser ists ruhig zu reden!

67
Staub ist, o König, der Bogenschütz Awtandil zu Euren Füßen;
Laß uns wetten, wir rufen zu Zeugen auf all Eure Ritter:
Wer ist im Wettkampf mir gleich, fragt ihr — sinnlos ist es zu streiten,
Das soll der Ball und der Spielplatz draußen im Freien entscheiden!“

68
„Diesen Wettkampf mit mir, den werd ich Dir niemals verzeihen,
Laß uns nur schießen, schrick nicht zurück und weiche nicht von mir!
Lassen wir gute Ritter uns als Zeugen begleiten!
Auf dem Kampfplatz zeigt sich’s, wen man als Sieger wird preisen.“

69
Awtandil fügt sich: vereinbart wurde ein Treffen im Freien,
Lachend, scherzend spielten sie zur Unterhaltung wie Kinder,
Schlossen sogleich eine Wette auch ab unter dieser Bedingung:
„Wer unterliegt, soll drei Tage nur immer barhäuptig laufen!“

70
Er befahl jetzt den Jägern: „ Durchstreift mir eifrig die Felder,
Schützt die Wildherden sorgsam, kümmert euch rege um diese!“
Aufgefordert wurden die Mannen: „Schart Euch zusammen!“
Trinken und Schmausen, das alle vergnügte, nahm so ein Ende.

KÖNIG ROSTEWAN UND AWTANDIL AUF DER JAGD

71
Früh am Morgen erschien jene schöngewachsene Lilie,
Purpurgewandet, kristallen das Antlitz, rubinfarbne Wangen,
Goldgestickt einen Schleier trug er, das Schwert in der Scheide,
Fordert den König zum Aufbruch, auf weißem Hengst sich ihm nahend.

72
Wohlgerüstet schwang sich der König aufs Pferd, um zu jagen.
Rings warn die Ritter ins Feld schon geritten, im Kreis es umsäumend,
Groß war der Lärm, der Jubel, die Mannen füllten die Felder,
Wegen der Wette schossen sie, erlegten zusammen das Wildbret.

73
Rostewan rief: „Herbei jetzt zwölf Knappen, die uns begleiten,
Uns die flinken Bogen zureichen, die Pfeile uns geben,
Alles Getroffene sich merken, geschossene Pfeile auch zählen!“
Schon nähert sich das Wild von allen Ecken und Enden.

74
Zahllose Rudel des Wildes rannten ins Schußfeld der Jäger:
Hirsche, Böcke und Wildesel, auch hochspringende Gemsen.
Herr und Vasall, die stürzten sich drauf, wessen Anblick wär schöner?
Bogen und Pfeile gelten da nur und rastlose Arme.

75
Stiebender Staub von den Pferden verdunkelt das Leuchten der Sonne,
Da ward geschossen, getötet, die Flur mit Wildblut besudelt,
Wenn es an Pfeilen mal fehlte, dann reichten gleich neue die Knappen.
Das verwundete Wild kann nicht das Weite mehr suchen.

76
Sie überquerten das Feld, die Wildherde vor sich hertreibend,
Schossen und töteten blindlings, Gott in den Himmeln erzürnend,
Fluren färbten sich rot, bespritzten mit Blut sich des Wildes.
Wer da Awtandil sah, der dachte: „Die Pappel in Eden!“

77
Sie gelangten ans Ende des Feldes, das sie durchstreiften.
Jenseits des Felds fließt ein Wildbach, am Ufer des Baches ist Waldung.
In diesen Wald floh das Wild, wo kein Roß mehr zu rennen vermochte.
Müd waren beide, erschöpft, obwohl sie rüstig und munter.

78
Lachend redeten sie zueinander: „Ich bin der Sieger!“
Freundschaftlich stichelten sie sich, indes sie hin und her gingen.
Schließlich kamen die Knappen, die ihnen immer gefolgt warn.
Jetzt sagt der König: „Verkündet die Wahrheit, ihr dürft uns nicht schmeicheln!“

79
Drauf die Knappen: „Wir wagen die Wahrheit, denk nicht wir irren:
König, wir können, befragt, niemals sagen, Du glichest dem Ritter.
Mögest Du uns auch töten — Du bist ihm keineswegs ähnlich —
Alles Wild, das er anschoß, konnte nicht mehr entfliehen.

80
Beide erlegten zusammen zehn mal zwanzig Stück Jagdwild,
Awtandil aber hatte zwanzig Stück mehr noch geschossen.
Nicht ein einziger Pfeil ging ihm fehl, soviel Schuß er auch abgab.
Doch von den Eueren hat man viel erdbeschmutzte gereinigt“.

81
Wie das Würfelspielglück ist dem Könige wert diese Kunde,
So erfreut ihn die Tüchtigkeit dessen, den er erzogen.
Wie die Nachtigall liebt die Rose, hatte er lieb ihn,
Lachend scherzt er, sein Kummer begann aus dem Herzen zu weichen.

82
Beide stiegen sie ab und rasteten unter den Bäumen.
Jetzt begannen die Ritter zu strömen mehr als es Spreu gibt.
Neben dem Könige stehen zwölf der tapfersten Knappen,
Alle spielten und schauten zum Wildbach, zum Rande des Waldes.

BEGEGNUNG DES ARABERKÖNIGS MIT DEM MANN IM PANTHERFELL

83
Einen fremden Ritter sahen sie da weinend am Wildbach,
Löwengleich einem Helden, hielt ein schwarzes Roß er am Zügel,
Dicht mit Perlen besetzt war’s Geschirr, das Zaumzeug, der Sattel.
Tränen betauten die Wangen mit Reif aus bekümmertem Herzen.

84
In ein nach außen gewendetes Pantherfell war er gewandet,
Auch eine Kappe aus Pantherfell trug er auf seinem Kopfe.
Eine geschmiedete Peitsche armdick hielt in der Hand er,
Diese Erscheinung, höchst seltsam, wollten sie näher betrachten.

85
Um den betrübten Ritter zu sprechen, naht sich ein Knappe,
Mit gesenktem Haupt weint jener, er schaut’ tieftraurig, nicht keck drein —
Ein kristallener Regen floß in die achatene Rinne —
Näher trat jetzt der Knappe, doch konnt’ er kein Wort mit ihm reden.

86
Mit ihm zu sprechen, wagte er nicht, so entsetzt war der Knappe,
Lange schaute er staunend ihn an, es fehlt’ nicht an Mut ihm;
„Auf Befehl des Königs!“, rief er und trat ruhig näher.
Doch der Ritter weint, hört nicht hin und läßt sich nichts merken.

87
Er vernahm nicht des Knappen Worte noch seine Rede,
Und das Getümmel der Mannen rührte ihn ebenso wenig,
Sonderbar stöhnte sein Herz, wie von schmerzenden Flammen ergriffen,
Blut vermischt sich mit Tränen, ein Strom wie entfesseltes Wasser.

88
Anderswo weilte sein Geist, in der Ferne, bei seinem Haupte!
Den Befehl seines Herrn wiederholte noch einmal der Knappe.
Doch der Ritter ließ weder das Weinen, noch hörte er etwas,
Auch seines Mundes Rosen blieben noch immer geschlossen.

89
Als er beharrlich stumm blieb, kehrte der Knappe zurück jetzt.
Sagte zu Rostan: „Ich fühl es gewiß, er will von Euch garnichts,
Meine Augen waren geblendet wie von der Sonne,
Meine Worte fanden sein Ohr nicht, drum blieb ich so lange“.

90
Staunend zürnte der König. Wut faßt ihn wegen des Ritters:
Zwölf seiner Knappen, die vor ihm standen, sandte er zu ihm,
Er befahl ihnen: „Zieht nur aus, wie zum Kriege gerüstet,
Geht und bringt den hierher, der trotzig dort sitzt, immer weinend.

91
Gleich gehorchten die Knappen, sie nahten mit klirrenden Waffen;
Da erst fuhr auf der Recke, der Weinende, der so Betrübte,
Schaute sich um im Kreise und gewahrte das Kriegsvolk,
Sagte nur einmal: „Weh mir!“ und verstummte dann wieder.

92
Mit seiner Hand strich er über die Augen und wischt’ sich die Tränen,
Richtete Schwert und Köcher, und reckte sodann seine Arme,
Schwang sich geschwind auf den Rappen — was scherten ihn Worte der Knappen!
In eine andere Richtung ritt er, er stillt nicht die Neugier.

93
Leibhaftig suchten sie mit ihren Händen den Recken zu fangen,
Aber, o weh, der richtet’ sie zu: selbst Feinde packt Mitleid,
Sie aneinanderschmetternd, tötet er sie eigenhändig,
Mit seiner Peitsche schlug er sie, bis zur Brust hin sie spaltend.

94
Da erzürnte der König, er ließ den Ritter verfolgen.
Weil der nicht eingeholt, gab er nicht acht und schaute nicht rückwärts.
Die, die ihn schließlich erreichten, tötete er auf der Stelle,
Er zerschmetterte Mann für Mann, tief den König betrübend.

95
Awtandil und der König wollten zu Pferde ihn fangen.
Stolz und verwegen ritt da der Ritter, den Körper froh wiegend,
Dem Meran gleich sein Vollblut, die Sonne zieht über das Feld hin,
Er begriff, daß der König jetzt ihn verfolgte, ihm nahte.

96
Als er erkannte, der König kommt angesprengt, peitscht er den Rappen.
Augenblicks war er verschwunden, die Augen sahen ihn nicht mehr,
In den Abgrund schien er gestürzt, wie gen Himmel geflogen.
Als man ihn suchte, fand man von seinem Lauf keine Spur mehr.

97
Spuren suchten sie, waren erstaunt, keine Hufspur zu finden,
Kann ein Mensch denn spurlos wie Dewi, der Riese, verschwinden?
Alle Mannen beweinten die Toten, verbanden die Wunden.
Drauf sagt der König: „Ich sehe, wir müssen das Fest jetzt beenden.“

98
„Gott mißfielen wohl meine bisherigen Freuden“, so klagt er,
Deshalb ließ Er durch Bitternis meine Freude jäh trüben,
Bis auf den Tod hat Er mich verwundet, es gibt keine Heilung.
Dennoch sei ihm gedankt, das war Sein Wunsch und Sein Wille.“

99
Also sprach er, wandte sich um und ritt drauf traurig von dannen,
Auch den Wettkampfplatz mied er, Klage an Wehklage reihend;
Alles war jetzt beendet, wo immer noch einer aufs Wild schoß;
„Er hat recht“, sagten manche, andere fanden nur Tadel.

100
Traurig betrat der König sein Schlafgemach, herzlich bekümmert,
Niemand folgte ihm außer Awtandil, den er als Sohn liebt.
Alle gingen jetzt fort, auch das Hausgesinde zerstreut’ sich.
Eitel warn alle Freuden, süßklingende Zimbeln und Harfen.

101
Tinatin hörte von solcher Betrübnis des trostlosen Vaters,
Rasch eilt zur Tür die Sonnentochter, die mit der Sonne wetteifert,
Rief den Kammerherrn, fragt ihn: „Der König, schläft er denn? Wacht er?“
Traurig sitzt er, er sieht ganz bleich aus!“, erwiderte dieser.

102
„Awtandil weilt alleine bei ihm, sitzt vor ihm auf dem Sessel;
Einen fremden Ritter sah er, das hat ihn bekümmert.“
Tinatin sprach: „Ich will wieder fortgehn, ich käm jetzt zur Unzeit,
Fragt er nach mir, dann meldet ihm nur, daß ich kurze Zeit hier war.“

103
Nach einer Weile fragte der König: „Wo ist meine Tochter,
Meine Freude, meine Perle, der Quell meines Lebens?“
Drauf der Kammerherr: „Eben war sie noch hier, tiefbekümmert,
Als sie erfuhr, Du seist traurig, kehrte sie um vor der Türe.“

104
Er befahl: „Laßt sie kommen, wie könnte ich ohne sie leben?
Sage ihr: «Warum kehrtest Du um, Du, Leben des Vaters?
Komm und zerstreu meinen Kummer, heil mein verwundetes Herz mir,
Anvertraun werd ich Dir dann, warum ich die Festlichkeit aufhob»!“

105
Tinatin kam sogleich, sie willfahrte dem Willen des Vaters,
Ihres Antlitzes Leuchten gleicht dem Hofe des Mondes.
Neben sich ließ der Vater sie sitzen, er küßte sie zärtlich,
Sagte zu ihr: „Warum bist Du nicht bei mir, läßt Dich erst rufen?“

106
Drauf die Jungfrau: „Herrscher, wenn jemand erfährt, Du seist traurig,
Wer wird es wagen, wer es auch wäre, Dich zu besuchen?
Eure Betrübnis kann auch den Sturz der Gestirne bewirken!
Taten zieren den Mann mehr, als daß er der Trauer sich hingibt.“

107
Drauf sprach der König zu ihr: „Meine Tochter, wie schwer auch mein Kummer,
Deine Nähe, Dein Antlitz ist mir doch stets eine Freude,
Die mir den Gram vernichtet wie ein Getränk, das erheitert.
Du wirst mir rechtgeben, wenn Du den Grund meiner Klage erfahren.

108
Mir ist ein fremder, ein seltsamer Ritter begegnet,
Dessen Leuchten erhellte die Welt bis hin an den Erdrand,
Was ihn beschwerte, wußte ich nicht, nicht wen er beweinte;
Er erschien nicht vor mir, ich grollte und griff zu den Waffen.

109
Als er mich sah, da schwang er aufs Roß sich und wischt’ sich die Tränen,
Ich hieß die Mannen ihn einzufangen, er tötete alle,
Wie der Satan verschwand er, er würdigte mich keines Kusses.
Noch weiß ich nicht, wars Wirklichkeit oder ein Trugbild!

110
Staunend fragte ich mich, was war das für eine Erscheinung?
Meine Mannen tötet’ er alle, ihr Blut floß in Strömen.
Wär das ein Mensch von Fleisch und Blut, der plötzlich unsichtbar?
Unstreitig bin ich Gott jetzt verhaßt, der ich bisher so heiter.

111
All seine süßen Gnaden wurden mir schließlich so bitter,
All jene Tage sind nun vergessen, da ich mich freute,
Jedermann soll mich beklagen, beglücken kann mich nun niemand,
Keiner kann mich erfreuen, solange ich lebe auf Erden.“

112
Drauf die Jungfrau: „Ein vermessenes Wort erlaub ich mir jetzo:
Oh, mein König, was haderst Du denn mit Gott und dem Schicksal?
Warum beschuldigst Du den, der voll Güte auf alle herabschaut?
Warum sollte der Schöpfer des Guten denn Böses bewirken?

113
Jetzo rate ich Dir, Du bist König, der Könige König,
Weit erstreckt sich Dein Reich, daß nicht alle Befehle vernehmen.
Sende jetzt allerorts Boten, um Kunde von jenem zu hören,
Ob der Ritter vom Weibe geboren oder ein Zauber.“

114
Boten wurden gesendet in jede Richtung des Himmels.
Man befahl ihnen: „Macht euch jetzt auf und scheut keine Mühe.
Forschet, sucht jenen Ritter, habt keine Muße für andres,
Schreibt dorthin Briefe, wohin ihr nicht zu gelangen vermöget!“

115
Aufbrachen da die Boten, sie blieben ein reichliches Jahr fort,
Forschten, suchten den Ritter und fragten nach ihm unaufhörlich,
Keinen von Gott Geborenen sahen sie, der ihn gesehen!
Unzufriedenen Herzens kehrten sie heim nach vergeblicher Mühe.

116
„König“, sagten die Boten, „wir zogen durch sämtliche Lande,
Doch jenen Ritter fanden wir nicht, um uns drüber zu freuen,
Keinen Lebendigen konnten wir treffen, der je ihn gesehen,
Widmet Euch anderen Dingen, wir konnten Euch leider nicht nützen!“

117
„Recht hatte meine Tochter, mein Erbe“, sagte der König.
„Bösen Teufelstrug, Teufelsschimpf habe ich hier einst gesehen,
Als mein Feind erschien er, ein vom Himmel gestürzter,
Müd bin ich jetzt aller Trauer, ich laß mich durch nichts mehr bekümmern!“

118
Also verkündete er und befahl wieder heitere Spiele.
Sänger und Seiltänzer wurden gerufen, wo immer sie waren,
Reichlich verschenkte er Gaben, alle lud er ins Schloß ein,
Zeugte denn Gott einen andern, der an Großmut ihm gliche?

TINATIN SENDET AWTANDIL AUF DIE SUCHE NACH DEM RECKEN

119
Awtandil saß im Schlafgemach, mit einem Hemd nur bekleidet,
Sang und war guter Dinge, vor ihm stand eine Harfe.
Da erschien vor ihm eiligst ein Mohr als Tinatins Bote:
„Die, pappelgleich, mit dem Antlitz des Mondes heißt Dich zu kommen!“

120
Hocherfreut hoffte Awtandil, Heißersehntes zu hören.
Er erhob sich und zog ein farbenleuchtend Gewand an,
Froh, die Rose zu sehen, die er alleine sonst nie traf.
Wie beglückend, die Schöne zu schauen, die Nähe der Liebsten!

121
Awtandil, mutig und stolz, macht sich auf, vor niemand sich schämend,
Sie wird er sehen, um die er oft jammerte, Tränen vergossen;
Düster saß da die Unvergleichliche, schön, einem Blitz gleich,
Von ihrem leuchtenden Glanz ward gar das Mondlicht verfinstert.

122
In Hermelinfell ist ihr bloßer Leib nur gekleidet,
Lose hüllt sie ein Schleier, ein unschätzbar Gewebe,
Herzdurchbohrende schwarze Wimpern zieren die Schöne.
Lange dichte Flechten umzogen den schneeweißen Hals ihr.

123
Traurig dasitzend schaute sie durch einen purpurnen Schleier,
Awtandil bat sie ruhigen Sinnes, sich zu ihr zu setzen.
Auf den Sessel, den ihm der Mohr brachte, setzt’ er sich scheu hin.
Frei schaut er ihr ins Antlitz, erfüllt von unendlicher Freude.

124
So sprach die Jungfrau: „Furcht zehrt mich auf, Dir das zu berichten;
Was zu ertragen mir alle Kraft fehlt, wollt ich nicht sagen,
Kennst Du vielleicht den Grund, weshalb ich Dich hierher gerufen,
Warum ich düster und traurig, fast des Verstands beraubt, dasitz’?“

125
Drauf der Ritter: Wie könnte Entsetzliches ich Dir denn sagen?
Trifft sich der Mond mit der Sonne, nimmt er ab und verwelkt ganz:
Nichts vermag ich zu denken, besorgt allein um mich selber.
Sagt mir nur, was Euch beschwert oder was Euch zu heilen vermöchte!“

126
Schön, mit gewählten Worten gibt ihm die Jungfrau zur Antwort —
„Bisher“, bekennt sie, „habe ich zwar Deine Nähe gemieden.
Warum wird Dir sogleich ein Auftrag für Dich wohl bedenklich?
Doch ich sag Dir zuerst jetzt, welches Leid mich verzehrt hat.

127
Weißt Du noch: Du und Rostan erlegten das Wildpret im Felde.
Sahst Du da nicht einen Recken, der sich die Tränen abwischte?
Seitdem hat der Gedanke an ihn mich so niedergeschlagen.
Daß ich Dich bitte, find ihn, auch wenn Du die Welt rund umwandert.

128
Wenn Du Dich auch in Gesprächen mir noch nicht offenbart hast,
Hab Deine Liebe zu mir ich doch aus der Ferne empfunden;
Da Deinen Augen unaufhaltsam Tränen entquollen.
Weiß ich, Dich traf die Liebe, die Dein Herz fest gefesselt.

129
Darum schuldest Du mir nun gewiß jetzt zwiefache Dienste.
Einmal bist Du der Ritter, dem wahrlich kein anderer gleichkommt,
Dann bist Du auch mein Midshnur, das ist wahr, kein Geschwätz nur.
Mach Dich auf, such den Ritter, ob er nun nah oder fern sei.

130
Festige damit Deine Liebe zu mir immer mehr noch:
Um mich vom Kummer zu lösen, lähme den unreinen Teufel,
Um Dein Herz pflanze Veilchen der Hoffnung, streue auch Rosen!
Komm dann, Löwe, ich ein mich mit Dir, der Sonne, verein Dich!

131
Such ihn drei Jahr lang, den Du sollst suchen, den Ritter,
Findest Du ihn, kehre ruhmreich zurück mit freudigen Worten.
Findst Du ihn nicht, werd ich glauben, daß er unsichtbar gewesen.
Mich, Deine Rosenknospe, findst Du unverwelkt, unentfaltet.

132
Dir gelobe ich, wenn ich außer Dir einen anderen heirat,
Wenn auch die Sonne in Menschengestalt mir jemals begegnet,
Seis Paradies mir verschlossen, mög mich die Hölle verschlingen,
Mög Deine Liebe mich töten, durchbohre mein Herz mit dem Messer.“

133
Drauf der Ritter: „Du Sonne mit den achatenen Wimpern,
Könnt eine andere Antwort ich Dir denn geben, ersinnen?
Ich hab den Tod erwartet, Du gabst mir den Glauben ans Leben.
Als Dein Vasall zieh ich aus, stets ohn alles Zögern Dir dienstbar.“

134
Und er fährt fort: O Sonne, da Gott Dich als Sonne erschaffen,
Hören auf Dich die Gestirne des Himmels, wo sie auch leuchten:
Alle die Gnaden, die Du mir gewährst, erscheinen zu viel mir.
Meine Rose verwelkt nicht dank Deinem liebreichen Strahlen.“

135
Wieder verschworen sich beide und gelobten sich Treue,
Felsenfest faßt sie Mut, gesprächig floß ihre Rede.
Leichter wurde der Kummer, den sie bisher erduldet,
Von ihren Zähnen glänzt weiß der Blitz in schimmernden Strahlen.

136
Frohgemut saßen sie da bei hundertfachen Gesprächen.
Sie verhüllten Kristall, Rubin und Achat still vertraulich —
„Deine Zuschauer“, sagt’ er, „verloren rasend die Köpfe
Und das Feuer, das Du entfechtest, verbrannte das Herz mir“.

137
Drauf zog der Ritter vondannen, wenn auch die Trennung ihm schwerfiel,
Schaute oftmals zurück, bestürzt blickten starr seine Augen.
Hagel troff auf erfrorene Rosen, sein Körper erbebte.
Herz knüpft er fest an ein Herz an, das ihn zu lieben verpflichtet.

138
„Sonne, an meinen Wangen werd ich die Trennung bald spüren.
Ich, Kristall und Rubin, bin gelber als Bernstein geworden —
Was aber tu ich, bedenke ich, wenn ich Dich lange nicht sehn kann?
Für die Liebste zu sterben ist Pflicht, ich nahms mir zu Herzen.

139
In seinem Schlafgemach liegt er, nur schwer kann die Tränen er wischen,
Wie die Espe im Winde zittert er, beugt er sich nieder.
Schlummert er endlich ein, dann träumt er die Nähe der Liebsten,
Fährt empor, schreit laut und macht sein Leid zwanzigmal schlimmer.

140
Von der Geliebten zu scheiden, entzündet das Feuer der Liebe,
Sänftigend regneten Tränen wie Perlen ihm über die Rose —
Als es hell wurde, zog er vondannen, schön, wer ihn schaute,
Stieg auf sein Pferd und ritt zum Empfang im Palast hin.

141
Dorthin schickt er den Diener, den er schon öfters gesandt hat,
Ließ ihn sagen: „Ich melde Dir, König, was ich gehört hab:
Mit dem Schwerte erobertet Ihr Euch Eure sämtlichen Lande.
Zeit ist es jetzt, daß Tinatins Krönung die Nachbarn erfahren.

142
Ausziehen werd ich zu Kriegen und in Grenzländer einfalln,
Werde mit Tinatins Krönung das Herz Eurer Feinde durchbohren,
Alle Treuen erfreun, Widerspenstige bring ich zum Weinen,
Ohne Unterlaß laß ich Gaben Euch schenken, Euch grüßen.

143
Großen Dank entbot ihm der König für diese Gesinnung,
Ließ ihm sagen: „Löwe, Du bist nicht der Mann, auszuweichen.
Jetzt gleicht völlig Dein Rat Deinem ruhmreichen Mut in Gefahren,
Geh, doch was soll ich tun, wenn die Trennung lange nun dauert?“

144
Eintrat der Ritter, verneigte sich höflich und sprach seinen Dank aus:
„König, mich wundert, warum Ihr mit guten Worten mich lobtet!
Hellte mir Gott so wirklich wieder der Finsternis Trennung,
Ließ Dein Antlitz so freudig mich den Freudigen sehen.“

145
Da umarmt’ ihn der König, er küßte wie einen Sohn ihn —
Keiner glich jemals ihnen, weder Erzieher noch Zögling.
Aufbrach der Ritter, jener Tag schien der Tag ihrer Trennung.
Rostan weinte um ihn im weichen, verständigen Herzen.

146
So stolz reitend zog Awtandil fort, der rüstige Ritter,
Zwanzig Tage lang ritt er, die Nächte den Tagen vermählend.
Seines Lebens Freude ist sie, sein Schatz, seine Sorge.
Ihn verläßt seine Tinatin nicht, deren Feuer ihn aufzehrt.

147
Als er zuhause war, brach ein Jubel aus in seinem Königreich.
Ihm kamen Edle entgegen und brachten ihm viele Geschenke.
Der mit dem Sonnenantlitz weilte nicht lange bei ihnen.
Festliche Freude erlebten sie alle, die hier bei ihm weilten.

148
Eine Burg, eine feste, basaß er zum Schrecken der Nachbarn,
Ringsum starrten da Felsen, Mauern aus Stein nicht, aus Kalk nicht.
Dort verbrachte der Ritter drei Tage mit Freuden beim Jagen.
Mit seinem Zögling Schermadin pflegte er lange Beratung.

149
„Schermadin“, sprach er, „es gibt etwas, des ich mich heut vor dir schäme:
Alles, was mich betraf, das hast Du gekannt, hasts geachtet,
Doch Du weißt es bis heut nicht, wieviele Tränen ich weinte.
Die, die mir Leiden gebracht, die hat mich entzückt auch.

150
Von dem Verlangen, der Liebe zu Tinatin bin ich getötet,
Tränen aus den Narzissen netzten gefrorene Rosen.
Leid, das ich bisher verbarg, das konnte ich niemandem zeigen,
Jetzt aber gab sie mir Hoffnung, drum siehst Du mich strahlend und heiler.

151
Sie gebot mir: «Erkunde die Mär vom verschwundenen Ritter,
Wenn Du zurückkommst, nur dann erfüll ich den Wunsch Deines Herzens.
Keinen andern Gemahl will ich, wär er ein Baum auch aus Eden!»
Linderung gab sie dem Herzen, das bisher hart sie gemartert.

152
Erstens bin ich Vasall, es ist Pflicht, meinem Lehnsherrn zu dienen —
Treu seinem König muß der Vasall als Vasall immer handeln — ,
Sie hat das Feuer gelöscht, es verbrennt nicht mehr glühend das Herz mir.
Notwendig ists, daß der Mann sich nicht beugt, auf die Not tapfer losgeht.


153
Wir sind die besten Freunde unter den Herrn und Vasallen,
Deshalb bitt ich Dich auch, meine Worte geduldig zu hören:
An meiner Stelle bleibst Du nun zurück, als Haupt meiner Mannen,
Keinem Andern als Dir nur kann ich dies Amt anvertrauen.

154
Führe die Heere und Großen im Kriege, sei ihr Beschützer;
Sende Boten zu Hof, und erkunde, was sich dort zuträgt,
Schreibe Briefe statt meiner, und bring ihnen kostbare Gaben:
Warum sollen sie denn mein langes Fernsein verspüren?

155
Führ Deine Kriege und Jagden immer, wie ich es getan hab,
Warte auf mich von nun an drei Jahre — bewahr mein Geheimnis,
Möglich ists, daß ich zurückkehr, falls meine Pappel nicht abstirbt.
Kehr ich nicht wieder zurück, betraure, beweine, beklag mich!

156
Dann erst berichte dem König dies unerwünschte Ereignis.
Melde ihm meinen Tod — gebärde Dich wie ein Berauschter — ,
Sage ihm, daß mich das traf, den keiner kann jemals entrinnen,
Gib den Armen dann Schätze, Gold, Silber und Kupfer in Fülle.

157
Sei mir noch hilfreicher dann, noch mehr als Du es schon jetzt bist!
Wirst Du wohl schnell mich vergessen? Gedenk meiner öfters im Guten!
Traure mit Liebe um mich und bete für meine Seele.
Denk daran, wie ich Dich aufzog, laß Dein Herz weiblicher werden!“

158
Als das Schermadin hörte, staunte er lange, erschüttert,
Aus seinen Augen strömten die Tränen wie schimmernde Perlen.
„Wie kann mein Herz denn ohne Dich froh sein!“ gab er zur Antwort.
„Daß Du nichts aufgibst, weiß ich, drum rat ich nicht ab von Entschlüssen.

159
«Ich laß Dich hier statt meiner!», wie konntest Du dieses nur sagen?
Wie kann ich Herrscher sein, worin in allem Dir ähnlich, Dir gleich sein?
Muß ich einsam Dich wissen, so werd mir die Erde zur Wiegel
Lieber verschwinden wir heimlich. Nimm mich mit, ich begleit Dich!“

160
Drauf der Ritter: „Hör mich, ich sag Dir die Wahrheit, nicht Lügen:
Rennt ein Minneritter querfeldein, so muß er allein fliehn.
Keinem fällt eine Perle zu ohne Entgelt, ohne Handel.
Einen verlognen Verräter soll mit dem Speer man durchbohren.

161
Wer außer Dir ist würdig, daß ich mein Geheimnis ihm sage,
Wem denn anders als Dir nur sollt’ ich mein Reich übergeben?
Daß kein Feind in der Nähe sich lagert, befest’ge die Grenzen!
Läßt mich Gott nicht verderben, schenkt er mir glückliche Heimkehr.

162
Unbesehn tötet die Versehung einen oder auch hundert;
Einsamkeit kann mir nicht schaden, wenn Himmelsscharen mich schützen.
Kehr ich nicht heut in drei Jahren zurück, dann trag um mich Trauer;
Einen Brief geb ich Dir, damit Dir die Meinen gehorchen.“


AWTANDILS SCHREIBEN AN SEINE VASALLEN

163
„Meine Vasallen, Erzieher und Zöglinge!“, schrieb er,
„Ihr zuverlässig Treuen, oft erprobt in der Treue,
Ihr, die ihr stets meiner Wünschen willfahrt wie die Schatten,
Hört jetzt alle, die ihr versammelt, dieses mein Schreiben.

164
Hört, was ich, Awtandil, zu euren Füßen Staub, hier euch schreibe:
Mit meiner eigenen Hand verfaßte ich euch dieses Schreiben.
Kurze Zeit zu entfliehn, schätz ich mehr als Zechen und Spielen.
Sorgen fürs Brot und fürs Leben vertraue ich Bogen und Pfeil an.

165
Großes habe ich vor, deshalb muß ich euch jetzt gleich verlassen,
Einsam als wandernder Fremdling muß ich das Jahr fern verbringen,
Deshalb bitt ich euch dringlich, beschwöre euch herzlich,
Mir das Reich vor Feinden unversehrt zu bewahren.

166
Schermadin laß ich zurück, der soll statt meiner jetzt Herr sein,
Bis er von meinem Tod, meinem Leben gehört hat, beschein er
Euch wie die Sonne, die Rose läßt er nicht welken, nicht sterben.
Alle, die schuldig geworden, lasse er schmelzen, wie Wachs schmilzt.

167
Ich erzog ihn wie einen Sohn, einen Bruder, ihr wißt es.
Ihm gehorcht so, als ob er ich selber, ich, Awtandil wäre,
Wenn die Trompete schmettert, vollbringt mit ihm all meine Taten!
Kehr ich zur Zeit nicht zurück, dann sollt ihr trauern, nicht lachen!“

168
Dieses Schreiben schloß nun der liebreich Redegewandte,
Band sich den goldenen Gürtel um, rüstete sich für die Ferne.
„Auf dem Feld“, sprach er, „steig’ ich aufs Pferd“, still harrten die Mannen;
Augenblicks ritt er davon, er weilte nicht länger zuhause.

169
„Geht alle heim jetzt!“, befahl er, „es soll mich niemand begleiten!“
Auch die Knappen schickte er heim, er blieb jetzt alleine,
Einsam wandt’ er sein Roß, durchrannte wie rasend das Dickicht.
Immerfort dacht’ er an Tinatin, die ihm zur Mörderin wurde.

170
Er durchquerte die Lande, und entschwand seinen Mannen.
Welcher Lebendige sollt ihn erblicken, wer würde ihm nachgehn?
Ihn, den das Schwert gefährdet, verfolgt doch die, die ihn tötet,
Angenehm ward ihm für sie die Last, die ihm Kummer bereitet.

171
Als nach beendeter Jagd nach dem Herrn die Mannen sich umsahn,
Konnten, erblaßt, sie den mit dem Sonnengesicht nicht mehr finden.
Ihre große Freude verwandelte sich nun in Kummer,
Überall suchten ihn Mannen, die schnellste Rosse besaßen.

172
„Löwe, wie kann statt Deiner Gott einen andern erwählen?“
Alle rannten umher und riefen verschiedene Boten;
Doch sie konnten von ihm nicht erfahren, wohin er gezogen.
Seine Mannen vergossen gramgebeugt bittere Tränen.

173
Alles Gesinde rief Schermadin, alle Großen zusammen,
Zeigte ihnen den Brief und berichtete, was er gesagt hat.
Als die Mannen das hörten, ward ihnen allen das Herz wund,
Schlugen aufs Haupt sich, unverwundet war da kein Herz mehr.

174
Alle sprachen: „Obwohl ohne ihn uns das Leben ein Übel:
Wem außer Dir sollt’ er Thron und Herrschaft vertrauensvoll geben?
Wir gehorchen Dir sicher, welches auch Deine Befehle.“
Ihn erkannten sie als ihren Herrn an und neigten sich vor ihm.

AWTANDILS AUSFAHRT ZUR SUCHE NACH DEM MANN IM PANTHERFELL

175
Dieses bezeugen Esra und Dionysios, der Weise:
Traurig ists, wenn die Rose erfriert, dieweil sie der Reif deckt.
Wenn einer, dem der Rubin nicht ähnelt, der einem Rohr gleicht,
Irgendwo wird ein einsamer Wandrer, des Heimatorts müde.

176
Awtandil durchquerte im vollen Galopp viele Lande,
Er überschritt die Grenzen der Araber, streift’ durch die Fremde,
Von der Sonne getrennt, zerrann ihm die Hälfte des Lebens;
„Wär ich jetzt bei ihr“, sagt er, „würd ich nicht Tränen vergießen.“

177
Frisch fiel der Schnee, der Reif bedeckte die Rose, entstellt’ sie;
Manchmal schon wollt’ er sein Herz durchbohren, griff er zum Messer;
„Meine Not hat die Welt von neunzig auf hundert gesteigert,
Fern bin ich allen Freuden, der Harfe, der Leier, der Flöte!“

178
Von jener Sonne getrennt, welkt mehr und mehr ihm die Rose,
Zu seinem Herzen sprach er: „Erdulde!“, das scheuchte die Ohnmacht;
Suchend in fremden Landen, durchstreift er als Fremder die Ferne,
Bei den Wanderern forscht er und befreundet sich ihnen.

179
Suchend vergießt er Tränen, die ins Meer rinnen könnten.
Erde dient ihm als Lager, als Kopfkissen dienen die Arme.
„Liebste“, sagt er, „getrennt bleibt bei dir doch mein Herz stets, bei wem sonst?
sterben für dich, genügt mir zur Freude.“

180
Alle Lande der Erde durchstreifte er, überall war er,
Daß kein Fleck blieb unter dem Himmel, wo er nicht gewesen.
Niemanden aber traf er, der etwas von jenem vernommen,
Von den drei Jahren blieben inzwischen drei Monate nur übrig.

181
Er gelangte nach einem unfreundlichen, sehr rauhen Lande,
Einen Monat lang sah er kein Adamskind, nicht einen Menschen,
Solche Leiden stießen weder Wis noch Ramin zu,
Tag und Nacht gedachte er unentwegt seiner Geliebten.

182
Eine gewaltige Bergspitze bot sich ihm zum Verweilen,
Dort erschien vor ihm ein Wiesental sieben Reisetag lang.
An dem Fuß jenes Berges fließt ein Fluß, ohne Brücke,
Beiderseits umfing dichter Wald die Ufer des Flusses.

183
Er trat zum Rande des Abhangs, zählte die Zeit, alle Tage;
Nur zwei Monate blieben ihm, darum stöhnt er, frohlockt nicht;
„Weh mir, wenn mein Geheimnis enthüllt wird!“ befürchtet er wieder,
„Keiner kann Böses in Gutes verwandeln, keiner kommt wieder.“

184
Sinnend wurde er nachdenklich, ging mit sich selber zu Rate,
„Kehr ich zurück“, sagt er, „warum weilt’ ich solang in der Fremde?
Was sag ich meinem Gestirn, womit ich die Tage vergeudet,
Da keine Kunde von ihm ich erfuhr, dessen Spuren ich suchte.

185
Kehr ich nicht mehr zurück und bleibe noch lang auf der Suche,
Kommt mir nie eine Kunde von dem, den ich immerfort suche,
Dann ist die Zeit verstrichen für Schermadin, ihm bleibt nur Weinen,
Kommt er zum König, berichtet geziemend er, was da geschehen.

186
Er erzählt ihm von meinem Tode, wie ich ihm auftrug,
Fangen sie an zu trauern, zu weinen aus bitterem Kummer,
Plötzlich erschein ich lebendig nach der Irrfahrt der Fremde!“
Daran denkt in bedrängtem Verstande jetzt Awtandil weinend.

187
„Gott“, sagt er, „wandtest du deine Gerechtigkeit von mir,
Warum, o weh, machtest du all mein Herumschweifen eitel?
Merzest du aus meinem Herzen die Freude, daß Leiden drin nisten?
Nein, mein Leben lang werd meine Trauer ich nimmermehr stillen.“

188
Wiederum sagt er: „Lieber dulden!“ Und spricht zu sich selber:
„Stirb nicht vor dem dir Gegebnen, es soll mein Herz nimmer schmerzen;
Ohne Gott kann ich nie was vollbringen, ich weine umsonst nur.
Keiner wirkt auf die Vorsehung, was nicht werden soll, wird nicht.

189
Alle Länder unter dem Himmel hab ich durchwandert,
Aber von jenem Mann konnt ich nie etwas Rechtes erfahren;
Zweifellos sahen die richtig, die einen Teufel ihn nannten.
Ach, was nützt mir jetzt Weinen, warum rinnen mir Tränen?“

190
Awtandil stieg vom Berge, durchquerte den Fluß und die Wälder,
Ließ sein Vollblut sich tummeln, selber verdrossen und traurig;
Seine Arme und all sein Stolz die wurden ihm sinnlos,
Das kristallene Feld verschönt’ die achatenen Wimpern.

191
Er erwog jetzt die Umkehr mit vielem Stöhnen und Klagen,
Er ritt die Wiesen hinab und faßte den Weg mit den Augen;
Einen Monat lang hatte er nie einen Menschen gesehen,
Schreckliche Raubtiere gab es, aber er reizte doch keines.

192
War verwildert auch Awtandil unter Seufzen und Stöhnen,
Kam ihm nach den Gesetzen des Adamsgeschlechts jetzt doch Hunger,
Schoß deshalb Wild mit dem Pfeil, länger als Arme von Rostom,
Stieg am Rand des Gestrüpps ab und schlug mit dem Stahle sich Feuer.

193
Frei ließ sein Roß er grasen, bis das Spießfleisch gebraten,
Da erblickt’ er sechs Reiter, die sich ihm graden Wegs nahten;
„Räubern gleichen sie“, sagt er, „was kann man da Gutes erwarten?
In dieser Öde war noch niemals ein lebendes Wesen.“

194
In der Hand hielt er Bogen und Pfeil, er naht’ ihnen heiter.
Einen bartlosen Jüngling führten sorglich zwei Männer,
Der war am Kopf schwer verwundet, und Blutverlust schwächte das Herz ihm,
Fast schien der Wunde den Geist aufzugeben; sie weinten.

195
Awtandil rief: „Wer seid ihr denn, Brüder, ich hielt euch für Räuber!“
Sie erwiderten: „Ruhe nur, hilf uns und lösch unser Feuer.
Kannst du uns aber nichts nützen, vermehr unser Leiden durch Leid nicht,
Wein mit uns, was zu beweinen, bedecke mit Flaum deine Wangen!“

196
Awtandil sprach, nähertretend, mit diesen bekümmerten Männern,
Unter Tränen redend, erzählten sie ihre Geschichte:
„Wir sind drei Brüder, deshalb vergießen wir bittere Tränen,
Viele Burgstätten haben wir drüben im Land der Chataer.

197
Von einem guten Jagdgrunde hörten wir, brachen zur Jagd auf,
Zahllose Mannen zogen mit uns, wir blieben am Flusse,
Einen Monat lang blieben wir, da das Gefild uns gefallen.
Wir erlegten viel Wild auf Feldern, Bergen und Höhen.

198
Wir drei Brüder beschämten alle, die dort mit uns schossen,
Deshalb gerieten wir drei miteinander in heftigen Wettstreit:
«Ich, überlegen, brachte mehr zur Strecke», so hieß es.
Streitend warn wir beleidigt, konnten die Wahrheit nicht finden.

199
Heute schickten die Mannen wir weiter, hirschfellbeladen,
Wolln wir die Wahrheit ermitteln, wessen Arm überlegen,
Blieben wir lieber alleine, verlassen wir uns auf uns selber,
Schießen wir, was wir sehen, nicht was andre erblicken.

200
Von drei Waffenträgern waren zu dritt wir begleitet,
Unversehns ließen die Mannen wir fortziehn, Böses nicht ahnend,
Jagend durchstreiften wir Felder, jene Wälder und Klüfte.
Wir erlegten viel Wild, auch Vögel, die über uns flogen.

201
Plötzlich erschien ein Ritter, mürrisch und finster dreinschauend,
Auf einem schwarzen Rappen ein schwarzes Edelroß schien es — ,
Seinen Kopf und Körper bedeckte das Fell eines Panthers,
Eine ähnliche Schönheit sahen die Menschen noch niemals.

202
Wir betrachteten ihn, kaum den Strahl seiner Blicke ertragend,
Hier auf Erden die Sonne, sagt nicht, die fern ist am Himmel.
Fangen wollten wir ihn, wir habens gewagt und versuchtens.
Deshalb seufzten wir so, wehklagend vergießen wir Tränen.

203
Ich, der Ältste, beschwor die Jüngern, den Mann zu verschonen:
Der, der nach mir geboren, lobte den Gang seines Rappens;
Dieser bat uns mit ihm allein sich zu messen, wir tatens,
Gegen ihn wandten wir uns, doch er ritt gelassen und herrisch.

204
Bergkristall und Rubin verschönten zartblättrige Rosen,
Alle trauten Gedanken vertrieb er leider gewaltig.
Ebenbürtig ehrt er uns nicht, er schätzte für nichts uns,
Die wir grob mit ihm sprachen, schlug er wund mit der Peitsche!

205
Ihn überlassend dem jüngsten der Brüder, rückten wir Ältren abseits;
Mit seiner Hand berührt’ er ihn: «Halt!» Das wagt er zu rufen;
Jener griff nicht nach dem Säbel, drum hielten wir Älteren uns abseits,
Aber er schlug ihn aufs Haupt mit der Peitsche, wir sahen ihn bluten.

206
Mit einem Peitschenhieb schlug er den Schädel ihm so ein,
Daß er ihn, gleich einem Toten, leblos machte, zu Staub hieb,
Der ihm herausfordernd kam, den schlug zu Staub er zusammen,
Vor unsern Augen zog er dann weiter, kühn, stolz, und finster.

207
Nimmer kehrt er zurück, er ritt gelassen, nicht hastig,
Siehe, er reitet dahin, der Sonne gleich und dem Monde!“
Awtandil zeigten die ihn in der Ferne, die freudelos weinten;
Kaum sah man noch das Roß, der jene Sonne davontrug.

208
Seine Wangen braucht jetzt Awtandil nicht zu benetzen,
Da er nun nicht vergeblich im Fernen solange geweilt hat.
Wenn es dem Menschen gewährt wird, Langgesuchtes zu finden,
Dann geziemt es ihm nicht, an vergangene Leiden zu denken.

209
„Brüder“, sprach er, „ein Wanderer bin ich in dieser Fremde,
Um jenen Ritter zu suchen, verließ ich einst meine Heimat,
Jetzt gelang ich durch euch zu der Lösung, die freilich nicht leicht war,
Gott möge nichts mehr bewirken, was euch Kummer bereitet!

210
Wie mein Verlangen, mein Herzenswunsch jetzt sich erfüllt hat,
Möge Gott eurem Bruder künftig nichts Übles mehr antun!“
Eine Ruhestatt zeigt er ihnen: „Zieht dorthin langsam,
Setzt den Erschöpften dort in den Schatten und gönnt euch nun Ruhe.“

211
Also sprach er. Er ritt davon und spornte sein Roß an.
Wie ein Falke flog er dahin, der ledig der Bande,
Wie der Mond aufs Goldgewebe der Sonne dahineilt,
Also erlosch nun sogleich das ihn verzehrende Feuer.

212
Tariel kam er nah, er bedachte jetzt seine Begegnung:
„Ungute Worte bringen den Rasenden mehr noch zum Rasen!
Wenn ein nüchterner Mensch eine schwierige Sache erledigt,
Muß er den hastigen Geist verachten, muß ihn gar hassen.

213
Da der Mann wohl ohne Vernunft und so sinnverwirrt ist,
Daß er keinen heranläßt, um ihn zu sehen, zu sprechen,
Hol ich ihn ein, dann treffen wir uns, uns zu schlagen, zu töten.
Entweder töt ich den Kämpen oder er mich, er versteckt sich.“

214
Awtandil sagt: „Warum sollt ich die Leiden vergeblich ertragen?
Wer er auch sei: es ist doch nicht möglich, daß er kein Heim hat;
Wo er auch hingeht, mag auch die Stätte von Mauern umringt sein,
Ich werde Mittel ersinnen, die auf den rechten Weg führn.“

215
Hintereinander ritten sie her, zwei Tage und Nächte,
Tag und Nacht sich mühend, ohne Nahrung zu nehmen,
Nirgends machten sie Rast unterwegs, ja nicht mal ein Weilchen,
Aus ihren Augen quollen gar Tränen, die netzten die Felder.

216
Tagsüber ritten sie weiter, am Abend erschienen da Felsen.
In den Felsen fanden sich Höhlen, ein Gießbach floß drunter;
Unmöglich ist es zu sagen, welch dichtes Gestrüpp da am Ufer.
Unermeßliche Bäume ragten bis hoch an die Felsen.

217
In eine Höhle ging jener, Gewässer, Felsen durchschreitend;
Awtandil stieg vom Roß ab, er fand einen mächtigen Baum vor,
Kletterte den hinauf rasch, unten band er sein Roß an.
Dort beobachtete er, jener Mann reitet weiter, stets weinend.

218
Als jener Mann im Pantherfell diesen Wald ganz durchritten,
Trat eine Jungfrau im schwarzen Gewand an den Eingang der Höhle,
Heiße Tränen vergoß sie, die könnten ins Meer sich ergießen.
Abstieg der Mann vom Roß, er umschlang ihren Hals mit den Armen.

219
Drauf der Ritter: „Schwester Asmat, das Meer schlang die Brücken.
Rechtzeitig fanden wir die nicht, drum brennt uns jetzt Feuer“,
Sagte es, schlug mit der Hand seine Brust unter Tränen.
Ohnmächtig fast umarmt’ ihn die Jungfrau, sie wischten sichs Blut ab.

220
Dichter ward ringsum der Wald, dieweil sie die Haare sich rauften.
Sie umarmten einander sich wechselweis, Ritter und Jungfrau;
Laut wehklagten sie jammernd, die Felsen hallten es wider.
Awtandil blickte erstaunt auf solches Tun und Benehmen.

221
Dann beruhigte sich die Jungfrau, die Herzenswunde stilltragend.
In die Höhle führte den Rappen sie, nahm ihms Geschirr ab,
Schnallte dem Ritter die Rüstung vom Leibe und trug sie zur Höhle.
In die Höhle traten sie ein, für den Tag nun verschwunden.

222
Awtandil staunt: „Wie könnte ich wohl ihr Schicksal erfahren?“
Tag wards, die Jungfrau erschien in der gleichen Weise gekleidet,
Legte dem Rappen die Zügel an, putzte ihn mit ihrem Schleier,
Trug die Rüstung leise herbei, sie mied alles Klirren.

223
Jener Ritter weilte gewöhnlich nicht lange zuhause,
Weinend schlug an die Brust sich die Jungfrau, rauft sich die Haare;
Sie umarmten einander, er küßt sie und stieg auf den Rappen,
Asmat ohnehin schon betrübt, ward nun noch betrübter.

224
Awtandil sah aus der Nähe jetzt das Gesicht jenes Mannes
Mit dem üppigen Schnurrbart. Er sprach: „Ist er wirklich die Sonne?“
Er verspürte Aloeduft, den der Wird zu ihm hintrug.
Ihm schiens so leicht, den Löwen zu töten, wie diesem ein Geißbock.

225
Auf dem gewohnten Weg zog der Mann, den er gestern geritten,
Drang durch das Dickicht, entfernte sich und überquerte die Felder;
Awtandil sah ihn mit Staunen hinter dem Baum sich verbergend,
„Gott“, sagt er, „hat für mich meine Absicht gut eingefädelt.

226
Etwas besseres könnte ich mir von Gott nimmer wünschen.
Ich ergreife die Jungfrau und laß sie vom Ritter erzählen,
Auch von mir bericht ich ihr alles und laß sie entscheiden,
Jenen Ritter treffe ich nicht, ich stell mich auch ihm nicht.“

AWTANDIL SPRICHT MIT ASMAT IN DER HÖHLE

227
Awtandil stieg vom Baum, er löste sein Roß auch vom Baume.
Er bestieg es und kam vor die offene Tür jener Höhle,
Draus trat ein Mädchen, tränenbenetzt, mit wallendem Herzen.
Er sei zurück, meinte sie, der mit dem leuchtenden Antlitz.

228
Sie erkannte ihn nicht — sein Gesicht war dem Manne nicht ähnlich — ,
Eilends entfloh sie, wandte sich schreiend gen Felsen und Bäume;
Er sprang vom Rappen, fesselt’ sie wie in der Falle ein Rebhuhn;
Langwährend hallten die Felsen wider die Schreie der Jungfrau.

229
Sie widersetzt’ sich dem Ritter, widerlich schien ihr sein Anblick,
Zappelte wie ein Rebhuhn unter den Fängen des Adlers.
Tariel rief sie um Hilfe, obgleich ihr Rufen vergeblich.
Awtandil kniet vor ihr nieder und fleht sie an mit den Fingern:

230
„Sei doch still! Was kann ich, ein Adamsohn, dir denn wohl antun?
Farblos erscheinen mir jetzt Rosen und Veilchen zu blassen;
Sag mir von ihm, dem Zypressengleichen, mit strahlendem Antlitz!
Fürchte dich nicht, ich tu dir kein Leid an, schrei doch so laut nicht!“

231
Weinend sprach jetzt die Jungfrau, die Klage gleicht einem Rate:
„Bist du nicht wahnsinnig, laß mich, bist du es, bitte besinn dich!
Du verlangst da von mir, dir Schweres leicht zu erzählen;
Müh dich umsonst nicht, erwarte nicht, daß ich dir alles erzähle“.

232
Wiederum sagt sie: „Ritter, was willst du von mir, was verlangst du?
Diese schlimme Geschichte kann noch nicht mal die Feder beschreiben.
Einmal schon sagtst du: «Erzähl mir.» Hundertmal sagt’ ich: ich kann nicht.
Lieber als Weinen ist Lachen, mir — Klagen lieber als Singen.“

233
„Jungfrau, du weißt nicht, woher ich komme und was ich erduldet,
Lange schon suchte ich Kunde von Tariel, niemand vernahm sie;
Jetzt hab ich dich gefunden, wenn auch meine Worte dich kränken,
Nein, ich kann dich nicht lassen, erzähle, schäm dich nicht vor mir!“

234
Drauf die Jungfrau: „Wer kam da zu mir, wer bin ich, wer bist du?
Tau, meine Sonne ist fern, deshalb kannst du mir etwas zu leid tun.
Lange Reden sind langweilig, deshalb sag ich dir kurz jetzt:
Um keinen Preis kann ich etwas erzählen, tu was du vorhast!“

235
Nochmals beschwörte er sie, er fiel vor ihr auf die Knie.
Doch vermocht’ er ihr nichts abzuzwingen, sein Flehen war müßig.
Zornig ward seine Miene, Blut drang ihm in seine Augen.
Er stand auf, er packte beim Schopf sie, droht mit dem Messer.

236
Er sagt darauf: „Wie kann ich dir so viel Arges verzeihen?
Warum läßt du mich weinen, Tränen vergeblich vergießen?
Besser für dich ists, erzähle, ich werd dir gewißlich nichts antun,
Sonst möge Gott meinen Feind töten, wie ich dich jetzo töte.“

237
Drauf sagt das Mädchen: „Ein schlechtes Mittel hast du ersonnen:
Tötst du mich nicht, dann sterbe ich nicht, bleib heil und lebendig.
Warum sag ich dirs, eh ich die Not des Todes erlitten?
Tötst du mich aber, kann mein Kopf auch nicht zu dir sprechen“.

238
Sie darauf: „Ritter, wen trafst du, wer bist du, daß du mich ausfragst?
Dir unsre Mär zu erzählen, kannst du mich lebend nie zwingen!
Freiwillig lasse ich mich von dir auf der Stelle hier töten,
Wie einen unnützen Brief, so lasse ich leicht mich zerreißen.

239
Denke nur nicht, daß der Tod mir ein Leiden, ein Leid für mich wäre,
Er erlöst mich vom Weinen, der Tränenstrom wird mir versiegen;
Stroh erscheint mir die ganze Welt, sie gilt mir für nichts fast.
Unbekannt bist du mir, mit wem soll vertraulich ich sprechen?“

240
Da bedachte der Ritter: „So bring ich sie niemals zum Sprechen.
Besser ists, andres ersinnen, alles nochmal zu bedenken.“
Los ließ er sie, er setzte sich abseits, Tränen vergießend,
Sagte zu ihr: „Ich hab dich erzürnt, wie soll ich nun leben?“

241
Vor ihn setzt sich die Jungfrau, finster, noch ganz unbesänftigt;
Awtandil aber setzt sich nun weinend, er redet kein Wort mehr.
In seinem Rosengarten staute ein Teich sich von Tränen.
Schon begann auch das Mädchen zu weinen, sich zu erbarmen.

242
Mitleid hatte sie mit dem weinenden Ritter, drum weint sie,
Fremd saß sie bei einem Fremden, kein Wort kam ihr über die Lippen.
„Ihre Heftigkeit gegen mich“, denkt er, „hat sich beruhigt.“
Tränen vergießend fleht er sie an, steht auf und kniet nieder:

243
„Wohl, ich weiß es, du kannst dich mit mir nun nicht mehr verschwistern,
Ja, ich hab dich erzürnt, bin deshalb fremd, eine Waise;
Doch ich geb dir mein Herz, um mich dir anzuvertrauen,
Weil ja gesagt ist, siebenmal soll man die Sünde vergeben.

244
Bin ich mit übelem Dienste dir zunächst auch gekommen,
Hat ein Minneritter doch Anspruch auf Mitleid, vernimm das;
Hilflos bin ich sonst völlig, niemand kann mir jetzt beistehn;
Für Dein Herz geb ich meine Seele, was kann ich noch mehr tun?“

245
Als die Jungfrau vernahm von der Minne des Ritters,
Weint’ sie laut schluchzend das Hundertfache an Tränen,
Wiederum schrie sie laut, sie weinte, das Lachen verging ihr.
Gott erfüllte Awtandil jetzt den Wunsch seines Herzens.

246
„Dabei“, meint er, „veränderte sich ihres Antlitzes Farbe,
Zweifellos liebt sie rasend, für den vergießt sie oft Tränen.“
Er wiedrum: „Schwester, für den, der liebt, hat der Feind sogar Mitleid;
Auch das weißt du, den Tod sucht er, schreckt vor ihm nicht zurück selbst.

247
Rasend leb ich die Minne, das Leben wird eine Last mir;
Meine Sonne hat mich geschickt, jenen Ritter zu suchen;
Wolken vermögen selbst kaum zu erreichen, wohin ich gelangte,
Eure Herzen hab ich gefunden, einander ergeben.

248
Wie ein Heiligenbild bewahr ich ihr Antlitz im Herzen.
Ihretwegen rasend, entsagte ich zu meiner Freude,
Tu mir eines von beiden: feßle mich oder befrei mich,
Schenk mir das Leben, töte mich, füge zu Leiden noch Leiden.“

249
Jetzt sprach die Jungfrau Worte, angenehmer als früher:
„Ein viel besseres Mittel hast du jetzt dir ersonnen.
Vorhin sätest du Feindschaft in mein haderndes Herz ein,
Schwesterlicher als eine Schwester bin ich jetzt gut dir.

250
Da du den Minnedienst dir als eine Hilfe ersonnen,
Schickt es sich nicht, daß ich dir von nun an nicht diene,
Daß ich mich dir nicht weihe, dich irrführe, traurig dich mache;
Sterben werd ich für dich, was bleibt mir zu tun nun noch übrig?

251
Wenn du nun auf mich hörst und tust, was ich dir jetzt noch sage,
Was du suchst, erreichst du gewiß, du wirsts nicht verfehlen;
Wenn du nicht auf mich hörst, dann findst du’s nicht, trotz aller Tränen,
Wirst mit der Welt du zerfallen, stirbst, gar schmählich entehrt noch.“

252
Drauf der Ritter: „Das ist ja ganz ähnlich dem folgenden Falle:
Irgend auf einem Wege zogen da einmal zwei Männer,
In einen Brunnen sah der Hintre den Vordermann fallen.
Der trat hinzu, rief hinab, er weinte und klagte erbärmlich.

253
Dieses sprach er zu ihm: «Kamerad, bleib drinnen und wart nur,
Ich geh gleich, um Stricke zu holen, ich will dich herausziehn“.
Der da drunten war, lachte, wunderte sich aber heftig.
Rief jenem zu: «Ja, warte ich nicht, wohin sollt ich entrinnen?»

254
Jetzt, Schwester, hast du in deinen Händen den Strick meines Halses,
Ohne dich bin ich ja hilflos, andere zu bitten, ist sinnlos;
Was du mir tust, weißt du selber, du bist des Rasenden Heil jetzt,
Wer wird sonst den gesunden Kopf mit dem Seil binden lassen?“

255
Drauf die Jungfrau: „Ritter, deine Worte gefieln mir.
Du bist gewiß ein guter Mensch, von den Weisen zu preisen;
Da du ruhlos bisher solche schlimmen Leiden erduldet,
Höre jetzt, was ich dir sage: Was du suchst, das hast du gefunden!

256
Jenes Ritters Geschichte ist nirgends zu hören, zu finden;
Sagt er sie dir nicht selber, ist sie kaum glaublich für andre;
Warte nur, bis er zurückkommt, wenns dir auch viel deiner Zeit raubt.
Schweig, daß die Rose nicht friert, nicht von Tränen verschneit ist.

257
Willst unsre Namen du wissen, ich offenbar sie dir gerne:
Tariel ist der Name jenes rasenden Ritters,
Ich aber heiße Asmat, die vom grimmigen Feuer Verbrannte,
Zehntausend Seufzer lebe ich, nicht um den einzigen Einen.

258
Mehr kann ich dir darüber in Worten jetzt nimmer kundtun,
Wohlgestaltet streift er durch Felder, Feinde bezwingend,
Von dem Wildbret eß ich alleine, weh, das er mir herbringt.
Ob er gleich kommt oder länger noch ausbleibt, das weiß ich niemals.

259
Warte, ich bitt dich, begib dich nur jetzt nicht irgendwohin fort,
Wenn er kommt, dann fleh ich ihn an, es wird mir schon glücken,
Daß du ihm lieb wirst, mache ich euch bekannt miteinander.
Seine Geschichte erzählt er dir gern, du erfreust deine Liebste.“

260
Auf die Jungfrau hörte der Ritter, er fügte sich willig.
Bald danach sahn sie sich um: in der Schlucht da plätscherte Wasser;
Lichtausstrahlend sahn sie den Mond übern Gießbach jetzt reiten;
Rasch zogen sie sich zurück, keinen Augenblick länger mehr zögernd.

261
Drauf die Jungfrau: „Gott gab dir rechtzeitig, was du begehrtest,
Aber versteck dich, halt dich verborgen drin in der Höhle,
Keinen anderen gibt es, der Widerstand leistet dem Recken;
Möge es mir gelingen, daß ihn nicht dein Anblick beleidigt.“

262
Asmat versteckte Awtandil eiligst in jener Höhle,
Von seinem Roß sprang der Ritter, schön mit Köcher und Säbel;
Laut weinten beide Tränen, sie könnten ins Meer sich ergießen;
Awtandil spähte durch einen Spalt und belauschte sie heimlich.

263
Jaspisfarbig verfärbt’ der Kristall sich, in Tränen gebadet.
Lange weinten der Ritter, die schwarzgekleidete Jungfrau,
Sie band die Rüstung ihm ab, bracht’ sie und den Rappen zur Höhle;
Beide schwiegen, Tränen schnitt ab das achatene Messer.

264
Awtandil sah sie durch eine Felslücke wie ein Gefangner.
Pantherfell breitet die Jungfrau jetzt aus, dem Recken als Teppich;
Drauf ließ der Recke sich nieder, stöhnend vor schrecklichen Leiden,
Blutige Tränen verflochten ihm seine achatenen Wimpern.

265
Mit dem Feuerstein fachte die Jungfrau ein schmächtiges Feuer,
Vom Gebratenen, nicht das Zerschnittene würde er essen;
Setzt’ es ihm vor, mit vieler Mühe riß er ein Stück ab.
Mehr vermochte er nimmer, unzerkaut spie er es von sich.

266
Kurze Zeit legt’ er sich nieder, er schlummerte ein, doch nicht lange;
Aufschreiend, zuckt’ er zusammen, schnellte empor wie ein Toller,
Schrie und schlug seine Brust mit dem Stein, seinen Kopf mit dem Knüppel.
Abseits sitzt die Jungfrau, zerkratzt, als sies sah, das Gesicht sich.

267
„Warum kamst du zurück“, fragte sie, „was ist dir geschehen?“
Er versetzte: „Ein fremder König ist mir begegnet,
Zahllose Mannen hatte der mit Gepäck schwer beladen,
Jagte auf freiem Felde, ringsum verstreute er Treiber.

268
Pein wars mir, Menschen zu sehen, heftiger lodert mein Feuer,
Näher kam ich nicht, um sie zu treffen, leid tat ich mir selber,
Kehrte, von ihnen verscheucht, dann um, verbarg mich im Walde,
Dachte, vielleicht ziehn sie fort, morgen früh zieh ich weiter.“

269
Tränen entströmten der Jungfrau, unzählige, gleich einem Sturzbach.
„Mit wilden Tieren,“ sprach sie, „streifst du allein durch die Wälder,
Läßt keinen Menschen zu dir, um dich im Gespräch zu zerstreuen.
So kannst du niemandem nützen, sinnlos verbringst du die Tage.

270
Alle Länder der Erde hast du suchend durchwandert,
Kannst du denn nicht einen Menschen finden, der dich zerstreute?
Der sich dir nahte ohne dein Rasen, an dem du viel leidest.
Wenn du stirbst und sie umkommt, ist das für dich denn ein Segen?“

271
„Schwester“, drauf er, „das ist deinem sorgenden Herzen ganz ähnlich!
Heilmittel gibt es gewiß auf der Erde nicht für meine Wunde!
Der kam noch nicht auf die Welt, der imstand wär, mich wirklich zu heilen.
Meine Freude: die Trennung des Fleischs von der Seele, der Tod!

272
Wo hätte Gott unter meinem Stern einen andern geschaffen,
Dessen Nähe und Unterhaltung ich wohl begehrte?
Wer ertrüg meine Leiden, wer könnte das auch nur versuchen?
Außer dir, Schwester, habe ich keinen Lebendigen, nirgends!“

273
Drauf fragt die Jungfrau: „Ach, sei nicht böse, ich flehe dich an jetzt,
Weil mich doch versorglich Gott mit deiner Beratung betraut hat,
Kann ich es nicht verbergen, was ich als besser erkenne,
Maßlosigkeit taugt nichts, und du hast das Maß überschritten“.

274
Drauf der Ritter: „Worum bittest du? Bitte erklär dich!
Einen mir dienstbaren Menschen kann ohne Gott ich nicht finden!
Gott will unstreitig mein Unglück, was könnte ich da unternehmen?
Sicher bin ich verwildert, soweit bracht ich mich selber“.

275
Drauf erlaubt sich die Jungfrau: „Mein Rat hat dich oft schon belästigt,
Wenn ich jedoch einen Mann herführe, der dir gerne folgte,
Der dein Gefährte wär, und du freutest dich seiner Bekanntschaft,
Schwör mir, daß du ihn nicht tötest, du ihm nichts Arges auch antust.“

276
Er drauf: „Zeigst du ihn mir, dann will ich mit Freuden ihn sehen:
Bei der Liebe zu der, für die ich die Lande durchrase,
Will ich nichts Böses ihm antun, ja ihn niemals vergrämen.
Was ihn erfreut, das erfreut auch mich, so gewinne ich lieb ihn.“

BEGEGNUNG TARIELS MIT AWTANDIL

277
Jenen Ritter zu holen, erhob sich und ging jetzt die Jungfrau;
„Er erregte sich nicht“, sagt sie ihm, um ihn zu ermuntern,
Seine Hand faßte sie, der dem lichtumrandeten Mond glich;
Als ihn Tariel sah, da fand er ihn ähnlich der Sonne.

278
Tariel trat ihm entgegen, sie glichen wahrhaftig der Sonne
Oder dem Monde, der seine Stahlen vom Himmel ins Tal schickt,
Selbst der Pappelbaum taugte neben ihnen als Baum nicht,
Ähnlich dem Siebengestirn, womit wären sie sonst zu vergleichen?

279
Beide küßten sich, ohne Scheu, daß sie sich fremd wärn,
Zwischen den Rosenlippen blitzten weißstrahlend die Zähne.
Sie umarmten sich beide, beide vergossen sie Tränen.
Bernsteinblaß ward ihre Hyazinthe, obgleich sonst rubingleich.

280
Sie kehrten um, der Ritter faßt Awtandils Hand mit der seinen,
Setzten zusammen sich nieder und weinten lang schmerzliche Tränen.
Asmat beruhigte sie mit ihren gütigen Worten:
„Tötet euch nicht, bitte trübt nicht die Sonne durch eure Verfinstrung“.

281
Tariels Rose war nur bereift, zum Glück nicht erfroren.
„Sage mir dein Geheimnis, ich brenne drauf“, sagt’ er zum Ritter,
„Sag, wie kamst du hierher, wer bist du, aus welchem Land kommst, du?
Weh, an mich denkt der Tod nicht, von ihm sogar bin ich vergessen!“

282
Awtandil gab darauf mit beredten Worten ihm Antwort:
„Tariel, Löwe und Held auch, der du dich zärtlich gebärdest,
Ich bin ein Araber, in Arabien stehn meine Paläste,
Von der Liebe bin ich verbrannt wie von loderndem Feuer.

283
Minne trag ich zu meines mächtigen Lehrsherren Tochter,
Ihre starkarmigen Mannen rühmen sie als ihre Herrin.
Wenn du mich jetzt auch nicht kennst, du hast mich schon früher gesehen.
Weißt du noch, wie du einst unsre reisigen Knechte getötet?

284
Wie du im Felde umherirrtest, sahn wir, wir stießen auf dich dort;
Zornig ward da mein König, wir stritten wider dich heftig,
Als du auf Anruf nicht kamst, verfolgten dich unsere Mannen.
Du aber färbtest die Felder rot vom vergossenen Blute.

285
Allen zerschlugst du das Haupt mit der Peitsche ohne den Säbel.
Aufsaß der König, doch du verschwandest; wir sahen dich nicht mehr,
Wie ein Kadshi bliebst du verborgen, trotz allen Suchens,
Das machte uns noch bestürzter, alle brannten vor Zorn wir.

286
Das machte Kummer dem König, verwöhnt sind die Könige alle,
Überall suchte man dich, man schrieb nach dir auch noch Briefe.
Keiner hat dich gefunden, gesehen, kein Greis und kein Jüngling;
Schließlich schickt jene mich her, der weder Sonn’ noch Äther gleicht.

287
Sie befahl mir: «Erkunde mir jenen verschwundenen Ritter,
Dann werd ich dir auch deine geheimen Wünsche erfüllen.»
Sie gab mir auf, fern von ihr, Ströme von Tränen zu opfern.
Staunst du nicht, daß ichs ertrug, sie nicht lächeln zu sehen?

288
Keinen Menschen fand ich bisher, der je dich erblickte;
Jene Türken traf ich, die einstmals gröblich dich ansprachn;
Einen warfst mit der Peitsche du nieder, schlugst ihn zu Tode;
An dich wiesen sie mich, deren Bruder, weh!, sterbend nun daliegt.“

289
Tariel erinnert sich auch ihres heftigen Streites von damals:
„Ich entsinne mich dieses Vorfalls, der lang schon vergangen,
Auf der Jagd sah ich dich zusammen mit deinem Erzieher.
Deswegen weinte ich, weil ich meiner Verderbrin gedachte.

290
Wozu brauchtet ihr mich, was wollt ihr, was ist uns gemeinsam?
Ihr spieltet jubelnd, weinend benetzten wir unsere Wangen.
Als ihr voll Mut mir Mannen nachsandtet, um mich zu fangen,
Dachte ich, daß ihr statt meiner eure Toten abholtet.

291
Als ich mich umblickte, sah ich, daß ein Herr mich jetzt einholte,
Da er ein König, erbarmt ich mich seiner und ließ ihn entkommen,
Seinen Augen entschwand ich, ich würdigte ihn keines Wortes.
Unsichtbar macht sich mein Roß, womit sollte ich sonst es vergleichen?

292
Eh überhaupt mit den Augen ein Mensch kann blinzeln und zwinkern,
Fliehe ich flugs vor dem, von dem ich nichts Gutes erwarte.
Von jenen Türken konnte ich wirklich nichts Schlimmes erwarten,
Bös ging ihnen die Frechheit aus, mich überwältgen zu wollen.

293
Nun bist du glücklich gekommen, es freut mich, dein Antlitz zu sehen,
Du, einem Held gleich, zypressenschlank, mit einem strahlenden Antlitz.
Viel hats gewiß dich gekostet, du hast viel Leid schon getragen:
Schwer ist es, Menschen zu finden, die Gott völlig verlassen!“

294
Awtandil sprach: „Warum lobst du mich, der du selbst doch zu preisen.
Was sollt ich für dich tun, um würdig zu sein deines Lobes?
Du bist das Abbild der einzgen, am Himmel leuchtenden Sonne,
Denn dich kann nicht die Qual vieler Tränenströme verwandeln.

295
Heute vergesse ich die, die mein Herz so quälend verdüstert;
Ich verlaß ihren Dienst, möge auch sonst was geschehen!
Ein Hyazinth ist doch besser als tausend Stücke Emaille,
Dich werd ich bis zum Tode begleiten, nichts will ich sonst noch!“

296
Tariel sagte: „Jetzt fühl ich erst recht die Glut deines Herzens;
Wodurch bist du mir dazu verpflichtet, das frag ich mich staunend?
Das ist Gesetz, der Liebende hat mit dem Liebenden Mitleid:
Trenne ich dich von deiner Geliebten, wer könnt’ sie ersetzen?

297
Du zogst jahrelang aus, mich im Dienst deiner Herrin zu suchen;
Gott hats gewollt, du hast mich gefunden nach tapferen Mühen.
Wie aber kann ich dir alles erzählen, warum ich geflohen?
Wenn ich das sage, verbrennt mich die Glut eines lodernden Feuers.

298
Asmat sagte darauf: „Ach Löwe, was nützen denn Tränen dem Feuer?
Könnt ich dich bitten, je zu erzählen, weils sich nicht schickt hier?
Daß dieser rasende Ritter sich für dich opfert, das seh ich,
Laß ihn den Grund deiner Wunde erkennen, und sieh, was er tun kann.

299
Awtandil flehte mich an, er wollte von mir etwas hören.
Gott bewahre, wie sollte ich dazu der Zunge die Kraft leihn?
Wenn du ihm etwas erzählst, denk ich, wird er auch dich dann erfreuen.
Besser ists, dem zu folgen, was die Vorsehung vorhat.“

300
Tariel schwieg darauf, zu Asche verbrannt in den Flammen,
Sprach zu Asmat: „Du hast mich doch lange genug nun begleitet:
Weißt du denn nicht, daß unheilbar die Wunde, die mich verletzt hat?
Wieder verbrennt mich der Ritter, der von Tränen geplagte.“

301
Tariel drauf: „Wenn ein Mensch sich mit einem verbrüdert, verschwistert,
Ziemt sichs, daß er für diesen Tod und Leiden nicht meidet;
Sollte Gott jemand bewahren, wenn er nicht andre vernichtet?
Höre mich an, ich will dir erzählen, was auch geschehn mag.“

302
Zu Asmat sagt er: „Komm bitte, setz dich zu mir und bring Wasser!
Netze mich, wenn ich ohnmächtig werde, bespreng meine Brust mir,
Wenn du mich tot siehst, beklage, bewein mich, stöhn unaufhörlich!
Grab mir ein Grab, es sei meine Wiege die bergende Erde!“

303
Mit entblößten Schultern setzt er sich, um zu erzählen;
Wie die umwölkte Sonne, strahlt er lange kein Licht aus;
Seine Lippen zum Sprechen zu bringen, vermochte er nicht mehr,
Danach seufzte er schrecklich, schrie auf, vergoß heiße Tränen.

304
Laut wehklagt er: „Ach du meine Geliebte, ich hab dich verloren,
Meine Hoffnung, mein Leben, mein Geist, mein Herz, meine Seele,
Wer dich gefällt, weiß ich nicht, du Baum, der in Eden gepflanzt ward!
Kann dich, mein Herz, das lodernde Feuer nicht gänzlich verbrennen?“

TARIEL ERZÄHLT AWTANDIL SEINE GESCHICHTE

305
„Höre, leih mir dein Ohr, wenn ich meine Geschichte jetzt vortrag,
Von allen Reden und Taten erzählt meine Zunge nur mühsam!
Die mich so rasend gemacht, von der erwart ich nie Freude,
Die mir die Schwermut brachte ob des vergossenen Blutes.

306
Über die sieben Könige Indiens wißt ihr Bescheid wohl;
Sechs solcher Reiche hatte Parsadan, die er regierte,
Freigebig, reich und stolz, so war er der Könige Herrscher,
Löwe an Kraft, ein Sonnenglanz, Sieger, ein Feldherr der Heere.

307
Als der Siebte thronte mein Vater, ein Schrecken der Kämpfer,
Saridan hieß er, bekannt, durch Vernichtung der Feinde, sie schreckend;
Niemand wagt’ ihn zu kränken, weder offen noch heimlich;
Auf der Jagd ergötzte er sich, niemand trübte sein Leben.

308
Satt des Alleinseins packte sein Herz oft vielfachen Kummer,
Zu sich sagte er: «Ich hab den Feinden Länder entrissen,
Von überall vertrieb ich sie, throne und feiere Feste;»
Sagte: «Zu Parsadan geh ich und bitt als Vasall jetzt um Schutz ihn.»

309
Er beschloß, zu Parsadan gleich einen Boten zu schicken.
Sagen ließ er: «Du bist der König über ganz Indien;
Nun möcht ich auch vor euch die Kraft meines Herzens beweisen.
Möge der Ruhm meines treuen Dienstes unsterblich leben!»

310
Parsadan feiert’ ein Fest, als ihn diese Nachricht erreichte.
Er ließ ihm sagen: «Gott dank ich, ich der Herrscher auf Erden!
Da du solches getan hast, als König in Indien thronend,
Komm nun, ich werde dich ehren als ein Bruder und Vater!»

311
Er verlieh ihm ein Lehen und die Amirbarwürde.
Amirbar ist zugleich auch der Führer von tapferen Mannen.
Als er als König sich niederließ, fehlt es ihm schon an Geschick nicht.
Treulich war er ein Lehnsherr, denn er war nicht ein Selbstherr.

312
Ebenbürtig behandelt‘ der König stets meinen Vater,
Sagte: «Ich wette, kein anderer ist meinem Amirbar ähnlich.»
Saridan führte Kriege, die Feinde boten ihm Frieden.
Ihm gleich ich nicht, wie auch mir kein andrer Sterblicher gleich ist.

313
Keinen Sohn hat der König und seine sonngleiche Gattin,
Trübsal bedrängt sie, es war an der Zeit, Angst packte die Mannen.
Jener Tag sei verflucht, an dem ich dem Marschall geboren.
«Ich erzieh ihn als Sohn als vom gleichen Geschlecht», sagt der König.

314
König und Königin nahmen mich wie ihren leiblichen Sohn an.
Als der Herr aller Heere und Länder ward ich erzogen,
Weise gaben sie mir, die erzogen mich würdig als Herrscher;
Als ich heranwuchs, war ich dem Löwen ähnlich, der Sonne.

315
Du bist mein Zeuge, Asmat, daß meine Wangen verblaßten,
Ich übertraf, wie der Morgen die Dämmrung, die Sonne an Schönheit;
Die mich sahen, pflegten zu sagen: «Ein Baum wie aus Eden.»
Jetzt bin ich nur noch ein Schatten von dem, was ich einstmals gewesen.

316
Fünf Jahre war ich alt, da ward die Königin schwanger“.
Als er das sagte, seufzte der Ritter: „Ein Mädchen gebar sie.“
Nahe der Ohnmacht, goß Wasser Asmat auf die Brust ihm zur Kühlung;
„Damals schon glich sie der Sonne, jetzt verzehrt mich die Flamme.

317
Unmöglich ists, sie zu loben mit Worten, die ich jetzt rede.
Parsadan war voller Freude, dankbar feiert er jubelnd;
Von allen Seiten her brachten die Könige viele Geschenke,
Schätze wurden gespendet, mit Gaben beschüttet die Mannen.

318
Feiern waren beendet, mich und das Mädchen erzog man.
Damals schon glich sie dem Dritteil der Strahlen der Sonne.
König und Königin liebten uns beide, weil wir ihnen gleich warn.
Jetzt nenn ich die, um die mein Herz von Flammen verzehrt wird.“

319
Ohnmächtig ward der Ritter, als er den Namen erwähnte;
Awtandil weinte, sein Feuer verzehrte das Herz ihm;
Zur Besinnung bringt ihn die Jungfrau, besprengt ihn mit Wasser.
„Höre, der Tag meines Todes ist sicher gekommen“, erklärt er.

320
„Jenes Mädchen hatte den Namen Nestan-Daredshan,
Schon mit sieben Jahren klugen, ruhigen Sinnes,
Ähnlich dem Monde, an Schönheit der Sonne nicht unterlegen!
Wie erträgt jetzt die Trennung mein Herz, diamanthart gehärtet?

321
Als sie zur Jungfrau gereift war, konnt’ ich in Kriegen schon kämpfen.
Als der König sah, seine Tochter ist schon die Herrin,
Ward ich wieder, schon groß jetzt, der Hand des Vaters gegeben.
Ball spielte ich und jagte, tötete Löwen wie Katzen.

322
Einen Palast erbaute der König für seine Tochter,
Edelsteinreich der Thron, aus Hyazinth und Rubinen.
Vor dem Palast ein Garten mit Rosenwasserrinne zum Baden,
Dort weilte oft sie, der zu Liebe mich Flammen umfangen.

323
Tag und Nacht räucherte man im Weihrauchfaß Aloe;
Bald saß im Palast sie, bald ging sie zum Schatten im Garten.
Dawar, der Schwester des Königs, eine Witwe einst in Kadsheti,
Gab der König die Tochter, damit sie in Klugheit sich übe.

324
Nestans Palast war verhängt mit Goldbrokat, samtnem Gewebe;
Keiner von uns sah sie je, sie glich dem Email und der Rose;
Zwei Mägde und Asmat, die spielten oft mit ihr Nardi.
Dort wuchs sie auf, sie glich schon in Gabaon einer Zypresse.

325
Fünfzehn Jahr alt! Der König erzog mich, als ob ich sein Sohn wär;
Tagsüber war ich bei ihm, er entließ mich sogar nicht zum Schlafen,
Löwen an Kraft gleich, ein Sonnenantlitz, ein Baum wie in Eden.
Wohl, im Schießen und Wettkampf wurde ich immer gepriesen.

326
Raubtiere, Wild auch erlegt’ ich mit sicher treffenden Pfeilen,
Spielte mit vielem Geschick auf dem Spielplatz, wenn ich vom Feld kam.
In den Palast ging ich, feierte Feste, gewöhnt an viel Schmausen;
Jetzt trennt mich von der Welt das kristallrubinene Antlitz!

327
Dann starb mein Vater, der Tag kam des Todes, schmerzlicher Klagen;
Parsadans Fröhlichkeiten und seine Feiern verstummten.
Alle die freuten sich mächtig, die Furcht vor ihm fast verzehrte;
Alle Treuen begannen zu klagen, die Feinde frohlockten.

328
Schicksalverflucht, ermattet umfing mich jahrelang Dunkel,
Tag und Nacht wehklagte ich, trösten konnte mich keiner;
Hofleute wollten mich holen, sie sprachen im Auftrag des Königs.
Er ließ sagen: «Sohn Tariel, schwarzgefärbt bleibe nicht immer!

329
Schmerzlich ist es für uns, daß Unseresgleichen uns fehlt jetzt!»
Mit Geschenken befahl er, das schwarze Gewand abzulegen.
Alles Lehnsgut des Vaters verlieh er jetzt mir persönlich.
«Du sollst nun Amirbar sein, die gleiche Würde bekleiden.»

330
Ich war entflammt, mich brannte ein nie zu löschendes Feuer.
Immer wieder führten mich vor des Königs Vertraute;
Wenn ich heraus aus dem Haus ging, frohlockte das Herrscherpaar Indiens,
Kam von Ferne schon her, sie küßten mich wie meine Eltern.

331
Setzten mich neben den Thron, verehrten wie ihren Sohn mich,
Beide trugen sie ruhig mir an die Würde des Vaters,
Ich widersprach, es schien mir schrecklich, die Pflichten zu leben;
Doch sie bestanden darauf, ich gab nach, als Marschall gefeiert.

332
Mehr weiß ich nicht, habs vergessen, da schon viele Jahre verflossen;
Ich erzähle hier meine Geschichte, so schwer mirs auch sein mag.
Aber die Welt des Trugs und Verrats bewirkt immer Böses.
Ihrer Zündung Funke traf mich, er sengt mich schon lange.“

DIE GESCHICHTE VON TARIEL, WIE ER SICH ERSTMALS VERLIEBTE

333
Er fuhr fort zu erzählen, nachdem er geweint eine Weile:
„Einmal kamen ich und der König von unserer Jagd heim.
Er sprach: «Besuchen wir meine Tochter!» Er drückte die Hand mir;
An jene Zeit zurückdenkend, leb ich noch, wunderst du dich nicht?

334
Mich bat der König um Rebhühner für seine Tochter,
Diese nahm ich, wir gingen, daß mich die Flamme ergreife;
Damals begann ich der falschen Welt, meine Schuld abzuzahlen.
Des Diamantspeers bedarfs, um ein starkes Herz zu durchbohren.

335
Einen Garten sah ich, den schönsten, den je ich erblickte:
Vogelstimmen vernahm man, süßer als die der Sirenen,
Zahlreich waren da Rinnen mit Rosenwasser zum Bade.
Türen waren verhängt mit golddurchwirktem Brokatsamt.

336
Daß wer die Sonnengleiche erblicke, verbot streng der König.
Ich stand draußen der König trat ein durch den samtenen Vorhang;
Ich sah nichts, nur Laute ihres Gespräches vernahm ich.
Er befahl Asmat, vom Marschall Rebhühner zu holen.

337
Da hob Asmat den Vorhang, ich stand drauß vor der Türe;
Ich gewahrte die Jungfrau: ein Speer traf Verstand und das Herz mir.
Dann kam Asmat und bat um die Hühner den Feuerverbrannten.
Weh mir! Seitdem verzehren mich unauslöschliche Gluten.

338
Nun sind die Lichter verschwinden, die die Sonne verdunkeln!“
Nestans Name ertrug er nicht, er stöhnte ohnmächtig.
Awtandil und die Jungfrau weinten, daß hallt die Umgebung,
Gramvoll sagten sie: „Kraftlos wurden die drohenden Arme!“

339
Asmat besprengt ihn mit Wasser: Taria kam zur Besinnung,
Lange konnt er nicht sprechen, der Kummer preßte das Herz ihm,
Setzte sich, seufzte bitter, Tränen mit Erde vermischend:
„Daß ich sie hier jetzt erwähne, o weh, wie ist das so schrecklich!

340
Die auf die Welt bauen, fristen ihr Dasein mit irdischen Dingen,
Freuen sich, aber sie können doch ihrem Verrat nicht entgehen:
Preis der Einsicht der Weisen, die in die Welt sich nicht fügen!
Höre meine Geschichte, wenn mir noch Atem verblieben:

341
Rebhühner gab ich Asmat, ich wußte mir nirgendwo Rat mehr,
Ohnmächtig brach ich zusammen, erlahmt war die Kraft meiner Arme,
Als ich wieder erwachte, vernahm ich viel Weinen und Klagen:
Mich umdrängt das Gesinde, als ob ein Boot sie bestiegen.

342
In einem großen Saal lag ich in einem prachtvollen Bette,
Über mich weinten die Fürsten nie zu trocknende Tränen,
Ihre Gesichter zerkratzten sie sich, zerfurchten die Wangen;
Mullahs holt’ man, sie meinten, ich sei vom Satan besessen.

343
Als meine Augen der König sah, umschlang er den Hals mir,
Weinend sprach er: «Sohn, o mein Sohn, lebst du noch? Sprich doch!»
Antworten konnte ich nicht, wie ein Irrer zuckt’ ich zusammen,
Wieder fiel ich in Ohnmacht, mein Herz war von Blut übergossen.

344
Sämtliche Mullahs, viele Gelehrte umstanden mich ringsum,
In ihren Händen lag der Koran, den lasen sie eifrig;
Alle hielten mich für besessen. Was sie wohl schwätzten?
Drei Tage war ich bewußtlos, ich lag in unlöschbarem Feuer.

345
Auch die Ärzte waren erstaunt, welcher Art meine Krankheit:
«Nichts fehlt ihm, was zu heilen wär, Schwermut nur drückt seine Seele!»
Oftmals sprang ich auf wie ein Irrer mit sinnlosen Worten,
Und die Königin weinte viel Tränen, die könnten ein Meer fülln.

346
Drei Tage war im Palast ich, weder tot noch lebendig,
Dann kam ich wieder zu mir, und begriff, was schwer zu begreifen.
Ich sagte: «Was mir geschehen, der ich mein Leben geendet.»
Um mehr Seelenkraft bat ich den Schöpfer in flehenden Worten.

347
Ich darauf: «Gott verlasse mich nicht, erhöre mein Flehen,
Gib mir Kraft zum Erdulden, laß mich wieder gesunden,
Mein Verweilen hier wird mich verraten, laß mich nach Hause!»
Gott will, ich werde genesen, eisenhart mache das Herz mir.

348
Also richt’ ich mich auf, viel Boten liefen zum König.
Freudige Botschaft brachten sie, auch die Königin eilte;
Barhäuptig kam der König, er wußte nicht, was er getan hat,
Er pries Gott mit Worten des Dankes, die anderen schwiegen.

349
An meine Bettstatt setzten sie sich mit Brühe mich heilend;
Ich sprach: «Herrscher, mein Herz ist jetzt wieder heiler geworden,
Möchte ein Roß jetzt besteigen, Wasser sehen und Fluren!»
Gleich bringt man mir ein Roß, ich sitz auf, begleitet vom König.

350
Wir ritten rasch hinaus, umstreiften die Fluren, das Ufer,
Ich kam heim, ließ den König zurück, er war mein Begleiter.
Ich ging ins Haus, es wurde mir schlecht, neue Leiden befieln mich;
«Möge ich sterben!» sagt’ ich, «mein Los ist nichts wert mehr!»

351
Safrangelb war der Kristall in trüben Tränen gebadet,
Wie von zehntausend Messern ward mein Herz plötzlich durchschnitten.
In mein Gemach trat mein Diener, er rief den Kammerherrn fort jetzt.
Welche Nachricht werden die Leute von mir wohl erwarten?

352
«Asmats Diener ist da!» — «Was weiß er wohl? Fragt ihn nur», sagt’ ich.
Er trat herein, gab mir einen Liebesbrief, den las ich lässig;
Ich war erstaunt, wie kann ich denn anders mein Herzbrennen löschen?
Unvermuteter Harm bedrückte mein Herz wie ein Baumstamm.

353
Woher liebt sie mich, und warum wagt sies, mir das zu erzählen?
Unnachgiebigkeit schickt sich nicht, sie zeiht mich der Mißgunst,
So wird die Hoffnung sie auch verlieren, mich deswegen rügen.
Was als Antwort auf den Liebesbrief recht ist, das schrieb ich.

354
Tage vergingen, mein Herz ward noch mehr verbrannt von den Flammen;
Nicht mehr konnt’ ich die Mannschaft sehn, die zum Spielen hinauszog,
Konnte nicht zum Palast gehn; zu mir kamen zahllose Ärzte,
Ich begann die Freuden und Schulden der Erde zu tilgen.

355
Ärzte nützten mir nichts, mein Herz übermannt’ finstre Dämmrung,
Keiner spürte es, daß ich von lohendem Feuer ergriffen;
Schuld sei das Blut; der König befahl, mich zur Ader zu lassen.
Ich erlaubte den Aderlaß, doch mein Leid das verbarg ich.

356
Nach dem Aderlaß trübsinnig, blieb ich im Zimmer alleine;
Eintrat mein Diener, ich blickte ihn an, daß er sagt, was er wünsche.
«Asmats Bote ist da!» Ich ließ ihn eiligst hereinführn,
In meinem Herzen sie tadelnd: «Was fand sie an mir? Wer ist sie?»

357
Einen Brief übergab mir der Bote, ich las ihn recht lässig;
Aus dem Brief erfuhr ich, sie wünschte, daß wir uns träfen:
«Zeit ists», schrieb ich zur Antwort, «du hast ein Recht jetzt zu staunen;
Rufst du mich, komm ich, denke nicht, daß ich nicht Lust hab, zu kommen!»

358
Dürfen denn Speerstiche dich so betrüben? Herz, warum bebst du?
Amirbar bin ich, ein Herrscher, dem alle Inder gehorchen!
Etwas werden sie ahnen, tausendmal etwas erwägen,
Wenn sie den Grund erfahren, lassen sie mich nicht mehr streifen.

359
Da kam ein Bote vom König: «Nachricht wolle er hören!»
Ich ließ ihn kommen; nach meinem Aderlaß fragte der König.
«Ich ließ die Ader mir öffnen», sagt’ ich, «da wurde es besser,
Gleich tret ich vor Euch, drum ziemt sichs, daß ich mich freue.»

360
An den Hof kam ich, da meint’ der König: «Du sollst dich jetzt schonen!»
Ohne Köcher mußt’ ich aufs Pferd steigen, ohne die Waffen.
Er saß auf, ließ die Habichte los, es regt’ sich kein Rebhuhn;
Er ließ die Schützen zielen, alles rief: «Bravo, o bravo!»

361
Nachher setzten wir uns zum Gelage, nachdem wir im Feld warn;
Harfenspieler und Sänger schwiegen nicht, uns zu erheitern;
Edelsteine vergab da der König, als kostbar gepriesne.
Er überhäuft mit Geschenken, die ihn heute begleitet.

362
Ich versuchte den Kummer zu stillen, aber ich konnts nicht;
Dacht’ ich an sie, ergriff mein Herz grimmig lodernd ein Feuer;
Mit den Gefährten saß ich zusammen, sie nannten mich Pappel;
Festmahle gab ich, um zu verheimlichen Qualen und Leiden.

363
Mein Oberkammerherr flüstert’ ins Ohr mir heimlich die Worte:
«Eine Frau fragt: Darf man den Amirbar heute wohl sehen?
Mit einem Schleier verhüllt sie ihr Antlitz, gelobt von den Weisen;»
Ich sprach: «Führe sie in mein Schlafgemach;» ich ließ sie rufen.

364
Ich stand auf, auch die Gäste wollten mit mir zugleich heimgehn;
«Seid nur vergnügt.», sagte ich, «steht nicht auf, ich komm wieder.»
Ich ging weg, trat ins Schlafgemach, Diener hielten die Wache.
Um mich nicht bloßzustellen, zwang ich mein Herz heut zum Harren.

365
Ich trat zur Tür ein, die Jungfrau stand mit Verbeugungen vor mir.
«Mein Erscheinen vor euch sei gesegnet, wer wär dessen würdig!»
Ich war nicht wenig erstaunt, wer verbeugt sich denn vor dem Geliebten?
Unerfahrn in der Liebe, würde sie ruhig sonst sitzen.

366
Ich setzte mich auf das Sofa, die Jungfrau stand noch am Teppich;
Nah sich zu mir zu setzen, hielt sie sich garnicht für würdig;
«Warum sitzt du so weit ab, wenn du mich gern hast?» sagt’ ich.
Keine Antwort bekam ich, es schien ihr an Worten zu fehlen.

367
«Eine Schande ist dieser Tag», sagt sie, «mein Herz steht in Flammen:
Denkst du vielleicht, daß ich wegen der Liebe vor dir jetzt erscheine?
Jetzt aber gibt mir die Hoffnung die Eile deines Versuches.
Ob dessen würdig ich, kann ich nicht sagen, es fehlt mir an Gnade.»

368
Sie stand auf, sprach zu mir: «Die Scheu vor der Würde verwirrt mich;
Was mich die Herrin sagen hieß, habe ich selbst nicht verschuldet;
Solch ein großes Wagnis entspringt durchaus ihrem Herzen;
Dieser Brief lasse dich wissen, wer mich dazu gedrängt hat.»

ERSTES SCHREIBEN NESTAN-DAREDSHANS AN DEN GELIEBTEN

369
„Dieser Brief, sah ich, war von ihr, dessen Feuer mein Herz brennt;
«Löwe, laß deine Wunde nicht merken», der Sonnenstrahl schrieb das,
«Ich bin dein, stirb nicht, ich hasse die nutzlose Ohnmacht.
Jetzt wird Asmat dir berichten, was sie für künftig dir aufträgt.

370
Nutzlose Ohnmacht, das Sterben, ist das herzliche Liebe?
Besser ists, um die Geliebte mit Heldentaten zu werben!
Alle Bewohner Chataens sind zum Tribut uns verpflichtet,
Jetzt aber ist ihre Dreistigkeit nicht mehr von uns zu ertragen.

371
Früher schon wollt’ ich, daß du mein Gemahl einmal würdest,
Aber bisher bot sich keine Gelegenheit, dich mal zu sprechen,
Unlängst sah ich dich, den Rasenden, in einer Sänfte,
Alles hab ich erfahren, was mit dir dort geschehen.

372
Wahrlich, ich rate dir richtig, vernimm jetzt, was ich dir sage:
Geh und schlag die Chataer, bewähr dich als reisiger Ritter!
Besser ist es für dich, nicht mehr nutzlos die Rose zu netzen.
Was vermöchte die Sonne mehr, als die Finsternis lichten?»

373
Ohne Scheu sprach Asmat mit mir, sie hielt sich zurück nicht;
Was soll von mir ich wohl sagen, meine Freude war maßlos!
Hin und her schlug mein Herz, fuhr auf und entschwand mir,
Meine Wangen wurden Rubin, Kristall ward mein Antlitz“.

ERSTES SCHREIBEN TARIELS AN DIE GELIEBTE

374
„Auf meine Augen legt ich das Schreiben, das mir gesandt ward.
Ich schrieb als Antwort: «Wie könnt’ dich, Mond, übertreiben die Sonne?
Möge mir Gott niemals geben, was deiner, Sonne, nicht würdig!
Für keinen Traum halt ich meine Rettung, ich kann nicht dran glauben.»

375
Zu Asmat sprach ich: «Keine andere Antwort ist möglich;
Sage ihr: Da du, Sonne, leuchtend stets für mich aufgehst,
Hast du den Toten wieder belebt, befreit von der Ohnmacht.
Wenn ich mich deinem Dienste entzöge, wär das ein Unrecht.»

376
Drauf Asmat: «Sie befahl, es sei besser, den Bund zu verbergen:
Wer dich sieht, soll nicht wissen, daß ich mit ihm jetzt gesprochen,
Um mich zu sehen, möge er kommen, als sei er dein Liebster!»
Auch befahl sie: «Bitte den Amirbar, nichts zu verraten!»

377
Dieser Rat ihres Herzens weitschauender Weisheit gefiel mir,
Jener, die zu erblicken sogar die Sonne vermieden,
Von ihr bekam ich jetzt nur sanftmütige Worte zu hören,
Deren Leuchten das Licht des Tages zur Finsternis machte.

378
Ich überreichte Asmat edle Steine in goldener Schale;
Sie aber sagte: «Nein, ich will nichts, ich habe genug schon!»
Einen Ring nahm sie an sich, der nur einige Gramm wog:
«Das genügt zur Erinnerung, ich habe von alldem genug sonst.»

379
Auf stand die Jungfrau, ging fort; Speerstiche mieden mein Herz jetzt,
Freude erhellte die Finsternis mir, gelöscht warn die Feuer;
Wieder ging ich zum Fest hin, wo meine Gefährten schon tranken.
Freudig gab ich Geschenke, alle frohlockten nun mehr noch.“

TARIELS SCHREIBEN AN DIE CHATAER. ER SCHICKT EINEN BOTEN

380
„An die Chataer schickte ich mit einem Boten ein Schreiben:
«Möge der König der Inder mächtig wie Gott sein!», schrieb ich.
«Jede hungrige Seele, dem Könige treu, wird gesättigt,
Wer sich gegen ihn auflehnt, ist sich selber nicht dankbar.

381
Brüder und Herren! Wir lassen das Leben uns nicht verbittern;
Wenn ihr diesen Befehl seht, beeilt euch, zu uns zu kommen:
Kommt ihr nicht, kommen wir, und zwar nicht nur heimlich geschlichen.
Besser ists, ihr besucht uns, dann seid ihr am Blutbad nicht schuldig.»

382
Ich entsandte die Boten, mein Herz empfand rechte Freude,
Im Palast jetzt vergnügt, gelöscht war das quälende Feuer;
Da beschenkt’ mich die arge Welt mit all meinen Wünschen,
Jetzt aber macht’ sie mich rasend, daß nah mir selbst Tiere sich langweiln.

383
Erst dachte ich an Flucht, doch beruhigten sich meine Sinne;
Gastmahle gaben bei mir die Gefährten, soviel ich nur wollte,
Doch dann löste mich von diesen Freuden die Macht meiner Wünsche;
Manchmal ergriff mich der Kummer, das Irdische war mir verächtlich.“

NESTAN RUFT TARIEL ZU SICH

384
„Einmal betrat ich mein Schlafgemach, vom Palast heimgekommen,
Saß da, dachte an sie und konnte deswegen nicht schlafen;
Jener hoffnungverheißende Brief, der stimmte mich freudig;
Horch, der Türwärter rief den Diener und sagt’ ihm Geheimes:

385
«Hier ist der Bote Asmats!» Ich ließ ihn ins Schlafgemach führen.
Sie hieß mich kommen, die, deren Messer mein Herz mir durchstochen!
Freude erhellte das Dunkel mir, löste den Pfahl meiner Ketten,
Ich nahm den Boten mit, wohl, ich ging, doch was sollt ich ihr sagen?

386
Durch den Garten schritt ich, niemand war da, der mich ansprach;
Leuchtend trat mir mit freudigem Lächeln die Jungfrau entgegen,
Sie sprach: «Ich zog dir den Dorn aus, daß er dein Herz nimmer steche,
Komm doch, sieh deine Rose unverwelkt, unentfaltet!»

387
Einen schweren Vorhang hob nur mühsam die Jungfrau,
Wo der Liegethron stand mit Edelstein und mit Rubinen,
Darin saß die mit dem Sonnenantlitz, blitzend und strahlend.
Liebreich sah sie mich an mit den tintenseetiefschwarzen Augen.

388
Lange stand ich, sie sagte kein Wort zu dem, der sich sehnte,
Huldreich nur sah sie mich an wie einen, der ihr der Nächste.
Sie rief zu sich Asmat, die Jungfrau flüstert ins Ohr mir:
«Geh nun, sie kann dir nichts sagen!» Ich glühte wieder in Flammen.

389
Von Asmat begleitet, trat ich zurück durch den Vorhang.
«O vergängliche Welt», sagte ich, «ehedem gabst du mir Balsam,
Du gabst mir Hoffnung, warum halbiertest du jetzt meine Freude?
Mehr noch läßt du mein Herz jetzt die Trennung wieder verspüren!»

390
Freude verhieß mir Asmat, wir durchquerten den Garten;
«Laß dein Herz nur kein Brandmal tragen, weil du nun fortgehst,
Schließ für den Kummer den Rauchfang, öffne die Pforte der Freude;
Recht zurück hält sie sich, die Stolze, sie schämt sich zu sprechen.»

391
«Schwester!» sagt’ ich, von dir erwart ich das Heil meines Herzens!
Ich beschwöre dich, trenn mich nicht von meiner Seele, ach, lösch mich!
Höre nicht auf, mir Briefe zu schreiben, die nimmer enden;
Wenn du etwas erfährst, denk ich nicht, daß dus verheimlichst!»

392
Ich saß auf, ritt von dannen, vergoß wieder Ströme von Tränen;
In mein Schlafgemach trat ich, ich hatte die Kraft nicht zu schlafen,
Ich, Kristall und Rubin, verfärbte mich indigofarben!
Zog die Nacht vor, wünschte mir nicht den dämmernden Morgen.“

BRIEF DES KÖNIGS DER CHATAER AN TARIEL

393
„Die ins Land der Chataer Gesandten kamen zurück, als es Zeit war.
Hochmütig sagten sie unseren Boten unziemliche Worte:
«Feiglinge sind wir nicht, unsre Burgen sind kräftig ummauert,
Wer ist denn euer König? Ist er auch über uns Herrscher?

394
Ich, König Ramaz, schreibe dir, Tariel, hier dieses Schreiben:
Staunen mußte ich sehr über den Inhalt des Briefes;
Warum forderst du, zu dir zu kommen, ein Herrscher der Völker?
Keine weiteren Briefe möcht ich von dir je erblicken!»

395
Gleich bot die Mannen ich auf, ich ließ es den Marsapan sagen,
Zahlreicher als die Sterne sammeln sich Reiter der Inder,
Aus der Ferne wie aus der Nähe eilten sie zu mir,
Feld, Fels und Schlucht wimmelt’ kampfbegierig von Mannen.

396
Eiligst kamen sie, weilten nicht zagend noch lange zu Hause;
Ich hielt über sie Feldschau, die Rüstung der Mannen gefiel mir,
Ihre Gewandtheit und Tüchtigkeit, wohlgeordnete Scharen,
Alle die flinken Rosse und die chorasmischen Waffen.

397
Ich erhob die Fahne des Königs von schwarzroter Farbe,
Wenn der Morgen graut, befahl ich den Aufbruch der Mannen,
Ich bedauert’ mich selber, ich klagte über mein Schicksal:
«Wenn ich die Sonne nicht sehe, weiß ich nicht, wo ich jetzt hinzieh!»

398
Ich kam nach Hause als ein Bekümmerter, Trübsal im Herzen.
Aus meinen Augen, wie aus einem Staudamm, quollen die Tränen.
«Mein unseliges Los“, sagt’ ich, «kann mich noch nicht ganz beherrschen!
Warum fand denn die Pose der Rasende, die richt zu pflücken?»

TARIELS UND NESTANS BEGEGNUNG UNTER VIER AUGEN

399
„Eintrat der Diener, das setzte mich in verwundertes Staunen;
Er übergab mir ein Schreiben Asmats, dem oft so Verhärmten,
Da stand: «Deine Sonne ruft den, der sich sehnt unter Seufzen!
Besser ists: Komm, als zu weinen und mit dem Schicksal zu hadern.»

400
Wie konnte ich mich so freuen, wie es wär schicklich gewesen!
Dunkel wards, ich ging und kam durch die Pforte des Gartens;
Wo ich zuerst Asmat gesehn, eben da stand sie wieder,
Lächelnd sprach sie: «Komm, dich, den Löwen, erwartet die Luna!»

401
In das Haus führt’ sie mich, schön Terrassen über Terrassen;
Da erschien der Mond mit dem ringsum leuchtenden Lichte,
Zwischen den Teppichen saß sie in einem grünen Gewande,
Ehrwürdig, einzig, erlesen an sonnigem Antlitz und Körper.

402
Ich trat ein, schritt zum Rande des Teppichs, mein Feuer erlosch schon.
In meinem Herzen erhob sich aus Finsterm die Säule der Freude.
Nestan, auf ein Kissen gelehnt, überbot selbst die Sonne,
Sie verdeckte ihr Antlitz, sah nur einen Augenblick auf mich.

403
Sie befahl: «Asmat, bitte laß doch den Amirbar sitzen!»
Diese richtet den Sitz gegenüber der Sonnengepriesnen.
Voller Freude bebte mein Herz, das die Welt so getadelt,
Daß noch ein Hauch von Leben mir blieb, das bestaun ich; sie sagte:

404
«Neulich warst du gekränkt, ich hatte dich wortlos entlassen,
Ich, die Sonne, ließ dich durch Trennung wie Blumen verwelken.
Dieser Tränenstrom, in den Narzissen gestaut, war dir schmerzlich,
Aber es ziemt vor dem Amirbar Scham mir, ehrfürchtige Scheue.

405
Wenns auch dem Weibe ziemt, sich zurückzuhalten vor Männern,
Ists doch noch schlimmer, zu schweigen, das Leid zu verbergen.
Wenn ich scheinbar auch lachte, im Herzen klagte ich heftig;
Vorhin schickt’ ich Asmat, ich hieß ihr die Wahrheit dir sagen.

406
Da wir beide sicher nun wissen, wies um unser Herz steht,
Halte mich für die Deine nach einem festen Gelöbnis;
Glaube es fest bei dem großen Eid und den Schwüren:
Sollte ich dich hintergehn, sein mir alle neun Himmel verschlossen.

407
Ziehe nun fort, kämpf mit den Chataern, dring über die Grenzen!
Gibt dir Gott einen Sieg, sollst du ruhmreich zu mir dann zurückkehrn!
Was aber soll ich tun, bis mir deine Rückkunft gewiß ist?
Gib dein Herz mir für immer, behalt das meine für deines!»

408
Ich drauf: «Ich scheue mich nicht, mich für dich zu verbrennen;
Da du mich leben ließest, nicht meine Mörderin wurdest,
Wirst du für mich die Sonne, das Licht meiner Augen stets bleiben,
Nun kämpf ich mit den Chataern heldenmütig als Löwe.

409
Wes du mich jetzt gewürdigt, des ist kein Sterblicher würdig;
Plötzlich kommt jede Gnade, an Gott verwundert mich nichts mehr,
Schimmernd drang dein Strahlen in mein verfinstertes Herz ein,
Dein will ich bleiben, bis mich im Tode die Erde verschlungen.»

410
Über dem Schwurbuch schwur ich ihr, und auch sie schwur mir Treue,
Ihre Liebe zu mir bekräftigte sie damit mehr noch;
«Wenn außer dir meinem Herzen irgendein anderer lieb wird,
So soll Gott mich töten, von jetzt ab sag ich mir dieses!»

411
Eine Weile blieb ich bei ihr, wir besprachen vertraut uns;
Süße Früchte aßen wir, wechselten liebreiche Worte.
Dann stand ich auf, ging von dannen, immerzu Tränen vergießend,
Ihrer Strahlen Pracht erhellte mit Glanz auch das Herz mir.

412
Von der Kristall-Rubin-Emaille fiel schwer mir die Trennung.
Neu erschien mir die Welt, ich lebte ein Unmaß an Freude,
Mein zu sein schien jenes Licht, als leuchtende Sonne im Äther,
Aber es wundert’ mich, daß mir nun wuchs ein Herz hart wie Felsen“.

TARIELS FELDZUG INS CHATAERLAND — DIE GROSSE SCHLACHT

413
„Morgens saß ich gleich auf und befahl: «Blast Trompeten und Hörner!»
Alle Mannen waren bereit, ihr Roß zu besteigen.
Löwengleich ritt ich ins Chataland, keiner zeih mich der Feigheit!
Querdurch zogen die Mannen nicht auf richtigen Wegen.

414
Ich überschritt die Grenze der Inder und ritt eine Weile;
Ramaz’ Bote kam mir entgegen, des Khans der Chataer,
Er übergab eine Botschaft, die sollte die Herzen besänftgen:
«Indischen Widdern gelingt es, Chataer Wölfe zu fressen!»

415
Man überreichte mir von Ramaz gewaltige Schätze,
Er erkühnt’ sich zu sagen: «Vernichte uns nicht! Das tu nicht!
Laß uns schwören, das bindet um unsren Hals eine Gerte!
Ohne daß Ihr uns plündert, bringen wir Kinder und Habe.

416
Daß wir vor Euch gesündigt, verzeiht uns, wir selber bereun es;
Wenn Ihr nach Gottes Gebot uns begnadigt, verschont uns mit Reitern,
Wütet nicht in unserm Land, daß der Himmel nicht zornig herabstürzt,
Wir übergeben Dir Burgen und Städte! Komm nur mit Wen’gen!»

417
An meiner Seite ließ die Wesire zum Kronrat ich sitzen.
Die sagten: «Du bist jung, wir Alten wagen zu sagen:
Heimtückisch sind diese Leute, wir habens schon einmal erfahren,
Daß Verrat Dich nicht täte, daß wir nicht wehklagen müssen!

418
Dieses raten wir Dir: brich auf mit erlesenen Mannen.
Auf den Fuß solln die Heere Dir folgen, schick ihnen Boten!
Sind sie aufrichtig, laß sie bei Gott und den Himmeln doch schwören;
Unterwerfen sie sich Dir nicht, dann zürn ihnen feurig verbissen!»

419
Diese Empfehlung, die die Wesire mir gaben, gefiel mir;
Gleich ließ ich sagen: «König Ramaz, ich weiß, was du vorhast;
Dir ist das Leben lieber als Tod, uns hemmt keine Mauer;
Reiter laß ich zurück, mit Wenigen komm ich zu dir hin.»

420
Von den Mannen dreihundert, gute tüchtige Kämpen,
Zogen mit mir, alle Reiter ließ ich zurück noch einstweilen.
«Wo ich hinzieh, reitet auch ihr diese Wege», gebot ich,
«Haltet euch in meiner Nähe, helft mir, wenn ich euch rufe!»

421
Drei Tage ritt ich dahin, vom Khan kam ein anderer Bote.
Wieder sandte er mir eine Menge prächtger Gewänder;
Er ließ mir sagen: «Ich wünsche die Nähe des Stolzen und Starken,
Treff ich Dich, wirst du wiederum Ehrengaben erhalten.»

422
Noch ließ er sagen: «Richtig ist also wahrhaft meine Botschaft.
Ich komm Dir selber entgegen, es drängt mich, Dich kennenzulernen!»
Ich gab zur Antwort: «Wohl denn bei Gott! ich gehorch Deinen Wünschen,
Freundlich wolln wir uns sehen, allzeit wie Vater und Sohn sein.»

423
Von dort zog ich fort, stieg ab am Rand eines Dickichts;
Wiederum kamen zum Gruße die Boten, ohne zu schweigen:
Vorne führten sie feurige Rosse für mich als Geschenke;
«Dich zu sehn», sagten sie, «begehrt der König wahrhaftig.»

424
Diese sprachen: «Der König läßt sagen, er käm dir entgegen,
Von meinem Hause her treff ich bestimmt bei dir morgen früh ein.»
Ich bot den Boten Zelte aus Filz, nicht geflochtene Hütten,
Huldvoll umsorgte ich alle wie ein Hochzeitsgefolge.

425
Wohltaten für einen Menschen sinken nie ins Vergessen,
Denn ein Mann blieb zurück, trat zu mir und sagte mir heimlich:
«Tief bin ich in Eurer Schuld, von mir ist sie nicht zu vergelten;
Euch zu verlassen, Euch zu vergessen, vermöchte ich niemals.

426
Von eurem Vater ward ich in meiner Jugend erzogen,
Ich vernahm vom Verrat gegen euch, eilte her, euch zu warnen;
Schwer fällt es mir, euch tot zu sehn, euer rosiges Antlitz;
Alles werd ich berichten, hör und bewahre die Ruhe.

427
Laß dich nicht übel täuschen, Verrat bereiten die Leute.
Hundertmal tausend Mannen lauern im Hinterhalt auf dich;
Anderswo liegen nochmal dreißigtausend. drum wolln sie dich sehen,
Triffst du nicht gleich Vorsorge, sind sie sicher dein Unglück.

428
Kaum begleitet nur kommt der König, gebannt von dem Anblick;
Heimlich legen sie Rüstungen an, sie werden dir schmeicheln;
Rauch läßt man steigen, von allen Seiten umfaßt dich die Heerschar.
Schlagen dann Tausende auf einen einzelnen, bist du verloren.»

429
Huldreich sprach ich mit jenem Manne und dankte ihm herzlich:
«Wünsche, daß ich nicht sterbe, ich werde es reichlich dir lohnen.
Jetzt laß nur deine Gefährten: nichts ahnen, eile zu ihnen;
Sollte ich dich vergessen, wär ich gewiß ein Verfemter.»

430
Keinem Menschen vertraut’ ich das an, ich vergrubs wie Gerede.
Was geschehn muß, geschieht, die Ratschläge gleichen sich alle!
Aber ich schickt’ zu den Reitern, wenn dorthin der Weg auch sehr weit ist,
Ich ließ melden: «Brecht auf und steigt über Berge und Hügel!»

431
Morgens ließ ich den Boten freundliche Worte noch sagen:
«Sagt’ zu Ramaz: ich eil dir entgegen, komm, ich komm auch schnell!»
Noch einer halben Tag ritt ich, scheute nicht Nöte noch Leiden;
Wills die Vorsehung, tötet sie mich, wozu mich verbergen?

432
Einen Hügel erstieg ich, Staub auf dem Feld sah ich wirbeln;
Dort kommt König Ramaz, der eine Falle mir stellte,
Ihren Körper zerhackt das schneidende Schwert, meine Lanze!
Dann sagt’ ich alles den Mannen: ein gewaltiger Auftrag!

433
«Brüder», sagt’ ich, «die Leute wollen uns schmählich verraten,
Wie aber sollte deswegen die Kraft eurer Arme erlahmen?
Die für Könige sterben, deren Seelen schweben zum Himmel.
Kämpfen wir mit den Chataern! Tragen wir Schwerter vergeblich?»

434
Ich, der Kühne, befahl nun die Rüstung mit mächtigen Worten,
Leib und Arme gepanzert, warn wir gerüstet für Kämpfe.
Ich nahm die Mannen und rückte vor in gewaltiger Eile,
An jenem Tag hat mein Schwert meine Feinde alle zerschmettert.

435
Nah warn wir ihnen, sie sahn, daß auch wir gerüstet gekommen:
Da kam ein Bote, der gibt mir eine Botschaft vom König;
Er ließ sagen: «Zur Zeit merkt man uns nicht an, daß wir treulos.
Wir sehen euch gepanzert, dieser Anblick vergrämt uns.»

436
Ich gab zur Antwort: «Ich weiß sicher, was ihr im Schild führt;
Was ihr geplant hattet, wird nicht geschehen, nein, sag ich, niemals
Kommt, befehlt, kämpft mit mir redlich nach unsrer Gewohnheit!
Ich auch plante mit meinem Schwerte eure Vernichtung.»

437
Als der Bote zurückkam, warum würden sie noch einen schicken?
Rauch ließ man für ihr Heer steigen, der offenbarte Geheimes;
Sie verließen den Hinterhalt, stürmten von zwei Seiten vorwärts,
Ihre vielfachen Reihen vermochten mir doch nicht zu schaden.

438
Nach meiner Lanze rief ich, band mit der Hand mir den Helm fest;
Ich war, zum Kampfe gereizt, entschlossen, sie zu zerschmettern,
Hundertundzwanzig Schritt ging ich vor und stürzte dann auf sie,
Zahllose Reihen stellten sie auf, standen ruhig geordnet.

439
Ihnen schon nahe, sahn sie mich an, blieben stehn: «Er ist rasend!»
Ich begab mich dorthin, wo die Mannen am dichtesten standen;
Einen Krieger erstach ich, zerschlug sein Pferd, sie verschieden.
Meine Lanze zerspellte, ich griff zum geschliffenen Schwerte.

440
Ich drang so in sie ein wie ein Habicht in Rebhühnerscharen,
Einen Mann warf ich auf den andern, ich türmte die Toten.
Ein Mann, den ich traf, der drehte sich gleichwie ein Kreisel;,
Vollständig rieb ich auf zwei ganze vordere Reihen.

441
Alle umzingelten mich, rings entbrannte ein mächtiges Toben;
Was ich schlug, konnte nicht widerstehn, das Blut ließ ich sprudeln;
Pferde behängte ich mit zerschlagenen Männern als Quersack.
Wo ich erschien, da floh man, Furcht vor mir lähmte sie alle.

442
Abends rief von der Berghöhe laut ein spähender Wächter:
«Haltet nicht stand mehr! Zieht fort, der Himmel blickt auf uns zornig:
Ungeheuerer Staub naht, wir sind darob alle erschrocken,
Solln uns denn diese zahllosen Reiter gänzlich zerschlagen?»

443
Meine Heerscharen, die ich früher nicht mitgeführt hatte,
Brachen auf, als sie alles erfuhren und zogen die Nacht durch;
Feld und Gebirge vermochten kaum alle die Mannen zu fassen;
Sie erschienen, schlugen die Trommeln, laut schallten Trompeten.

444
Das sahen jene sogleich, sie flohen mit Kriegsgeschrei eiligst;
Felder, auf denen wir kämpften, durchquerten wir kämpfend.
König Ramaz unterwarf sich, wir kreuzten einander die Schwerter,
All seine Reiter nahmen wir lebend gefangen, wir töteten keinen.

445
Auch die nun kommenden Scharen holten die ein, die davonflohn,
Sie begannen jene zu fangen, die angstvoll besiegt warn;
Schlaflose hatten dies Glück, die munter die Nacht hindurch wachten;
Auch die Unversehrten stöhnten gleichwie die Wunden.

446
Auf dem Kriegsschauplatz stiegen wir ab, um etwas zu ruhen.
Mit dem Schwerte verwundet, konnt’ ich den Arm nicht mehr heben;
Meine Scharen kamen, mich anzuschaun und zu loben.
Sie warn um Worte verlegen, die gebührend mich lobten.

447
Für einen Mann war das Ehre genug, die sie mir erwiesen;
Aus der Ferne mich segnend, wollten andre mich küssen,
Und die Großen die mich erzogen, begannen zu weinen,
Die, die mein Schwert durchhauen, sahn sie mit großer Verwundrung.

448
Überallhin sandt’ ich Truppen, ließ ihnen alles als Beute,
Übervoll kehrten zurück sie, ich ließ ihnen Freiheit für alles.
Mit dem Blut meiner Feinde ließ ich den Kriegsschauplatz färben.
Ohne Schwertstreich zwang ich sie so, mir dir Tore zu öffnen.

449
Zu Ramaz sprach ich: «Dein Verrat ward mir vorher bekannt schon,
Nun, gefangen wie du jetzt bist, gib mir Rechenschaft endlich,
Laß nicht mehr Burgen ummauern, gib alle mir in die Hände.
Wie könnt ich sonst deine Untaten dir wohl alle vergelten?»

450
Ramaz entgegnete mir: «Mir steht kein Ausweg mehr offen,
Gib mir einen von meinen Großen, damit ich Befehl geb,
Ihn zu den Festungswächtern schicke, vernimm, was ich sage:
In deine Hände geb ich die Burgen, du sollst sie besitzen.»

451
Einen der Großen gab ich ihm, den meine Mannen begleiten,
Alle die Festungswächter hieß ich sie zu mir zu bringen,
Sie übergaben die Festung, so ließ ich den Krieg sie bereuen.
Könnt ich die Menge der Beute mit irgendwas anderm vergleichen?

452
Dann erst ritt ich ins Chataland, um nun das Meine zu ernten;
Schatzkammerschlüssel brachte man mir, sie versteckten nicht einen.
Einwohner, die geflüchtet, machte ich ohne Furcht seßhaft:
«Ich, die Sonne, verbrannte euch nicht, ich versengte nicht einen.»

453
Ich durchsuchte die Schätze von einem Landende zum andern,
Müd würde ich gewiß, sollt’ die seltenen Schätze ich aufzähln;
An einem Orte fand ich ein Frauenkleid und einen Schleier,
Würdst du sie sehen, dann wüßtest du gern den Namen des Stoffes.

454
Unbegreiflich, woraus sie gemacht oder wie sie erzeugt warn!
Wem ich sie zeigte, der staunte über dies göttliche Wunder.
Weder verliefen gradlinig die Fäden, auch über Kreuz nicht;
Fest warn sie wie Geschmiedetes; waren sie feuergehärtet?

455
Diese wählt’ ich als Gabe für die, deren Licht mir hell leuchtet;
Für den König erwählt’ ich das Beste aller Geschenke;
Maultiere und Kamele an Tausend, beinbeschient alle.
Die sandt’ ich ihm beladen, mit einer erfreuenden Botschaft.“

TARIELS BRIEF AN DEN INDISCHEN KÖNIG UND SIEGREICHE HEIMKEHR

456
„Einen Brief schrieb ich: «König, möge das Schicksal euch hold sein!
Von den Chataern ward ich verraten — obgleich sie das selbst straft — ,
Eine genaue Nachricht geb ich dir deshalb so spät erst;
Ich fing den König, mit Beute und den Gefangenen komm ich.»

457
Als ich alles geordnet, verließ ich das Land der Chataer,
Brachte viel Schätze mit, nur das Land überließ ich den Räubern.
Die Kamele genügten nicht, Lastochsen trugen die Lasten,
Freude belebte mich, meine Wünsche erfüllten sich alle.

458
Den Chataerkönig führte ich mit als Gefangnen.
Ich gelangte nach Indien, mein Lehrmeister kam mir entgegen.
Wie er mich pries, das kann keiner sagen, zu schmeichelhaft ist es!
Meinen Arm band er auf, er gab ihm neu eine Binde.

459
Schöne Zelte schaffte er auf dem Festplatz als Lager,
Mich zu sehen, mich zu sprechen, begehrten sie alle.
Dort befahl er ein Fest an jenem Tage zu feiern;
Er liebkoste mich, schaute mich an, der ich ihm ganz nah saß.

460
In jener Nacht, da saßen wir tafelnd in herzlicher Freude;
Morgens rückten wir in die Stadt ein, vom Platz aufgebrochen;
«Ruft mir die Ritter!» befahl er, «versammelt sie um mich,
Zeigt mir heut den Chataer, bringt mir auch die Gefangnen!»

461
König Ramaz bracht ich vor ihn als den endlich Gefangnen;
Huldreich sah ihn der König an wie ein Kind in der Wiege,
Aus einem Ungetreuen machte ich einen Verdienten,
Das ist der Gipfel der Großmut eines gütigen Mannes.

462
Als einen Gastfreund behandelte er jenen König sehr würdig,
Gleichzeitig sprach er ihn an mit Worten, die ihn recht ehrten.
Als der Morgen graute, rief er huldreich mich zu sich:
«Sollen wir den Chataern vergeben, den feindlich Gesinnten?»

463
Ich erwiderte drauf: «Wie Gott vergibt einem Sünder,
Seid auch ihr nun den so hilflos Gewordenen gnädig!»
Zu Ramaz sprach er: «Wisse, ich schick dich in Gnaden nach Hause,
Aber wir sollten nie wieder dich beschämt vor uns sehen!»

464
Als Tribut fordert er Drachmen hundertmal hundert;
Dazu tausend Stück Seide, Goldgewebe und Atlas.
Dann begleitet der König alle, ihn wie die Seinen.
Er entließ ihn in Gnaden, das tat er, statt ihm zu grollen.

465
Der Chataer dankte, tief verbeugt’ er sich vor ihm;
«Untreue gegen euch ließ mich Gott schon bereuen», so sagt er.
«Sollt ich jemals noch gegen euch sündigen, sei ich des Todes!»
Er ging fort und nahm mit sich alles, was ihm gehörte.

466
Morgens schon früh kam ein Bote des Königs, nicht abends,
«Drei lange Monate war ich von dir getrennt», hieß die Botschaft,
«Seit ich das mit dem Pfeil erlegte Wild nicht verzehrt hab;
Bist du nicht müde, dann jagen wir, wenn du auch müde sein dürftest!»

467
Rasch gerüstet eil ich zum Hof, fand dort Jagdleoparden,
Voller Falken war das ganze Gelände des Hofes;
Wohlgerüstet der König, der Sonne gleichend an Schönheit,
Freute sich herzlich, daß ich kam, der anmutig Schöne.

468
Heimlich, damit ichs nicht höre, sprach er zu seiner Gemahlin:
«Tariel, der vom Krieg Heimgelehrte, ist schön heut zu schauen,
Jedem Betrachter erfreut er das Herz, es sei noch so finster;
Was ich dich bitte zu tun, das tue ohn alles Zögern.

469
Ich beschloß ohne dich, nun wisse auch du, was befohlen:
Weil die Tochter von uns zur Thronfolge fest schon bestimmt ist,
Lasse man jetzt diesen Baum in Eden sehen von allen,
Setze sie an deine Seite in dem Palast, ich komm heiter.»

470
Auf dem Feld jagten wir, am Fuß eines Berges und Hügels;
Eine Menge Hunde war da, dazu Habichte, Falken.
Früh kehrten wir schon vom Jagen zurück, wir gingen nicht weit fort.
Ball wurde nicht mehr gespielt, zwei Spiele wurden verschoben.

471
Die mich sehn wollten, füllten die Stadt, Terrassen und Straßen.
Mir, dem Sieger, geziemte wohl die festliche Kleidung;
Schmuck sah ich aus, doch blaß wie die Rose in Tränen gebadet,
Wer mich schaute, den schwindelts — wahr ists, nicht etwa erfunden.

472
Jenen Schleier, den ich einst fand in der Stadt der Chataer,
Trug ich Haupt, stand mir; Rasende reizte ich rasend.
Abstieg der König, wir kamen rasch Schloß meines Meisters,
Ich sah sie an, fuhr auf beim Blitzen der sonngleichen Wangen.

473
Jene Sonne trug orangefarbne Gewänder,
Hinter ihr stand eine Dienerschar, gruppenweise geordnet;
Den Palast erfüllte mit Licht sie, die Straßen, die Gegend,
Da, inmitten der Rose, waren Korallen und Perlen.

474
Nach überstandenen Kämpfen trug ich den Arm in der Binde.
Von ihrem Sitze erhob sich die Königin, kam mir entgegen,
Küßte mich wie ihren Sohn, meine Rosenwangen mir bläuend,
«Denk nicht, daß je ein Feind mit dir wieder Streit hat!» so sagt sie.

475
Platz nehmen ließen sie mich, ihnen nahe, wo es mir lieb war.
Mir gegenüber saß jene Sonne, um die ich jäh hinsiech.
Heimlich sah ich sie an und sie sah mich an, doch sonst schwieg sie;
Wandt ich die Augen von ihr, dann schien alles Leben mir eitel.

476
Nun begann ein Gelage, der Würde des Königs entsprechend;
Eine ähnliche Lustbarkeit schauten noch niemals die Augen!
Aus Türkis und Rubin waren Schalen, Fokale gefertigt.
Keinen entlassen, gebot der König, selbst nicht die Trunknen.

477
Ich nahm teil und schwelgte in unermeßlicher Freude.
Als sie mich und ich sie ansah, erlosch schon mein Feuer;
Menschen nichts merken zu lassen, zwang ich mein Herz nun, das raste.
Was ist wohl schöner, als der Liebsten ins Antlitz zu schauen?

478
Sänger hörten zu singen auf, jetzt gebot man zu schweigen;
«Lieber Sohn Tariel, wie solln wir sagen, wie wir uns freuen?
Wir sind glücklich, unglücklich aber sind unsre Feinde;
Recht haben die, die dich anschaun, sie rühmen mit Recht dich.

479
Wäre es jetzt nicht geboten, daß wir dich Ruhmreichen kleiden?
Wir werden dich doch nicht kleiden, weil deine Gewänder dir schön stehn.
Hundert Schätze sind dein, du strahlst ein goldenes Licht aus.
Laß dir Kleider nach deinem Gefalln machen, schäm dich vor uns nicht!»

480
Hundert Schlüssel reichten sie mir für Schätze in viel hundert Kammern;
Ich verneigt’ mich vor ihnen, segnend das Glück ihres Loses;
Beide erhoben sich, küßten mich, jene selbst Sonnen der Sonnen,
Wie sie die Heere beschenkten, wie könnt ich deß Maß dir beschreiben?

481
Wiederum setzt’ er sich freudig, munterte Zecher und Sänger;
Weiter ging das Gelage, der Klang der Lauten und Harfen.
Als der Tag der Dämmrung begegnet, entfernt’ sich die Fürstin.
Dieser Frohsinn bis zur schlafenszeit war unvergleichlich.

482
Wir standen auf, weil das Leeren der großen Pokale uns schwerfiel.
Ich trat ins Schlafgemach, mein Verstand glich einem Verwirrten.
Keine Kraft hatt’ ich mehr, ein Gefangner, mein Feuer zu löschen.
Als ich ihrer gedachte, schwelgte ich in der Erinnrung“.

SCHREIBEN NESTAN-DAREDSHANS AN DEN GELIEBTEN

483
„Eine erfreuliche Nachricht brachte mir einer der Diener:
«Eine verschleierte Frau fragt nach Euch, den gefeierten Helden!»
Ich wußte gleich Bescheid, sprang auf mit pochendem Herzen;
Sie trat ein, da sah ich Asmat, die rasch mich besuchte.

484
Für die ich leide, es war mir lieb, jetzt Asmat zu erblicken.
Ich erlaubte ihr nicht, sich vor mir zu verneigen, ich küßt’ sie,
Faßte sie bei der Hand, ließ nah meinem Lager sie sitzen,
Fragte, ob der Trieb des Pappelbaums heimgekehrt wäre.

485
«Bitte erzähl mir von Nestan, sage mir bitte nichts andres!»
«Wahres werd ich Dir künden, warum soll ich Dir schmeicheln?
Heute habt ihr Euch beide mit Wohlgefallen gesehen,
Nun befahl sie mir wieder, Dir eine Nachricht zu bringen.»

486
Sie überreichte mir ihren Brief, die die Landschaft erleuchtet.
Drin stand: «Ich habe die Herrlichkeit Deines Glanzes gesehen.
Heimgekehrt vom Krieg, warst Du schön als Dus Pferd angespornt hast.
Übel scheint mir der Grund keineswegs, weswegen ich weine.

487
Gott gab die Zunge mir, Dich zu preisen, wenn Du mir fern bist,
Für Dich gestorben, sag ich nicht mehr, erbenlos sterb ich.
Rose, Achat, soll die Sonne als Garten zum Garten mir anbaun,
Bei Deiner Sonne, außer Dir gehör ich doch niemand!

488
Wenn ein Tränenstrom du auch vergießest, fließt er umsonst nicht,
Weine von nun an richt mehr; bitte hüte dein Herz doch vor Leiden;
Die dich anschaun, beschimpfen die Meinen, verschwistern sich niemals;
Was du vorhin um den Kopf trugst, gib mir das bitte als Schleier!

489
Gib mir jenen Schleier, der dir vorhin so schön stand,
Wenn du mich siehst, dann wird es dich freuen, daß du mich schön machst;
Dieses Armband zieh an den Arm dir, wenn du mich lieb hast.
Mög dir, solange du lebst, eine andere Nacht niemals hell sein.»

TARIELS WEINEN UND OHNMACHT

490
Wie ein Tier stöhnt’ hier Tariel, vertausendfacht so seine Leiden;
„Ich hab ein Armband“, sprach er, „das sie einstens am Arm trug“;
Er band es los und nahms: es ist in Geld nicht zu schätzen,
Legts auf sein Antlitz, ohnmächtig sich den Toten gesellend.

491
So lager da, viel schlimmer als Tote am Rande des Grades;
An zwei Bruststellen sieht man von Faustschlägen bläuliche Flecken;
Von den zerkratzten Wangen vergießt Asmat einen Blutstrom,
Wieder kommt sie zu ihm mit Wasser, man hört, wie es rieselt.

492
Awtandil seufzte bitter, sieht den Ohnmächtgen liegen;
Mehr noch klagte Asmat, ihre Tränen durchlöcherten Steine;
Sie brachte ihn zur Besinnung, löschte sein Feuer mit Wasser;
Er drauf: „Ich lebe? Die Welt hat mein Blut ausgesogen!“

493
Er erhob sich ganz blaß, bestürzt starrten starr seine Augen.
Safrangelb war seine Rose, sie verblaßte ihm vollends.
Lange vermochte er nicht mit irgendjemand zu sprechen,
Wieder gesund zu werden, nicht tot sein, das schmerzt ihr.

494
Er sprach zu Awtandil: „Höre, mein Verstand brennt mich rasend,
Ich werd dir meine Geschichte und der mich Begrabenden kundtun:
Freude machts mir, du triffst die Geliebte, die lange Entbehrte.
Ja, es wundert mich, daß ich noch lebe, ganz unversehrt blieb.

495
Freude wars mir, Asmat zu sehen, sie ward meine Schwester.
Als ich den Brief gelesen, gab sie mir dieses Armband.
An meinen Arm tat ichs gleich und nahm den Schleier vom Kopfe,
Den erlesenen, einzigen, aus einem tiefschwarzen Stoffe“.

TARIELS SCHREIBEN AN DIE GELIEBTE

496
„Ich schrieb: «Sonne, dein herrliches Licht, das du weithin verbreitest,
Warf sich aufs Herz mir, eitel wurden mir Mut und Gewandtheit;
Ich, der Rasende, sah deine Schönheit und deinen Liebreiz,
Du gabst mir meine Seele, wie soll ich dirs dienend entgelten?

497
Als du mich leben ließest, trenntst du mich nicht von mir selber.
Wenn ich die heutige Zeit mit einer andern vergleiche;
Ich erhielt dein Armband, das künftig stets meinen Arm schmückt,
Wie es recht wär, wie könnt ich mit Worten die Freude bezeugen!

498
Ja, ich schick dirs gewiß, hier ist der erbetene Schleier,
Auch das Gewand gleicher Art, ich konnte nichts ähnliches finden;
In meiner Ohnmacht verlasse mich nicht, ach, hilf mir ein wenig;
Wer von den Erdenwallern wär mir vertrauter als du bist.»

499
Abschied nahm dann Asmat, ich legte mich nieder, schlief glücklich,
Doch ich fuhr auf, erschrocken, als ich die Liebste im Traum sah,
Ward davon wach, sie war nicht mehr da, lästig ward mir das Leben;
So durchwacht’ ich die Nacht, doch vernahm ich nicht mehr ihre Stimme“.

THRONRAT ÜBER DIE VERMÄHLUNG NESTAN-DAREDSHANS

500
„Als aus der Dämmerung Tag wurde, ward ich zu Hof schon gerufen;
Ich erhob mich, um zu erfahren, was Neues sich zutrug;
Beide sah ich zusammen da sitzen, nur mit drei Großen,
Als ich eintrat, wies man mir Platz an vor ihnen im Sessel.

501
Zu mir sagten sie: «Gott ließ uns altern, bald endet das Leben;
Wir sind alt nun geworden, die Jugend durchlebten wir lang schon;
Keinen Sohn gab uns Gott, allein eine Tochter schenkt’ Licht uns,
Daß uns der Sohn fehlt, bedauern wir nicht, denn wir übersehn das.

502
Wir suchen für unsre Tochter irgendwo einen Gatten,
Daß er uns auf dem Königsthron folgt; er sei uns an Rang gleich;
Er soll das Reich beherrschen, das Königreich für uns bewahren,
Daß wir nicht sterben und unsre Feinde die Schwerter sich schärfen.»

503
Ich sprach: «Daß ihr keinen Sohn habt, ist nicht zu bedauern.
Denn sie genügt für unsere Hoffnung, die strahlt wie die Sonne;
Welchen Sohn ihr als Schwiegersohn bittet, darf herzlich sich freuen,
Was soll ich weiter noch sagen? Ihr wißt doch selbst, was zu tun ist.»

504
Wir huben an zu beraten, das zermürbte das Herz mir;
Ich sagte mir: «Unmöglich ist es, das zu verhindern.»
Drauf der König: «Chwarasmschah ist in Chwarasm der König,
Gibt seinen Sohn er als Schwiegersohn uns — dann gleicht ihm wohl keiner.»

505
Dieser Beschluß stand von Anfang an fest, das merkte man bald schon;
Nun blickte man sich an, sie schämten sich auch ihrer Worte,
Wenn ich gewagt hätte, zu widerstehen, wär es unschicklich,
Ich ward zu Erde, aschengleich, ach, mein Herz klopfte mächtig.

506
Drauf die Königin: «Chwarasmschah thront glücklich als König,
Wer wär als Schwiegersohn besser für uns als der Sohn dieses Königs?»
Wer wagt das zu bestreiten, da sie selber es wünschte?
Ich stimmte zu, der Beschluß bestimmte den Tag meines Todes.

507
Boten sandte man zum Chwarasmschah wegen des Sohnes;
Sagen ließ man: «Unser Königreich blieb ohne Erben.
Unsre Tochter ist Erbin, die in die Fremde nicht ehlicht,
Wenn du als Schwiegersohn uns deinen Sohn gibst, warte auf nichts mehr!»

508
Heim kam der Bote, reichlich beschenkt mit Gewändern und Schleiern.
Chwarasmschah erfüllte das alles mit herzlicher Freude;
Er ließ sagen: «Gott gewährte uns, was wir uns wünschten!
Wir können nicht mit der Hand eine solche Tochter erreichen!»

509
Wiederum sandten sie andere Boten, den Freier zu holen,
«Zögert nicht!» baten sie, «kommt nur rasch nach unseren Wünschen!»
Ich, vom Ballspiel ermüdet, ging in mein Schlafgemach schlafen,
Kummer bedrückte mein Herz, ich begann neues Leid mir zu häufen“.

TARIELS UND NESTAN-DAREDSHANS GESPRÄCH UND ENTSCHLUSS

510
„Unermeßlicher Kummer trieb mich, mein Herz zu durchstechen.
Asmats Diener trat vor, wo ich saß, der Kühne und Starke.
Er übergab mir ein Schreiben: «Die von Gestalt eine Pappel,
Sie befiehlt, rasch zu kommen, ohne Zeit zu verlieren.»

511
Ich saß auf, ritt zum Garten, wer kann meine Freude ermessen?
Ich durchschritt den Garten, fand den Turm, wo Asmat stand;
Schaute sie an, die Tränen sah man an ihren Wangen,
Schwer wards mir, ich fragte nicht. Sie will, daß ich zu ihr käme.

512
Ich sah sie traurig dasitzen, das bedrückte mich mächtig.
Wenn sie mir früher zulächelt’, lächelte sie mir nun nicht mehr.
Kein gutes Wort gab sie mir, es tropften ihr nur noch die Tränen,
Dadurch verwundete sie mich noch mehr, anstatt mich zu heilen.

513
Meine ersten Gedanken scheuchte sie weit in die Ferne,
In den Turm führt’ sie mich, sie hob mir empor auch den Vorhang.
Ich trat ein und sah jenen Mond: jeder Kummer entwich mir,
In mein Herz drang ihr Licht ein, aber mein Herz schmolz doch nimmer.

514
Nestans Licht war nicht grell, wo’s auf den Vorhang gefallen;
Sie trug lose den Goldschleier, den ich ihr kürzlich erst schenkte,
In dem Grünen saß die Einzige, lehnte sich leicht auf das Lager.
Tränenströme, von Blitzen durchzuckte, bedeckten ihr Antlitz.

515
Sie lag da, wie am Rande von Felsen ein grimmiger Panther,
Weder Sonne noch Mond noch Pappeln in Eden auch glich sie;
Fern von ihr ließ Asmat mich, den Speerdurchbohrten, jetzt sitzen.
Dann setzte jene sich auf mit zerkniffenen Brauen höchst wütend.

516
Sie sprach: «Ich staune, warum du Wortbrecher zu mir kamst,
Du Untreuer, Verräter, der du den Eidschwur gebrochen!
Aber der Höchste im Himmel wird dirs mit Qualen vergelten!»
Ich drauf: «Was soll ich dir sagen zu dem, was mir nicht mal bekannt ist.»

517
Ich sprach: «Ich weiß keine Antwort, bis ich nicht weiß, was geschehn ist:
Worin hab ich gesündigt, ich, der ich verblaßt bin, bewußtlos.»
Sie wieder: «Was soll ich sagen dem Betrüger, Verräter?
Warum täuschte ich mich nach Weiberart, frißt mich die Flamme?

518
Weißt du nicht, daß Chwarasmschah für mich als Freier geholt wird?
Du warst bei der Beratung, auch du hast dein Wort ja gegeben,
Du hast den Schwur mir gebrochen, das feste Wort im Gelöbnis,
Gott mög’ es fügen und dir den Trug deiner Künste zerstören!

519
Denkst du noch dran, wie du klagtest, Tränen die Felder benetzten?
Wie die Heiler und Wundärzte dir ihre Heilmittel brachten?
Was andres könnte man mit jener Männertücke vergleichen?
Da du mich preisgabst, geb ich auch dich preis! Wem wirds mehr schaden?

520
Ich sag dir dieses: Wer auch immer Herrscher in Indien sein mag,
Mir gehört dennoch der Thron, ob das ungerecht oder gerecht ist.
So geht es nicht, ja, geh nur, du bist einem Irrtum verfallen,
Dir gleichen Deine Gedanken, Du Schalk, oder was Du noch sonst bist.

521
Bleib ich am Leben, verweilst du, bei Gott, in Indien nicht mehr!
Suchst du zu bleiben, wird deine Seele vom Leibe sich trennen!
Eine wie ich findst du nimmer, reckst du dich auch bis zum Himmel!»
Hier verstummte der Ritter, er weinte, schluchzte, wehklagte.

522
„Als ich dieses vernahm“, sagt er, „schöpfte ich mächtige Hoffnung;
Wieder kam jetzt den Augen die Kraft, jenes Licht recht zu schauen.
Nun hab ich Nestan verloren, staunst du nicht, daß ich noch lebe?
O du schnöde Welt, warum saugst du mir grausam mein Blut aus?

523
Ein Gebetbuch sah ich auf ihrem Kopfkissen liegen,
Ich erhob mich, ich nahm es, Gott und sie selber hoch preisend,
«Sonne du hast mich verbrannt!» sagt’ ich, «o verbrenn nun auch meine!
Da du mich nicht getötet, will ich dir Antwort auch geben.

524
Wenn das Wort, das ich dir jetzt sage, nur Schmeichelei ist,
Möge der Himmel mir zürnen, das Sonnenlicht mir nicht mehr scheinen!
Hältst des Gerichts du, der Strafe mich würdig? Ich tat ja nichts Böses!»
«Sag, was du weißt», befahl sie — und nickt’ mit dem Haupt mir.

525
Ich erwiderte drauf: «Hab ich, Sonne, den Schwur dir gebrochen,
Möge Gott seinen Zorn als Blitzstrahl gegen mich richten!
Wes Antlitz könnt mir als Sonne, wes Körper als Pappelbaum gelten?
Wie könnt ich leben, wenn mein Herz vom Speer ward getroffen?

526
Mich riefen an den Hof zu gemeinsamen Rat da die Herrscher.
Sie hatten schon zu deinem Gemahl bestimmt jenen Ritter.
Das konnte ich nicht verhindern, Unschickliches hätt ich begangen.
Ich sprach zu mir: Versteh das, besser ists, Mut jetzt zu fassen!»

527
Wie soll ich das auch verhüten, wenn er die Sache richt einsieht?
Weiß er denn nicht, daß Indien niemals herrenlos sein wird?
Tariel ist der Erbe, andere haben kein Recht hier.
Wen er hierher bringt, ich weiß nicht, der bemüht sich vergebens.“

528
«So erreich ich nichts», dacht ich, «Anderes muß ich ersinnen!»
Ich sprach zu mir: «Umstrickt mich nicht ihr wirren Gedanken!
Mit dem Herz eines wilden Tieres wollt’ ich ins Freie,
Welchem anderen sollt ich dich geben, verläßt du mich selbst nicht?»

529
Meine Seele gab ich fürs Herz hin, das Schloß ward zum Marktplatz;
Jener Regen wird stiller, der anfangs die Rose erfriern ließ;
Wie Korallen die Perlen lieblich umgaben, das sah ich.
«Wie konnt ich jede Erzählung für wahr halten», sprach sie.

530
«Ich will ja deinen Verrat nicht, nicht an deine Untreue glauben.
Nicht, daß du Gott verleugnest, ihm für unser Glück du nicht dankbar;
Wirb doch mächtig um mich, um die freudreiche Herrschaft in Indien!
Beide besteigen den Thron wir, besser ists als die Verschwägrung.»

531
Milde war sie und huldreich zu mir, die zornig Ergrimmte.
Wie die Sonne auf Erden war sie, der leuchtende Vollmond;
In ihrer Nähe ließ sie mich sitzen, ich war wieder würdig.
Sie sprach zu mir, und löschte damit mein loderndes Feuer.

532
«Ein Vernünftger», sagte sie, «soll sich nicht übereilen,
Soll alle Dinge aufs beste erst ordnen, sich ruhig verhalten;
Widersetzt du dich gegen den Freier, weh, zürnt dir der König,
Streitet ihr dann miteinander, wird Indien gleich einer Wüste.

533
Wenn du den Freier einläßt, er mein Gemahl wird, geschieht es,
Daß wir uns trennen, Purpur- in Trauergewänder verwandeln;
Jene Glücklichen freun sich, doch hundertfach mehrn sich uns Leiden.
Daß Perser unsere Höflinge würden, darf nicht geschehen!»

534
«Gott bewahre, daß dieser Ritter einmal dein Gemahl wird!
Wenn sie nach Indien kommen, und ich weiß, daß sie da sind,
Werde ich meine Macht, meine Kampfeswut ihnen schon zeigen:
Ich werde so sie zerschlagen, daß sie zu gar nichts mehr taugen!»

535
Sie sagte mir: «Ja, weibliche Art und Tat geziemt einem Weibe,
Eine zu große Blutschuld darf ich dir aber nicht stiften:
Kommt der Freier, dann töt ihn, ohne die Mannen zu töten.
Wer rechtes Recht übt, der bringt selbst dürres Holz noch zum Grünen.

536
Tu also das, mein Löwe und Bester aller der Helden,
Töte heimlich der Freier, nimm keine Mannen zu Hilfe,
Schlachte auch nicht seine Mannen gleich wie Kühe und Esel
Wie sollte auch ein Mensch unschuldiges Blut auf sich laden?

537
Wenn du ihn tötest, dann sage es meinem Vater, dem Herrscher,
Sag ihm: Ich kann es nicht dulden, daß Perser Indien fressen,
Dieses Land ist mein Erbe, ich geb davon nicht eine Drama,
Läßt du mir freie Hand nicht, verwüst ich dafür deine Stadt dir.

538
Sag aber nichts von der Liebe, nicht, daß auch du mich begehrtest.
Dadurch wird es dir leichter, Gerechtigkeit walten zu lassen;
Dich, fleht der König dann an, er wird dich gewaltig beschwören,
Er wird darauf mich dir geben, daß wir vereint uns des Throns freun.»

539
Dieser Rat und Entschluß gefiel mir über die Maßen,
Ich verzichtete auf das Schwert zur Vernichtung der Feinde;
Ich erhob mich zum Gehen, sie aber bat mich zu bleiben.
Ich begehrte sie, aber ich wagte nicht, sie zu umrangen.

540
Eine Weile blieb ich noch, dann zog ich fort wie ein Irrer.
Mich führt’ Asmat hinunter, mir strömten brennende Tränen.
Tausendfach wuchs mir mein Leid, indes meine Freude einmalig,
Dabei wollt ich nicht fortgehn, drum eilt’ ich mich nicht mit dem Abschied!“

ANKUNFT DES SOHNES VON CHWARASMSCHAH IN INDIEN ZUR HOCHZEIT UND SEIN TOD DURCH TARIELS HAND

541
„Laut verkündet’ ein Bote: Der Freier kommt! allen zur Freude,
Aber was Gott ihm beschieden, das wußte er, wußt’ er, o weh, nicht;
Herzlich freut’ es den König, er klagt’ jetzt mit nicht einem Wort mehr,
Er sprach, dicht bei mir sitzend, «Komm!», und neigte mir’s Haupt zu.

542
Er sagte mir: «Dieser Tag ist für mich Vergnügen und Freude!
Eine richtige Hochzeit wolln wir festlich jetzt feiern;
Leute schicken wir fort, die von überall Schätze uns bringen,
Freigebig wollen wir alle jetzt reichmachen: Geiz ist doch Torheit.»

543
Ich entsandte die Leute, die uns die Gaben besorgen;
Auch der Freier kam, keine Zeit war nutzlos verflossen;
Wir zogen ihm entgegen, von außer her kamen die andern.
Diese Unzahl an Mannen konnte die Erde kaum fassen.

544
«Schmückt mit bunten Zelten den Platz!» gab Befehl jetzt der König.
Möge der Freier sich ausruhn, erst eine Weile dort bleiben;
Andere Mannen sollen dorthin geht, um ihn zu besuchen,
Du sollst ihn hier sehn, dort gibts Ritter, die ihr empfangen.

545
Auf dem Platz ließ ich Zelte aus rotem Atlas nun richten:
Schon kam der Freier, stieg ab, der Tag war dem Ostertag ähnlich,
Aus dem Schloß traten viele, Hofleute kamen in Scharen,
Mannen begannen sich zu ordnen nach Ländern in Gruppen.

546
Ich war so müde wie einer, der seit Geschäft recht geschafft hat;
Heim ging ich, der Ermattete, um einmal ruhig zu schlafen;
Da kam ein Diener mit einem Brief von Asmat, der so Milden:
«Komme sogleich! Befiehlt dir die wohlgezogene Pappel!»

547
Ich stieg vom Roß nicht ab, ritt eilends zu ihr hin, gehorchend;
Ich fand die Jungfrau verweint, ich fragte sie: «Aus welchem Grunde?»
Sie sprach: «Im Bunde mit dir, wie könnt ich mir Weinen ersparen?
Wie kann ich dich denn rechtfertgen, weil ich dich oft so bedränge?»

548
Wir traten ein, sie lag mit verkniffener Braun auf den Kissen;
Nichts kann mehr als sie, die Sonne, die Gegend erhellen.
Ich trat vor, sie sagte: «Was stehst du, auf dich harrt ein Kampftag!
Oder verrietst du mich wieder, hast mich mit Wortbruch betrogen?»

549
Ich war gekränkt, sagte nichts mehr, verließ sie drum eiligst.
Ich rief: «Nun zeigt sichs, ob ich die nicht will, die doch mich will!»
Wie kann ein Weib mich zum Kampf drängen, bin ich ein Schwächling?
Ich kam heim, ich entschloß mich, ihn ohne Zögern zu töten.

550
Hunderten Mannen befahl ich: Rüstet flugs jetzt zum Kampf euch!
Wir durchritten die Stadt, offenbarten uns niemand.
Ich trat ins Zelt, wie er dalag, zu sagen, sträubt sich die Zunge,
Unblutig tötet’ ich ihn, obwohl da Blut fließen mußte.

551
Die verwickelte Zeltwand zerschnitt ich, zerfetzte sie völlig,
An den Füßen:packt ich ihn, stieß seinen Kopf an den Pfosten.
Die im Vorraum schliefen, schrien auf, tiefe Trauer befiel sie;
Ich bestieg gleich mein Roß, ritt zurück, ein Panzerhemd trug ich.

552
Schon verbreitete sich meine Tat, sie riefen: Verfolgt ihn!
Ich ritt davon, fast holt’ man mich ein, ich tötete alle.
Ich besaß eine feste Burg, unbezwingbar für Feinde,
Dorthin begab ich mich unversehrt, ruhig, ich blieb derselbe!

553
Ich schickte Boten aus, gab meinen Mannen gleich Nachricht:
«Kommt zu mir jetzt, die ihr bereit seid, mir Hilfe zu bringen!»
Ständig nahten Verfolger in der stockfinstren Nacht schon,
Als sie von mir hörten, suchten sie heil zu entkommen.

554
Mit dem Morgenrot rüstet’ ich mich, als die Nacht wich der Frühe,
Da sah ich jene drei Großen, die vom König gesandten.
Er ließ sagen: «Weiß Gott, ich zog dich als meinen Sohn auf!
Warum hast du so meine Freude in Trauer verwandelt?

555
Warum hast du mein Haus mit unschuldgem Blute besudelt?
Wolltest du meine Tochter zur Frau, warum sagst du das mir nicht?
Mir, deinen: alten Lehrmeister, machtest das Leber du sinnlos,
Du gewährtest mir nicht, dich bis zum Tod zu behalten.»

556
Ich gab zur Antwort: «Mein König, ich bin härter als Bronze.
Wie könnten sonst die Flammen der Schande hier mich nicht töten?
Aber ihr wißt es ja selber, der König muß immer gerecht sein,
Bei eurer Sonne! Ich begehre nicht eure Tochter!

557
Wieviel Paläste und Throne das Reich der Inder hat, wißt ihr!
Ich bin der einzige Erbe, alles fiel euch in die Hände:
Ausgestorben sind alle, das Vatererbe besitzt ihr;
Nach dem Recht kommt der Thron doch keinem andern als mir zu.

558
Schmeicheln kann ich euch nimmer, Gütiger, das wär nicht richtig:
Gott hat euch keinen Sohn gegeben, ihr habt nur die Tochter,
Wenn du Chwarasmschah als König einsetzt, was bleibt mir?
Indiens Thron sollt’ ein andrer besteigen, und mir blieb das Schwert nur?

559
Deine Tochter will ich nicht, gib ruhig sie weit fort!
Indien ist mein, keinem andern gebe ichs, außer mir selber.
Wer mir das Meine abstreitet, den entwurzel ich Seinem.
Wenn einen andern ich als Beistand mir wünschte, dann töt’ mich!»

TARIEL ERFÄHRT VON DEM VERSCHWINDEN NESTAN-DAREDSHANS

560
„Diese drei Großer. schickt’ ich zurück, ich rast’ in Gedanken,
Daß ich von ihr keine Kunde bekam, verbrannte mich mehr noch.
An die Burgmauer trat ich, die zur Ebne erbaut ist,
Da vernahm ich Entsetzliches, aber ich ging nicht zugrunde.

561
Es erschienen zwei Fußgänger, ich trat ihnen entgegen.
Eine Frau führte ein Diener, ich erkannte sogleich sie:
Mit zerzaustem Haar Asmat, weh, blutend ihr Antlitz!
Nicht lächelnd rief sie mir zu, ihr war alles Lachen vergangen.

562
Ich erblickt’ sie, wurde verwirrt, wild rasten meine Gedanken;
Kläglich weinte sie, kaum imstande noch, Worte zu finden;
Schon von Ferne her rief ich ihr zu: «Was ist uns geschehen?»
Sie sprach: «Gott hat das Himmelsrund gegen uns zornig gewendet!»

563
Ich trat nah zu ihr, fragt’ sie: «Was ist geschehn? Sag die Wahrheit!»
Wieder weinte sie kläglich, wieder umfingen sie Flammen,
Lange konnt’ sie nichts sagen, von ihren Leiden kein Zehntel,
Rot färbte ihre Brust das Blut, es tropft von den Wangen.

564
Dann sprach sie: «Ich berichte dir, was ich verheimlichen sollte,
Doch, wie ich dich erfreue, begnad mich in eben dem Maße!
Laß mich nicht länger leben, erhör mich, hab mit mir Mitleid,
Von meinem Leben erlös mich, tu, was du Gott immer schuldest!

565
Als die Kunde vom Tode des Freiers bekannt ward», erzählt sie,
«Hört es der König, sprang auf, im Herzen schmerzlich getroffen,
Er fordert laut dich mit gewaltiger Stimme: Ruft ihn!
Überall suchte man, fand dich im Haus nicht, drum klagte der König.

566
Zu ihm sagte man: «Er ist nicht hier, er ging rasch von dannen!»
Drauf der König: «Ich weiß, ich hab es nur zu gut begriffen:
Meine Tochter liebte er, Blut vergoß auf der Flur er:
Wenn sie einander sahen, mußten sie immer sich anschaun.

567
Nun, bei meinem Haupte, ich werd meine Schwester jetzt töten!
Ich sprach vom Göttlichen, sie verstrickt sie in Netze des Teufels!
Was versprach ihr wohl jene Hure, was auch ihr Buhler?
Laß ich sie leben, würd’ ich Gott lästern, ich lasse sie foltern.»

568
Das war beim König Gesetz: bei seinem Haupt schwor er selten,
Wenn er aber geschworen, brach er den Schwur nicht, vollzog ihn,
Von diesem Zorn des Königs hat einer, der ihn gehört hat,
Dawar erzählt, der Zauberin, die mit dem Himmel vertraut ist.

569
Dawar, der Schwester des Königs, hatte ein Gottfeind berichtet:
«Bei seinem Haupt schwor dein Bruder, das Volk weiß, du bleibst nicht am Leben.»
Sie sprach: «Unschuldig bin ich, das weiß der gütige Gott auch;
Weh, für wen und durch wen ich auch sterbe, sie solln sich nicht einen.»

570
Meine Herrin blieb ebenso wie sie war, als du fortgingst;
Dein Geschenk, den Schleier, trug sie ums Haupt, der ihr schön stand.
Dawar jammerte laut mit Worten, die nie ich vernommen:
«Hure, du Hure, warum tötest du mich, auch dir fehlt jetzt Freude.

571
Dirne du, Hurenweib, warum ließt du den Freier ermorden?
Oder warum ließt du sein Blut jetzt büßen mit meinem?
Nicht umsonst wird mein Bruder mich töten, was ließ ich dich machen?
Nun wolle Gott, daß nie du dich dem einst, der die Hochzeit vernichtet!»

572
Sie packte zu mit der Hand, zerzauste jener die Haare,
Schlug, bläute jene, hartnäckig, grimmig verzog sie ihr Antlitz.
Jene konnt’ ihr nicht antworten, seufzte nur bitterlich schluchzend,
Nichts konnt’ die Mohrin ihr nützen, ihre Wunden nicht heilen.

573
Als dann Dawar der Schläge satt ward und ihres Bläuens,
Da erhoben sich gleich zwei Diener mit Kadshengesichtern,
Trugen herbei eine Truhe, ohne bittend zu reden,
Darein setzten sie jene Sonne und standen selbst Wache.

574
Vor den Fensters: schwammen zum Meer sie, plötzlich verschwand sie;
Dawar sprach: «Wer sollt’ mich nicht steinigen, die ich das tat jetzt?
Eh er mich umbringt, will ich jetzt sterben, satt hab ich mein Leben!»
Blutüberströmt durchbohrte sie sich mit dem Messer, dann starb sie.

575
«Staunst du nicht, daß ich noch lebe, daß kein Speer mich durchstochen?
Jetzt tue mit mir das, was für diese Botschaft mir zukommt.
Ich beschwör dich, erlös mich, die ich vom Atmen nicht lasse!»
Kläglich vergoß sie immerfort nicht zu trocknende Tränen.

576
Ich sprach: «Schwester, was soll ich dich töten, was hast du verbrochen?
Was kann ich als Entgelt dafür tun jetzt, was ich dir schulde?
Nun will ich hingehn, sie zu suchen, wo Wasser und Fels ist.»
Völlig versteinert war ich, mein Herz ward hartem Gestein gleich.

577
Ungeheures machte mich irre, Fieber befiel mich;
Zu meinem Herzen sprach ich: «Stirb nicht, das Rumliegen nützt nichts!
Besser ist doch, die Ausfahrt, jene zu suchen, zu fliehen.
Jetzt ists an der Zeit für jenen, der mich begleitet!»

578
Ich ging ins Haus und rüstete mich, bestieg auch das Pferd gleich;
Hundertsechzig gute Ritter, die mir schon vertraut warn,
Zogen mit mir, wir ritten draußen, geordnet in Reihen,
An der Meerküste fand ich ein Schiff, bereit schon sah mich der Schiffsmann.

579
Einschifft’ ich mich, fuhr aufs Meer und kreuzt’ auf dem Meere.
Nicht ein Schiff, woher es auch kam, ließ ich ungeprüft fahren;
Hoffend hörte ich nichts, ich Rasender raste nun mehr noch,
Gott schien mich so zu hassen, daß Er mich grollend verlassen.

580
So verbracht’ ich ein Jahr, zwölf Monate schienen mir zwanzig;
Selbst im Traum erschien mir kein Mensch, der je sie gesehen.
Alle meine Begleiter starben dahin, waren tot schon,
Ich sagte: «Gegen Gott wage ich nichts, was er wollte, das tu ich!»

581
Überdrüssig des Segelns, landet’ ich an einer Küste.
Ganz verwildert mein Herz, auf Ratgeber hörte ich nicht mehr;
Alle verstreuten sich jetzt, soweit sie den Nöten entkamen.
Gott verläßt den von ihm verlassenen Menschen doch nie ganz.

582
Nur Asmat und zwei Diener blieben von allen mir übrig.
Diese Vertrauten trösteten und berieten mich immer.
Nicht fürs Gewicht einer Drachme erfuhr ich Kunde von Nestan,
Weinen nur schien mir da Freude, es flossen mir Ströme von Tränen“.

DIE GESCHICHTE VON NURADIN-PRIDON, DEM TARIEL BEGEGNET

583
„Nachts ritt ich einmal, ich streifte am Meer lang, da sah ich Gärten;
Einer Stadt nahten wir, an einer Seite warn Höhlen;
Widerlich waren mir Menschen, Brandeisen brannten das Herz mir;
Dort stieg ich ab, um zu ruhn, ich fand da wild wachsende Bäume.

584
Ich schlief am Fuße der Bäume, die Diener hielten die Mahlzeit;
Dann stand ich traurig auf, der Ruß verdunkelt’ das Herz mir;
Lange konnt ich weder Gerücht noch Wahrheit erfahren;
Fluren wurden befeuchtet von Tränen, die aus mir tropften.

585
Ich vernahm einen Ruf ich schaute: stolz schrie ein Ritter,
Er ritt am Strande umher, es erwies sich, ihn schmerzt seine Wunde;
Blutbefleckt war ein Stück sein:s Schwertes, er droht’ zu verbluten.
Seinen Feinden drohte er, wütete, fluchte und klagte.

586
Auf einem schwarzen Rappen saß er, wie ich ihn jetzt habe,
Gleich dem Winde flog er dahin, erregt und höchst zornig;
Einen Diener sandt’ ich ihm nach, ich wollte ihn treffen;
Ich ließ ihm sagen: «Mach Halt! Sag, Löwe, wer dich gekränkt hat?»

587
Nichts sagte er zum Diener, vernahm: auch nicht dessen Worte,
Eilends saß ich auf, ritt ihn, nach, um ihn rasch zu erreichen,
Ich sagte ihm: «Halt an, laß deine Bedrängnis mich wissen!»
Er sah mich an, ich gefiel ihm, er blieb stehn auf der Stelle.

588
Er sah mich an, er wandt’ sich an Gott: «Wie zogst du solch Baum auf?»
Dann sprach er: «Ich beantworte dir jetzt gleich deine Worte:
Löwen wurden Feinde, die ich für Ziegen gehalten,
Mich, den Ungerüsteten, überfielen sie feige.»

589
Ich sprach zu ihm: «Werde still, wir ruhen am Fuß dieser Bäume;
Vor den Schneiden der Schwerter schreckt zurück nicht ein Ritter!»
Freundlich ritten wir wie ein Vater mit seinem Sohne,
Ich war erstaunt, die Zartheit des wunden Ritters zu spüren.

590
Einen Diener besaß ich, den Wundarzt, dieser verband ihn,
Zog ihm die Pfeilspitzen raus, ohne die Wunden zu reizen.
Darauf fragte ich ihn: «Wer bist du, wer schaffte dir Schmerzen?»
Er erzählte mir schließlich, er klagte über sein Schicksal.

591
«Ich weiß nicht, wer du bist, mit wem zu vergleichen wohl!», sagt’ er,
«Wer hat dich aufgezehrt, hat dich so vollkommen geschaffen?
Was machte gelb dich, wo du Achat und Rose gepflanzt hast,
Warum sollte denn Gott das von ihm Entzündete löschen?

592
Mulghasansar, die Stadt nicht weit von hier, ist mein eigen.
Nuradin-Pridon ist mein Name da sitz ich als König;
Diese Grenze ist mein, an der du im Augenblick abstiegst,
Wenig besitze ich zwar, doch sind es unschätzbare Werte.

593
Als mein Großvater zwischen Vater und Onkel geteilt hat
Und man mir die im Meere liegende Insel dann zusprach,
Wurde sie doch vom Onkel genommen, des Söhne mich schossen;
Ihnen blieb auch die Jagd, ich bestritt das, sie brachten mir Fehden.

594
Heute zog ich zur Jagd aus an die Küste des Meeres;
Da ich mit Falken jagte, nahm ich mit mir nicht viel Treiber;
Meinen Mannen sagte ich: Wartet, bis ich zurückkomm!
Nicht mehr als fünf der Falkner nahm ich mit mir zum Jagen.

595
Über eine Meerenge fuhr ich, mit einem Boote.
Ich schätzte nicht die Grenzen, was scheute ich da auch die Meinen?
Sie erschienen mir machtlos, ich verkannte die Vielzahl.
Auf der Jagd rief ich laut, gar mächtig erscholl meine Stimme.

596
Wahrlich, sie nahmen es übel, wie könnte man sie so mißachten.
Heimlich führten sie Mannen herbei, mir den Rückzug zu sperren,
Auch meine feindlichen Vettern saßen in einem der Boote.
Meine Mannen griffen sie an, aber nur mit den Armen.

597
Ich vernahm ihre Rufe, sah ihre Schwerter auch blinken.
Ich erbat von den Schiffern ein Boot, drum schrie ich laut: He! aus,
Ich fuhr immer aufs Meer raus, wie Wellen kamen die Krieger,
Sie wollten völlig mich überschwemmen, doch es gelang nicht.

598
Andere große Herrscharn erreichten mich wieder von hinten,
Von beiden Seiten drängten sie, es gelang nicht von einer;
Vordere kamen nicht nah, man schoß von hinten her auf mich,
Nur dem Schwerte vertrauend, zerbrach es, auch fehlten mir Pfeile.

599
Um mich häuften sie sich. Ich sprang mit dem Roß aus dem Boot raus;
Schwimmend im Meere entkam ich, alle die’s sahen, erstaunten.
Meine Begleiter töteten sie, ich ließ sie zurück dort,
Die Verfolger trafen mich nicht, ich zwang sie zum Rückzug.

600
Nun mag geschehen, was Gottes Wille ihnen gefügt hat!
Sühnen müssen sie doch mein Blut, meine Drohung hat Macht noch!
Elend mache ich ihnen ihr Dasein morgens und abends,
Krähen und Raben ruf ich herbei, sie zum Leichenschmaus ladend!»

601
An jenen Ritter fand ich Gefallen, mein Herz wandt sich ihm zu.
Ich sprach zu ihm: «Es ist nicht nötig, daß du schon fortziehst,
Ich will dich gerne begleiten, sie sollen alle dort sterben.
Uns beide, tapfere Krieger, ergreift gewiß keine Furcht je.»

602
Ich sagt zu ihm auch: «Meine Geschichte kennst du gewiß nicht,
Ich erzähl sie dir treulich, wenn wir Zeit dazu haben.»
Er sprach zu mir: «Welche Freude könnt ich mit dieser vergleichen?
Bis zum Todestag wird mein Leben stets dir zu Dienst stehn!»

603
In seine schöne doch kleine Stadt kamen wir schließlich;
Mannen zogen ihm da entgegen, die Häupter voll Asche,
Sie zerkratzten sich, Fleischfetzen gleich wie Holzspäne werfend,
Sie umarmten ihn, küßten sein Schwert, dessen Ringe und Griffe.

604
Ich gefiel ihm, schön schien ich dem jetzt, dem ich begegnet;
Lobpreisend sagte man immer: «Sonne, uns bist du erschienen!»
Wir gingen und beschauten die schöne, kostbare Stadt jetzt,
Alle waren in golddurchwirkte Gewänder gekleidet“.

TARIELS HILFE FÜR PRIDON

605
„Er genas, konnte kämpfen, Roß und Rüstung gebrauchen.
Schiffe rüsteten wir, Kutter, wie auch viel Kriegsvolk;
Es bedurft’ eines Menschen, der für die, die sahen, um Kraft fleht!
Jetzt bericht ich vorn Kampf des Recken, der Feinde schwer züchtigt.

606
Ihre Drohung vernahm ich, sie klappten ihre Visiere;
Schiffe fuhrn mir entgegen, ich weiß nicht, ob acht oder sieben.
Eiligst warf ich mich auf sie, sie begannen langsam zu gleiten;
Mit dem Stammbug versenkt’ ich ein Schiff: Weh! schrien sie weibisch.

607
Dann erreicht ich ein anderes Schiff, griff den Bug mit den Händen,
Gab es dem Meere, schlug alle Feinde, sie gaben den Kamp auf!
Alle Schiffe ergriffen die Flucht und suchten der: Hafen,
Wer mich schaute, der staunte, pries mich, rügte mich niemals.

608
Wir durchquerten das Meer, wir landeten, griffen zu Pferd an,
Wiederum gabs einen Kampf in den Wechselspielen des Krieges.
Gut gefiel mir Pridons Tapferkeit und seine Schlagkraft:
Da kämpft der Löwe, das Sonnenantlitz, ja auch die Pappel!

609
Seine beiden Vettern selbst warf mit dem Schwerte er nieder,
Er verwundet’ am Arm sie und schlug sie beide zu Krüppeln,
Brachte beide mit verbundenen Armen her, pflegt sie,
Feinde ließ er weinen, die Seinen wie Brautführer jubeln.

610
Ihre Mannen ergriffen die Flucht. Wir warfen uns auf sie.
Eiligst nahmen wir ihre Stadt ein, wir waren nicht träge;
Steine schmetterten wir gegen die Schienbeine, machten sie mürbe.
Tötet mich, wenns euch gelänge, den Schatz zu erschöpfen.

611
Pridon durchsuchte die Schatzkammer und versiegelte alles.
Seine beiden Vettern führte er ab als Gefangne.
Für sein Blut vergoß er ihr Blut und tränkte die Fluren;
Über mich sagt’ man: «Dankt Gott, der diese Pappel ließ wachsen!»

612
Wir kehrten heim, man hörte den Jubel, der die Bürger erregte,
Gaukler fesselten dort die Sinne derer, die staunten;
Mich und Nuradin lobten und priesen uns über die Maßen,
Sagten: «Durch eure Arme fließt das vergossene Blut noch.»

613
Pridon nannten die Mannen König, mich der Könige König,
Sich aber selber Diener und mich den Herren von allen;
Ich war traurig, sie fanden mich niemals in schäumender Freude,
Meine Geschichte erfuhren sie nicht, sie war nicht im Umlauf.“

PRIDONS ERZÄHLUNG VON NESTAN-DAREDSHAN

614
„Eines Tages zogen wir, ich und Pridon, zur Jagd aus,
Ritten über das Vorgebirg, das sich hinab in das Meer senkt;
Pridon sagte zu mir: «Ich erzähle dir etwas wir spielten zu Pferde
Etwas Seltsames sah ich vom Vorgebirg in der Ferne.»

615
Als ich fragte, erzählte mir Pridon diese Geschichte:
«Eines Tags spürte ich Jagdlust, ich bestieg dieses Roß hier —
Gleicht es in Meere der Ente, gleichts auf dem Lande dem Falken —
Hier stand ich und verfolgte den losgelassenen Habicht.

616
Manchmal sah ich aufs Meer, hoch stand ich auf dem Gebirge;
Da erblickt’ ich im Meer etwas Kleines, obgleich es noch weit war.
So schnell kann sich nichts ähnlich Kleines je fortbewegen;
Was es war, konnt’ ich nicht erkennen, drum staunte ich zwiefach.

617
Bei mir sprach ich: Was ist das? Vergleich ichs mit Tieren, mit Vögeln?
Nein, ein Boot wars, vielfach bedeckt mit bergenden Hüllen;
Männer trieben es vorwärts, drum ließ ich von ihm nicht die Augen.
In einer Truhe saß da der Mond aus dem siebenten Himmel.

618
Aus ihm krochen zwei Sklaven heraus, zwei pechschwarze Burschen,
Eine Frau mit prächtigen Haaren trugen ans Land sie,
Aus ihr strahlte ein Schimmer, was wäre ihm ähnlich an Farbe?
Sie erhellte die Erde, blaß nur erschien da die Sonne.

619
Mich überstürzte die Freude, ein Zittern, als wollts mich zerschmettern.
Jene Rose gewann ich lieb, die der Schnee nicht verletzt hat;
Ich entschloß mich zum Angriff, ich wollt’ zu den Leuten hin reiten,
Wie sollte je eine Seele meinem Rappen entkommen?

620
Heftig spornt’ ich mein Roß an, im Dickicht gabs Knacken, Geräusche.
Einholen konnt’ ich sie nicht, sie entkamen, obgleich ich mein Roß trieb,
Als ich zur Meerküste kam, war das Boot fern im Sonnenglanz sichtbar,
Weit war sie von mir entfernt, war fort, da brannten mich Flammen.“

621
Das vernahm ich von Pridon, die Glut meines Feuers ward stärker,
Ich warf vom Roß mich hinab, ich machte damit zum Gespött mich,
Mit meinem Blute besudelt’ ich mich, es troff von den Wangen,
«Töte mich,» sprach ich, «wenn ein andrer den Baum schauen dürfte.»

622
Über das, was er hörte, staunte Pridon, befremdet,
Er bedauert’ mich herzlich, er liebkoste mich weinend;
Aus seinen Augen schneiten viel perlgleiche Tränen.
Wie seinen Sohn beruhigt’ er mich, mich anflehend, bittend.

623
«Weh mir», sprach er, «wie hab ich mich irrend, dein Unglück berichtet.»
Ich sagte ihm: «Bedaure es nicht, sei nur nicht bekümmert!
Jener Mond war mein, deshalb hüllt mich ein züngelndes Feuer;
Alles werd ich dir nun berichten, du willst doch mein Freund sein.»

624
Pridon erzählte ich alles, was mir da einst widerfahren;
Er drauf: «Was soll ich sagen, der ich, mich irrend, beschämt bin?
Du, der erhabene König der Inder, kamst also zu mir;
Dir gebührt der Königssitz und der Thron, der Palast ganz!»

625
Er drauf zu mir: «Wen Gott als junge Zypresse verkörpert,
Von dem hält er den Speer fern, obgleich er sein Herz erst getroffen,
Er wird uns Gnade erweisen, vom Himmel herab sie uns donnern,
Leiden in Freuden verwandeln, uns verschonen mit Kummer.»

626
Weinend kehrten wir heim und setzten allein uns ins Schloß hin.
Ich drauf zu Pridon: «Außer dir kann niemand mir helfen,
Weil Gott keinen dir Gleichen in der Welt ließ erscheinen,
Wie soll ich noch etwas wünschen, da ich dir nun begegnet?

627
Keinen schlechten Freund fandst du, wenn meine Stunde gekommen,
Hilf mir mit Wort und Verstand, ich werde mit dir mich beraten:
Was ist das beste, um mir und dir auch Freude zu bringen?
Kann ich nimmer ihr helfen, darf ich hier länger nicht bleiben.»

628
Er sprach zu mir: «Welches Gottesglück könnte mir lieber als dies sein?
Du bist gekommen, mir Huld zu erweisen, du, Indiens König;
Wie könnte ich mir deswegen einen Dank von dir wünschen?
Da ich Vasall bin, bin ich zu Diensten für euch auch bereit stets.

629
Diese Stadt liegt am Wege von Schiffen, die hier vorbeifahrn,
Sie ist ein sicherer Sammelplatz zahlreicher seltener Nachricht;
Du wirst gesalbt hier mit Heilmitteln gegen die zehrenden Flammen.
Gott wird vielleicht es dir fügen, daß Nöte und Leiden vergehen.

630
Wir werden Schiffer ausschicken, die alle vielfach erfahren,
Die solln den Mond finden, der dir Beschwernisse, Leiden bereitet.
Habe Geduld bis dahin, laß Grübeln dich nicht verzehren.
Keinen leidigen Kummer gibts, den Freude nicht überwältigt.»

631
Augenblicks rief er Leute herbei, wir bedachten die Sache.
Er befahl: «Fahrt aus mit Schiffen, kreuzt auf den Meeren,
Findet jene, laßt ihren Geliebten durch sie wieder froh sein;
Schaffet euch tausendfach Mühen, nicht nur siebenfach, achtfach!»

632
Leute schickte er, wo er nur Häfen für Schiffe gekannt hat;
Er befahl: «Überall sucht, wo von ihr ihr etwas vermutet!»
Warten erschien mir wie Freude, mein Leid ertrug ich schon leichter,
Ohne sie hab ich Freude erlebt, ich schäm mich des Tages!

633
Pridon richtete mir einen Thron an erhabener Stelle.
Er sprach: «Bisher irrt’ ich mich, wußt’ nicht, was leicht zu erkennen.
Du, großer König von Indien, wer wäre dir nicht gefällig?
Wer wär der Mensch wohl, der nicht mit Freuden willig dir diente?»

634
Was soll ich länger erzählen? Von überall kamen Erkunder,
Die sich vergeblich, selbst an gefährlichsten Orten ermüdet.
Nichts konnten dort sie erfahren, Nachrichten gab ihnen keiner;
Tränen, nie zu trocknende, flossen mir über die Wangen.

635
Ich sprach zu Pridon: «O wie schrecklich mit dieser Tag ist,
Dafür sei Gott mein Zeuge, ich scheu mich, davon nur zu sprechen;
Mir, der ohne dich hier weilt, sind finster der Tag wie die Nächte,
Jede Freude mied mich, das kettet mein Herz fest an Leiden.

636
Da ich nun einmal keine Kunde von ihr darf erwarten,
Kann ich nicht länger hier bleiben, entlaß mich, ich bitt um Erlaubnis!»
Pridon, dies hörend, benetzte die Flur mit blutigen Tränen,
Sagte: «Bruder, von heut ab ist jede Freude mir sinnlos.»

637
Wenn sie auch sehr sich bemühten, konnten sie doch mich nicht halten;
Kniefällig wandten da seine Mannen beschwörend sich au mich,
Sie umarmten mich, küßten mich, weinten und machten mich weinen:
«Geh nicht», sagten sie, «wir stehn zu Diensten, solange wir leben!»

638
Ich sprach zu ihnen: «Von euch mich zu trennen, fällt mir auch sehr schwer,
Aber die Freude ohne sie ist mir nur schwer zu ertragen;
Meine Gefangene kann ich nicht lassen, auch ihr habt doch Mitleid,
Keiner soll mich hier halten, ich bleib nicht, mich darf keiner halten!»

639
Dann führte Pridon mir dieses mein Roß vor, er gabs mir zu eigen,
Sagte: «Sonne! Sieh, zur Zypresse gesellt sich ein Baum jetzt!
Wohl weiß ich, sonst willst du nichts, alle andern Geschenke verschmähst du;
Dieses Roß soll dir gefallen, sein guter Gang, das Behende.»

640
Pridon begleitete mich, wir ritten dahin, beide weinend;
Schließlich küßten wir uns, uns trennend mit hallenden Rufen.
Alle Ritter weinten mir nach, aufrichtig, nicht nur mit Worten.
Wie ein Erzieher und Zögling es taten, wenn sie sich trennen.

641
Aufgebrochen von Pridon, ging ich sogleich auf die Suche,
Nichts gabs, was ich nicht durchwandert, selbst den Umkreis der Meere.
Aber ich traf keinen Menschen, der sie jemals erblickte;
Rasend ward schließlich mein Herz, wilden Tieren wurde ich ähnlich.

642
Nichts nützt es mir, umsonst über Meere zu fahren, so dacht’ ich,
Wird mir das Leben mit wilden Tieren den Kummer vertreiben?
Dienern und dieser Asmat auch sagte ich sieben, acht Worte:
«Wie ich euch mühte, weiß ich, ihr dürft mir das nicht verargen!

643
Nun geht fort und verlaßt mich, sorgt jetzt erst für euch selber,
Seht nicht die heißen Tränen, die meinen Augen entquellen!»
Als sie solche Worte aus meinem Munde vernommen,
Sagten sie: «O, was redst du, laß das unsre Ohren nicht hören!

644
Wir mögen außer dir keinen Herrn, keinen Herrscher mehr sehen!
Möge Gott von der Spur eures Rosses uns niemals je trennen!
Mögen wir immer euch schauen ein schöner und lieblicher Anblick!»
Einen fröhlichen Menschen raubt scheint’s das Schicksal den Frohsinn.

645
Fortschicken konnt ich sie richt, ich erhörte die Worte der Diener,
Doch die von Menschen bewohnten Länder hab ich verlassen;
Unterschlüpfe der Böcke und Hirsche sind meine Behausung.
Ich entfloh durch die Ebenen drunten, Gebirge auch droben.

646
Höhlen, menschenleer, fand ich, die sich die Dewis gehauen,
Diese kämpften mit mir, sie konnten mir nicht widerstehen,
Meine Knappen töteten sie, die ein Kettenhemd trugen.
Mich hat die Welt bekümmert, sie hat mich belogen, betrogen.

647
Hier verweil ich nun, Bruder, seit jener Zeit, und hier sterb ich;
Rasend, flieh ich ins Freie, ohnmächtig bald und bald weinend,
Diese Jungfrau verläßt mich nicht — jene auch hüllen die Flammen — ;
Ich versuch, mir kein Mittel zu finden außer dem Tode.

648
Weil mir der schöne Panther wie ein Abbild von ihr ist,
Darum lieb ich sein Fell, ich wählte es mir zum Gewande;
Diese Jungfrau nähte es mir, sie seufzt bald, bald stöhnt sie;
Da ich mich nicht getötet, schärfte mein Schwert ich vergebens.

649
Sie zu loben vermögen nicht sämtliche Zungen der Weisen;
An die Verlorene denke ich, stets noch mein Dasein erduldend;
Seitdem verweil ich bei Tieren und rede von mir wie von Tieren,
Um nichts andres fleh ich Gott an, ich bitt um den Tod ihn.“

650
Ins Gesicht schlug er sich, zerriß sich die Wangen, die Rose,
Bernstein ward sein Rubin, sein Kristall ward gänzlich zerbrochen;
Awtandils Wimpern auch entflossen immerfort Tränen;
Dann beruhigte ihn die Jungfrau, kniefällig flehend.

651
Tariel, von Asmat beruhigt, sprach zu dem Freunde:
„Ich erfreute dich durch mein Erzählen, selbst ohne Freude;
Ich, dem alles verbittert, erzählte dir meine Geschichte.
Geh nun, sieh deine Sonne, die’s hohe Zeit ist zu sehen.“

652
Awtandil sprach zu ihm: „Ich ertrag nicht von dir diese Trennung,
Wenn ich scheide von dir, fließen Tränen aus meinen Augen.
Ich werd die Wahrheit dir künden, verüble mir nicht meine Worte,
Der, für die du dahinsiechst, wird es ums Herz doch nicht leichter.

653
Wenn ein Arzt einmal krank wird, mag er auch noch so berühmt sein,
Ruft einen anderen Heilkundgen er als Pulsprüfer zu sich,
Er erzählt ihm die Krankheit, die ihn mit Feuer umfangen.
Besser versteht es ein andrer, ihm hilfreich Weisung zu geben.

654
Was ich dir sage, hörs an, ein Weiser, kein Maßloser redet:
Hundertmal sollst du mich anhörn, einmal wird nicht genügen.
Nichts kann ein Mensch je vollbringen, dessen Herz so erhitzt ist.
Nun will ich die erst sehen, um die mich dies Feuer verbrannt hat.

655
Seh ich sie, dann überzeug ich mich erst von ihrer Liebe.
Wenn ich ihr alles erzählt hab, hab ich dort nichts mehr verloren;
Bitte bekenne mir Gott als Gott, den Himmel als Himmel,
Laß mich schwören und schwör mir, daß wir uns niemals verlassen.

656
Wenn du mir jetzt versprochen hast, daß du von hier niemals fortgehst,
Leiste auch ich einen Schwur dir, daß ich dich niemals verlasse,
Wenn ich zurückkomme, für dich sterbe, Lande durchwandre,
So Sott will, laß ich dich nicht weinen, um die du dahinsiechst“.

657
Er darauf: „Warum hast du als Fremder den Fremden so lieb jetzt?
Schwer fällts Scheiden mir wie der Nachtigall von ihrer Rose:
Wie sollte ich dich vergessen, sollst du meinem Gedächtnis entschwinden?
Gott gebs, daß ich dich wiederseh, wohlgezüchtete Pappel!

658
Schaut dein Antlitz, dein baumgleicher Körper zurück, mich zu sehen,
Dann werde ich das Feld nicht durchstreifen, wie Hirsche und Böcke;
Wenn ich dich täusche, möge Gott im Zorne mich richten!
Deine Nähe, dein Anblick werden den Kummer vertreiben.“

659
Drauf verschworen sie sich die beiden treuherzigen Freunde,
Bernsteinfarbne Granaten, weisredend mit hitzigen Sinnen;
Sie gewannen sich lieb, und ewig verbrannte sie Feuer,
Jene Nacht warn vereint die beiden bildschönen Freunde.

660
Awtandil weinte gemeinsam mit ihm und vergoß heiße Tränen;
Als es Tag ward, brach er auf, er küßt’ ihn zum Abschied,
Tariel war so betrübt, er wußte nicht, was jetzt zu tun wär;
Awtandil auch ritt weinend, er durchquerte das Dickicht.

661
Nun begleitet Asmat den Awtandil, und sie beschwört ihn,
Kniete vor ihm und weinte, beschwört’ ihn mit flehenden Händen,
Baldige Rückkehr erbat sie, wie ein Veilchen verwelkend;
Er sprach: „Schwester, woran soll ich denken, wenn nicht an euch hier?

662
Ich komme bald zurück, verlaß euch nicht, bleib nicht zu Hause,
Er soll nicht anderswo hingehn, immerfort ruhelos suchen;
Wenn ich heut in zwei Monat nicht komme, begehe ich Schlimmes,
Bitte versteht es, wachsenden Nöten bin ich verfallen.“

DIE RÜCKKEHR AWTANDILS NACH ARABIEN

663
Als er von dannen zog, ward er fast vom Kummer getötet!
Er zerkratzt sein Gesicht, zerkratzt es mit seinen Fänden,
Blut, das ihm entfloß, ließ wilde Tiere er lecken;
Da er schnell ritt, verkürzt’ das den weiten Weg in die Heimat.

664
Dorthin gelangte er wieder, wo er seine Mannen gelassen.
Diese erblickten, erkannten ihn, freuten sich, wie sichs gebührte.
Schermadin brachten sie frohe Botschaft, zu ihm schnell kommend.
„Er kam zurück, dessentwegen sich Trauer in Freude verwandelt.“

665
Schermadin ging ihm entgegen, umarmte ihn, gab einen Handkuß,
Küßte ihn, Tränen vergoß er vor Freude, die Fluren benetzend;
Er sagt’: „O Gott, ja seh ich dich wirklich, ist es ein Traum nur?
Bin ich denn dessen würdig, daß ich dich unversehrt sehe?“

666
Tief neigte sich der Ritter zum Gruß und küßte die Andern;
Er sprach: „Ich danke Gott, daß dich kein Unglück versehrte!
Vor ihm verneigten die Großen sich, küßten ihn, die dessen würdig,
Alle jubelten, alle freuten sich, Große wie Kleine.

667
Alle zogen sogleich in seine heimische Wohnung.
Um ihn zu sehen, kamen alle Bewohner des Ortes.
Gleich setzt’ er sich zum Testmahl, freudenreich, kühn und’ höchst munter.
Unvollkommen nur kann unsre Zunge die Freude beschreiben.

668
Er erzählte dem Schermadin, was er alles erlebt hat.
Auch wie er jenen Recken fand, den er selbst Sonne einst nannte.
Tränen verschlossen Awtandils blitzende Augen, er sagt’ nur:
„Mir, der fern von ihm weilt, erscheint der Palast gleich der Hütte!“

669
Jener berichtet’ ihm alles, was sich daheim alles zutrug:
„Von deiner Fahrt weiß keiner, wie du mir sagtest, so tat ichs!“
Er entfernte sich nicht, er schmauste und pflegte der Ruhe,
Während des Morgenrots ritt er fort, als die Sonne erwachte.

670
Weder setzte er sich zum Festmahl noch blieb er alleine;
Schermadin machte sich auf, die frohe Botschaft zu bringen,
Schnell eilte er dahin, in drei Tagen den Weg von zehn Tagen.
Herzlich freut sich der Löwe auf jene, die ihm die Sonne.

671
Er ließ sagen: „Mein König, Freude und Ruhm seien stets dein!
Das wag ich Dir zu: sagen in Ehrfurcht, Vorsicht und Demut:
Weil ich vom Recken nichts wußte, glaubt ich, ich sei ein Betrüger.
Nun hab ich Kunde, berichte Dir unbehelligt und heiter.“

672
Rostewan stolz ein König, unerschrocken und ruhmreich!
Schermadin selbst überbrachte dem König die freudige Botschaft:
„Awtandil tritt vor Euch hin, nachdem er den Recken gefunden.“
„Nun erfahr ich, worum ich flehend gebeten“, so sagt’ er.

673
Schermadin sagte zu Tinatin, jenem Licht ohne Nächte:
„Awtandil tritt vor Euch, er bringt Euch erfreuende Kunde!“
Darum strahlt einen Blitz sie, der kühner ist als jede Sonn“,
Ihm gab sie viele Geschenke, bekleidet’ all seine Begleiter.

674
Aufsaß der König und ritt dem nahenden Ritter entgegen;
Drob fühlt’ das Sonnenantlitz sich dem König verpflichtet.
Er, der Freudige, ritt dem Feurigen froh nun entgegen.
Von der Schar seiner Großen glichen manche Berauschten.

675
Als der Ritter dem König nahte, verneigt’ er sich vor ihm;
Rostan küßt ihn sogleich, der Freuden in Fülle erlebte;
Heiteren Herzens begeben sie sich zum Herrscherpalast hin.
Über die Ankunft des Ritters freuen sich die dort versammelt.

676
Tief neigt der Löwe der Löwen sich vor der Sonne der Sonnen.
Rose, Kristall und Achat, alle sind durch Zartheit verschönert,
Lichter ihr Antlitz als die von Himmelshöhn strahlende Sonne,
Nicht ein Wohnhaus ziemt ihnen, der Himmel sollt’ ihr Palast sein.

677
Bald setzten sie sich zum Festmahl, dankbar schmausend und trinkend;
Auf den Ritter blickte der Fürst wie ein Vater zum Sohn blickt.
Weiße Haare verschönten den Greis, den Jüngling die Anmut.
Reichlich spendeten sie Geschenke, Perlen und Geld auch.

678
Als das Gelage beendet, gingen die Zecher nach Hause;
Nicht entlassen wurden die Großen, der Ritter blieb ihnen nahe;
Ihn fragt der König, er nennt ihm die Leiden, die er erduldet,
Was er von jenem Rasenden hörte und was er gesehn hat.

679
„Nenne ich ihn, dann wundert Euch nicht, wenn ich jedesmal «Ach» sag!
Nur mit der Sonne könnte ich ihn und sein Antlitz vergleichen,
Der jedem, der viel gesehen, das Gefühl gibt, er hätt’ nichts gesehen.
Eine verwelkte Rose in Dornen, ach, ja, das ist er!“

680
Wenn die nicht zu ertragende Welt den Menschen läßt leiden,
Wird das Rohr dem Dorn, das Email dem Safran bald gleichen.
Awtandil, der ihn erwähnte, netzte die Wangen mit Tränen,
Er erzählt’ die Geschichte, wie er sie von Tariel hörte.

681
„Höhlen entriß er den Dewis, er wohnt jetzt in einer der Höhlen,
Bei ihm wohnt eine Jungfrau, die Dienerin seiner Geliebten,
Er ist gekleidet im Pantherfell, schätzt nicht Brokate und Seiden,
Weltliches sieht er nicht mehr, immer neue Feuer verzehrn ihn.“

682
Als die Erzählung beendet, die Geschichte all seiner Leiden,
Wie er die helle Sonne, Tariel, sah, der so schön ist;
Ihn erfreute das Lob der Rose, des schönen Kristalles:
„Das ist mehr als der Mut, was sollst du dir anderes wünschen“

683
Tinatin freute sich sehr, als sie diese Kunde vernommen.
Damals war Awtandil fröhlich, er hielt sich ans Essen und Trinken.
In seinem Schlafgemach traf er alsbald einen Diener der Sonne:
Sie befahl ihm zu kommen, das freute ihn über die Maßen.

684
Freudig begab sich der Ritter zu ihr, mildherzig, nicht zürnend;
Wie ein Löwe, der durch die Fluren mit Löwen gestrichen,
Eine Weltzierde der Ritter, eine hellglänzende Perle.
Doch er hatte fürs Herz sein Herz getauscht für ein andres.

685
Auf ihrem Thron saß die Sonne, freudenreich, nicht mehr verängstet.
Euphratwässer bewässerten üppig die Pappel in Eden,
Den Kristall und Rubin schmückten Achathaar und Brauen,
Wer bin ich, daß ich sie preise? Die Weisen Athens tätens besser!

686
Sie ließ den frohen Ritter auf einen Sessel sich setzen;
Recht von Freude erfüllt, sitzen sie, groß ihr Vergnügen,
Beide Stolzen sprechen mit schönen, nicht unzarten Worten;
Sie sprach: „Fandst du ihn doch, um den du viel Leiden erduldet?“

687
Er darauf: „Wenn die Welt den Wunsch des Herzens erfüllt hat,
Dann geziemt sichs, an Vergangnes nicht mehr zu gedenken.
Einen Baum fand ich, eine Pappel, getränkt wie von Weltglanz,
Mit dem Antlitz der Rose, die freilich leider verblaßt ist.

688
Dort sah ich rosengleich eine Zypresse, schwach war sein Wille:
«Einen Kristall verlor ich und das, wo Email sich Kristall eint.»
Deshalb bin ich verbrannt, weil Feuer wie ihn mich erfaßte.“
Dann erzählte er weiter, was er von jenem gehört hat.

689
Was er auf seinen Fahrten, der Suche nach jenen erduldet,
Trägt er vor, und wie schließlich Gott seinen Wunsch ihm erfüllte.
Menschen, die Welt und das Leben sieht er wildlebend wie Tiere,
Nur mit Raubtieren rasend, durchstreift er weinend die Lande.

690
„Frage mich nicht, wie soll ich ihn loben, damit dus begreifst gleich.
Wer ihn gesehn, dem gefällt künftig nichts mehr, was es auch sein mag;
Die ihn schauen, die Augen, sind wie von Sonnglanz geblendet,
Seine Rose ward Safran, nun kann man wie Veilchen sie binden.“

691
Er erzählt’ ihr getreulich, was er gesehn und vernommen:
„Gleich einem Panther hat eine Höhle als Haus er zur Wohnstatt,
Eine Jungfrau umsorgt ihn, sie hilft ihm sein Leid zu ertragen.
Wehe, die Welt hat alle bestimmt dazu, Tränen zu weinen.“

692
Tinatin, als sie das alles vernommen, war schon zufrieden,
Es erhellt sich das Antlitz des Mondes, wie wenn es grell strahlt;
Sie sagt: „Was sag ich zu dem, was er unerträglich erduldet,
Was ist das Heilmittel wohl zur Heilung all seiner Wunden?“

693
Er drauf: „Wer hat Vertrauen zu einem betrügrischen Menschen?
Opfernd verbrannte er sich, der nicht verbrannt werden durfte,
Ich bestimmte die Zeit meiner Rückkehr, versprach ihm mein Opfer,
Schwor ihm bei meiner Sonne, die mich als Sonne verpflichtet.

694
Für seinen Freund darf ein wahrer Freund auch Leiden nicht meiden,
Muß sein Herz, seine Liebe als Weg und als Brücke ihm geben,
Anderer Leid soll der Minnende wie sein eignes empfinden,
Fern von ihm seh ich unverdient die Freude als Heuchler!“

695
Drauf die Sonne: „Ich gewann jetzt den Wunsch meines Herzens:
Unversehrt kehrtest du wieder, als du den Entschwundnen gefunden,
Dann wuchs in dir die Liebe, die ich in dir einst gepflanzt hab.
Also fand ich das Heilmittel für mein brennendes Herz mir.

696
Diese Welt empfängt jeden Menschen gleich wie die Wittrung:
Bald scheint ihm strahlend die Sonne, bald donnert ihm zornig der Himmel.
So wurden all meine Leiden von einst jetzt zur Fülle der Freuden.
Wenn das Leben uns Freude bringt, wer möcht’ sich selber betrüben?

697
Deine Tugend ists, den geschworenen Eid nicht zu brechen,
Treue Liebe sollte dem Freunde man immer erweisen,
Heilmittel soll man ihm suchen, Unbekanntes erforschen,
Was soll im Finstern ich schaffen, wenn mir die Sonne nicht leuchtet?“

698
Drauf der Ritter: „Du brachtest mir noch ein Achtes der Leiden,
Wenn ein Frierender sich wärmend aufs Wasser bläst, bleibt das vergeblich,
Eitel wärs, wollt’ man den Aufgang der Sonne küssen von unten,
Bin ich bei dir, weh mir! Bin ich weg, dann tausendmal Wehe!

699
Wehe, wenn ich entfliehe, umherirr, verbrennt mich die Flamme!
Auf mein Herz zielt ein Pfeil, er schießt auf mich, um mich zu töten;
Auf ein Drittel scheint mir von heut ab mein Leben vermindert;
Ich wills verbergen, doch die Zeit dafür ist schon vorüber.

700
Deine Worte vernahm ich, begriff auch, was du gesagt hast!
Nur in Dornen findst du die Rose, so stechen mich Stacheln!
Aber, o Sonne, mach dich für mich doch gleich wie die Sonne!
Gib mir ein Hoffnungsgeschenk, mit dem ich fürderhin lebe!“

701
Mit seinem süßen Georgisch, der tugendsam liebwerte Ritter
Spricht zu der Sonne wie ein Erzieher zu seinem Zögling.
Perlen gab ihm die Jungfrau, erfüllte damit seine Wünsche.
Gott gebs, daß ihnen die jetzige Wonne vollkommen noch werde!

702
Was ist besser, als wenn man Kristall, Achat und Rubin eint,
Oder die Pappel zu der Zypresse pflanzt und sie heranwächst,
Seinen Betrachtern Freude, den anderen Kummer bereitet?
Wehe dem vom Geliebten Getrennten, er klagt nie genugsam.

703
Große Freude hatten sie beide, als sie sich sahen.
Wegging der Ritter, von ihr getrennt, verwirrt nunmehr schreitend.
Blutige Tränen weint er, mehr noch als Tropfen im Meere.
Er sagt: „O weh, die Welt wird nicht satt, mein Blut mir zu saugen!“

704
Traurig ging fort der Ritter, er schlug die Brust, bis sie blau ward,
Weil die Liebe uns weinen läßt, selbst den Kräftgen entkräftet;
Wenn die Wolke die Sonne verdunkelt, falln Schatten zur Erde.
So wirkt die Trennung das Morgenrot nicht, nur düstere Dämmrung.

705
Blut und Tränen vermischt miteinander, furchten die Wangen.
Er sagt: „Die Sonne genügt mir nicht, daß ich mich hier für sie opfre;
Warum bestachen mein Diamantherz die tiefschwarzen Wimpern?
Bis ich sie wiederseh, sollst du mich, Welt, jetzt nicht mehr erfreuen;

706
Was die in Eden gepflanzte Pappel früher ließ wachsen,
Liefert’ mich heute dem Speer aus, ließ mich vom Messer zerfleischen.
Heute fesselt mein Herz es ans Feuer, es ward mir zur Falle.
Jetzt erst begriff ich: die Taten der Welt sind erlogene Märchen!“

707
Also jammert er, er vergießt Tränen, er zittert und stottert,
Schluchzend, stöhnend, seufzend schleppte er fort seinen Körper.
Ihn verbittert jetzt die Entfernung von der Geliebten,
Weh, in ein Bahrtuch und Leichentuch wandelt sich ihm nun das Leben!

708
In sein Schlafgemach setzt sich der Ritter, unentwegt weint er,
Doch in Gedanken gedenkt er der Liebsten, er trennt sich von ihr nie;
Wie der Tau das Grün bleicht, so verfärbt sich sein Antlitz.
Seht nur, wie schnell bei der Rose der Mangel an Sonne sich anzeigt!

709
„Fluch sei dem Herzen des Menschen, das unersättlich und gierig,
Jenes Herz das Leiden erträgt und Freuden herbeisehnt,
Jenes Herz ungehorsam, unfähig, reckt zu erwägen,
Weder der Tod beherrscht es noch ein anderer Herrscher!“

710
Als er dem Herzen die Worte gesagt, die aufs Herz grade abzieln,
Nahm er die Perlen heraus, die einst jener Sonne gehörten,
Die sie am Arme getragen, die ihren Zähnen recht glichen,
Legt den Mund drauf und küßt sie, vergoß dann Tränen in Strömen.

711
Als es tagte, ward er vom Boten zum Hof hin gerufen.
Anmutig kühn ritt der Ritter, wach eine Nacht durch, drum schlaflos.
Sich zusammenscharend, steht eine Menge, die zuschaut;
In das Feld zog der Fürst, bereit warn Trompeten und Trommeln.

712
Aufsaß der König, wer könnt den Jubel schildern von damals?
Pauken und Tamburine dröhnten so mächtig, man hört nichts.
Habichte dunkeln die Sonne, hin und her liefen die Hunde.
Mit dem Blut, das sie damals vergossen, düngten sie Fluren.

713
Freudig kehrten sie heim von der Jagd, sie durchstöberten alles,
Führten die Reiter in den Palast, die Fürsten und Ritter.
Niederließ sich der König, geschmückt warn Gemächer und Sitze,
Harfenklang wechselte ab mit Lauten, gewaltig die Sänger!

714
Nahe dem König der Ritter, es wechselten Frage und Antwort;
Lippen leuchten Kristall und Rubin, und Licht strahlt von Zähnen,
Würdenträger saßen nahbei, entfernt stand die Menge,
Ohne Tariel zu nennen, ziemt sichs für keinen zu sprechen.

715
Traurigen Herzens kam heim der Ritter, viel Tränen vergießend.
Liebe zu Tinatin schwebte immerfort vor seinen Augen.
Bald stand er auf, bald legt’ er sich, wie könnt’ erregt er wohl schlafen?
Wen erhörte das Herz je für die Geduld in den Leiden?

716
„Welche Freude“, sagt er, „könnte ich meinen: Herzen versprechen?
Ich bin von dir jetzt getrennt, die als Pappel in Eden gewachsen.
Freude du aller Zuschauer, Kummer, die dich nicht sehen.
Bin ich nicht würdig, dich wirklich zu sehen, dann schau ich im Traum dich.“

717
So sprach er weinend, dabei vergoß er viel brennende Tränen;
Zu sich sagt er: „Das Dulden wurzelt in Quellen der Weisheit.
Wenn wir nicht dulden, was sollen wir dann mit unserem Kummer?
Wünschen wir Freude von Gott uns, müssen wir Leiden auch dulden.“

718
Noch sagt er: „Herz, wie sehnlich du dir auch oft deinen Tod wünschst,
Ist es doch besser sich aufzuopfern, das Leben zu leiden,
Aber verbirg es, daß man nicht merkt das dich hüllende Feuer,
Ziemt es doch nicht einem Liebenden, seine Liebe zu zeigen.“

AWTANDILS BITTE AN DEN KÖNIG ROSTEWAN UM URLAUB UND DAS GESPRÄCH MIT DEM WESIR

719
Als es tagte, rüstet’ der Ritter sich, rasch aufzubrechen:
„Wenn man mir nur meine Minne nicht anmerkt, ich sollt’ sie verbergen,
Dulde mein Herz, du mußt es bewältgen, sie darf keiner spüren!“
Er bestieg sein Pferd und wandte zum Haus des Wesirs sich.

720
Der Wesir erkannt’ ihn: „Bei mir ist die Sonne erschienen,
Diese frohe Botschaft gilt mir als Zeichen der Freude!“
Er verneigt’ sich vor ihm und pries den Ritter aufs höchste,
Hocherwünscht muß der Gast sein, auch muß es den Gastgeber freuen.

721
Absteigen ließ der Gastfreund den Ritter, der würdig des Lobes;
Unter die Füße breitet man ihm ein chataisch Gewebe.
Wie das Weltall die Sonne, erleuchtet der Ritter das Haus hell.
„Wohlgerüche der Rosen“, sagte man, „bringt uns der Westwind!“

722
Platz nahm der Ritter, die ihn anblickten, jauchzten im Herzen,
Die ihn schauten, ehrte es, daß ihre Sinne fast schwanden,
Sie vertausendfachten das Seufzen, sie seufzten nicht einmal.
Dann befahl man, sich zu zerstreuen, der Kreis wurde kleiner.

723
Als die vom Hause gegangen, besprach er sich mit dem Wesir gleich.
Er sprach: „Am Königshof wird vor dir nie etwas verheimlicht;
Was du auch anordnen willst, das billigt der König, er traut dir.
Hör meine Leiden, heil mich, soweit eine Heilung noch möglich.

724
Wegen des Rechen umfängt mich ein Feuer, ach, es verbrennt mich!
Sehnsucht verzehrt mich, weil ich das Ziel meiner Sehnsucht nicht sehe,
Seine Seele schont er für mich nicht, man muß das vergelten;
Diesen großherzigen, ach so freigebgen Freund muß man lieben.

725
Ach, der Wunsch ihn zu sehen, umwindet mein Herz wie mit Stricken.
Dort ists geblieben, auch meine Geduld blieb fest dort gebunden;
Da er die ihm nah sind, verbrennt, schuf Gott ihn als Sonne.
Mir ward Asmat zur Schwester, zu mehr als nur leiblichen Schwester.

726
Als ich von ihm fortzog, schwor ich mit schrecklichem Schwur ihm:
«Ich sehe heil dich wieder zum Schrecken all deiner Feinde,
Zuversichtlich such ich dein Licht, das dein Herz dir verfinstert.»
Zeit ists, daß ich nun wegzieh, drum brennt mich allmählich ein Feuer.

727
Alles, was ich dir sage, ist wahr, kein prahlendes Wort nur.
Er erwartet mich, aber ich kann je nicht fortziehn, drum brenn ich!
Ich kann den Schwur nicht brechen, den Rasenden nimmer verlassen,
Wie könnt ein Mensch, der den Eid brach, einen Sieg je erringen?

728
Was ich dir sage, berichte es Rostan, geh gleich zum Palast hin,
Bei seinen Haupte sprech ich zu dir, dem Haupt des Palastes:
Nimmt er mich nicht gefangen, bleibe ich nicht, tut ers, was nützts ihm?
Hilf mir, daß das Feuer mein Herz nicht verwundet, vernichtet.

729
Sage ihm: «Wie soll jeglicher Mund, der nicht stumm ist, dich preisen?
Wie ich mich fürchte, möge dir Gott der Herr offenbaren!
Jener Recke, der pappelgleich, brannte mich mit seinem Feuer,
Meines Herzens bemächtigt’ er sich, ich konnts nicht bewahren.

730
Nun, König, ists mir unmöglich, fern von ihm hier noch zu bleiben;
Jener besitzt mein Herz, braucht man einen des Herzens Beraubten?
Wenn ich ihm etwas nütze, kommt der Ruhm zuerst Euch zu;
Kann ich nichts nützen, still ich mein Herz, ich breche den Schwur nicht.

731
Möge mein Scheiden Euer Herz nicht bekümmern, betrüben!
Möge das mir Bestimmte geschehen, das Gott mir gefügt hat,
Gott mög Erfolg fügen, daß Ihr das Euere wieder erhaltet,
Kommt er nicht wieder, mög es Euch gutgehn, die Feinde entmachten.»

732
Noch sagte zum Wesir die Sonne: „Ich kürz meine Worte,
Geh jetzt, bericht das dem König, eh ein andrer zu ihm kommt.
Wirb für mich, daß er mich freigibt, und mache dich damit zum Helden,
Hunderttausend Goldfüchse sollst du als Lohn von mir haben.“

733
Lachend sagte zu ihm der Wesir: „Behalt Deinen Lohn nur,
Mir genügt als Gnade von Dir der Weg, den Du wiesest.
Wenn ich dem König berichte, was ich von Euch heut vernommen,
Wird er gewiß mich beschenken, Gewinne bedaure ich niemals.

734
Bei seinem Haupte, er tötet mich, läßt mich nicht länger auf Erden!
Bleib Du bei deinem Gold, mir winkt, weh!, auf Erden ein Grab nur;
Töte mich, wenn einem Menschen was mehr nützt als dieses Leben!
Unsagbar ists, ich sags nicht, mögen auch alle mich tadeln.

735
Meinem Haupte geht nicht der Weg vor, wie soll ich mich opfern?
Mich überfällt er rasend: «Wie konntest du solches mir sagen?!
Warum verstandst du das nicht sofort, warum bist du so närrisch?»
Tod ist besser als Ungnade, so belehr ich mich jetzt schon.

736
Wenn dich der König auch fortschickt, was sagen dazu dann die Ritter?
Sollten sie dich entlassen, von der Sonne sich trennen?
Du gehst weg, der Feind wird frech und übt jetzt Vergeltung,
Das darf niemals geschehn, wie Vöglein nie Habichte werden.“

737
Drauf unter Tränen der Ritter: „Ich steche das Messer ins Herz mir,
O Wesir, man merkt es dir an, du kennst nicht die Liebe,
Auch bei anderen Menschen kennst du Freundschaft und Schwur nicht,
Kenntest du sie, wie könntest von Freude du ohne ihn sprechen?

738
Wiedergekehrt ist die Sonne, ich wußte nicht, wie solches möglich!
Helfen wir ihm, es ehrt uns, dafür wird den Tag sie uns wärmen,
Ich alleine nur weiß es, was mich erfreut, mich erbittert;
Alle Gespräche mit törichten Menschen mehren den Trübsinn.

739
König und Mannen, was brauchen sie mich, der stets überschwänglich?
Jetzt wie ein Unvernünftger vergieße ich allezeit Tränen.
Besser ists, daß ich den Schwur nicht breche: der Eid prüft den Menschen;
Leiden, die er nicht erduldet, wer könnte je sie ertragen?

740
Nun, Wesir, wie kann dein armseliges Herz das ertragen?
Eisen selbst wäre an meiner Statt wachsweich, nicht felshart;
Tariels Tränen gleichen nicht meinen, sie glichen wohl Flüssen.
Hilf mir, bitte, vielleicht brauchst du auch mal von mir eine Hilfe!

741
Wenn mich der König nicht freigibt, werde ich heimlich davonziehn,
Wie er mich bittet, geb ich mein Herz dem Brande des Feuers.
Meinetwegen geschieht dir nichts, will er sonst dich nicht lossein.
Sags ihm, was auch geschehn mag, gib deinen Kopf hin zur Folter!“

742
Drauf der Wesir: „Dein Feuer greift auch nach mir wie die Flamme,
Deine Tränen kann ich nicht sehn mehr, es schwindet die Welt mir,
Manchmal ists besser zu sprechen, manchmal auch schadet das Sprechen.
Wenn ich auch sterbe, ich sag ihm, euch soll meine Sonne noch leuchten!“

743
Als der Wesir das gesagt, erhob er sich, ging gleich zum Schloß hin.
Er fand den König geschmückt, sein Antlitz war schön wie die Sonne.
Jenen erfaßte Furcht, er wagte nichts Schlimmes zu sagen.
Niedergeschlagen stand er da, er dachte an Kampf nicht.

744
Den Wesir sah der König bekümmert, in Schweigen versunken,
Sprach: „Was ist dir, warum kamst du zu mir so verdüstert?“
Der Wesir erkühnt sich: „Ich weiß nichts, wehklagen müßt ich;
Ihr habt recht, mich zu töten, wenn ihr das Erstaunliche hörtet.

745
Nicht ist mein Kummer größer, gewaltiger nicht als mein Unglück,
Furcht hab ich, wenn auch ein Bote vor Angst nie zurückweichen dürfte.
Awtandil nimmt jetzt Abschied, er bittet drum, forderts im Streit nicht,
Ohn’ jenen Recken wäre das Leben, die Welt für ihn sinnlos.“

746
Alles, was er wußte, sagt’ er mit zaghaftem Herzen,
Sprach auch: „Wie könntest du je aus diesen Worten begreifen,
Wie verstört ich ihn sah, wie oft ihn ein Tränenstrom trübte!
Recht hättet ihr jetzt, wenn euer Zorn plötzlich über mich käme.“

747
Als der König das hörte, schnaubte er Zorn, wurde wütend,
Er ward erschreckend blaß, die’s sahen, würgten die Ängste;
Er fuhr ihn an: „Bist du wahnsinnig, wer wagt mir sowas zu sagen?
Wer böser Art ist, will stets als erster das Üble erfahren.

748
Wie wenn du mir etwas Freudiges brächtest, so eilst du, wie eilig!
Wer könnt mir Übleres antun, es sei denn, er töte mich tückisch?
Wahnsinnig bist du, wie konnte mir nur deine Zunge das antun?
Du bist verrückt, du taugst zum Wesir nicht, noch zu was anderm!

749
Sollte der Mensch nicht bedenken, was seinen Herrn kränken könnte,
Wenn er dummes Zeug so unbedacht dummdreist daherschwätzt?!
Eh ich solches vernahm, warum warn meine Ohrn nicht versiegelt?
Töte ich dich, so möge mein Nacken dein Blut auf sich laden!“

750
Noch sprach er: „Kämest du nicht von ihm alleine beauftragt,
Bei meinem Haupte, ich würd’ dir gewißlich den Kopf kürzen lassen!
Hebe dich von mir, du Übler, Verrückter, wahnsinniger Schandbub!
Gut ist das Wort, gut der Mensch und gut sind auch seine Taten!“

751
Stühle ergriff er, schleuderte sie an die Wand, sie zerbrachen,
Er verfehlte ihn, für ihn wars diamanthart, nicht seidig.
„Wie könntest du mir den Fortzug des jungen Pappelbaums künden?“
Tränen des Wesirs zerkratzten weißschimmernde Wangen.

752
Unglücklich wich der Wesir zurück, vor Entsetzen verstummend,
Wie ein Fuchs schlich erschreckt er hinaus, im Herzen verwundet;
Heiter geht er hinein, von der Zunge beschämt kommt er wieder.
Keinem Feind kann ein Feind so schaden wie sich der Mensch selbst.

753
„Was kann mir Gott noch tun“, sagt er, „was meinen Sünden wohl gleichkäm?
Warum täuschte ich mich verblendet, wer hellt nun mein Finstres?
Wenn einer seinem Herrn vielleicht was Vermessnes gesagt hat,
Duldet auch er mein Mißgeschick, wird er dann Frieden genießen?“

754
Mit seinem schwarzen Lose geht tief beschämt der Wesir fort;
Traurig sagt er zu Awtandil mit einem unwirschen Antlitz:
„Welchen Dank sage ich dir, wie bin ich entehrt jetzt als Höfling?
Weh, mein unvergleichliches Selbst verlor ich durch dich heut!“

755
Er verlangt scherzend den Lohn, doch kann er sich Tränen nicht wischen —
Hat er noch Lust zu scherzen, warum bekümmerts sein Herz nicht? —
Wer ihm Versprochnes nicht gibt, wird seinen Beschützer vergrämen;
„Selbst in der Hölle“, heißts, „wird durch Bestechung noch manches geordnet“.

756
„Wie er mich ausgescholten, das ist unmöglich zu sagen:
Welche Bosheit, Torheit, Verrücktheit, ach, so ein Schwachsinn!
Ich taug als Mensch nun nichts mehr, bin bar jetzt jedes Verstandes;
Daß er mich nicht getötet, mich wunderts, Geduld gab ihm Gott wohl.

757
Wohl wußt’ ich, was ich getan, nicht als Irrtum geschahs mir
Zürnen würde er mir, das wußt ich, drum wuchs auch mein Kummer;
Einem Zorn, den die Vorsehung eingibt, kann keiner entfliehen.
Freude ists mir scheints, für dich zu sterben, mein leid ist nicht sinnlos.“

758
Drauf sprach der Ritter: „Völlig unmöglich ists, daß ich nicht fortzieh.
Jede liebende Nachtigall stirbt, wenn die Rose verwelkt ist.
Tautropfen muß für die Rose sie suchen, überall hinziehn,
Wenn sie nichts findet, was tun? Wie soll ihr Herz denn dann ruhen?

759
Fern von ihm vertrage ich weder Sitzen noch Liegen,
Wilden Tieren gleich flieh ich, renn fort, gesell mich zu ihnen;
Warum bittet der König mich, mit seinen Feinden zu kämpfen?
Besser ists, keinen Menschen als einen Vergrämten zu haben.

760
Nochmals sag ich ihm, mag der König, so viel er will, zürnen,
Er mög verstehn wie mein Herz brennt, wie es erglüht ist;
Wenn er mich nicht entläßt, geh ich heimlich, gibts keine Hoffnung,
Sterb ich, so mag mein Teil der Welt mit mir auch zugrund gehn!“

761
Sie beraten sich. Der Wesir ließ ein Mahl würdig richten,
Er bewirtet’ den Gast, schenkt’ dem Schönen schöne Geschenke,
Seine Begleiter auch überschüttet er, Junge und Alte.
Fort ging der Ritter, die Spitzen der Sonne sanken zur Ruhe.

762
Hunderttausend Goldfüchse knüpfte das Sonnenantlitz,
Dreihundert Ballen vorm Goldbrokat, freigebig, unübertroffen,
Sechzig Rubine, Saphire von unvergleichlicher Farbe.
Zum Wesir sandt’ er einen Boten, er schickt’ ihm das alles.

763
Sagen ließ er: „Was dir gebührt, wie könnt’ ich dir’s schenken,
Was kann ich denn als Entgelt für meine Schulden ersinnen?
Bleib ich am Leben, werde ich sterben für dich als dein Sklave,
Deine Liebe mit Liebe vergelten, sie dankbar dir weihen.“

764
Wie kann ich seine Einzigkeit, seine Güte lobpreisen?
Awtandil war ein Mann, der seiner Taten stets würdig;
Stets muß man einem helfen, wenn seine Güte man hochschätzt.
Wenn ein Mann in Not, braucht er einen Verwandten, den Bruder.

AWTANDILS GESPRÄCH MIT SCHERMADIN

765
Mit seinem Schermadin spricht das strahlenverbreitende Antlitz:
„Dies ist der Tag der Hoffnung, der Tag, der hellend mein Herz freut,
An ihm zeigst du, was du für mich an Erdenklichem tun kannst!“
Leser und Zuhörer müssen all ihre Taten jetzt rühmen.

766
„Rostan“, sagt er, „läßt mich richt ziehen, will mich nicht hören,
Weiß nicht, wer, wodurch, woher und durch wen einer fortlebt,
Ohne ihn mag ich künftig nicht leben, hier nicht, nicht draußen.
Wie sollte Gott auch Ungerechtes dem Menschen verzeihen?

767
Bin ich auch fest entschlossen, daß ich ihn niemals verlasse,
Weint doch mein Herz jetzt, das ihn nicht sieht, es seufzt, stöhnt und wehklagt,
Läßt deshalb keinen ihm nahkommen, meidet erschreckt ihn, verwildert.
Jeder Verräter lästert Gott und lügt zum Betrug noch.

768
Drei Dinge sinds, durch die ein Freund seine Freundschaft bekräftigt:
Einmal verlangt er die Nähe, er erträgt nicht die Trennung,
Dann das Schenken, er verweigert nichts, nie wirds ihm lästig,
Schließlich Dienst und Hilfe, ihm zunutz Fluren durchstreifen.

769
Warum die lange Rede, es ist an der Zeit, sie zu kürzen!
Meinem geschundenen Herzen bringt das Davonschleichen Heilung.
Höre, um was ich dich bitte, bis ich wieder bei dir bin;
Halte dich fest dran, was ich für künftige Zeiten dich lehre.

770
Halt dich vor allem bereit zum Dienst für den Herrscher, den König,
Offenbar deine Güte, deine Vollkommenheit vollends;
Hüt mir mein Haus, sei immer getreulich das Haupt meiner Mannen.
Deine bisherigen Dienste übe auch weiterhin, dien mir.

771
Meine Feinde bekämpf an der Grenze, mindre die Macht nicht,
Spar nicht für Treue mit Wohltaten, sterben soll, wer dir nicht treu ist!
Kehr ich zurück, vergelt ich dir reichlich, was ich dir schulde;
Nie geht der Dienst, einem Herren geleistet, jemals verloren.“

772
Als das Schermadin hörte, weinte er heißeste Tränen.
Er sprach: „Ich habe nie Furcht in der Not, weil ich einsam zurückblieb,
Was aber tu ich jetzt ohne dich, Finsternis hüllt mir mein Herz ein!
Nimm mich in deinen Dienst mit, ich helfe dir, wo es dir nottut.

773
Wer hat jemals gehört, daß einer allein soweit fortzieht?
Wer hörte jemals, daß der Vasall seinen Herren im Stich ließ?
An den Entschwundenen denkend, was soll ich unnütz hier treiben.“
Drauf der Ritter: „Ich kann dich nicht mitnehmen, weinst du auch Tränen!

774
Wie könnte je ich zweifeln an deiner verpflichtenden Liebe?
Dennoch geht es nicht an, zu feindlich ward mir die Stunde!
Wem denn soll ich mein Haus anvertrauen, wer könnte mir gleich sein?
Sei bitte ruhig, glaub doch, nein, nein, du kannst nicht mit wegziehn!

775
Jeder Midshnur muß einsam, verstört die Fluren durchstreifen.
Muß er nicht einsam schweifen, wenn er die Tränen mit Blut färbt?
Irrfahrt ist der Minnenden Los, sie können nicht warten!
Ja, so ist diese Welt, laß dich nur überzeugen, ach, glaub mir.

776
Bin ich dir fern auch, gedenk meiner, weihe mir stets deine Liebe!
Meine Feinde fürchte ich nicht, ich wehr mich alleine.
Kühn muß der Tapfere sein, in Nöten des Lebens nie kraftlos.
Macht sich ein Mensch nichts aus einer schändlichen Sache, das haß ich!

777
Ich bin der Mensch, der die Welt nicht als alte Gurke geringschätzt,
Wem der Opfertod für den Freund ein Scherz nur und Spiel scheint;
Von meiner Sonne habe ich Urlaub, warum soll ich bleiben?
Wenn ich auf sie verzichte, verzicht ich damit auf mein Haus auch.

778
Jetzt geb ich dir mein Vermächtnis, das ich an Rostan geschrieben;
Ihn fleh ich an, er soll dich wie meinen Zögling behandeln.
Sterbe ich, bring dich nicht um, begeh nicht satanische Taten,
Weine drob, laß deine Augen Tränenströme entfließen.“

AWTANDILS VERMÄCHTNIS UND HEIMLICHE AUSFAHRT

779
Awtandil setzte sich, schrieb sein Vermächtnis, Mitleid erregend:
„König, heimlich verschwand ich, den suchend, ders mir geboten;
Ich kann nicht bleiben, treffe ich den nicht, der mich entbrannt hat;
Bitte vergib mir und laß deine Grade mich gottgleich begleiten.

780
Wohl, du wirst am Ende meine Absicht nicht tadeln.
Weise vermögen niemals den liebenden Freund zu verlassen;
Ich sag ein Wort, das Platon in seinen Gesprächen einst lehrte:
«Lüge und Falschheit schänden den Leib und schließlich die Seele.»

781
Weil die Lüge immer der Quell alles Unheils der Welt ist,
Soll meinen Freund ich verraten, den Bruder des innigen Bundes?
Nein, ich tus nicht, was nützt mich sonst alle Weisheit der Weisen?
Man lehrte uns das Einssein der himmlischen Ordnung.

782
Hast du gelesen, wie die Apostel die Liebe gepriesen,
Wie sie sie lobten? Erkenn das! Nimm es mit Herz und Verstand auf!
«Liebe erhöht uns!» Wie mit Schellen klingt munternd die Kunde.
Wenn dus nicht glaubst, wie könnten das dann Unwissende fassen?

783
Wer mich schuf, der gab mir auch Kraft, meine Feinde zu schlagen;
Er ist unsichtbar, der Helfer, ist Kraft der Wesen auf Erden,
Der die Grenzen bestimmt, sitzt unsterblich als Gott, als ein Helfer,
Er verwandelt im Nu eins in hundert und hundert in eins auch.

784
Keine Tat wird auf Erden vollbracht, die Gott nicht genehm ist,
Ohne das Sonnenlicht welkt die Rose, vertrocknet das Veilchen.
In allem Anschaun des Schönen gewahren die Augen die Schönheit.
Wie könnt ich ohne sie leben, ja, was taugt dann mein Leber.?

785
Wenn du auch zürnst, verzeih mir, daß euer Gebot ich mißachte,
Ich, der Gefangne, besaß keine Kraft mehr, der Weisung zu folgen.
So war das Weggehn das einzige Mittel gegen mein Feuer,
Wo ich auch weile, ist gleich, kann ich meinem Willen nur folgen.

786
Nichts nützt der Kummer, das nutzlose Tränenvergießen und Jammern,
Denn alles unausweichlich vom Himmel Verhängte das trifft dich.
Not zu ertragen, leid zu erdulden, das ziemt dem Manne;
Kein im Fleische Wandelnder kann je der Bestimmung entgehen.

787
Was uns Gott bestimmt hat, das möge mit mir geschehen!
Was mir auch zustößt, falls ich zurückkehr, mein Herz wird nicht Asche.
Mög ich Euch freudig wiedersehn, ruhmreich in Fülle des Reichtums.
Bin ich Tariel nützlich, gereichts mir zum Ruhm und zu Reichtum.

788
Töte mich, König wenn diese Meinung Mißfallen erregt hat.
Sollte, o König, mein heimlicher Wegzug dich etwa betrüben:
Täuschen kann ich ihn nicht, ich kann ihm nichts Schändliches antun;
Sähn wir uns wieder, wär ich beschämt, ihn im Jenseits zu treffen.

789
Wenn wir den Freund nicht vergessen, bringt uns das nie einen Schaden,
Ich verachte einen schändlichen, trugreichen Menschen!
Ich kann ihn nicht betrügen, dem Sonnenkönig nichts antun;
Was ist denn schlimmer als ein Mann, der immer nur zögert?

790
Minderwertig ist einer, des Antlitz Kämpfe entstellen,
Den Schrecken packt und Angst, der immer nur an seinen Tod denkt!
Ist ein Feigling denn besser als ein Weib, das Gespinst webt?
Das ist der beste Gewinn: sich hier einen Namen‚ erwerben!

791
Weder ein leichter noch ein Felsenweg hält unsern Tod auf;
Er macht sie alle gleich den Schwächling wie den Beherzten;
Schließlich bringt doch die Erde Junge und Alte zusammen,
Besser ein ruhmreicher Tod als wie ein schimpfliches Leben.

792
König, ich fürchte mich fast, Euch diese Nachricht zu künden;
Der irrt gewißlich sich sehr, der des Todes nicht ständig gewärtig.
Er, der alle zusammenscharrt, kommt am Tag und in Nächten,
Wenn ich dich wicht als Lebender wiederseh, lebe noch lange!

793
Wenn die Welt, die alles vernichtet, mich auch vernichtet,
Wenn ich, ein einsamer Wandrer, einsam, unbeweint sterbe,
Ohne daß die, die ich aufzog, mich ins Leichentuch hüllen,
Hege doch stets euer mildes gütiges Herz für mich Gnade!

794
Mir gehört zahllose Habe, die keiner zu wiegen vermöchte.
Spende Schätze den Armen, befreie jetzt alle Sklaven,
Mach alle reich, die Waisen, die unbemittelten Armen.
Sie sorgen für mein Heil, segnen mich, denken an mich gern.

795
Was euch nicht wert erscheint, in der Schatzkammer es zu verwahren,
Gebt es den Waisenhäusern, auch für das Bauen von Brücken;
Schont nur nicht meine Habe, spendet sie in meinem Namen!
Außer dir hab ich niemanden, der mein Feuer könnt löschen.

796
Nun wird auch keine Botschaft von mir dir Kunde noch bringen.
Deshalb empfehl ich dir meine Seele, erbarme dich ihrer,
Das wird nichts nützen, sie wird vom Satanswerk überwältigt,
Bitte vergib mir, erbarme dich! Soll ein Toter noch sühnen?

797
Ich empfehle dir Schermadin, meinen vorzüglichsten Helfer,
Dieses heurige Jahr das bracht’ ihm unendlich viel Kummer,
Tröste mit deiner Gnade mir den an Gnaden Gewöhnten,
Laß ihn ob meines Wegzugs nicht Tränen mit Blut vermischt weinen.

798
Hier schließ ich mein Vermächtnis, das ich mit eigener Hand schrieb,
Nun, mein Meister, ich scheide von dir, geh flammenden Herzens.
Seid nicht bekümmert um mich, ihr Könige, kleidet nicht schwarz euch!
Herrscht wieder über die Völker, die Feinde solln vor euch zittern.“

799
Dies sein Vermächtnis gab er Schermadin, als er es abschloß,
Sagte zu ihm: „Übergib es dem König auf kundige Weise,
Dich kann keiner je in keinem Dienst übertreffen.“
Er umarmte ihn und vergoß viel blutrote Tränen.

AWTANDILS GEBET

800
„Du erhabener Gott der Erden und Himmel“, so fleht er,
„Der Du manchesmal Leid schicktst, manchmal vollendende Wohltat.
Du, der unerkennbar, unsagbar. Du bist der Herr aller Herren.
Gib mir Kraft zum Entsagen der Leidenschaften, Begierden!

801
Gott, o Gott, ich flehe Dich an, Herr des Himmels, der Erde,
Du hast die Minne geschaffen, Du bestimmst ihre Gesetze,
Jetzt hat das Leben mich von meiner besten Sonne geschieden,
Rotte die Liebe nicht aus, die sie für mein Leben gesät hat.

802
Gott, o Gott, Allgnädiger, außer Dir hab ich niemand,
Hilfe erfleh ich von Dir, solang ich den Erdenweg wandre;
Sieg der Feinde, Stürme der Meere, den Satan verhindre!
Bleib ich am Leben, will ich Dir dienen, Opfer Dir bringen“.

803
Als er gebetet, bestieg er sein Roß, ritt heimlich zum Tor raus.
Schermadin ließ er zurückkehrn, Tränen vergoß da der Arme.
Schermadin schlug sich die Brust. Sein Blut höhlte Furchen in Felsen.
Soll ein Gefolgsmann sich freuen, wenn sein Herr von ihm fortzieht?

ROSTEWAN ERFÄHRT VON AWTANDILS HEIMLICHER ABREISE

804
Eine andre Geschichte beginn ich ich folgte dem Ritter;
An jenem Tage hat Rostewan ergrimmt nicht einen empfangen.
Morgens erhob er sich mißmutig, und sein Antlitz spie Feuer,
Er befahl, den Wesir zu: rufen, der ängstlich erzittert.

805
Als er ihn ansah, der den Palast ehrfürchtig beitreten,
Sprach zu ihm Rostewan: „Ich habe vergessen, was du gesagt hast.
Ja, du hast mich erzürnt, doch fand ich lang keine Ruhe,
Weil ich dich, mein herzlich geliebter Wesir, so beschimpft hab.

806
Denkst du vielleicht daran, weshalb ich so schlecht dich behandelt?
Wahr haben Weise gesprochen: «Der Zorn ist die Wurzel des Übels.»
Tu bitte das nie wieder, bedenk doch erst immer die Sache,
Wiederhol deine Worte, künde mir, was du mir sagtest.“

807
Wiederum trug der Wesir ihm vor seine gestrige Rede.
Jener, als er sie hörte; gab ihm gleich drauf die Antwort:
„Hielt ich dich nicht für wahnsinnig, wollt ich Jud Levi nur heißen!
Laß mich das nie wieder hören, sonst werd ich auf dich ganz verzichten.“

808
Draußen sucht der Wesir, er fand aber nirgends den Ritter.
Wohl berichteten ihm von der Abfahrt die weinenden Diener.
„In den Palast geh ich nicht, ich denk an vergangene Tage.
Sage es ihm, wer das wagt, ich bereu schon das früher Gesagte.“

809
Da der Wesir nicht eintrat, schickte der König nach andern,
Jeder blieb draußen stehn, keiner wagt von der Ausfahrt zu sprechen.
Rostewan schöpfte Verdacht, der Kummer zermürbte ihn völlig;
Zweifellos ging er heimlich, der allein Hunderte schädigt.

810
Mit gesenktem Haupt grübelt’ er schrecklich bekümmert.
Seufzte und blickte nach oben, „Geh hin“, befahl er dem Diener,
„Er soll kommen, berichten, dieser untreue Falsche!“
Als der Wesir dann eintrat, ward er blaß und verängstigt.

811
Wiederum kam der Wesir ins Gemach, betrübt und recht mürrisch.
„Schwand denn die Sonne gleich wie der Mond hier?“ fragte der König.
Er berichtete ihm, wie heimlich der Ritter grad fortzog:
„Unsre Sonne leuchtet uns nicht mehr, uns grollt auch das Wetter.“

812
Als das der König vernahm, da schrie er voll Wehmut entsetzlich:
„O du mein Zögling, dich sehn meine Augen gewißlich nie wieder!“
Er zerkratzte sich, raufte den Bart, zum Erstaunen der Freunde
„Wo gingst du hin, deiner Augen Lichtsäule, wohin entschwand sie?

813
Wenn du so bleibst, wie du warst, bist du auch in der Fremde nie einsam;
Was soll ich tun, mein Zögling? Mir bleibt nur die Klause als Wohnstatt!
Du hast mich einsam gemacht, mein Herz, o weh, es verlangt dich!
Kein Wort vermag mein Leid zu bekennen, bis ich dich sehe.

814
Wann werd ich dich erblicken, der froh und frisch von der Jagd kommt?
Nie mehr sehe ich deinen Edelstein-Körper beim Ballspiel,
Werd deine strahlende Stimme nicht hören welch herrlicher Klang einst!
Was soll nur ich Unseliger mit dem Palast und dem Thron tun?

815
Daß du nicht Hungers stirbst, weiß ich, wie lang du auch künftig umherziehst
Dich wird dein Bogen, werden die spitzen Pfeile ernähren,
Möge der gnädige Gott dein schweres Leid dir erleichtern!
Aber wenn ich nun sterbe, mein Zögling, wer soll mich beweinen?“

816
Laut ertönte sein Wehklagen, Menschen liefen zusammen,
Hofleute drängten sich im Palast, sie zerzausten die Bärte.
Alle schlugen aufs Haupt sich, man hörte weithin das Klatschen:
„Jetzt bleibt uns Armen nur Dunkelheit, da uns die Sonne entschwunden.“

817
Als der König die Vornehmen sah, da weinte er seufzend;
„seht, unsre Sonne hat uns ihr Licht ganz entzogen,“ sagt’ er.
„Womit kränkten wir ihn, warum hat er uns denn nur verlassen?
Wer hält die Mannen uns nun zusammen, wer tut es, ja, wie denn?“

818
Alle weinten, wehklagten, spät überkam sie erst Ruhe.
Ob er allein ging oder mit Dienern, fragte der König.
Da kam Schermadin, sein Gefolgsmann, schüchtern, bescheiden,
Reicht’ ihm des Ritters Vermächtnis, er weinte, was war nun sein Leben?

819
„In seinem Schlafgemach fand ich dies Handschreiben,“ sagt’ er;
„Ringsumher weinten die Diener, sie rauften sich Haare und Bärte;
Ganz allein zog er heimlich fort, ohne Junge und Alte.
Wenn ihr mich tötet, dann habt ihr recht, da ich unziemlich lebe.“

820
Als sie das Testament lasen, weinten sie wiederum lange;
Dann sprach der König: „Lichte Gewänder verbiet ich den Mannen!
Kranke, Waisen und Witwen und andere solln für ihn beten!
Wir wolln ihm beistehn, möge Gott Wege des Heiles ihm schenken!“

AWTANDILS AUFBRUCH, UM TARIEL WIEDER ZU BEGEGNEN

821
Wenn der Mond der Sonne entrückt ist, leuchtet er lichter,
Wenn er ihr naht, verbrennt ihr. das Licht, so scheidet er von ihr,
Aber die Rose wird ohne die Sonne vertrocknen und farblos,
Daß man die Liebste nicht sieht, erneuert das Leid und die Schmerzen.

822
Ich beginn die Geschichte von der Ausfahrt des Ritters.
Er zieht bitterlich weinend dahin, er weint nicht wenige Tränen;
Immerfort dreht er sich um, mög die Sonne Sonne ihm werden!
Er schaute hin, kehrt’ die Augen er ab, ward er bewußtlos.

823
War er der Ohnmacht nah, dann konnt’ er die Zunge nicht regen,
Tränen entströmten den Augen, so starr wie das Strömen des Tigris,
Manchmal wandt’ er sich suchend um, sein Leid sich zu lindern.
Ritt er weiter, wußte er nicht, wohin ihn sein Roß trug.

824
„O meine Liebste, verdammt ist, wer von dir je wird schweigen,
Weil mein Verstand einst bei dir blieb, soll mein Herz auch zurückkehrn,
Meine weinenden Augen ersehnen, begehrn dich zu sehen.
Schön ists, je mehr der Minnende sich der Geliebten ergeben!

825
Was soll ich treiben, bis ich dich wiederseh, was wird mich freuen?
Ich hätt mirs Leben genommen, dächt ich nicht, daß ich dich schmerzte,
Kummer würde dir doch mein Tod in der Fremde bereiten,
So will ich leben als Lebender, Tränenbäche dir weihen!“

826
„Sonne,“ sagt er, „die man dich Abbild der sonnigen Nacht nennt,
Abbild des Dreieinigen, zeitlos in Zeiten anwesend,
Der die Himmelskörper gehorchen bis auf ein Jota des Zeitblicks,
Wende von mir das Glück nicht, bet’ für mich, bis wir uns treffen!

827
Du, die frühere Denker Gottes Ebenbild nennen,
Hilf dem Gefangenen etwas, Ketten fesseln mich, Eisen!
Ich, der Kristall und Rubin sucht, verlor auch Achat und Emaille;
Früher konnt’ ich die Näh’ nicht ertragen, jetzt die Entfernung.“

828
Solches klagt’ er, verbrannte und schmolz dahin wie die Kerze.
Eine Verspätung befürchtend, beeilte er sich und ritt vorwärts;
Wenn die Nacht anbrach, erfreute er sich am Aufgang der Sterne,
Er verglich sie mit ihr, schaut’ sie an und redet mit ihnen.

829
Er spricht zum Monde: „Schwöre im Namen jetzt deines Gottes!
Du läßt die Liebenden an der Liebe untröstlich erkranken,
Du hast allzeit das Heilmittel, sie mit Geduld zu ertragen,
Bitte für mich um ein Wiedersehn, welches schön und dir gleich ist!“

830
Freudig stimmte die Nacht ihn, die untergehende Sonne,
Sah einen Fluß er, stieg er ab und sah auf die Wellen,
Mengte ins Wasser hinein die Flut seiner blutigen Tränen,
Wiederum zog er weiter, um eilig den Weg zu beenden.

831
Wiederum klagte er, an Gestalt einem Pappelbaum gleichend.
Wo ein Felsengelände, da schoß er die fliehende Gemse.
Sie briet das Sonnenantlitz, aß davon, Mars auch in. Herzen.
„Weh mir, ich habe die Rosen verlassen, nun blühn mir nur Veilchen!“

832
Ich vermag es nicht wiederzugeben, was er gesagt hat,
Als er den Weg zog, was an den Reden vielfarbig und schön war.
Manchesmal färbt die von Nägeln zerkratzte Wange den Schnee rot.
Da erblickt er die Höhlen, freudig gelangt er zum Eingang.

833
Als Asmat ihn sah, da kam sie mit tropfenden Tränen,
Wie hat sie sich da gefreut, sie konnte es gar nicht begreifen.
Abstieg der Ritter, umarmte sie innig, spricht mit ihr, küßt sie;
Wenn ein Mensch einen andern erwartet, erfreut ihn die Ankunft.

834
„Wo ist der Herr und wie gehts ihm?“ fragt der Ritter Asmat gleich;
Tränen weinte die Jungfrau, die in das Meer münden könnten.
„Als du fortgingst“, sagt” sie, „brach auch er aus der Höhle.
Nun weiß ich nichts mehr von ihm, vom Sehen nicht, auch nicht vom Hören.“

835
Da war der Ritter betrübt, als hätte ein Speer ihn getroffen:
„Siehe, Schwester“, sprach er, „er ist für die Welt doch zu schade!
Er brach den Schwur, ich betrog ihn nicht, warum denn er mich?
Konnte sein Wort er nicht halten, warum versprach ers und hielts nicht?

836
Weil das Leben für mich nun einer vertrockneten Frucht gleicht,
Warum vergaß er mich, konnt’ er nicht ausharrn, als es ihm schwer ward?
Warum hat er den Eidbruch gewagt, was trieb ihn dazu denn?
Aber was sollte mich bei meinem unguten Los auch verwundern?“

837
Wiederum sagte die Jungfrau: „Du beschwerst dich mit Recht jetzt,
Urteil ich über die Worte, ich rede dir nicht nach dem Munde:
Braucht man denn nicht ein Herz, einen Schwur, das Versprechen zu halten?
Er aber, ohne Herz, erhofft, daß sein Leben bald endet.

838
Herz, Vernunft und Verstand bedingen innig einander;
Schwindet das Herz, verschwindet damit alsbald auch das Andre;
Aber ein Mensch ohne Herz ist kein Mensch, er wird rasch vereinsamt.
Du erlebtest es nicht, welch Feuer ihn immer verzehrte.

839
Du bist mit Recht unzufrieden mit deinem verschworenen Bruder,
Kann ich es dir als Vernünftigem sagen, wies ihm ergangen?
Abwetzen wird sich die Zunge, ein schmerzendes Herz wieder schmerzen,
Ich mein das deshalb, weil ich es sah, ich unselig Geborne.

840
Von diesem lästigen Leiden vernahm bisher keiner noch etwas;
Diese Schmerzensqual kann nicht nur Menschen, auch Steine entsetzen,
Für den Tigris reichen die Tränen aus, die ihm entströmen.
In jedem Krieg eines Andern ist jeder Fremde ein Weiser.

841
Ich fragte ihn, der fortzog, den flammend in Feuer Gehüllten:
«Was soll ich tun, wenn Awtandil kommt, bitte gib mir die Weisung!»
«Er soll mich suchen», sprach er, «den ihm entschwundenen Recken.
Ich verlasse die Gegenden nicht, wie ich versprach einst.

842
Treulos werd’ ich nicht handeln, ich werde den Eidschwur nicht brechen,
Auf das Wiedersehn wart ich, wein ich auch Bäche von Tränen;
Wenn er mich tot auffindet, soll er mich weinend begraben!
Wenn er mich lebend findet, soll er mein Leben bestaunen.»

843
Seit jenen Stunden trennte die Sonne sich nicht von dem Bergkamm;
Tränen vergieße ich nur noch, wenn sie die Täler benetzen.
Mich, die Rasende, plagen die unaufhörlichen Seufzer,
Mich hat der Tod vergessen, seht das Werk meines Schicksals!

844
Dieser wahre Satz steht auf Stein geschrieben in China:
«Wer einen Freund nicht sucht, der lebt mit sich selber in Feindschaft.»
Nun wird zum Safran, dem früher Rose und Veilchen nicht gleichkam:
Willst du ihn finden, suche ihn, tue stets das, was dir recht scheint.“

845
Drauf der Ritter: „Recht hast du, daß du mich jetzo mißbilligst;
Urteil, was ich als Gefangner getan hab für den Gefangnen:
Meinem Hause bin ich entflohn, wie ein Hirsch sucht nach Wasser.
Ich suche ihn, gedenk seiner, wo ich in der Fremde auch hinzieh.

846
Sie, die Kristall und Perlmutt umgeben, rubinfarbne Perlen,
Diese verließ ich, ich konnte in ihrer Nähe nicht bleiben,
Durch meine heimliche Ausfahrt erzürnt ich die gottgleichen Herrscher,
Als Vergeltung für ihre Gnaden bracht’ ich ihnen nun Kummer.

847
Ja, mein Herr und Meister, mit Lebensfülle begnadet,
Väterlich, sanft und barmherzig, ein gnadenschneiender Himmel,
Dem war ich untreu, ging fort, vergaß alles, was mir einst lieb war.
Da ich vor jenen gesündigt, erwarte von Gott ich nichts Gutes.

848
Ali das zog ich mir zu, Schwester, durch sein verwunschenes Schicksal,
Ich hab das Wort nicht gebrochen, ich zog am Tag und die Nacht durch;
Nun ging er irgendwohin fort, der, dessen Feuer mich auffrißt,
Weinend sitz ich vergeblich bemüht mit verfinstertem Antlitz.

849
Schwester, die Zeit und die Stunde erlauben mir nicht mehr zu reden.
Ich bedauere nicht, was geschah, ich leb nach den Weisen;
Ich werd ihn suchen, ich find ihn oder ich sterbe vorzeitig.
Für mich entscheidet das Schicksal, was soll ich noch wagen zu sagen?“

850
Mehr nicht sprach er, begann zu weinen, zog schließlich vondannen,
Ritt an der Höhle vorbei, übern Strom, durchs Röhricht aufs Feld raus.
Der von den Feldern her wehte, der Wind ließ die Rose erfrieren.
„Warum lieferst du mich diesem Leid aus?“ fragt er das Schicksal.

851
„Gott, was hab ich gesündigt vor Dir, mit dem sorgenden Herzen?
Warum trenntest Du mich von Freunden, gabst Du dies Los mir?
Ich, der Eine, der ich an zwei denk, geriet ins Verderben.
Sterb ich, bedaure ichs nicht, mein Blut kommt auf meiner Nacken.

852
Auf mein Herz warf der Freund Rosenbündel, verwundend.
Dem ich treulich erfüllte, den Schwur, erfüllte er mir nicht!
Trennst du von ihm mich, Welt, entschwindet all meine Freude.
Meine Augen solln einen Ändern verschmähen, verspotten.“

853
Drauf erwidernd: „Mich wundert der Kummer des wissenden Mannes:
Ist er traurig, hilft denn der Strom eines Tränenbads weiter?
Besser ists, zu überlegen, eine fruchtbare Sache ersinnen,
Besser ists auch die Sonne, die Schilfrohrgleiche, zu suchen.“

854
Fort ritt der Ritter um jenen zu suchen, Tränen vergießend,
Sucht ihn, ruft ihn, ausdauernd Tage und Nächte durchwachend,
Streift in drei Tagen durch Schluchten, Schilfrohrdickicht und Wälder,
Konnte ihn aber nicht finden, er ritt ohne Kunde, bekümmert.

855
„Gott, was hab ich gesündigt, welch Ärgernis Dir denn bereitet?
Warum hast Du mir dieses Los nun als Strafe verordnet?
Richter, o richte mich und erhör gnädig mein inständig Flehen!
Kürze mir meine Tage, verwandle mein Leid nun in Freude!“

AWTANDIL FINDET TARIEL

856
So sprach sinnend im Gehn der verblaßte, weinende Ritter.
Er überstieg einen Bergkamm, sah sonnige, schattige Felder.
Plötzlich sah er den schwarzen Rappen am Rande des Röhrichts.
„Er ists bestimmt, da gibts keinen Zweifell“ rief da der Treue.

857
Als er ihn sah, da klopfte sein Herz und ward sogleich heller;
Ihm ward die Freude vertausendfacht, nicht nur verzehnfacht.
Hell leuchtet nun die Rose, Kristall ward wieder Kristall jetzt.
Wie ein Wirbelwind fliegt er dahin, er konnte nicht weilen.

858
Als er Tariel sah, überfiel ihn jählings jetzt Trauer;
Nahe dem Tode saß jener und hatte das Antlitz verzogen;
Seinen Kragen zerriß er, raufte sich schrecklich die Haare,
Völlig abwesend war er, wie aus der Welt rausgeschleudert.

859
Auf einer Seite lag ein getöteter Löwe, ein Blutschwert,
Tot auf der andern ein Panther, jäh auf die Erde geschmettert;
Aus seinen Augen flossen ihm Tränen, gleich einem Bergquell.
Das entzündete seinem Herzen ein loderndes Feuer.

860
Er wollt’ die Augen nicht öffnen, hat die Besinnung verloren,
Nahe dem Tode löste er sich von der Kette der Leiden.
Awtandil ruft ihn beim Namen, versucht ihn mit Worten zu wecken;
Alles umsonst! Er stieg ab, gibt Bruderschaft nun seinem Bruder.

861
Mit der Hand wischt er Tränen ihm ab, mit dem Ärmel die Augen,
Neben ihm sitzt, ruft ihn an, er nennt seiner Namen;
„Kennst du mich, Awtandil, nicht mehr, der für dich ruhlos umherschweift?“
Jener versteht nicht viel, seine Augen starrn wie bewußtlos.

862
Alles dieses geschah so, wie ich es dir hier erzähle.
Tränen wischt’ er ihm ab, das brachte ihm etwas Besinnung.
Dann erst erkannte er ihn, umarmte ihn, küßt’ ihn als Bruder.
Gott ruf ich an als lebendigen Zeugen, daß keiner da gleichkommt!

863
„Bruder,“ sagt er zu ihm, „ich hab dir mein Wort nicht gebrochen,
Ungetrennt von meiner Seele sah ich dich jetzt, meinem Eid treu.“
Laß mich, wein ich auch bis zum Tode, schlage aufs Haupt mich.
Dich bitt ich um ein Grab, daß ich wilden Tieren kein Fraß werd.“

864
Awtandil drauf: „Was ist mit dir: Was treibst du so Übles?
Wer noch niemals geliebt hat, wen brennt diese Glut nicht?
Wer aus dem Menschengeschlecht hat wie du je so gräßlich gehandelt?
Warum verfielst du dem Satan? Warum spielst du mit Selbstmord?

865
Bist du ein Weiser? Das war noch stets der Beschluß aller Weisen:
Mannhaft sollte ein Mann sein, je seltner er weint, desto besser!
In der Not soll so standhaft man stehen wie eine Mauer!
Sein Verstand stürzt den Menschen in Leid und in Nöte.

866
Du bist ein Weiser und weißt nicht zu handeln, wie Weise dir raten.
Auf dem Felde weinst du bei wilden Tieren, was wünschst du?
Sie, für die du dahinstirbst, verlierst du, stirbst du der Welt ab.
Warum verbindst du das heile Haupt, verwundst du die Wunde?

867
Wer hat noch niemals geliebt, ach wen umgab diese Glut nie?
Wer erlitt Leid nie und Lasten, hat nicht für jemand geschmachtet?
Sag mir, was Beispielloses geschehn ist, warum vergehst du?
Weißt du nicht, daß noch nie einer dornlose Rosen gepflückt hat?

868
Einst ward die Rose gefragt: «Wer schuf deine schöne Gestalt dir?
Warum hast du Stacheln, bist du nur schwer zu ergreifen?»
Sie sprach: «Zum Süßen kommt man durchs Bittre, das Beste ist selten.
Ist das Schöne häufiger, gilt’s wie verhutzelte Früchte.»

869
Wenn die Pose das sagt, die keine Seele, kein Fleisch hat,
Wer sollte Freude dann ernten ohne redliche Mühe?
Wer hat gehört, daß das, was vom Bösen, vom Teufel kommt, gut ist?
Warum grollst du der Welt, was tat sie dir so Unerhörtes?

870
Hör auf mein Wort und schwing dich aufs Roß, wir reiten in Ruhe,
Folge nicht deiner eigenen Meinung, nur deinen Entschlüssen,
Tue, was du nicht willst, und folg nicht dem Trieb deiner Wünsche,
Wärs so nicht besser, hätt ich geschwiegen, denk nicht, ich heuchle!“

871
Er drauf: „Mein Bruder, was sag ich, ich kann kaum die Zunge bewegen,
Ich, dem Wahne verfallen, kann dich nicht richtig verstehen;
Warum erscheint es dir leicht, meine Qualen geduldig zu leiden?
Nun bin dem Tode ich nah, die Zeit der Freude rückt näher.

872
Sterbend bete ich still, nie bitt ich drum laut mit der Zunge:
Mögen wir, die wir hier liebend getrennt sind, dort uns vereinen,
Mögen wir uns dort wiedersehn, uns dann ein wenig erfreuen,
Kommt, ihr Freunde, begrabt mich, schüttet auf mich jetzt nur Erde!

873
Wie sollt ein Liebender seine Liebste nicht suchen, verzichten?
Ich komme freudig zu ihr, dann kommt sie mir auch entgegen,
Ich eile ihr und sie mir entgegen, sie weint und auch ich wein.
Hundert befrage, doch folg deinem Herzen, was man auch rate!

874
Das sollst gewißlich du wissen, ich kündge dir lauter das Wahre:
Mich hat der Tod, ach, nur eine Weile noch werde ich leben.
Lebte ich nicht, was hättst du davon und lebt’ ich, was nützt dirs?
In Elemente zerfallen gehör ich dem Reiche der Geister!

875
Was du gesagt hast, versteh ich nicht, hab keine Zeit es zu hören,
Rasend hat mich der Tod, das Leben währt mir nur kurz noch,
Sinnlos ist mir die Welt jetzt, mehr als sies jemals gewesen,
Ich gehe ein in die Erde, in die meine Tränen versickern.

876
Bin ich ein Weiser? Welch Weiser! Ist je ein Rasender weise?
Dieses Gespräch wäre sinnvoll, wäre ich gänzlich bei Sinnen.
Ohne Sonne kann keine Rose sein, ist sies, dann welkt sie;
Du tust mir weh, verlaß mich, ich kann es nicht mehr ertragen.“

877
Wiederum spricht zu ihm Awtandil auf vielfältige Weise,
Sagt zu ihm: „Stirbst du, was hast du durch deine unguten Worte?
Tus nicht, nicht gut ists! Handle nicht wie ein Feind an dir selber!“
Er konnte ihn nicht erwecken, mit keinem Worte vermocht’ ers.

878
Dann sagt er Tariel: „Nun, da du gar nicht auf meinen Rat hörst,
Schweige ich künftig, da meine Zunge umsonst sich bemüht hat.
Ist dir der Tod lieber, stirb, laß die Rose wie manche auch welken!
Aber um eins, mir zuliebe, bitt ich dich“Tränen vergoß er.

879
„Da die Inder Kristall und die Rose achaten umpfählen,
Ging ich fort von ihr, zog eilends, nicht langsam zu dir hin;
Selbst mit Vaterworten konnt’ mich der König nicht halten,
Mit mir einst du dich nicht, verstößt mich, ist das meine Freude?

880
Schick mich nicht fort mit zerschlagenem Herzen, erfüll meinen Wunsch mir:
Steige doch einmal aufs Roß, ich seh meinen Quälgeist dann reiten,
Ob ich mir dann wohl meinen jetzigen Kummer vertreibe?
Dann geh ich fort, verlaß dich, laß es zum Ruhm dir gereichen!“

881
Sich aufs Roß zu schwingen, erbat er, verachtfacht sein Flehen,
Denn er wußte gewiß, das Reiten vertreibt seinen Kummer,
Werde das Bambusrohr biegen, achatene Zelte aufschlagen,
Er gehorcht’, das vergnügt ihn, das Klagen und Jammern verging nun.

882
Offen sprach jener zu ihm: „Ich sitz auf, bitte führ mir das Roß vor!“
Er führts ihm vor, ließ ihn aufsitzen, er ließ ihn nicht keuchen vor Eile.
Zu den Feldern führt er ihn, schön bewegt er den Körper.
Eine Weile ritten sie, Beßrung bracht’ ihm das Reiten.

883
Er unterhält sich mit ihm und spricht zu ihm liebreiche Worte,
Er bewegte für ihn die korallenfarbenen Lippen,
Das schon würde die alten Ohrn eines Hörers verjüngen;
Jener befreit sich vom Kummer, ihm kam wieder Kraft zum Erdulden.

884
Als er, das kummervertreibende Mittel, Beßrung bemerkte,
Strahlte sein Rosenantlitz unvergleichliche Freude
Arzt der Vernünftgen, dem Unvernünftige Kummer bereiten;
Tariel sprach jetzt vernünftig zu ihm, er, der töricht geredet.

885
Sie unterhielten sich etwas, Awtandil sagte ihm offen:
„Eines sage ich dir, offenbar mir, was du verborgen:
Dieses Armband von jener, von der du die Wunden empfangen,
Ist es dir lieb, dir teuer? Sprich, und dann bin ich beruhigt.“

886
Tariels Antwort: „Was soll ich zum Unvergleichlichen sagen?
Das ist mein Dasein, das mir Seufzen und Klagen bereitet,
Besser als alle Welt, als Wasser, die Erde, die Bäume,
Hören, was man nicht hören will, das ist saurer als Säure.“

887
Awtandil sagte zu ihm: „Das wollte ich grad von dir hören!
Nun, da dus sagtest, antwort ich dir, ich will dir nicht schmeicheln,
Daß du Asmat nicht verlierst, ist mehr wert als dieses Armband,
Drum lob ich dein Verhalten nicht, deine Wall dieses Mindern.

888
Du trägst ein goldenes Armband, das ein Goldschmied gefertigt,
Ohne Leib ists, ohne Seele, es redet und denkt nicht;
Unnütz scheint dir zur Zeit Asmat entscheide gerecht jetzt!
Die erst bei jener geweilt, dann du zur Schwester erwähltest.

889
Die zwischen euch das Band knüpfte, daß du sie Schwester genannt hast —
Jene, die euch vereint, die du deiner Begleitung gewürdigt;
Ihre Erziehrin, ihr Zögling, die für sie wahnsinnig wurde,
Du verließt sie, willst sie nicht sehen welch huldreiches Urteil!“

890
Jener sagte: „Was du da sagst, ist vollkommen richtig:
ich bedaure Asmat, die an jene denkt, aber mich anschaut,
Du bist zur richtigen Zeit gekommen, mein Feuer zu löschen,
Da ich, noch nicht genesen, am Leben blieb, komm nur, wir sehn sie.“

891
Tariel folgte. Awtandil und der Amirbar gingen.
Preisen kann ich sie nicht, mein Wort stockt, sollt’ ich sie preisen:
Zähne gleich Perlen, Lippen gleich der entfalteten Rose.
Süßredend lockt eine Zunge die Schlange aus ihrem Versteck vor.

892
Er sprach: „Für dich will ich meinen Verstand, meine Seele aufopfern,
Aber auch du halt dich recht, verwund nicht von neuem die Wunde;
Nichts nützt dir deine Gelehrtheit, handelst du nicht wie die Weisen.
Brauchst du verborgene Schätze, wenn du sie niemals verwendetst?

893
Kümmernis hilft dir nichts, was nützt dirs, wenn du dich grämtest?
Weißt du nicht, daß kein Mensch ohne die Vorsehung scheidet?
Sonne erwartend, wird die Rose drei Tage nicht welken.
Wagnis gehört auch zum Glück, den Sieg, so Gott will, den erlangst du.“

894
Jener darauf: „Diese Lehre ist mir eine ganze Welt wert,
Weise lieben den Lehrer, Toren sticht er ins Herz tief.
Was aber soll ich tun, wie ertrag ichs, wenn ich so leide?
Du auch hast ähnliche Schmerzen, gibst du mir etwa da Unrecht?

895
Feuersglut spricht aufs Wachs an, deshalb fängt es rasch Feuer.
Mit dem Wasser hats nichts gen:ein, das lischt gleich die Flamme;
Wies einem selber ergeht, denkt man, sei auch für andere tauglich;
Konntst dus von Anfang an wissen, wie mein Herz rasch dahinschmilzt?“

TARIELS ERZÄHLUNG, WIE ER DEN LÖWEN UND DEN PANTHER ERSCHLAGEN

896
„Ich berichte ausführlich, wies mir kürzlich ergangen,
Dann fäll mit deinem weisen Herzen ein treffendes Urteil;
Ich erwartete dich, durchs Warten auf dich ward ich elend,
Ich ertrugs nicht mehr in der Höhle und ritt aus zu Pferde.

897
Ich bestieg jenen Berg, nachdem ich das Dickicht durchquerte;
Löwe und Panther trafen einander, sie kamen zusammen,
Liebenden schienen sie ähnlich zu sein, ihr Anblick erfreute,
Was sie einander antaten, das entsetzte mich staunend.

898
Erst warn sie liebevoll miteinander, dann stritten sie heftig,
Je ein Hieb mit den Tatzen ersparte ihnen den Tod nicht.
Diese Pantherin ließ ihr Herz weichen, wies Weiber üben!
Heftig verfolgte der Löwe sie, keiner konnte ihn halten.

899
Ich verwarf des Löwen Verhalten: «Du bist wohl von Sinnen?
Warum verletzt du deine Geliebte, Mann du, pfui schäm dich!»
Mit gezücktem Säbel sprang ich auf ihn und durchbohrt’ ihn,
Gab einen Hieb auf den Kopf ihm und erlöst’ ihn vom Weltleid.

900
Ich warf den Säbel weg, mit der Hand die Pantherin fangend;
Ihretwegen, die mich mit Feuer brennt, wollt ich sie küssen,
Aber sie knurrte mich an, sie schlug mich mit blutigen Krallen,
Doch das ertrug ich nicht und erschlug sie rasenden Herzens.

901
Ich versuchte die Pantherin zu besänftgen, ich konnts nicht,
Da ward ich zornig, schwang in die Luft sie, warf sie zur Erde.
Da gedacht’ ich des Augenblicks, eines Streits mit der Liebsten;
Daß ich am Leben blieb, wunderst du dich, wenn ich Tränen vergieße?

902
Nun, mein Bruder, erzählt hab ich doch den Grund meiner Trübsal,
Ich sollte nicht mehr leben, staunst du, daß so ich geworden?
Ich bin vom Leben getrennt, auch der Tod ist mir schwer zu gewinnen.“
Seine Rede endet’ der Recke, er seufzte und weinte.

903
Awtandil weinte mit ihm, er vergoß viel bittere Tränen;
Er sprach: „Dulde, stirb nicht, bedecke dein Herz nicht mit Wunden!
Gott ist den Leidenden gnädig, doch hat dich der Kummer getroffen,
Wollt er euch trennen, hätt er euch doch zuerst nicht verbunden.

904
Mißgeschicke begleiten den Minnenden, das schafft ihm Qualen,
Aber das bringt dem Freude, der zuerst Nöte erduldet;
Minne verursacht Leiden, drum bringt sie uns immer dem Tod nah,
Wissende macht sie rasend und Unwissende wissend.“

TARIELS UND AWTANDILS ANKUNFT IN DER HÖHLE UND WIEDERSEHEN MIT ASMAT

905
Weinend zogen sie weiter, begaben sich gleich in die Höhle,
Als Asmat sie erblickte, ergriff sie herzliche Freude!
Weinend kam sie zu ihnen, Tränen furchten die Felsen,
Beide küßten sie, weinten, erregt waren ihre Gemüter.

906
Da sprach Asmat: „Gott, du mit Menschenwort unaussprechbar!
Du bist die Fülle von allem, wie die Sonne erstrahlst du;
Wollt ich dich preisen, würdig kann dich kein Menschenwort rühmen!
Ruhm sei dir, da du mich nicht getötet, um dieser hier willen!“

907
Tariel sagte: „O Schwester, deswegen vergieß ich hier Tränen,
Weil die Welt dafür, daß je wir gelacht, uns läßt weinen.
Das ist ein altes Weltgesetz, das wir nicht jetzt erst erfuhren.
Ich bedaure dich, Schwester, doch mir ist der Tod eine Freude!

908
Wer nicht vom Irrsinn befallen, verschüttet durstig kein Wasser,
Deshalb staun ich, warum meine Augen von Tränen benetzt sind!
Trockenheit tötet sie, während nie trocknende Tränen sie feuchten.
Die gespaltene Rose, die Reihe der Perlen entschwanden.“

909
Awtandil dachte auch an seine Liebste, die Sonne,
Sagte: „O du Meine, wie wird mir sein, wenn ich ohne dich atme?
Da ich in deiner Nähe nicht bin, leide ich an meinem Leben,
Möchte doch einer dir sagen, welch glühendes Feuer mich auffrißt!

910
Kann eine Rose denn meinen, daß sie nicht welkt ohne Sonne?
Oder, o weh, was geschieht, wenn die Sonne versinkt hinter Hügeln?
O mein Herz, es ist besser, wenn du dich völlig zu Fels machst,
Ists dir beschieden, sie wiederzusehn, dann gib nicht den Geist auf!“

911
Sie warn beruhigt, schwiegen, beide von Feuer umfangen;
Beiden folgte Asmat, sie trat ein, entflammt wie die Ritter,
Breitete ihnen ein Pantherfell aus, wies seither schon üblich;
Beide ließen darauf sich nieder und sprachen behaglich.

912
Fleischstücke brieten sie sich, es begann ein zeitgerecht Gastmahl.
Ohne Brot gabs ein Abendmahl, allzuviel Schalen die gabs nicht.
Tariel baten sie: „Iß doch!“, doch fehlte die Kraft ihm zum Essen,
Mühsam kaute er, schleudert’ den Bissen weg, konnt ihn nicht schlucken.

913
Es ist schön, wenn ein Mensch zum andern ihn Freuendes redet,
Jener nimmt auf, was er sagt, seine Worte gehn nicht ins Leere.
So löscht er jenem ein wenig den Brand, wenn er auch hell brennt,
Herzlich erfreut es, von Leiden zu reden, wenns an der Zeit ist.

914
Jene Nacht verbrachten die Löwen, die Helden, zusammen.
Sie besprachen sich, sie offenbarten sich frei ihre Leiden.
Als es tagte, begannen sie wieder ihre Gespräche;
Wieder erneuerten sie den Schwur, den sie früher schon schworen.

915
Tariel sagte zu ihm: „Was bedarfs denn hier vieler Worte?
Was du für mich getan hast, Gott wird diese Schuld dir vergelten;
Schwur bleibt Schwur, er ward nicht von Trunknen geschworen;
Keiner vergißt den Freund, die Freundschaft des Freundes, der fortzieht.

916
Nun erbarme dich meiner, verbrenn mich mit heißerer Glut richt;
Das mich umfangende Feuer ist nicht am Stahle entzündet,
Du löschst es nicht, auch du brennst nach der Gesetzen des Weltlaufs.
Geh, dorthin kehr zurück, wo deine Sonne sich aufhält.

917
Dem selbst, der mich schuf, erscheints wohl schwer mich zu heilen,
Höret, die ihrs begreift, weshalb ich ins Weite geflohen;
Was den Vernünftigen obliegt, habe ich früher geleistet.
Jetzt befällt mich der Wahnsinn, so leb ich nun immer im Wahnsinn.“

918
Awtandil drauf: „Was soll ich wohl deinen Worten erwidern?
Du hast selber das Wort eines großen Weisen gesprochen:
Wie sollte Gott eine Wunde nicht wieder zu heilen vermögen?
Er ist es doch, der alles Gepflanzte, Gesäte gedeihn läßt.

919
Warum hätt Gott das getan, auch Menschen, wie sie sind geschaffen,
Nicht mehr vereint, getrennt, stets rasend in Strömen von Tränen.
Liebende sind von Gefahren umfangen, merkt euch das gründlich,
Kommt ihr niemals zusammen, ziehts aus dem Leib mir die Seele!

920
Was ist ein Mann? Ein Mensch ists, der allen Nöten gewachsen!
Warum den Nöten sich beugen, bedarf es dazu vieler Worte?
Fürchte dich richt, Gott ist gnädig, obwohl die Welt immer knausert.
Laß dich von mir belehren, Esel nur sind unbelehrbar.

921
Wenn du was hörst, begreif es, die Lehre genügt zur Belehrung.
Von meiner Sonne erbat ich Erlaubnis, euch zu besuchen,
Ich sagte ihr: «Obgleich er mein Herz mir in Asche verwandelt,
Kann ich nicht bleiben, ohne ihm etwas zu nützen, ach, Worte!»

922
Sie sprach zu mir: «Ich dank dir, du bist tapfer und mannhaft,
Was du für ihn bewirkst, seh ich an als für mich auch geleistet.»
Nach dieser Weisung ging ich nicht wie ein Trunkner, Berauschter,
Was soll ich sagen, wenn ich zurückkehr — ein lastscheuer Feigling?

923
Das ist besser als deine Worte, hör mich nur treu an:
Wer eine seltene Tat vollbringt, muß sie vorher bedenken;
Keine Frucht bringt die Rose, die ohne Sonne vertrocknet.
Nützt du dir selber nichts, dann nütz ich als Bruder dem Bruder!

924
Weile da, wo du willst in der treuen Art deines Daseins,
Willst dus mit weisem Herzen, willst dus mit hitzigen Sinnen,
Mit deiner liebreichen Art, dem schönen Wuchs der Gestalt auch,
Stärke dich, stirb nicht, schmilz nicht dahin durch den Brand eines Feuers!

925
Nicht um mehr bitte ich: Genau nach dem Lauf eines Jahres
Sollst du mich hier in der Höhle — ich sammele Nachrichten treffen — ;
Diese Jahreszeit geb ich als Zeichen: die Zeit ists der Rosen,
Siehst du die Rosen, sie solln dich erregen, wie wenn ein Hund bellt.

926
Überschreit ich die Zeit und komme nicht mehr in die Höhle,
Wisse, daß ich wohl nicht mehr lebe, ich sicherlich tot bin.
Als ein Zeugnis genügts, wenn du Tränen um mich vergießest,
Dann, willst dus, freue dich, wenn dus willst, vermehr deinen Kummer.

927
Ist es denn möglich, daß über das, was ich sagte, du trauerst?
Ich gehe fort und weiß richt, ob Rosse, ob Schiffe mich töten;
Nein, das Verschweigen taugt nichts, weil ich kein wortloses Vieh bin,
Was der sich drehende Himmel mir künftig bereitet, ich weiß nicht.“

928
Tariel drauf: „Ich will dich mit vielem Gerede nicht langweiln,
Du hörst mir doch nicht zu, auch wenn ich viel Worte dir mache;
Wenn dein Freund dir nicht folgt, so folge du ihm getreulich.
Schließlich wird alles jetzt noch Verborgne sich klar offenbaren.

929
Glaubst dus jetzt nicht, wirst du doch mein schweres Schicksal durchschauen;
Mir ist jetzt alles gleich, das Schweifen wie das Verweilen;
Ich tue das, was du sagtest, so schwer mich auch schmerzlicher Wahn plagt.
Was aber, wenn ich den Rest meines Lebens ohne dich lebe?“

930
Sie schlossen ihr Gespräch, gelobten sich, was sie versprochen,
Schwangen aufs Roß sich, schweiften, erlegten jeder ein Wild sich,
Kehrten zurück, es weinten die Herzen, die oftmals schon weinten,
Kummer befiel sie wegen der Trennung am folgenden Tage.

931
Leser du dieser Verse, auch du vergieße jetzt Tränen!
Weh, was vermag ein Herz denn ohne ein andres zu schaffen?
Trennung, Entfernung von einem Freunde tötet den Menschen,
Wer das nicht kennt, der begreift nicht, wie schwer dieser Tag ist!

932
Anbrach der Morgen, sie stiegen aufs Roß, sie grüßten die Jungfrau;
Tariel, Awtandil, auch Asmat, vergossen viel Tränen;
Alle drei färbten purpurrot die Fahnen der Wangen.
Jene Löwen hielten sich fast schon für Tiere der Wildnis.

933
An der Höhle vorbei ritten sie, sie jammerten weinend;
„O Löwen!“ klagt Asmat, „wie sollte man über euch klagen?
Euch verbrannten ‚die Sonne, des Himmels hohe Gestirne!
O meine gräßlichen Leiden! Weh über die Lasten des Lebens!“

934
Jene Ritter ritten von dannen, den Tag noch gemeinsam,
An der Meerküste kamen sie, hielten, streiften nicht weiter,
Trennten sich nicht diese Nacht, am Lagerfeuer verweilend,
Sie beweinten, betrauerten von einander die Trennung.

935
Awtandil spricht zu Tariel: „Versiegt ist der Bach unsrer Tränen.
Warum hast du Pridon verlassen, der dir dies Roß gab?
Dort vielleicht kannst du ein Mittel erfahren zur Freude der Sonne;
Nun, bitte zeig mir den Weg zu deinem verschworenen Bruder.“

936
Tariel weist ihm treulich die Richtung des Weges zu Pridon,
Er erklärte ihm das, was die Macht des Wortes vermochte:
„Wend dich gen Osten, zieh dann entlang an der Küste des Meeres,
Triffst du ihn, dann bericht ihm, er fragt dich nach seinem Bruder.“

937
Einen Rehbock schleppten sie mit zum Feuer am Meere,
Tranken und aßen gerade soviel, wie ihre Not es erlaubte;
Jene Nacht noch zusammen, legten sie sich unter Räume.
Ich rüg die trügende Welt, bald freigebig, bald aber geizig.

938
Als der Morgen graute, umarmten sich beide zum Abschied;
Wer ihre Worte vernommen, der wäre gewißlich geschmolzen.
Sie ergossen Tränen wie Bachquellen über die Fluren,
Lange umschlangen sie sich, die Brust an Brust fest geschmiedet.

939
Weinend trennten sie sich, zerkratzten sich Antlitz und Haare,
Aufwärts ging einer, der andere abwärts, durchs Schilfdickicht weglos.
Als sie noch nah waren, stießen sie Rufe aus ihres Bedauerns;
Sah die Sonne sie traurig, schaute auch traurig die Sonne.

AWTANDIL REIST ZU PRIDON

940
Welt, wie wirkt deine Weise, du wirbelst uns, was ist dein Wesen?
Jeder, der dir traut, der wird wie ich immer weinen!
Wohin treibst du den Menschen, triffst seine Wurzel, woher nur?
Gott verläßt freilich keinen, den du schon längst aufgegeben.

941
Awtandil weint fern von ihm, seine Stimme dringt bis zum Himmel,
„Tränen strömten,“ sagt er, „schon früher, jetzt fließen sie wieder.
Ebenso schwer ist die Trennung, wie schön einst das Treffen gewesen.
Kein Mensch gleicht dem andern, es trennen beide oft Welten.“

942
Tiere der Wildnis tranken sich satt an dem Blut, das man weinte,
Er konnt’ sein Feuer nicht löschen, ihn brannten lohende Flammen;
Er dachte immer an Tinatin, das mehrte ihm mehr noch den Kummer.
Von den Lippen bestrahlt der Kristall korallen die Rose.

943
Welk ward die Rose, verdorrt, der Pappelzweig schwankte im Winde;
Der geschliffne Rubin, der Kristall wurde blaß wie Lazur nun:
Er widerstand dem Tode, dazu reichte die Kraft noch;
„Wundert das Dunkel mich,“ spricht er, „da ich die Sonne verlassen?“

944
Er sprach zur Sonne: „O Sonne, ich nenne dich Tinatins Wangen,
Du gleichst ihr, sie gleicht dir, ihr leuchtet in Bergen und Talen.
Mich den Besessnen erfreust du, drum wend ich den Blick nicht vom Antlitz;
Doch warum habt ihr mein Herz so ungewärmt, fröstelnd gelassen?

945
Wenn die schwindende Sonne es wieder bewirkt, daß es Frost gibt,
Weh, ich habe zwei Sonnen verlassen, das Herz muß drum leiden!
Fühllos bleibt der Fels, er wird nie Schmerzen empfinden;
Wunden kann das Messer nie heilen, es schneidet, läßt schwellen.“

946
Ach, der Wanderer weint zum Himmel, spricht mit der Sonne:
„Sonne, ich flehe dich an, du besiegst selbst allmächtigste Sieger!
Die du erhöhst den Niedrigen, Königsmacht leihst und das Ansehn,
Trenn mich nicht von der Geliebten, wandle den Tag nicht in Nacht mir!

947
Komm, o Saturn, füg Tränen zu Tränen mir, Leiden zu Leiden,
Färbe mein Herz schwarz, übergib mich finsteren Tiefen!
Lade auf mich schwere Kummerlast, wie du belädtst einen Esel,
Ihr aber sage: «Verlaß ihn nicht, dein ist er, weint doch um dich nur!»

948
Jupiter, o ich bitt den gerechten, göttlichen Richter,
Komm doch und richte, ein Herz kam mit einem andern in Rechtsstreit,
Gib dem Gerechten nicht Unrecht, verdirb nicht damit deine Seele,
Ich bin im Recht, erhör mich, warum verwundst du den Wunden?

949
Komm, o Mars, verletz mich erbarmungslos mit deinem Speere,
Färbe mich flammend rot und beflecke mit fließenden Blut mich,
Bring ihr mit deiner Zunge Kunde von flutenden Leiden!
Wie ich geworden, du weißt es, Freuden verließen mein Herz jetzt.

950
Komm, Venus, steh mir bei, sie verbrennt mich mit glühendem Feuer,
Deren schimmernde Perlen Korallenlippen umrahmen.
Mit deiner eignen Schönheit verschönst du zärtlich die Schönen,
Einen wie mich verläßt du, machst ihn rasenden Geistes.

951
O Merkur, mein Los ist außer dir keinem wohl ähnlich.
Mich dreht die Sonne umher, entläßt mich nicht aus ihrer Nähe;
Um meine Leiden zu schildern, gibt der Tränenteich Tinte.
Schmal wie ein Haar, meinen mageren Körper bestimm ich zur Feder.

952
Komm, o Mond, habe Mitleid, ich schwinde, werd wie du mager,
Mich macht die Sonne voll, sie mehrt mich, mindert mich wieder:
Sag ihr von meinen Qualen, wies um mich steht, wie ich schmachte,
Geh und sag ihr, sie soll mich nicht lassen, ich bin doch ihr eigen.

953
Sterne treten als Zeugen auf, sieben sind meine Zeugen.
Sonne, Merkur, auch Jupiter und Saturn dazu schmerzt es,
Mond, Venus, Mars, sie kommen, begleiten mich als meine Zeugen,
Mögen von jenen sie hören, welch furchtbares Feuer mich ausbrennt.“

954
Nun sagt er seinem Herzen: „Wenn du auch unstillbar weinst jetzt,
Ach, was nützt dir dein Selbstmord, der Satan ist wohl dein Bruder!
Die mich dem Wahn verfallen ließ, rabenschwarz sind ihre Haare,
Wenn du Leid richt erduldest, wie erträgst du dann Freude?

955
Bleib ich am Leben, was wäre mir lieber,Verzweiflung sein Dasein! —
Kann ich die Sonne nicht sehen, sollt ich doch nicht immer klagen!“
Schöne Lieder singt er, doch stockt nicht die Flut seiner Tränen.
Nachtigallstimmen selbst glichen, mit seiner verglichen, der Eule.

956
Als wilde Tiere sein Singen vernahmen, kamen sie alle.
Von seinem süßen Gesang sprangen Steine sogar aus dem Wasser,
Hörten zu, sie staunten, weinten mit, als er weinte,
Er singt traurige Lieder, gleich Strömen Tränen vergießend.

AWTANDILS ANKUNFT BEI PRIDON NACH DER TRENNUNG VON TARIEL

957
Siebzig Tage ritt weinend der Ritter auf Wegen am Meer hin;
Aus der Ferne sah auf dem Meer er Schiffer dort fahren;
Er erwartete sie, fragte: „Wer seid ihr denn, sagts mir!
Wessen ist dieses Königreich, wessen Gebote gehorcht es.“

958
Sie erwiderten: „Schöner du an Gestalt und an Antlitz!
Du erscheinst uns schön, du entzückst uns, drum preisen wir dich auch.
Bis hierher reicht der Türke, Pridon besitzt diese Grenzmark.
Wir berichten dir, wem wir gehören, du aber lähmst uns.

959
Nuradin-Pridon ist der König unseres Landes,
Tüchtig ein Ritter, freigebig, auch auf das Roß springt er hurtig.
Keiner kann ihm ernstlich je schaden, dem sonnengleich Schönen,
Er ist der Herr, ähnlich dem, der vom Himmel Strahlen verbreitet.“

960
Drauf der Ritter: „Brüder, in euch fand ich treffliche Menschen;
Eueren König such ich, sagt mir, wie ich ihn treffe,
Wie weit muß ich noch gehen, sagt mir, wie ich dorthin komm.“
Mit ihm gingen die Schiffer, zeigten den richtigen Weg ihm.

961
Sie unterrichteten ihn: „Dieser Weg führt nach Mulghasansar.
Dort findst du unseren König, bogenflink, schwertkampferfahren;
Zehn Tage brauchst du, Zypressengestalt, rubinfarben leuchtend!
Warum hast du, ein Fremder, uns gleich mit Feuer umfangen?“

962
Drauf der Ritter: „Warum siecht euer Herz denn bekümmert?
Meine verblaßten Winterrosen, nennt ihr sie schön noch?
Ihr hättet damals mich sehn solln, als wir stolz, noch nicht siech warn!
Die uns sahen, verschönten wir, ihnen brachten wir Freude.“

963
Jene zogen vondannen, der Ritter ritt einsam die Straße,
Er, dessen Körper zypressenschlank, dessen Herz gleich dem Eisen;
Springen ließ er sein Roß, er beklagte, was ihn doch freute.
Tränen regnen, Narzissen rauschen, Kristalle erfrischend.

964
Alle Fremden, die er am Weg traf, waren ihm dienstbar.
Sie umschwirrten ihn, ihn zu bewundern, ergötzen an ihm sich.
Schwer fiel ihnen die Trennung, sie ließen ihn ungern nur ziehen,
Wegweisung gaben sie ihm, fragt’ er sie, gaben sie Antwort.

965
Mulghasansar kam näher, er nahm den langen Weg eilends;
Eine Schar von Kriegern sah er, Wilderern ähnlich.
Allerseits war das Feld umzingelt, umringt von den Treibern.
Mit dem Bogen schossen sie, Wild wie Garben hinmähend.

966
Es begegnet ein Mann ihm, er fragt ihn: „Wer sind diese Mannen?“
Fragt ihn: „Woher kommt dieses höllische Stürmen und Tosen?“
Jener drauf: „Pridon ists, der König in Mulghasansar
Auf der Jagd, nachdem er das Feld und das Schilfdickicht sperrte.“

967
Zu ihnen ritt der Ritter mit unvergleichlicher Haltung,
Heiter war ihm zumut; wer vermag seine Schönheit zu schildern?
Die von ihm fern, erfrieren, die ihm nah, sengt die Sonne,
Die ihn sehen, bewundern ihn, rohrschlank biegt sich sein Körper.

968
Über den Kreis der Krieger flog irgendwoher jetzt ein Adler;
Da spornt der Ritter sein Roß, stolz war er, frei auch von Ängsten,
Schoß, holt’ den Adler herab, der stürzte, sein Blut floß am Boden,
Er stieg ab, er stutzt’ ihm die Flügel, ritt weiter gelassen.

969
Als die Schützen ihn sahen, hörten sie auf mit dem Schießen,
Lösten den Kreis, sie eilten herbei, ihnen schwanden die Sinne;
Alle umkreisten ihn vollends, manche folgten ihm später.
Ihn zu fragen, wagten sie nicht, noch sprachen sie etwas.

970
In den Feldern erhob sich ein Hügel, dort stand jetzt Pridon;
Vierzig Männer, gewürdigt der Jagdlust, warn seine Begleiter,
Dorthin wandte sich Awtandil nun, ihm folgten die Männer.
Pridon staunte: „Was taten sie denn?“, er zürnte den Mannen.

971
Pridon schickte den Knapper: „Geh, schau, was treiben die Krieger?
Warum lösten den Kreis sie, wohin gehn sie gleich Blinden?“
Eilends kam wieder der Knappe, er sah die junge Zypresse,
Er blieb stehen, starr staunten die Augen, er fand keine Worte.

972
Awtandil begriff es: der Mann kam, um zu erkunden;
Er sprach zu ihm: „Geh, künde gleich deinem Herrn meine Bitte,
Ich sei ein fremder Wandersmann, weit entfernt von der Heimat,
Tariels Schwurbruder, ich bin zu euch durch die Lande gewandert.“

973
Eilends brachte der Knappe diese Nachricht zu Pridon,
Er sprach zu ihm: „Ich sah eine Sonne, die jeden Tag hell macht,
Weise auch, glaube ich, würden verzückt sein, wenn sie ihn sähen,
Er sei Tariels Bruder und wolle Pridon besuchen.“

974
Pridon, als er Tariels Namen vernahm, wards ihm leichter,
Tränen entströmten den Augen, sein Herz erweichte die Nachricht,
Wehender Wind ließ die Rose erfrieren, es stürmt’ aus den Wimpern;
Beide trafen sich, wurden gerügt nicht, sondern gepriesen.

975
Pridon stieg eilends den Hügel hinab und kam ihn entgegen;
Als er ihn sah, da sprach er: „Wenn nicht eine Sonne, wer sonst ists?“
Er übertraf noch, was Pridon an Lob von dem Knappen vernommen;
Sie stiegen ab. die Freude ließ sie vergießen viel Tränen.

976
Sie umarmten sich ohne Rücksicht, daß sie sich fremd warn;
Pridon gefiel sehr der Ritter und der Ritter auch Pridon;
Sehen Betrachter sie nebeneinander, verschmähn sie die Sonne,
Töte mich, wenn auf dem Markt etwas ähnliches wäre zu kaufen.

977
Welche Ritter warn Pridon gleich wohl, wo und was tun sie?
Awtandil ziern aber Tugenden, mehr kann man kaum noch erwarten.
Unsichtbar macht die Sonne die Sterne, wenn sie sich nah sind,
Tagsüber leuchtet die Kerze nicht, nächtens verbreitet sie Strahlen.

978
Sie bestiegen die Rosse und ritten zu Pridons Palast hin.
Abgebrochen wurde die Jagd, man hörte auf, Wild zu erlegen.
Von allen Seiten her strömten die Mannen Awtandils wegen,
Von ihm sagten sie: „Wer hat im Fleisch solch ein Wesen geschaffen“

979
Er sprach zu Pridon: „Ich weiß es, du bist gespannt aufs Erzählen,
Sagen will ich dir, wer ich bin und von woher ich komme,
Woher ich Tariel kenne, warum ich von Bruderschaft rede,
Bruder nennt er mich, kaum bin ich würdig der Knappschaft!

980
Ich bin Vasall des Königs Rostewan, der aus Arabien,
Awtandil nennt man mich, den großen Führer des Heeres;
Sproß des vornehmen Adels, erzogen als Sohn eines Königs,
Ehrfurcht gebietend, nicht Anmaßung duldend, unangefochten.

981
Eines Tages saß auf der König und zog fort zum Jagen,
Draußen sahen wir Tariel, Tränen benetzten die Felder,
Wir alle staunten, fanden es seltsam, wir riefen, er kam nicht,
Wir warn gekränkt, wir ahnten nicht, wie ihn das Feuer verbrannte.

982
Seine Mannen forderte Rostewan auf, ihn zu greifen;
Er aber tötete alle mühlos, ohn’ heftige Kämpfe,
Arme und Hüften brach er, andern verströmte die Seele.
Man begriff, daß das Mondgestirn niemals umkehren würde.

983
Als der erzürnte König erfuhr, er entkam seinen Mannen,
Saß er selbst auf und trat ihm entgegen, stolz und nicht schreckhaft.
Tariel, als er den König gesehn hatte, wich gleich dem Schwert aus,
Er ließ dem Roß die Zügel schießen, entschwand unsern Argen.

984
Wir suchten gleich und fanden die Spur nicht, er war wohl ein Unhold;
Kummer befiel den König, er brach das Gelage, den Schmaus ab.
Ich ertrug es nicht länger, daß ich die Wahrheit nicht wußte,
Heimlich zog ich aus, ihn zu suchen, ich glühte in Feuern.

985
Drei Jahre suchte ich ihn, genoß drei Jahre den Schlaf kaum,
Die von ihm verletzten Chataer gaben mir Weisung;
Ich fand die gelbliche Rose, gemindert an Glanz, blaß von Farbe,
Wohlgesinnt nahm er mich auf gleichwie einen Sohn, einen Bruder.

986
Riesen gewann er die Höhle ab, er ist ihr Todfeind geworden.
Dort weilt Asmat bei ihm, dem Einsamen, keinen sonst will er.
Stets verbrennt ihn das alte Feuer, roch nicht ein neues,
Wehklagen soll, wer getrennt ist, mit schwarzem Tuch auf dem Haupte.

987
Einsam sitzt in der Höhle die Jungfrau mit tropfenden Tränen.
Wild jagt der Recke für sie wie für die Jungen der Löwe.
Er bringt es immer zu ihr, er hält sie entfernt auch vom Haus“.
Außer der Jungfrau will keinen anderen Menschen er sehen.

988
Er erweckte den Wunsch, von dem Fremden Ersehntes zu hören,
Er berichtet’ von sich mir und der ersehnten Geliebten;
Welches Leid er erlitt, davon spricht keines Rasenden Zunge.
Das Verlangen tötet ihn, und das Entbehren begräbt ihn.

989
Gleich dem Monde bewegt er sich ohne Rast, ach, er ruht nicht;
Auf dem Rosse von dir sitzt er, verläßt es auch niemals.
Kein redend Wesen sieht er, menschenscheu gleich wilden Tieren.
Wehe mir, der ich seiner gedenke, der für ihn hinsiecht.

990
Mich umflammt jenes Ritters Feuer, ich wein heiße Tränen.
Ich hatte Mitleid mit ihm im Wahn meines flammenden Herzens,
Heilmittel sucht’ ich für ihn im Meere, auch auf dem Festland.
Als ich zurückkam, sah ich den König bekümmerten Herzens.

991
Ich erbat Entlassung vom König, da wurde er zornig.
Ich verließ meine Mannen, darüber wehklagten alle;
Heimlich zog ich fort, hörte auf mit den blutigen Tränen,
Heilmittel such ich für ihn, bald hierhin, bald dorthin mich wendend.

992
Er hat von dir mir erzählt auch, wie er mit dir sich verbrüdert,
Nun hab ich dich, den Unvergleichlichen, endlich gefunden,
Rate mir, wo ist am besten die himmlische Sonne zu suchen,
Freude für ihre Betrachter, Schauder für die, die nicht sehen.“

993
Pridon brennt’ nun durch das, was Awtandil hatte gesprochen.
Beide wehklagten gleicherweise mit würdigem Lobpreis,
Wallenden Herzens weinten sie, weil sie es nicht mehr ertragen,
Sie benetzten die Rose mit heißem Wasser aus Wäldern.

994
Unter den Mannen ertönte der Schall eines mächtigen Weinens,
Ihre Gesichter zerkratzten sie, schleierentblößt standen andre.
Pridon weint, laut klagend, getrennt von ihm sieben Jahr lang:
„Unbeständigkeit und deren Trug der tückischen Erde!“

995
Pridon klagt: „Welch Lob ist dir würdig, du ewig Gepriesner?
Sonne der Festländer, du, die himmlische Sonne stets nachahmt,
Freude du, Lebensspender denen, die hier verweilen,
Licht der Gestirne des Himmels, der du versengst und verschlingst auch!

996
Seit ich von dir getrennt bin, ist mir mein Dasein nur lästig;
Wenn du auch keine Zeit für mich hast, so hab ich doch Sehnsucht;
Du hast ohne mich Freude, mir ists nur schwer zu ertragen.
Leer ist mein Leben ohne dich, Weltlust ward mir nun sinnlos.“

997
Pridon sprach diese Worte, auf treffliche Weise wehklagend;
Ruhig geworden, schweigend, nicht singend, ziehen sie weiter,
Awtandil schönert alle durch sein ätherisches Wesen,
Tintenteiche bedeckt er mit dichten achatenen Wimpern.

998
In die Stadt zogen sie zum Palast, dem würdig gebauten,
Eine vollkommene Ordnung des Königshofstaates herrscht hier.
Diener, schön gekleidet, sorgten für peinliche Ordnung.
Schwindenden Herzens entzückte Awtandil alle Betrachter.

999
Sie traten ein in die große Gesellschaft, es gab keinen Platz mehr.
Beiderseits standen zehn Reihen der Großen, zehn Männer in jeder.
Nebeneinander saßen sie, wer könnte würdig sie loben?
Den Kristall und Rubin verschönten Achat und Emaille.

1000
Es begann ein Gelage, man brachte Gefäße zum Trinken.
Pridon bewirtete Awtandil so wie einen Verwandten.
Viele Gefäße brachte man, schöne und immer mehr neue.
Doch die Herzen, die Awtandil schauten, brannten in Flammen.

1001
An diesem Tage aß man und trank, das Fest ging zu Ende.
Morgen wards, man badet’? Awtandil, da lagen auch Stoffe,
In Gewänder ward er gekleidet, wert viel Tausende Drachmen,
Gürtet um ihn einen Gürtel von ganz unschätzbarem Werte.

1002
 Einige Tage blieb dort der Ritter, obgleich ihm kaum Zeit blieb;
Er ging mit Pridon zusammen zur Jagd und vergnügte sich damit,
Aus der Ferne, der Nähe, jagt’ er, wohin er auch zielte;
Seine Schüsse beschämten sämtliche Schützen mit Bogen.

1003
Pridon sagte der Ritter: „Vernimm, was ich dir nun verkünde:
Diese Trennung von dir jetzt ist so schlimm wie mein Sterben,
Ich habe keine Muße, mich brennt unerträglich ein Feuer,
Lang ist der Weg, ich verspäte mich in einer eiligen Sache.

1004
Wer sich von dir trennt, kann mit Recht viele Tränen vergießen,
Unbedingt muß ich gleich fortziehn, neues Feuer verzehrt mich.
Langer Aufenthalt ist doch Zeitverlust auf einer Reise;
Wo du die Sonne gesehn, geleit’ mich zur Küste des Meeres.“

1005
Pridon drauf: „Ich darf nichts sagen, was dich jetzt hindert,
Daß dir die Muße fehlt, weiß ich, die neue Lanze durchbohrt dich.
Geh also, Gott wird dich führen, dein Feind wird vernichtet!
Sag aber, wie soll ich ohne dich dieses Dasein ertragen?

1006
Das wag ich dir zu sagen: es geht nicht, daß du allein ziehst;
Knappen werd ich dir geben, laß sie dich dienstbar begleiten,
Rüstung und Bettzeug, Maulesel und auch ein tüchtiges Roß noch,
Läßt du das hier, dann packt die Sorge den Tränenbenetzten.“

1007
Vier Knappen brachte er, denen konnte von Herzen man trauen,
Armschienen, Beinschienen, recht eine volle Rüstung für Männer,
Sechzig Litra in Goldstücken, die nicht gering an Gewicht sind,
Ein unvergleichliches Roß, mit vollem Geschirr ausgerüstet.

1008
Einem Maulesel, starkbeinig, lud er das Bettzubehör auf;
Dann bestieg Pridon sein Roß und ritt mit ihm noch gemeinsam;
Nun umfing und verbrannte das Feuer ihn wegen der Trennung.
Erklagte: „Bliebe die Sonne bei uns, dann träf uns kein Frost mehr!“

1009
Als der Ritter nun aufbrach, erhob sich ein Jammern und Klagen,
Bürger drängten herzu, die Waren verkauften und Früchte.
Ihrer Rufe Wehlaut glich einem Donner aus Lüften.
„Ohne die Sonne“, sagten sie, „weihn wir uns jetzt nur dem Kummer!“

1010
Sie durcheilten die Stadt und kamen zur Küste des Meeres,
Pridon kannte die Stelle, an der jene Sonne einst weilte,
Dort floß ein Strom aus den: Teich viel blutiger Tränen,
Pridon erzählte die Mär von der sternengleichen Gefangnen:

1011
„Hierher brachten zwei Negersklaven im Boot einst die Sonne
Mit weißen Zähnen, mit Rubinlippen tiefschwarz verschleiert;
Ich gab dem Roß die Sporen, um sie mit Gewalt zu entführen;
Noch entfernt sahn sie mich, entkamen im fliegenden Boote.“

1012
Sie umarmten einander, mehr noch Tränen vergießend,
Küßten einander, wach wurden wieder brennende Schmerzen,
Also schieden die unzertrennlich Verschwornen wie Brüder,
Pridon blieb, der Ritter zog fort, tödlich sein Anblick.

AWTANDILS AUSFAHRT ZUR SUCHE NACH NESTAN-DAREDSHAN UND DIE BEGEGNUNG MIT DER KARAWANE

1013
Gleich wie der Vollmond reitet in Selbstgesprächen der Ritter,
Der Gedanke an Tinatin gibt seinem Herzen die Freude:
„Von dir getrennt nun, o Lug und Trug der fluchwürdgen Welt!
Du: hast allein das Heilmittel, das meine Wunde kann heilen.

1014
Warum verbrennt denn mein Herz unaufhörlich die Glut dreier Helden?
Warum ist mein felshartes Herz in drei Stücke zerfallen?
Selbst drei Schwerter können ihm keine Wunde versetzen,
Du bist der Grund dafür, der mir mein ruhloses Leben vergiftet.“

1015
Awtandil geht allein mit vier Dienern entlang an der Küste,
Er sucht mit all seiner: Kräften für Tariel Heilung,
Der am Tag und nächtens gar weint, zerfließt ganz in Tränen.
Stroh erscheint ihm die Welt, nicht schwerer wiegend als Halme.

1016
Überall wo er Reisende fand, da sprach er mit ihnen,
Nach jener Sonne forschte er, hundert Tage schon reitend.
Er überstieg eine Berghöhe, warenschwer sah er Kamele,
Leute standen am Ufer, niedergeschlagen, verdrossen.

1017
Die Karawanenschar stand zahlreich am Rande des Meeres.
Sie warn in Not und untröstlich, konnten nicht bleiben noch fortziehn;
Still begrüßt sie der Ritter, Lobpreis war ihre Antwort,
Er drauf: „Seid ihr Kaufleute?“ Jene besprachen mit ihm sich.

1018
Ussam wer der Älteste der Karawane, ein Weiser.
Dieser rühmte ihn, segnete ihn und pries sein Verhalten.
„Sonne!“ sagten sie ihm, „wir freuen uns, daß du erschienen,
Steige ab, wir erzählen dir unsre Geschichte und Absicht.“

1019
Er stieg ab. Sie sagten: „Kaufleute sind wir aus Bagdad,
Muhammedaner — niemals tranken wir gärenden Wein je —
Die nach der Seekönigsstadt als Händler herübergezogen.
Waren in Fülle haben wir, niemandem raubten wir diese.

1020
Hier am Meerufer fanden wir einen Mann, lief bewußtlos,
Als wir ihm halfen, konnt’ er allmählich wiederum sprechen.
«Fremdling, wer bist du?», fragten wir, «welche Geschäfte wohl treibst du?»
«Geht ihr aufs Meer», sagte er, «werdet ihr alle erschlagen!»

1021
«Aus Ägypten brach unsre Schar auf als Karawane.
Schwer mit vielerlei Waren beladen, stachen in See wir,
Seeräuber haben uns mit Pflugscharn an Stangen vernichtet,
Alles ging zu Grunde, ich weiß nicht, wie ich hierher kam.»

1022
O du Löwe, du Sonne, deshalb stehn wir nun vor dir!
Gehn wir zurück, dann trifft uns ein unermeßlicher Schaden,
Fahrn wir aufs Meer, dann fürchten den Tod wir, da’s uns an Kraft fehlt.
Weder bleiben noch gehn können wir, wir sind nicht zu retten!“

1023
Drauf der Ritter: „Wer immer zaudert, vertrödelt die Zeit mir!
Was uns der Himmel bestimmt hat, das kommt unausweichlich,
Für euer Leben verantwortlich, soll noch Blut von mir träufeln.
Wer mit euch kämpft, an den schlägt mein Schwert sich noch schartig.“

1024
Die Karawanenleute belebte die Nachricht mit Freude;
„Das ist ein Ritter,“ erwiderten sie, „nicht so zaghaft wie wir sind!
Selbstsicher ist er, seien wir jetzt nur ruhigen Herzens!“
Sie begaben aufs Meer sich, fuhren weit weg vom Ufer.

1025
Ohne Beschwernis fuhren sie fort bei ruhigem Wetter,
Awtandil, ihr Führer, führte sie gütigen Herzens.
Mit seiner mächtigen Fahne sahn sie das Schiff dieser Räuber;
An dem Schiff war die Stange mit jener Pflugschar befestigt.

1026
Laut schrien die Räuber, es schallten gewaltig Trompeten und Rufe.
Angst befiel da die Händler vor der Vielzahl der Räuber:
„Fürchtet euch vor ihrer Tapferkeit nur nicht“, sagte der Ritter,
„Entweder töt’ ich sie alle oder mein Todestag kommt heut.

1027
Ohne die Vorsehung fall ich nicht, wenn mich auch Scharen bekämpfen,
Ists mir bestimmt, dann sterb ich, bereit stehn für mich viele Speere,
Weder Burgen nach Freunde noch Brüder können mich retten.
Wer dessen sicher ist, der ist genauso beheizt wie auch ich bin.

1028
Feig seid ihr Kaufleute alle, unerfahren in Fehden.
Daß euch von Ferne Pfeile nicht töten, schließt alle Türen;
Seht mich, wie ich allein kämpfe, Löwenarme gebrauche!
Von dem Seeräuberschiff wird rot das Blut herabströmen.“

1029
Er legt’ die Rüstung an mit panthergleichem Gebaren,
Eine Streitkeule nahm er in seine kräftigen Hände;
Ohn’ alle Furchtsamkeit stellt er sich auf den Schnabel des Schiffes,
Wie die Beschauer mit seinem Anblick trifft er die Feinde.

1030
Hellauf schrien die Mannen, da blieben nicht stumm ihre Stimmen,
Mit der Stange, an der jene Pflugschar, kämpften sie heftig;
Furchtlos stand vorn auf dem Schiffe der Ritter, nicht zu erschrecken.
Mit einer eisernen Stange zerstieß er die hölzerne Ramme.

1031
Jener Holzstamm zerbrach, doch Awtandil stand auf dem Schiffe;
Furcht ergriff jene Leute, die suchten entsetzt nur den Fluchtweg,
Doch sie konnten nicht mehr entkommen, er sprang auf das Schiff gleich,
Dort blieb kein Lebendiger, der von ihm nicht zerschmettert.

1032
Furchtlos vernichtete er jene ängstlichen Leute wie Ziegen.
Gegen die Schiffswand schmettert die einen er, andere ins Meer raus,
Schleudert sie gegeneinander, gruppenweis sie vernichtend;
Die Verwundeten bergen sich schweigend unter den Toten.

1033
Siegreich focht er mit diesen Feinden, wie es sein Herz wünscht.
Manche beschworen bei Gott ihn: „Töt uns nicht, bei deinen Glauben!“
Diese tötet’ er nicht, wer den Wunden entging, unterwarf sich.
Wahr hat jener Apostel gesprochen: Furcht erzeugt Liebe.

1034
Rühm sich der Mensch seiner Macht nicht, prahle nicht wie ein Trunkner!
Diese Macht nützt dir nichts, wenn Gottes Macht dir nicht beisteht,
Große Bäume verbrennt schon ein winziger Funke zu Asche,
Schützt dich Gott, ist es gleichgültig, ob du mit Holz, mit dem Schwert stichst.

1035
Awtandil fand an Bord die gewaltigen Schätze der Räuber,
Er band die Schiffe zusammen, rief die Kaufleute zu sich,
Ussam, beglückt über Awtandil freut sich mächtig, er stöhnt nicht,
Ussam rühmt ihn in Lobreden, groß ihn in Gleichnissen malend.

1036
Denen, die Awtandil priesen, wärn tausend Zungen wohl nötig!
Aber auch diese könnten nicht künden, wie schön ihm der Kampf stand;
Die Karawane schrie mit großem Geschrei: „Dir sei Dank, Herr!
Sonnenstrahlen kamen auf uns, erhellt ward das Dunkel!“

1037
Alle küßten das Haupt ihm, das Antlitz, Hände und Füße.
Unermeßlich rühmten den Schönen sie, der den Lobpreis verdiente,
Ihn, dessen Anblick selbst einen Weisen verwirrt bis zum Wahnsinn:
„Wir sind dank deiner Hilfe schwerem Unheil entronnen!“

1038
Drauf der Ritter: „Gott seis gedankt, dem Erzeuger der Wesen,
Durch den die himmlischen Mächte entscheiden, was hier geschehn soll!
Alles vollstrecken sie, Offenbares und auch das Verborgne;
Das muß man glauben, der Weise bescheidet sich bei diesem Zeugnis.

1039
Gott hat euch, so vielen Seelen, euer Blut nicht entrissen,
Was bin ich Armer? Eitle Erde! Was wär mir gelungen?
Nun hab ich eure Feinde vernichtet, erfüllt, was ich tun wollt,
Jenes Schiff mit den Schätzen empfang ich als euer Geschenk jetzt!“

1040
Schön ist’s wenn ein guter Ritter tapfer im Kampf siegt,
Die bei ihm weilenden Kampfgefährten hätt überboten.
Sie beglückwünschten, lobten ihn, sich ihres Minderseins schämend,
Daß die Wunde ihm, dem leicht nur Verletzten, schön stünde.

1041
Jenes Seeräuberschiff durchsuchten sie gleich, nicht erst später;
Wie vermöchte man je die gespeicherten Schätze zu zählen!
Die schafften sie auf ihr Schiff, entleerten das Räuberschiff völlig,
Sie zertrümmerten es, verkauften das Holz nicht für Drachmen.

1042
Ussam besprach mit Awtandil, worum die Kaufleute baten;
„Stark wurden wir durch dich, wir haben ein wachsweiches Wesen;
Was du uns gibst, gib aus Grade, drum sind wir hier jetzt versammelt!
Was wir haben, ist dein, das kann wohl keiner bestreiten.“

1043
„Brüder“, ließ ihnen der Ritter jetzt sagen, „ihr hörtet ja vorhin,
Gott bemerkte den Tränenstrom, der euren Augen entflossen,
Er errettete euch, was bin ich? Was sollt’ ich mich freuen?
Was ihr mir gebt auch, was brauch ich? Hier ist mein Roß und ich selber!

1044
Hätt ich in meinem Schatzhaus Schätze anhäufen wollen,
Hätte ich bei mir auch unvergleichliche Seiden und Bettzeug;
Was brauch ich eure, was es auch sein mag? Ich bin nur Begleiter,
Andres hab ich im Sinn, bei dem ich den Kopf könnt verlieren.

1045
Was ich nun hier erbeutet, diese unzähligen Schätze,
Nehmt davon, was ihr wollt, ich werde bestimmt keinen schelten.
Eins nur erbitt ich: „Erlaubt mir, euch jetzt um etwas zu bitten:
Ich verfolge da Pläne, die mein Verborgensein fordern.

1046
Bis es Zeit ist, sagt nicht, daß ich nicht euer Herr bin,
«Unser Anführer ist er!» sagt nur, „Nennt mich nicht Ritter!
Kaufmannsgewänder nehm ich, ich werd mit dem Handel beginnen;
Wahrt das Geheimnis bei eurer Brüderschaft wie auch bei meiner!“

1047
Die Karawanenleute freuten sich über die Kunde;
Sie verneigten vor ihm sich: „Grad das ist unsere Hoffnung,
Was wir erbitten wollten, habt ihr selber gewünscht jetzt,
Wir werden dem dienen, dessen Antlitz als Sonne wir preisen.“

1048
Sie fuhren fort, sie segelten, sie versäumten die Zeit nicht,
Ruhiges Wetter hatten sie, fuhren allezeit ruhig.
Über Awtandil freuten sie sich, sie priesen ihn freudig,
Perlen schenkten sie ihm, die seinen Zähnen ganz ähnlich.

AWTANDILS ANKUNFT IN GULANSCHARO

1049
Awtandil fuhr auf dem Meer mit seinem geschmeidigen Körper;
Eine Stadt sah man da von dichten Gärten umgeben,
Blumen seltener Art in vielen unzähligen Farben.
Dieses Landes Schönheit, wie mach ich sie dir nur begreiflich?

1050
An dem Gartenrand band das Schiff man jetzt fest mit drei Tauen;
Er zog Kaufmannsgewand an und setzte sich auf einen Schemel.
Darauf brachte man Träger, die man mit Drachmen erworben.
Handel trieb so der Ritter, als sei er das Haupt dieser Händler.

1051
Da kam der Gärtner des Gartens, an dem sie angelegt hatten,
Er sieht mit Freude den Ritter im strahlenwerfenden Antlitz.
Awtandil rief ihn zu sich, ein Mann wars aufrichtiger Rede:
„Wem gehört ihr, wer seid ihr, wie heißt der hier herrschende König?

1052
Sagt mir ausführlich alles“, spricht zu dem Manne der Ritter.
„Welche Ware ist rar hier, welche verkauft man hier häufig?“
Jener antwortet drauf: „Du strahlst wie das Antlitz der Sonne.
Was ich weiß, das tu ich dir kund, ich sage nichts Falsches.

1053
Das ist das Seekönigreich, zehn Monate Marsches im Umkreis;
Gulanscharo heißt diese Stadt, die voll von viel Schönem;
Hierher kommt alles Schöne, auch meerdurchquerende Schiffe,
Melik-Surchaw ist hier der König, glücklich im Reichtum.

1054
Menschen, die zu uns kommen, verjüngen sich, auch wenn sie alt sind.
Trinken, Lustbarkeit, Spiele gibts hier, und stets klingen Lieder.
Winters wie sommers haben wir Blumen verschiedener Farbe;
Die, die uns kennen, wünschen uns Glück, sogar unsre Feinde.

1055
Großkaufleute finden solche Gewinne sonst nirgends;
Sie verkaufen die Waren, kaufen, gewinnen, verlieren;
Hier wird ein Armer in kurzer Zeit reich, man stapelt hier Waren,
Nichtbesitzende kommen in einem Jahr zu Vermögen.

1056
Ich bin der Gärtner von Ussen, der der Ältste der Händler.
Ich muß dir auch noch sagen, was hier üblich und nötig:
Dieser Garten, in dem ihr euch aufhaltet, ist ihm zu eigen,
Ihm muß zuerst man alles, was am schönsten ist, zeigen.

1057
Kommen Großkaufleute, besuchen sie ihr, mit Geschenken,
Zeigen ihm, was sie haben, sie dürfen sonst nichts hier verkaufen,
Für den Hof tun sie’s Schönste zurück, es wird gleich beglichen.
Er gibt sie frei dann, sie können verkaufen, wo’s ihnen genehm ist.

1058
Seine Pflicht ists, ehrbare Leute ausruhn zu lassen;
Er befiehlt das denen, die mit Empfängen beauftragt.
Aber er ist jetzt nicht hier, was nützt es, von ihm viel zu reden?
Euch zu empfangen, ist seine Pflicht, euch als Gäste zu bitten.

1059
Patman-Chatun jedoch ist zu Hause, die Herrin und Gattin,
Gut als Gastgeberin, ist sie heiter-gesellig, nicht launisch;
Wenn ich dich melde, empfängt sie dich wie ihren Verwandten;
Sie schickt dir Leute, am hellen Tage betrittst du die Stadt dann!“

1060
Awtandil sagte zu ihm drauf: „Geh und tu, was du vorhast!“
Rasch läuft der Gärtner vor Freude, bis auf die Brust tropft der Schweiß ihm,
Er berichtet der Herrin: „Daß ihrs wißt, tu ich kund euch:
Jetzt kommt ein Jüngling, dessen Strahlen der Sonne fast gleich ist,

1061
Kaufmann ist er, das Haupt einer Karawane, die groß ist,
Schlank wie eine Zypresse, wie ein Mond sieben Tag alt.
Schön steht ihm sein Gewand und der schmückende, purpurne Schleier.
Er rief mich zu sich, befragte mich, wie es hier zugeht, nach Preisen.“

1062
Patman-Chatun freute sich sehr und schickt’ ihm zehn Diener.
Karawansereien errichtet’ sie, nahm das Gepäck auf.
Rosenwangig trat der Kristall und Rubin in die Stadt ein;
Die ihn sahen, verglichen die Pranke des Panthers mit seiner.

1063
Kunde breitet sich aus, die Bewohner versammeln sich alle,
Hier und dort da drängten sie sich, damit sie richtig ihn sähen.
Gutgesinnt staunten die einen, ungeduldig warn andre;
Frauen mieden fortan ihre Männer, sie blieben verachtet.

1064
Patman, Ussens Gattin, kam ihm vor dem Eingang entgegen,
Heiter begrüßte sie ihn, sie ließ ihre Freude ihn spüren.
Sie begrüßten sich, traten ein und ließen sich nieder;
Patman-Chatun ich sah’s freute sich über die Ankunft.

1065
Anmutig war Patman-Chatun, nicht jung, aber doch noch bezaubernd,
Schön von Gestalt, rostbraun, von vollem, nicht magerem Antlitz,
Liebhaberin von Sängern, heiter sprach sie dem Wein zu;
Sie besaß vielen Putz, reichen Kopfschmuck und viele Gewänder.

1066
An jenem Abend ehrte ihn Patman wie einen Gastfreund,
Schöne Geschenke bracht’ ihr der Ritter, sie staunten: „Wie wertvoll!“
Seine Bewirtung lohnt sich für Patman, bei Gott, sie verlor nichts.
Alle tranken und aßen, der Ritter ging fort, um zu schlafen.

1067
Morgens zeigte er all seine Waren, die ließ sie ihn weisen,
Für den Königshof nahm er das Schönste und ließ sichs bezahlen.
Zu den Kaufleuten sprach er: „Nehmt!“ — sie räumten die Waren —
„Handelt so viel ihr wollt, verratet nur nicht meinen Namen!“

1068
Händlertracht trug der Ritter, er nahm keine eignen Gewänder.
Bald rief er Patman zu sich, zuweilen auch ging er zu Patman;
Beide saßen zusammen, vertraulich vertieft in Gesprächen;
Kam er nicht, tötet das Patman wie Wissi das Ausbleiben Ramins.

PATMAN VERLIEBT SICH IN AWTANDIL

1069
Besser ists, sich des Weibs zu enthalten, wer’s kann, soll verzichten.
Schmeicheln wird es dir, dich berücken. Vertrauen gewinnen.
Plötzlich verrät es dich, was sich in sie gebohrt hat, zerschlägt es.
Deshalb darf ein Geheimnis man nie einem Weib anvertrauen.

1070
Ein Begehren nach Awtandil hat Patmans Herz schon beschlichen.
Zehrende Liebe wuchs in ihr mächtig, verbrennt sie wie Feuer.
Sie suchte das zu verbergen, doch sie ertrug nicht die Gluten,
Sagte: „Was soll ich tun, was hilft mir?“ Tränen vergoß sie.

1071
„Sag ichs ihm, zürnt er vielleicht und zeigt sich darauf nur noch selten!
Sag ichs ihm nicht, wie ertrag ich’s, das Feuer flammt immer stärker.
Ja, ich sag’s ihm, dann sterb ich oder bleibe am Leben;
Wie kann ein Arzt einem helfen, sagt man ihm nicht seine Schmerzen!“

PATMANS LIEBESBRIEF AN AWTANDIL

1072
Einen Mitleid erregenden Brief schrieb sie schließlich dem Ritter,
Der gab ihm Kunde von ihrer Liebe, ach, von ihren Leiden,
Herzerregend, erschütternd für alle, die ihr; je hörten,
Einen Brief, der wert zu bewahren ist, nicht zu zerreißen:

1073
„O du Sonne, weil Gott dich als eine Sonne erschaffen,
Darum bildet’ er dich, dessen Fernsein Trauer, nicht Freude.
Du verbrennst alle, die bei dir weilen, umfängst sie mit Feuer,
Deshalb fühlen Gestirne liebreich als Ruhm deinen Anblick.

1074
Dich lieben alle Betrachter, kläglich falln sie in Ohnmacht,
Rose du, warum scharen sich Nachtigallen nicht um dich?
Deine Schönheit läßt Blumen welken, auch meine verwelken,
Ich verbrenne, erreichen mich nicht die Strahlen der Sonne.

1075
Gott habe ich als Zeugen, ich fürchte mich, dir das zu sagen,
Wie soll ich Unglückliche mir aber helfen, ich fühl mich gemartert.
Nicht immer kann ein Herz schwarzer Wimpern Stechen ertragen.
Hilf, mir, wenn dus willst, sonst verirrt mein Verstand sich.

1076
Bis ich auf diesen Brief von dir eine Antwort erhalte,
Bis ich erfahre, ob du mich tötest oder mich achtest,
Solang ertrage ich noch dieses Leben, schlepp mich mit Schmerzen,
Leben oder der Tod warn wird das wohl endlich entschieden?“

1077
Patman-Chatun schrieb das und schickte den Brief dann an jenen.
Ihn las der Ritter, als käm er von einem Verwandten, der Schwester;
„Sie kennt mein Herz nicht“, sagt er, „sie bietet mir hier ihre Liebe,
Könnte ich meine Liebste auch nur mit jener vergleichen?“

1078
Er sprach: „Was braucht eine Krähe die Rose, sind sie nicht ungleich?
Nie noch saß auf ihr eine Nachtigall mit ihrem süßen Gesange.
Schlimmes dauert nicht lange, da es fruchtlos, vergeblich.
Ach, was hat sie geschwätzt, was schrieb sie mir hier in dem Briefe!

1079
In seinem Herzen sprach er im stillen ihr solch einen Tadel.
„Außer mir selbst“, sagte er, „gibt es niemand, der hülfe.
Da ich das suchen will, dessentwegen auf Suche ich auszog,
Tu ich alles, um sie zu finden, mein Herz hört auf nichts sonst.

1080
Jene Frau wohnt hier, die viele Menschen gesehen,
Die von überall Menschen aufnimmt, sie gastlich bewirtet.
Ich geb ihr nach, so sehr mich auch Glut brennt, sie wird mir viel kundtun,
Ob sie mir etwas nützt? Ich betracht es als Entgelt für Schulden.“

1081
Er sprach: „Eine Frau verbindet sich mit ihrem Liebsten,
Schande und Schmach beschweren sie nicht, die gänzlich Verdammte;
Sie offenbart, was sie weiß, enthüllt das ganze Geheimnis.
Besser ich gebe ihr nach und erforsch die verborgene Sache.“

1082
Wiederum sagt er: „Niemand vermag etwas gegen den Glücksstern;
Drum hab ich nicht, was ich suche, und was ich hab, will ich niemals.
Dämmrung ist diese Welt, deshalb ist sie für mich auch so düster.
Was ein Krug in sich faßt, das alles entströmt ihm auch wieder.“

AWTANDILS BRIEF AN PATMAN

1083
Awtandil schrieb ihr zurück: „Ich las deinen Brief mir zum Lobe,
O, du kamst mir zuvor, sonst faßt mich auch noch dein Feuer;
Was du willst, will auch ich, in deiner Nähe stets bleiben.
Unser Zusammensein hat gute Gründe, da’s auch mein Wunsch ist!“

1084
Ach, du wirst es kaum glauben, wie sich Patman da freute!
Sie schrieb: „Genug ists der Tränen, die ich um dich schon vergossen,
Nun werd ich bei mir allein sein, finde mich hier jetzt alleine,
Eil dich mit deinem Treffen, komm in der Nacht, wenn es dämmert.“

1085
Als man nächtens dem Ritter Patmans Brief überbrachte
Und er beim Dämmern sich aufmacht’, erreicht’ ihn ein anderer Diener:
„Komm’ diese Nacht nicht!“ ließ sie ihm sagen, „du findst mich für dich nicht!“
Er war gekränkt, er ging nicht zurück und sagte: „Was heißt das?“

1086
Awtandil kehrte nicht um, obwohl sie den Wunsch nicht zurücknahm;
Patman saß da verdrossen, er trat wie ein wandelnder Baum ein;
Awtandil merkte den Unmut der Frau, er sah’s, als er eintrat,
Doch sie wollte sich nicht verraten aus Furcht und aus Rücksicht.

1087
Beide setzten sich nebeneinander, küßten sich, plauderten mundflink;
Da trat ein schöner Ritter wohlgestalteten Wuchs’ in die Türe,
Er kam herein, mit Schwert und dem Schilde folgt’ ihm ein Knappe,
Als er Awtandil sah, erschrak er, als stünd er auf Felsen.

1088
Patman befiel da Scham und Furcht, sie zitterte, bebte.
Jener schaute erstaunt ihr freies Benehmen und Liegen;
Er sprach: „Ich will dich nicht stören, Weib, daß du nicht blaß wirst,
O, mir tagts jetzt, ich laß dich das mit dem Jüngling noch reuen!

1089
Du hast mir Schande bereitet, du Hure, bereitest hier Schimpf mir,
Morgen bekommst du die Antwort als Vergeltung der Schande!
Ich brings soweit noch, daß du die eigenen Kinder zerfleischest,
Tu ichs nicht, dann sag «Pfui!», dann durchstreif ich wie unsinnig Felder!“

1090
So sprach der Mann, er zerrte am Bart sich und trat durch die Türe;
Patman fing an, ihr Haupt zu schlagen, die Wangen zu kratzen;
Tränen, die ihr entströmten, plätscherten gleich einem Bache;
„Steinigt mich!“ rief sie, „tretet an mich heran mit den Steinen!

1091
Sie klagt: „O weh, ich hab meinen Mann, meine Kinder getötet,
Meine Habe, geschliffene Edelsteine verschleudert,
Hab mich vor meinen Geliebten getrennt, o, die ihr mich aufzogt!
Zum Ruin meines Hauses ward ich, Schmach meine Worte.“

1092
Awtandil, der Ritter, vernahm diese Worte mit Staunen,
Sagte: „Was hast du, was redst du, warum klagst du so schrecklich?
Warum drohte der Jüngling dir, kam er durch dich denn zu Schaden?
Sei nur ruhig, wer war er, zu welchem Vorhaben kam er:“

1093
Drauf die Frau: „O Löwe, Verzweiflung treibt mir die Tränen!
Frage mich jetzt nur nach nichts, ich kann dir hier mehr nicht berichten.
Meine Kinder tötete ich mit eigener Hand, ich bin freudlos.
Ich hab mich selber getötet, weil ich brennend dich liebte.

1094
Ähnliches trifft einen Menschen mit töricht redender Zunge,
Der ein Geheimnis nicht wahrt einen Dummen, Wahnwitzigen, Blöden.
Mitleid tröstet mich, das sag ich allen, die mich jetzt sehen.
Nie kann ein Arzt einem helfen, der sein eigenes Blut saugt.

1095
Von zwei Dingen tut eines, trachtet niemals nach anderm:
Kannst jenen Mann du töten, töt’ ihn heimlich zur Nachtzeit.
Mich und mein ganzes Haus erlöst du damit vom Tode.
Kommst du zurück, erzähl ich dir alles, jetzt schwimm ich in Tränen.

1096
Wenn nicht, so führ deine Ware nachts auf Eseln von dannen,
Bitte, verlaß diese Gegend und schaff alles irgendwie fort hier.
Meine Verfehlungen, denk ich, bereiten dir immer auch Kummer.
Geht jener Jüngling zum Hof, muß ich meine Kinder zerfleischen.“

1097
Als Awtandil, der kühn aus erhabenem Wesen, das hörte,
Stand er auf, nahm die Keule, ein stattlicher, tapferer Ritter!
„Dieses nicht zu erforschen“, sagte er, „wäre je Trägheit!“
Denk nicht, es gäb einen Menschen wie ihn, nein, es gibt keinen einzgen!

1098
Er sprach zu Patman: „Gib mir einen Mann mit, der mir den Weg weist,
Daß er mich auf den richtigen leite, ich brauch keinen Helfer.
Als Meinesgleichen und Krieger betrachte ich nicht jenen Jüngling.
Was ich tue, das sag ich dir, warte auf mich und sei ruhig!“

1099
Einen Diener gab ihm die Frau mit, der ihn begleitet.
Sie rief ihm das noch nach: „Da die Feuersbrunst nunmehr gestillt ist;
Tötest du jenen Ritter, damit mein Herz sich beruhigt,
Ritte ich dich, meinen Ring, den er trägt, mir zu bringen.“

1100
Awtandil schritt durch die Stadt unvergleichlich geschmeidig;
Da stand ein Haus am Meerufer schön aus rotgrünen Steinen,
Unten strahlten Palasträume, oben ragten Terrassen,
Große, schöne, zahlreich in Reihn, eine Folge von Häusern.

1101
Dorthin bracht’ Awtandil, das Sonnenantlitz, sein Führer;
Leise sprach jener zu ihm: „Das ist der Palast jenes Mannes!“
Er deutet hin und sagt ihm: „Siehst du die Terrasse dort oben?
Dort liegt im Schlaf er oder du findest ihn unten drin sitzen!“

1102
Vor der Tür lagen Wächter des unglückseligen Jünglings.
Eintrat der Ritter, schlich sich durch, eh sie Lärm schlagen konnten,
Griff mit den Händen die Gurgel, die Wächter verhauchten die Seele,
Ihre Köpfe rammte er, Hirn und Haare vermischend.

1103
In seinem Schlafgemach lag da grimmigen Herzens der Jüngling.
Blutbefleckt trat Awtandil ein mit kraftvollem Körper;
Jener konnte nicht rechtzeitig aufstehn, er stieß ihn von hinten,
Packte ihn, warf ihn zu Boden und schlachtete ihn mit dem Messer.

1104
„Sonne für die Betrachter, Feinden ein wütendes Tier.
Jenen Ringfinger schnitt er ab, bestäubt’ nun den Leichnam;
In die See warf er ihn vom Fenster, vermischte mit Sand ihn.
Weder ein Grab noch Spaten zum Graben gibt es für jenen.

1105
Nirgendwoher ging um das Gerücht von dieser Ermordung.
Heim ging die holde Rose, was sollte ihn wohl bekümmern?
Aber mich wunderts, wie konnte das Blut er so stehlen von jenem?
Er ging den gleichen Weg zurück, auf dem er gekommen.

1106
Als der glorreiche Ritter, ein Löwe, die Sonne, ins Haus trat,
Sagt er zu Patman: „Tot! ihm scheint die Sonne nie wieder!“
Deinen Diener selbst hab ich als Zeugen, bring ihn zum Eide!
Hier sind Finger und Ring, hier hab ich das blutige Messer.

1107
Sage mir nun, was du sprachst, warum denn rast du verzweifelt?
Was drohte dir jener Jüngling? Ich habe es nämlich sehr eilig.“
Patman umfaßt’ seine Füße: „Ich bin dich zu schauen nicht würdig!
Mein verwundetes Herz ist geheilt, ich lösch jetzt mein Feuer.

1108
Ussen und ich sind mit unseren Kindern nun wiedergeboren.
Löwe, wie könnten wir dich nun noch strahlender, herrlicher rühmen?
Wie auch mir das Blut jenes Manns zu vergießen bevorstand,
Sage ich dir jetzt von Anbeginn alles. Lausche mir still nun!“

PATMANS ERZÄHLUNG VON NESTAN-DAREDSHAN

1109
„In unserer Stadt ist es Sitte: Am Tage des Nawrosfestes
Handelt weder ein Kaufmann noch geht jemand auf Reisen;
Alle fangen wir an, uns festlich zu schmücken, zu putzen,
Feste richtet der König, wie auch Empfänge beim Hofe.

1110
Allen Großkaufleuten ists Pflicht, den Hof zu beschenken,
Auch der König muß uns mit reichlichen Gaben bedenken;
Fast zehn Tage lang hört man die Klänge von Zimbeln und Zithern,
Spiele auch auf dem Spielplatz, trabende Pferde beim Rennen.

1111
Ussen mein Gatte, führt die Großkaufleute zum Hofe,
Ihre Frauen führ ich es bedarf keines Boten, der einlädt.
Wir beschenken die Königin, ob jemand reich oder arm ist,
Wir erfreun uns am Hofe, dann kehren wir heiter nach Hause.

1112
Wir brachten alle am Nawrosfest der Königin Gaben;
Wir schenkten ihr, und sie auch beschenkte mit Gaben uns gnädig,
Rechtzeitig gingen wir weg, freiwillig, dankbar und freudig,
Wiederum setzten wir uns und weihten uns heiter der Freude.

1113
Abends ging ich hinaus, um im Garten ein wenig zu spielen,
Ich nahm die Frauen mit, die zu bedienen mir oblag.
Sänger begleiteten mich, sie sangen uns süß ihre Lieder.
Wie eine Junge vergnügt, wechselt’ ich Haartracht und Schleier.

1114
Dort warn im Garten gebaut viel schöne zierliche Häuser,
Hoch mit allerseits Ausblick, sie ragten am Ufer ins Meer raus.
Alle Frauen, die mich begleiteten, führt’ ich zu mir hin.
Wieder begann ein Gelage, wir setzten uns freudig und lustig.

1115
Freudetrunken bewirtete ich die Frauen, die Schwestern,
Aber beim Trinken ward mein Gemüt verstimmt ohne Gründe,
Als sie das merkten, gingen die fort alle, die mit uns tranken.
Ich blieb alleine, mein Herz umgab wie Ruß jetzt ein Kummer.

1116
Als ich das Fenster öffnete, wandt’ mein Gesicht ich zur Straße,
Ich sah hinaus, den wachsenden Kummer in mir zu zerstreuen;
In der Ferne sah ich ein winziges Etwas, weit noch im Meer draus,
Wars ein Vogel, ein anderes Tier? Womit zu vergleichen?

1117
Da es weit weg war, konnte ichs erst nicht erkennen ein Boot wars!
Zwei mit schwarzen Leibern hatten auch schwarze Gesichter,
Standen bei einem Wesen, der Kopf nur von ihnen war sichtbar,
Als sie ans Land gingen, staunte ich über den seltsamen Anblick.

1118
An das Ufer schleppten ein Boot sie bis vor den Garten,
Hin und her blickten sie, ob irgendwo jemand sie sähe,
Keinen Menschen sahn sie, sie brauchten vor nichts zu erschrecken;
Heimlich schaute ich hin, doch hielt ich mich still noch im Hause.

1119
Aus einem großen Kasten, den aus dem Boote sie holten,
Den sie öffneten, stieg eine Jungfrau mit bildschönem Körper,
Mit einem schwarzen Schleier und grünen Untergewändern;
Ihre Schönheit genügte der Sonne, wär sie ihr ähnlich.

1120
Als sich die Sonne mir zuwandt, beleuchteten Strahlen die Felsen;
Ihrer Wangen Glanz überstrahlte die Lande, den Himmel;
Meine Augen schloß ich, zur Sonne konnt’ ich nicht blicken.
Ich schloß das Fenster, sie merkten nicht, daß ich sie sah schon.

1121
Vier Diener rief ich herbei, die stets mir zu Diensten bereit stehn,
Ich sagte ihnen: «Seht ihr das Licht, das die Inder gefangen?
Schleicht euch heimlich hin, geht leise und springt nicht in Eile,
Wolln sie die Jungfrau verkaufen, zahlt den Preis, den sie fordern.

1122
Wolln sie euch jene nicht geben, entführt sie und tötet die Männer,
Bringt jenen Mond hierher, seid geschickt und gebt euch viel Mühe!»
Meine Diener schlichen von oben her, als oh sie flögen.
Sie verhandelten, wurden nicht einig, da grollten die Mohren.

1123
Ich trat ans Fenster. Als ich hörte, sie wollten nicht händeln,
Rief ich hinunter: «Tötet sie! Schneidet ihnen den Kopf ab!»
Ihre Leichen warfen ins Meer sie, sie schützten die Jungfrau;
Ich ging ihnen entgegen, sie blieben noch lang an der Küste.

1124
Wie sollte ich sie preisen diese Schönheit, die Zartheit!
Daß sie die Sonne ist, schwör ich, neben ihr gibts keine Sonne.
Wer vermag ihr Leuchten zu schauen, wer gibt ihr Bild uns!
Wenn sie mir Brand schickt, bin ich bereit, ich brauch nichts zu richten.“

1125
Als Patman so geendet, schlug sie heftig ihr Antlitz;
Awtandil auch weinte, viel heiße Tränen vergoß er;
Sie vergaßen einander, um jene entbrannten sie beide,
Was von ihnen herabfloß, verwandelte Schnee rasch in Wasser.

1126
Beide weinten, der Ritter sagte zu ihr: „Halt nicht inne!“
Patman fuhr fort: „Ich trat ihr entgegen, treu gab ich mein Herz ihr;
Jedes Glied küßte ich ihr solange, bis sie mir’s wehrte,
Auf meinen Diwan setzte ich sie, von Herzen ihr freundlich.

1127
Ich sprach zu ihr: «Bekenn mir, wer bist du, Sonne, wes Stammes?
Wo führten diese Schwarzen dich her, Gestirnegebietrin?»
Keine Antwort gab sie auf meine redseligen Fragen,
Nur hundert Bäche von Tränen, die ihr entflossen, erblickt ich.

1128
Als ich mit überfließenden Worten sie weiter bedrängte,
Weinte sie still mit heimlicher Stimme, schluchzenden Herzens;
Über Kristall und Rubine strömte es aus den Narzissen;
Ich ward verbrannt, sie schauend, starrt’ ich erstorbenen Herzens.

1129
Sie sprach: «O Mutter, du bist mir lieber als eine Mutter,
Was brauchst du meine Geschichte, sie gleicht einer Mär fast von Schwätzern;
Eine einsame Fremde bin ich, glücklos mein Schicksal;
Den Betrachter der Wesen lästere, wenn du mich ausfragst.»

1130
Ich sprach zu mir: «Die Zeit ists jetzt nicht, die Sonne zu holen;
Wer sie bringt, der wird rasend, verliert seine Sinne noch vollends.
Rechtzeitig soll man sie anrufen und, was man will, zu ihr sagen.
Wie kann ich wissen, daß es jetzt nicht an der Zeit, sie zu sprechen?»

1131
Aufnahm ich jene Gepriesene, sag nicht die Nichtgepriesne!
Bei ihrer Liebe und Sonne! Kaum konnt’ ihren Glanz ich verbergen;
Vielfältig hüllte ich sie in schwere, nicht leichte Gewebe;
Tränen läßt sie hageln, Wirbelsturm stürmt von den Wimpern.

1132
Ich nahm die mit dem Sonnenantlitz, Zypressenleib zu mir,
Richtete ihr ein Haus ein, ließ sie verborgen drin wohnen;
Keinen Menschen sprach ich von ihr, sie geheimnisvoll hütend,
Eine Schwarze gab ich ihr, kam zu ihr, sah sie alleine.

1133
Wie kann ich Unglückselge ihr seltsam Verhalten erzählen,
Unaufhörliches Tränenvergießen, tags und auch nächtens.
Anfleht ich sie: «sei ruhig!» Nur einen Augenblick tat sies.
Wie kann ich künftig ohne sie leben, weh, unglücklich bin ich!

1134
Wenn ich zu ihr eintrat, standen da Teiche von Tränen;
Innen im blutigen Teiche staken achatene Speere,
Aus den Tintenteichen ergoß sich der Saft von Korallen.
Zwischen Korallen und Karneol hell leuchteten Perlen.

1135
Wegen des Tränenvergießens fand ich nicht Zeit sie zu fragen,
Sie zu befragen: «Wer bist du, warum bist so du geworden?»
Sprudelnd quoll der blutige Strom hervor aus der Pappel.
Wie könnt’ ein andrer Mensch das ertragen, der nicht aus Stein ist?

1136
Keine Decke wollt’ sie, sie wollte auch nicht ins Bett gehn,
Stets ging sie mit dem gleichen Schleier, im selber Gewande,
Ihres Arm benutzt sie als Kopfstütze, legt sich so nieder.
Nur mit tausend Bitten drängte ich sie, was zu essen.

1137
Seltsames will ich dir noch vom Schleier, vom Rock auch erzählen;
Allerlei seltsame kostbare Dinge hab ich gesehen,
Aber ich weiß nichts von ihnen, woraus und wie sie gefertigt:
Sie waren weich wie gewoben und doch so fest wie geschmiedet.

1138
Viele Tage verbrachte in meinem Haus schon die Schöne;
Meinem Manne konnt’ ichs nicht sagen, weil er es anzeigt;
Ich dachte: «Sag ichs, verrät dieser Schmeichler beim Hof mich!»
Das bewegte ich zagend, sollt’ ichs ihm sagen — nicht sagen?

1139
Ich bedachte: «Sag ichs ihm, kann ich ihr damit wohl nützen?
Was sie will, weiß ich nicht, ob ihr jemand zu helfen vermöchte.
Wenn mein Gemahl es erfährt, dann tötet er mich; niemand schützt mich;
Wie kann das Licht ich verbergen, das mit der Sonne wetteifert?

1140
Was soll ich, ach, für sie tun? immer mehr umfängt mich ihr Feuer!
Ich wills ihm anvertrauen, vor der Wahrheit will ich nicht sünd’gen;
Ich laß ihn schwören, nichts zu verraten, falls er mirs zusagt,
Seine Seele verdirbt er nicht, er bricht einen Schwur nicht.»

1141
Ich trat allein ein, schmiegte mich schmeichelnd an meinen Gatten,
Dann sagt’ ich: «Ich erzähle dir etwas, das aber schwör mir,
Daß du es niemandem weitersagst, leiste mir da einen Schwur drauf.»
Es war ein furchtbarer Eid: «Ich sollte am Felsen zerschellen!

1142
Was du mir sagst, werd ich bis zum Tode an keinen verraten,
Sei er alt oder jung, mag er ein Freund oder Feind sein!»
Dann sagt’ ich alles Ussen, dem Mann mildherzigen Sinnes:
«Komm!» sprach ich, «folg mir, ich will die Sonnengleiche dir zeigen!»

1143
Er erhob sich, wir machten uns auf zum Tor des Palastes.
Ussen war erstaunt, sobald er ihr Strahlen erblickte, sagt er mir:
«O was zeigst du mir da? Wem gehört dieses Licht wohl?
Sollten die Augen Gottes mir zürnen, wenn sie ein Mensch ist.»

1144
Ich sagte: «Ich auch weiß nichts von ihrer Geburt, ihrer Herkunft.
Mehr als was ich dir sagte, weiß ich von ihr jetzt bei Gott nicht;
Ich und du, wir fragen sie, wie dem Wahn sie verfallen,
Sie erzählt uns vielleicht, sie möge uns gütig begegnen.»

1145
Wir kamen beide zu ihr, wir empfanden vor ihr wahrlich Ehrfurcht,
Sagten ihr: «Sonne, deinetwegen umfangen uns Flammen,
Sag uns, was heilt einen Mond mit einem verblassenden Lichte?
Was machte dich zum Safran, die du an Farbe rubingleich?»

1146
Ob sie es hörte, meine Frage nicht hörte, ich weiß nicht!
Ihre Rose preßt’ sie zusammen, zeigt’ nicht die Perlen;
Schlangen hatte sie lose geschlungen, ihr Garten erhob sich;
Drachen düstern die Sonne, wie sollte der Morgen uns aufgehn?

1147
Keine Antwort konnten wir ihr mit Worten entreißen;
Grollend sitzt da der Panther, wir merkten jedoch ihren Groll nicht,
Nochmals drangen wir in sie, sie weinte sprudelnde Tränen,
«Laßt mich, ich weiß nichts!», dieses nur sprach zu uns ihre Zunge.

1148
Mit ihr setzten wir uns, vergossen Tränen zusammen.
Was wir auch sagten, bereuten wir bald, was sollten wir wagen?
Mühsam erreichten wir, daß sie still wurde, schließlich zur Ruh kam.
Einige Früchte tischten wir auf, doch aß sie davon nichts.

1149
Ussen sagte: «Viel tausendfach Kummer zerstreute sie mir schon!
Diese Wangen sind für die Sonne, kein Mensch könnt’ sie küssen.
Wer sie richt anschaut, hat Recht, erspart sich zehntausendfach Schmerzen,
Gott soll die Kinder mir töten, wenn ich die Kinder ihr vorzög.»

1150
Lange sahn wir sie an, dann gingen wir schluchzenden Herzens.
Mit ihr zusammenzukommen, erfreut’ uns, wir litten beim Abschied.
Als wir die Kaufmannsgeschäfte getan hatten, sahn wir sie wieder.
Unrettbar warn unsre Herzen in ihrer Falle gefangen.

1151
Als eine Zeit verflossen, Tage und Nächte vergangen,
Sagte Ussen: «Den König sah ich seit einiger Zeit nicht.
Rätst du mir, daß ich mich aufmach und ihn mit Geschenken besuche?»
Ich drauf: «Wohlan, bei Gott, führ aus, was du klugerweis vorhast!»

1152
Ussen legt’ eine Platte voll Edelsteine und Perlen.
Ich fleht’ ihn an: «Am Hof wirst du trunkene Höflinge finden;
Töte mich, wenn du nicht schweigst je von der Geschichte der Jungfrau!»
Wiederum schwor er: «Ich schweige und schlüge man mir auch den Kopf ab!»

1153
Ussen begab sich dorthin, der König saß beim Gelage.
Ussen tafelt beim König, wohlgesinnt ist ihm der Herrscher.
Er ließ ihn vor sich sitzen, empfing die gebrachten Geschenke.
Jetzt seht den trunkenen Kaufmann, den schwatzhaften, krummen!

1154
Als der König vor Ussen viele Trinkbecher austrank,
Tranken sie, wieder und wieder füllte man ihnen die Gläser.
Er vergaß den Schwur wo waren Koran jetzt und Mekka?
Nicht passen Krähen zur Rose, und Hörner gehörn nicht zum Esel!

1155
Da sprach der große König zum blöden, trunkenen Ussen:
«O, ich wundere mich sehr, woher hast du die edelen Steine?
Wo findst du große Perlen, so unvergleichlich Rubine?
Wahrhaft, ich kann nicht vergelten ein Zehntel von deinen Geschenken!»

1156
Ussen neigte sich tief und sagte: «O großer König,
Der Tu Strahlen aussendest, Wesen belebst, o Du Sonne!
Was ich besitze, wem sind all das Gold und alle die Schätze?
Was bracht’ ich aus dem Mutterleib? Alles empfing ich von euch nur.

1157
Bei eurem Haupt! Ich sag euch, ihr seid mir zum Dank nicht verpflichtet,
Ich schenke Euch anderes noch für die Heirat Eueres Sohnes;
Dafür werdet ihr danken, seht ihr dies sonngleiche Wesen,
Dann sagt ihr ein übers andere Mal: O, welches Glück ists!»

1158
Warum lang reden? Er brach den Schwur, verletzte den Glauben:
Er erzählte, wie man die Jungfrau, die Sonne, gefunden.
Das war dem König höchlichst willkommen, ihn freut’ das von Herzen,
Er befahl, die Jungfrau zu holen, den Wunsch zu erfüllen.

1159
Ich saß ruhig zu Hause, ahnungslos, ohne Kummer,
Vor die Pforte trat der Ältste der Diener des Königs,
Er hatte sechzig Gefolgsleute wie es bei Königen Sitte.
Sie traten ein, ich staunte, ich dachte, es ginge um Wichtges.

1160
Sie begrüßten mich: «Patman, jener Gottgleiche befiehlt dir:
Diese Jungfrau, die heut ihm Ussen schenkte, zwei Sonnen,
Bring sie uns her, wir führen sie fort, der Weg ist nicht weit hier!»
Als ich das hörte, brachen die Himmel, Gotteszorn stürzte auf Berge.

1161
Staunend fragte ich wieder: «Welche der Jungfrauen wünscht ihr?»
Drauf sie: «Ussen schenkte dem König ein lichtleuchtend Antlitz!»
Nichts nützt’s, der Tag war bestimmt, der meine Seele mir raubte.
Weder aufstehn noch sitzen konnt ich, ich zitterte heftig.

1162
Ich ging zu ihr, ich sah jene Schöne, Tränen vergießend;
Ich sprach: «Siehst du, wie mich das schwarze Schicksal verraten?
Gegen mich wandt sich der Himmelszorn, er entwurzelt’ mich völlig.
Ich ward verraten, der König verlangt dich, drum bin ich untröstlich!»

1163
Sie sagte: «Schwester, wundre dich nicht, so schwer es auch sein mag;
Stets bereitet mir Schlimmes mein unglückseliges Schicksal!
Wundre dich über das Gute, Widriges wundert mich nicht mehr!
Mannigfaltiges Unglück ereilt mich nicht als etwas Neues.»

1164
Ihren Augen entflossen gleich Perlen Tränen in Fülle.
Sie erhob sich standhaften Herzens: ein Panther, ein Heros,
Freude erschien der Jungfrau nicht Freude, Unglück nicht Unglück;
Um einen Schleier bat sie, verhüllte Gesicht sich und Körper.

1165
Ich betrat unsre Schatzkammer, drin unschätzbare Werte,
Edelstein’, Perlen nahm ich, soviel ich zu fassen vermochte,
Jeder dieser Juwelen ist eine ganze Stadt wert,
Ich tat sie in deren Gürtel, um die mein verdüstertes Herz stirbt.

1166
Ich sprach zu ihr: «Meine Liebe, das kann dir vielleicht einmal nützen!»
Dann übergab ich den Dienern jenes sonngleiche Antlitz.
Ihr kam der König entgegen, Trommelwirbel erhob sich.
Sie geht gesenkten Hauptes dahin, in Schweigen versinken.

1167
Zuschauer drängten sich näher, aufrauschten Lärmen und Jubel.
Wächter vermochten sie nicht zu halten, es gab keine Ruhe;
Als der König sie, die Zypressengleiche, sich nahn sah,
Sprach der Herrscher erstaunt: «O Sonne, wie kamst du nur hierher?»

1168
Wie die blendende Sonne ließ alle sie blinzelnd nur schauen.
Drauf er: «Vieles schon sah ich, bin ich jetzt einer, der nichts sieht?
Welcher Mensch, wenns nicht Gott wär, hätte ihr Bild je entworfen?
Dem, der sie liebt, geziemt es, wie rasend durch Felder zu streifen.»

1169
An seine Seite setzte er sie, sprach sanftmütig Worte:
«Sag mir, wer bist du, aus welchem Land bist du hierher gekommen?»
Mit ihrem sonngleichen Antlitz gab sie ihm keine Antwort;
Traurig sitzt sie, das Haupt gesenkt, still-ruhigen Sinnes.

1170
Auf den König hört’ sie nicht, was er ihr mehr auch noch sagte.
Anderswo weilte ihr Herz, an etwas andres dacht’ sie;
Ihre Rose preßt sie zusammen, zeigt nie die Perlen;
Alle Betrachter verwundert’ sie, wer sollte auch etwas ahnen?

1171
Da sagt’ der König: «Was erlöst endlich jetzt unsere Herzen?
Keine andren Vermutungen gibt es hier als diese zwei nur:
Entweder ist sie jemandes Liebste, gedenkt des Geliebten,
Außer für ihn hat für niemanden Sinn sie, drum spricht sie mit niemand.

1172
Oder sie ist eine Weise, ein höhres, durchschauendes Wesen,
Sie achtet Freuden für nichts, für nichts auch ständige Leiden;
Wie eine Mär empfängt sie gelassen das Glück und das Unglück,
Anderswo weilt sie, fliegt weit als Geist gleichwie eine Taube.

1173
Gäbe es Gott, mein Sohn kehrte bald und siegreich nach Hause,
Ich laß ihn diese Sonne empfangen, die für ihn Erwählte.
Ihm wirds vielleicht gelingen, daß sie ihm doch noch ein Wort sagt;
Möge verblaßt der Mond hier weilen, entfernt von der Sonne.»

1174
Von dem Königssohn sag ich, er ist ein tapferer Ritter,
Unvergleichlich an Sitten und Ansehn, schön von Gestalt auch;
Früher zog er zu einem Krieg aus, er weilt nun dort lang schon,
Jene bestimmte der Vater für ihn, die Gestirnen vergleichbar.

1175
Brautgewänder brachte man, schmückte damit ihren Körper,
Auf dem Gewande glitzten die Strahlen von glänzenden Steinen,
Auf das Haupt setzt’ man jener ganz aus Rubin eine Krone.
So verschönte die Farbe durchsichtgen Kristalles die Rose.

1176
«Richtet das Schlafgemach für unsren Prinzen!» befahl nun der König,
Man errichtet’ den Thron von Dukatengold, das aus dem Westen;
Da erhob sich der König selbst, der Herr des Palastes,
Er setzte jene Sonne darauf, da freuten sich alle.

1177
Neun Eunuchen befahl er als Wächter für ihre Türe;
Wieder setzt’ sich zum Gastmahl der König gemäß seiner Würde,
Ussen beschenkte er köstlich als Gegengeschenk für die Sonne.
Trommeln wirbeln, Trompeten schmettern, unendlich der Jubel!

1178
Ihr Gelage dehnten sie aus, lang währte das Trinken;
Ihr Geschick beklagte die Jungfrau: «Weh, schnödes Schicksal!
Wo komm ich her, wem werd ich zuteil für den Andern nur rasend?
Was kann mir nützen? Die Last meines Daseins zerquält mich!»

1179
Bei sich denkt sie: «Rosenschönheit darf nie verwelken!
Etwas will ich versuchen, möge mir Gott einen Sieg leihn:
Kein Vernünftiger tötet sich selber, eh der Tod ihm von selbst kommt!
Ein Vernünftiger braucht einen klaren Verstand, wenn die Not kommt.»

1180
Die Eunuchen rief sie und sagte: «Hört mich, besinnt euch!
Wenn ihr meint, ich würde jetzt eure Herrin, dann irrt ihr!
Auch euer Herr irrt, denkt er, ich würde die Frau seines Sohnes,
Er läßt umsonst Trompeten blasen, Trommeln und Pauken sich rühren.

1181
Ich tauge nicht als eure Königin, geh andere Wege.
Vor der Sonne mit dem Zypressenleib schützt mich der Herrgott!
Andres begehrt ihr von mir, aber anders sind meine Pläne.
Mir stehts nicht zu, auch künftig mit euch zusammenzuleben.

1182
Ich werd bestimmt mich töten, morden mich mit einem Messer.
Euch aber wird euer Herr töten, ihr weilt nicht lang auf der Welt mehr.
Lieber geb ich euch Schätze, mit denen mein Leib umgürtet.
Laßt mich gleich heimlich entkommen, sonst überkommt euch noch Reue!»

1183
Perlen machte sie los, die Edelsteine vom Gürtel,
Nahm die Krone auch ab, die durchsichtig ganz aus Rubin ist.
Sie gab es ihnen und sagte: «Nehmt sie, ich bitte euch brennend!
Laßt mich gehn, erstattet die Dankesschuld euerem Gotte.»

1184
Gier nach den kostbaren Schätzen ergriff sogleich alle Diener,
Sie vergaßen die Furcht vor dem König, als wär er ein Bauer,
Sie warn entschlossen, dem Sonnenantlitz zur Flucht zu verhelfen.
Seht, was das Gold macht, der goldene Stab mit der Wurzel im Satan!

1185
O das Gold! Es macht seinen Liebhabern niemals je Freude,
Bis zum Tage des Todes knirscht seine Gier mit den Zähnen,
Gold fließt zu, wieder weg, es fehlt ihm, befriedigt ihn niemals,
An das Irdische fesselt den Geist es, strebt nicht nach Höhrem.

1186
Als bald drauf die Eunuchen ihr das Gewünschte gewährten,
Zog sich einer aus und reichte ihr seine Kleidung,
Einen anderen Weg gingen sie vor den drängenden Zechern.
Voll blieb der Mond, unversehrt und nicht verschlungen vom Drachen.

1187
Auch die Diener entflohen, entfernten sich mit ihr gemeinsam.
An meine Türe klopfte die Jungfrau, laut rief sie: «Patman!»
Ich kam heraus, erkannte, umarmte sie; wahrlich ich staunte.
Bei mir eintreten wollte sie nicht: «Warum bittest du mich denn.»

1188
Sie sagt’ zu mir: «Ich kaufte mich los, mit dem, was du mitgabst.
Gott möge dich durch Gnaden als Vergeltung belohnen!
Du kannst mich nicht verbergen, schick mich mit einem Pferd fort,
Eh es der König erfährt und seine Leute mich suchen.»

1189
Eiligst ging ich zum Stall und band das vorzüglichste Pferd los,
Sattelt’ es rasch, ließ sie aufsitzen, die sich freute, nicht seufzte;
So setzt die Sonne, das erste Gestirn, sich nun auf den Löwen.
Damit verschwand die Umsorgte, ich konnte die Saat nicht mehr ernten.

1190
Schon sank der Tag. Die Kunde lief, es kamen Verfolger,
Füllten das Innre der Stadt, viel Unheil geschah da, o Unglück!
Man befragte mich, ich gab zur Antwort: «Findt ihr im Haus sie,
Sündige ich vor der Königin, mein Blut vergelte das ihre!»

1191
Alle suchten, erfuhren nichts, beschämt warn sie alle.
Von dieser Zeit an trauert der König mit seinem Gefolge.
Sieh, die Leute des Hofes, sind violett jetzt gekleidet.
Denn die Sonne hat uns verlassen, nun fehlt es an Licht uns.

1192
Wo jener Mond weilt, künde ich dir noch in dem, was danach folgt.
Erst aber will ich dir sagen, womit jener Jüngling mir drohte:
Ich, o weh, war sein Weib, und er ist mein Bock oft gewesen.
Kaltsinn besudelt den Mann, das Weib ihr hurend Geschlechtsteil.

1193
Ich veracht’ meinen Gatten, weil er so hager und häßlich.
Jener Mann, ein Koster, ging ein und aus stets bei Hofe.
Ja, wir liebten einander, obgleich ich kein Trauerkleid trage.
Glück o! Könnt eine Schale mit seinem Blute ich trinken.

1194
Diese Geschichte erklärte ich ihm, wahnwitzig, weibisch,
Wie jene Sonne zu mir kam und wie gleich dem Fuchs sie entwischte,
Er drohte, mich zu verraten, nicht wie ein Freund, wie ein Feind mehr.
Nun denk ich an den Toten, ich habe mich trefflich gerettet!

1195
Ja, er droht’ mir, so oft wir uns zankten, wenn wir allein warn.
Als ich dich zu mir rief, bedacht’ ich nicht, daß er im Hause;
Heimgekehrt, ließ er mir sagen, er käme; du kamst, ich erschrak da,
Deshalb ließ ich dir sagen: Komm nicht! und schickte den Diener.

1196
Du aber kehrtest nicht um, du brachtest zu mir deine Strahlen.
Ihr beide traft so zusammen, das bedrängte mich mächtig,
Deshalb erschrak ich gewaltig, ich konnt’ keinen Ausweg mehr finden,
Jener wünscht’ meinen Tod mit dem Herzen, nicht nur mit der Zunge.

1197
Hättest du ihr nicht getötet, hätte er, wenn er zum Hof ging,
In seiner Wut mich verraten; ihm glühte Feuer im Herzen.
Zornig hätte der König mein Haus weggefegt von der Erde,
Gott, meine Kinder müßt ich zerfleischen, er hätt mich gesteinigt.

1198
Möge es Gott dir vergelten, wie könnte ich würdig dir danken,
Vor dem Blick jener schlimmen Schlange hast du mich gerettet!
Fortan bin ich mit meinem Stern, meinem Schicksal zufrieden,
Fürchte mich nicht vor dem Tode, welch grausiger Lage entrann ich!“

1199
Awtandil sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, es steht in der Schrift auch —
Jeder Freund, der zum Feind ward, ist feindlicher als alle Feinde,
Wenn man bedacht ist, traut einem solchen man niemals von Herzen.
Fürchte von ihm nur nichts mehr, er gehört jetzt den Toten!

1200
Nun erzähle mir wieder, nachdem du die Jungfrau entließest,
Ob du Kunde erhalten oder von ihr was gehört hast!“
Patman spricht wiederum weinend, Tränen entrinnen den Augen:
„Mir ist entschwunden das Licht, das über die Fluren sich breitet.“

NESTAN-DAREDSHANS GEFANGENNAHME DURCH DIE KADSHIS

1201
Welt du, an Trug und an Tücke gleichst du gräßlich dem Satan.
Keiner erfährt von dir, wo du deine Arglist versteckt hast!
Das gleich der Sonne leuchtende Antlitz, wohin ist’s gewandert?
Daran erkenn ich: in dieser Welt ist alles doch eitel.

1202
Patman sagte: „Die Sonne, das Licht aller Lande verließ mich,
Sie war mein Lebensodem, der Lohn für das Werk meiner Hände.
Seitdem bin ich jetzt immer von flammenden Feuern umfangen,
Meiner Augen Quell, der tränenfeucht, ist nicht zu trocknen.

1203
Alles, mein Haus, meine Kinder, wurden mir lustlos, gar lästig,
An sie dachte ich, wenn ich schlief und auch wenn ich wach war.
Ussen, der den Schwur brach, hat einen ungläubgen Glauben.
Der Verfluchte kanns nicht erreichen, daß ich zu ihm komme.

1204
Eines Tages, am Abend, beim Untergange der Sonne
Trat ich an eine Pforte und sah da den Eingang vom Gasthaus.
Immer dacht’ ich an sie, der Kummer verzehrte mich wieder,
Ich sprach: «Verflucht sei der bindende Schwur eines jeglichen Mannes!»

1205
Irgendwoher kam ein Knecht in Begleitung dreier Gesellen,
Er wie ein Knecht gekleidet, die andern in Baumwollgewändern;
Sie holten Speise und Trank, die in der Stadt sie sich kauften,
Sie unterhielten sich, tranken und aßen fröhlich genießend.

1206
Ich sah zu, sah sie an, sie sagten: «Gut wars uns heute!
Wir fanden uns zusammen, die wir uns vordem nicht kannten,
Weder wissen wir, wer wir sind noch woher wir gekommen,
Wir sollten, was wir erlebten, uns gegenseitig berichten!»

1207
Ihre Geschichte erzählten die andern, wie es so Sitte,
Doch der Knecht sagte: «Brüder, das ist eine Fügung des Himmels,
Ich ernte Perlen für euch, nachdem ihr Hirse gesät habt,
Meine Geschichte ist besser als alle eure Geschichten!»

1208
«Ich bin», sagte er, «Knecht des erhabenen Königs der Kadshis;
Ihn ereilte die Wucht einer Krankheit, die ihn zerbrochen;
Der Erhörer der Waisen, der Helfer der Witwen verstarb uns,
Nun erzieht seine Schwester die Kinder, mehr als der Vater.

1209
Dularducht ist ein Weib, doch gleich einem Felsen, ein Steinblock,
Sie verletzt einen, keiner verletzte je ihren Diener;
Die hat die kleinen Neffen bei sich: Rossan und Rodia;
Jetzt thront sie in Kadsheti, die Freudenreiche genannt stets.

1210
Wir hörten Kunde vom Tode der Schwester jenseits des Meeres;
Die Wesire wurden betrübt, sie kamen gleich alle;
Wie können wir ihr den Tod jenes leuchtenden Antlitzes sagen?
Roschaq ist ein Diener, das Haupt vieler Tausender Diener.»

1211
Roschaq drauf: «Töte man mich, beim Wehklagen möcht ich nicht dasein,
Ich geh ins Feld auf Raub aus, ich werde mit Beute mich füllen.
Schwer bereichert kehr ich nach Hause, ich werd bald zurücksein;
Geht die Königin, weint um die Schwester, dann gehe ich mit ihr!»

1212
Er sprach zu uns, zu seinen Gehilfen: «Ich gehe, kommt mit mir!»
Er nahm uns mit, hundert Knechte, die er sorgfältig wählte,
Tagsüber zogen auf Raub wir, auch nächtens wachten wir immer;
Viel Karawanen zerschlugen wir, rafften an uns ihre Waren.

1213
Wir überquerten ein Feld in einer der finsteren Nächte.
Mitten im Felde erschienen vor uns plötzlich mächtige Lichter;
«Ist es die Sonne», sagten wir, «die vom Himmel aufs Land stieg?»
Wir ergaben verwirrt uns diesem Gedanken, er quälte.

1214
Das ist der Morgenstern, sagten die einen, der Mond sagten andre.
Reihenweis schritten wir weiter, um es genau zu betrachten;
Gingen um es herum, wir kamen näher, umkreistens,
Aus jenem Lichte kam eine Stimme, die zu uns redet.

1215
Sie sprach zu uns: «Wer seid ihr, ihr Reiter, nennt eure Namen!
Nach Kadsheti geh ich von Gulanscharo fort, Platz da!»
Wir traten näher, vernahmens, einen Kreis ringsum bildend;
Einen Reiter mit einem Sonnenantlitz den sahn wir.

1216
Jenes leuchtende, strahlenblitzende Angesicht sahn wir;
In die Umgebung schien sein Schimmer ähnlich der Sonne;
Karg, mit ruhigen Worten sprach er zu uns ganz gelassen,
Von den Zähnen erhob sich das Licht zu achatenen Zäunen.

1217
Mit jener Sonne sprachen wir, sanftmütig sprach unsre Zunge.
Sie war kein Knecht, das log sie, das erkannten wir bald schon;
Roschaq merkte, daß sie ein Weib war, er stellte sich zu ihr.
Wir hielten fest sie, wagten es nicht, sie mit Händen zu halten.

1218
Fragten: «Sag uns die Wahrheit, du bist ein Licht wie die Sonne!
Wem gehörst du, wer bist du, woher denn, Licht du im Finstern?»
Sie sagte nichts, ihr entströmte nur ein Bach heißer Tränen;
Klagen wert ist der Vollmond, den die Schlange verschlungen.

1219
Weder ist’s offenbar noch ist es ein tiefes Geheimnis.
Nichts sagt’ sie uns, weder wer sie sei noch wer sie verraten.
Grollend sprach sie zu uns, sie zürnte, aber beherrscht noch,
Gleich einer Natter, die den Betrachter erschrickt mit den Augen.

1220
Roschaq befahl uns: «Fragt nicht, anscheinend darf sie nichts sagen!
Seltsam ist ihr Geschick, es ist wohl auch schwer zu berichten;
Unserer Königin Los sollten alle Wesen beneiden,
Deshalb weil Gott ihr verliehn hat, was uns alle verwundert.

1221
Diese hat Gott uns zugeführt, um sie zu ihr zu führen,
Wir bringen sie als Geschenk ihr, die Königin wird es uns danken.
Wenn wir sie hier verstecken, verrät man uns, stolz ist die Fürstin.
Einmal wärs ein Vergehn gegen sie und dann eine Schande.»

1222
Wir waren einig mit ihm, drum hielten nicht lange Rat wir,
Kehrten um, wandten uns gen Kadsheti, wir zogen mit jener.
Sie zu ergreifen, wagten wir nicht, wir stritten nicht mit ihr.
Wallenden Herzens weint’ sie, die Wangen mit Tränen bespülend.

1223
Zu Roschaq sprach ich: «Entlaß mich, ich bin dein Gefolgsmann bald wieder,
Jetzt hab ich etwas Wichtges in Gulanscharo zu schaffen!»
Er entließ mich, hier irgendwo hatte ich Ware zu holen,
Ich nehm sie mit und geh, um jenen rasch nachzueilen.“

1224
Jenen Männern gefiel die Geschichte des Knechtes vorzüglich.
Nachließ daher der Strom meines Tränenflusses ein wenig.
Ich erriet ihre Zeichen, die meines Lebens Kraft war.
Freude empfand ich ein wenig wie vom Gewicht einer Drachme.

1225
Jenen Knecht bracht’ ich zu mir, ich ließ ihn vor mich sich setzen,
Bat ihn: «Sag mir, was du berichtet, auch ich möcht es hören!»
Er erzählte mir wieder, was ich von dort schon vernommen,
Diese Kunde belebte mich, sie erhielt mich am Leben.

1226
Ich hab zwei schwarze Diener, die der Zauberkunst mächtig:
Unsichtbar können sie kommen und gehen, dank ihrer Künste,
Diese schickte ich nach Kadsheti: «Nur nicht gezögert!
Schafft mir endlich Nachricht von ihr durch euer Bemühen!»

1227
Schon nach drei Tagen zurück! Sie hatten sich tüchtig gesputet:
«Hin zur Königin brachte man sie, eh sie über das Meer fuhr,
Niemand kann sie schaun, wie man auch in die Sonne nicht schaun kann,
Unsere Königin verlobt’ sie dem kleinen Rossan als Braut schon.

1228
Rossan soll sie zur Frau haben, Königin Dularducht wills so,
Vorläufig hab ich nicht Muße, die Hochzeit zu richten, ich brenne;
Komm ich zurück, dann heiratet er die Sonnengepriesne.»
Sie ließ sie in einem Turm wohnen, wurde bedient vom Eunuchen.

1229
Alle die Zauberkundigen hat sie mit sich genommen,
Denn der Weg ist schwierig, die Feinde rüsten zu Fehden.
Dort ließ sie Knappen zurück, gar viele der tapfersten Kämpfer;
Dort wird sie lange verweilen; vor kurzem erst ging sie von hier fort.

1230
Diese Kadshisstadt gilt bis heute als uneinnehmbar:
Denn in der Stadt erhebt sich ein Felsen, ein langer, sehr hoher,
Dieser Felsen hat eine Höhlung, durch die man hineinsteigt:
Einsam weilt dort jenes Gestirn, das verbrennt, wen es anschaut.

1231
Knappen, die ausgesucht schönsten, bewachen den Eingang zur Höhlung.
Zehntausend Ritter stehen da Wache, vertraunswürdig alle,
An drei Stadttoren stehen jeweils dreitausend Ritter.“
O du mein Herz, die Erde hat fest dich an Leiden gekettet!“

1232
Als das Awtandil hörte, der Griffeste, stets Sonnengleiche,
War es ihm hochwillkommen, nichts anderes ließ er vernehmen;
Er sagte Gott seinen Dank, der Stattliche, Herrlichgeborne;
„Die Geschichte, die mich erfreute, erzählte ein Fremder.“

1233
Er sprach zu Patman: „Geliebte, du hast erfüllt meine Wünsche,
Die erwünschte Geschichte vernahm ich freudigen Herzens.
Doch laß mich nun das mit dem Kadsheti genauer noch hören;
Wandeln diese im Fleisch, wer hat solche Wesen geschaffen?

1234
Mitleid für diese Jungfrau entzündet mich, faßt mich mit Flammen.
Was wolln, erstaunt mich, die leiblosen Kadshis denn von einer Jungfrau?“
Patman sagte drauf: „Hör mich, ich seh dich ergriffen!
Diese sind keine Kadshis, Menschen, die Felsen vertrauen.

1235
Kadshis heißen sie, weil sie zu einer Gemeinschaft verbunden
Menschen, die der Zauberkunst kundig mit reicher Erfahrung,
Die den Menschen schaden, doch selber nie Schaden erleiden.
Ihre Feinde gehen geblendet, besiegt auf die Flucht stets.

1236
Seltsame Dinge tun sie: sie blenden die Augen des Feindes,
Fachen schreckliche Stürme, versenken segelnde Schiffe.
Wie auf dem Festland schreiten sie über das Wasser, es trocknend,
Wenn sie es wünschen, wandeln den Tag sie ins finsterste Dunkel.

1237
Darum nennen alle umwohnenden Leute sie Kadshis.
Menschen sind sie wohl auch, Menschen, leibhaftig wie wir sind.“
Awtandil dankte ihr: „Du hast mein flackerndes Feuer gelöscht jetzt,
Höchst willkommen warn mir die eben gesprochenen Worte.“

1238
Awtandil rühmte Gott von Herzen, während er weinte,
Sprach: „Ich danke dir Gott, daß du Leiden in Freuden verwandelst,
Ewig Seiender, Unaussprechlicher, nicht zu vernehmen,
Der du die heilige Gnade plötzlich über uns breitest!“

1239
Er rühmt mit Tränen Gott, daß er endlich Kunde bekommen.
Patman dachte an sich, drum fing sie wiederum Feuer;
Sein Geheimnis bewahrte der Ritter, er täuscht’ sie mit Neigung,
Patman umfing seinen Hals und küßte sein sonngleiches Antlitz.

1240
Patman genoß jene Nacht, als Awtandil bei ihr gelegen,
Lustlos faßt’ ihren Hals der Ritter, er schmiegt ihn an seinen.
Der Gedanke an Tinatin tötet ihn, heimlich erschauernd.
Wild entwich ihm sein Herz, mit den Tieren der Wildnis zu schweifen.

1241
Heimliche Tränen entrinnen Awtandil, münden ins Meer ein,
Da wo im tiefen Tintenteich das achatene Boot schwimmt.
Er spricht: „Seht mich, Midshnure, für wen ist denn nun diese Rose?
Ohne sie sitz auf dem Mist ich die Nachtigall gleich einer Krähe.“

1242
Tränen, die er vergossen, könnten selbst Steine erweichen,
Das achatene Dickicht dämmt sie, auf’s Rosenfeld fließt es;
Patman freut sich an ihm, als ob sie selbst Nachtigall wäre.
Findet die Krähe die Rose, wähnt sie sich nachtigallwürdig.

1243
Tag wards. Zum Baden begab sich die Sonne, die auf das All strahlt.
Patman brachte dem Ritter viel Obergewänder und Schleier,
Vielerlei Wohlgerüche, auch schöne, frisch duftende Hemden:
„Lege an, was du willst und nimm nur auf mich keine Rücksicht!“

1244
Awtandil dachte: „Heute offenbare ich ihr mein Geheimnis!“
Bisher blieb er dabei, nur Kaufmannsgewänder zu tragen,
Jetzt aber kleidet er seinen Leib in die Tracht eines Ritters,
Schöner wurde er noch, der Löwe ward ähnlich der Sonne.

1245
Patman halte zu Awtandils Ehren ein Festmahl gerichtet;
In seiner Rüstung kam jetzt der Ritter, froh, nimmer düster.
Patman sah ihn nicht mehr als Kaufmann gekleidet: sie staunte,
Lächelt’ ihn an: „So ists besser, zur Wonne derer, die rasen!“

1246
Patman genoß des Ritters Schönheit mit hohem Entzücken.
Er gab ihr keine Antwort, lächelte nur ganz im stillen:
„Ja, man merkt es, sie kennt mich nicht, wie könnt sie so zögern.“
Seiner Lage mußt’ er sich anpassen, anders gingesnicht mehr.

1247
Als sie gespeist hatten, trennten sie sich, er ging rasch nach Hause,
Da dem Wein er gehuldigt, legt’ fronen Sinns er sich schlafen.
Abends erwachte er wieder, er überstrahlte die Weite;
Er rief Patman: „Komm doch, besuch mich, ich bin heut alleine!“

1248
Patman kam zu ihm eilends, Awtandil hörte ihr Seufzen;
Sie wiederholte: „Mich tötet die pappelgleiche Gestalt noch!“
Zu ihm ließ er sie sitzen, gab ihr ein Kissen vom Teppich;
Seinen Rosengarten beschattet’ die Laube der Wimpern.

1249
Awtandil sagte: „O Patman, ich weiß es, was du nun tun wirst:
Du erschrickst bei der Nachricht wie von der Schlange gebissen,
Aber bisher vernahmst du von mir nicht Worte der Wahrheit,
Wimpern, die mich töten, sind schwarzem, achatnem Geäst gleich.

1250
Du denkst, ich sei ein Kaufmann, führte stets Karawanen;
Ich bin der Heerführer Rostewans, des erhabenen Königs,
Haupt eines großen Heeres, wie’s seiner Herrlichkeit zusteht.
Ich besitze zahlreiche Schatzkammern, Waffen in Unzahl.

1251
Als eine gute Freundin kenn ich dich, treu und verläßlich.
Rostewan hat eine Tochter, die sonngleich die Lande erleuchtet.
Sie ist es, die mich verbrennt, sie läßt vor Schmerzen mich schmelzen,
Sie hat mich hierher gesandt, ich hab ihren Vater verlassen.

1252
Um jene Jungfrau zu suchen, die du gastlich einst aufnahmst,
Stellvertretrin der Sonne hab alle Welt ich durchwandert;
Den wegen ihr entflohenen Löwen sah ich, erbleicht jetzt,
Der sich selber, sein Herz und all seine Kräfte vergeudet.“

1253
Awtandil berichtet nun Patman, was er erlebte,
Die Geschichte von Tariel, der sich im Pantherfell kleidet;
Er sprach: „Du bist das Heilmittel dessen, den du noch nie sahst,
Du hilfst den dichten Wimpern, wie Rabenflügel sich spreizend.

1254
Komm, Patman, hilf mir, versuchen wir, beiden Sonnen zu nützen,
Helfen wir ihnen, daß jene Gestirne noch Freude erleben!
Jeder Mensch, der davon erfährt, der lobt uns gewißlich,
Mög es den Liebenden glücken, wieder zusammenzukommen!

1255
Führ mir den Knecht her, den Zaubrer, wir schicken ihn gleich nach Kadsheti!
Wir sagen dann der Jungfrau alles, was wir erfahren.
Sie soll auch Wahres uns sagen, wir handeln danach, so wie sie’s will.
Gott mög es fügen, daß du vom Sieg hörst über die Kadshis!“

1256
Patman sprach: „Gelobt sei Gott, welches Geschehen erleb ich!
Dinge, wie ich sie vernahm heut, die der Unsterblichkeit gleichen!“
Sie führt’ den zauberkundigen Knecht vor, der schwarz wie ein Rabe,
Und befahl ihm: „Ich schick dich weit weg sogleich nach Kadsheti!

1257
Jetzt wird der Nutzen deiner Zauberkünste sich weisen;
Lösche rasch mir den Brandherd, an dem mein Feuer entflammt ist!
Teil jener Sonne den Grund mit, womit sie von Leiden geheilt wird.“
Dieser sagte darauf: «Morgen bring ich dir schon jene Nachricht!»

PATMANS BRIEF AN NESTAN-DAREDSHAN

1258
Patman schreibt ihr: „Du Leuchte, hehre Sonne der Erde,
Die du alle, die dir fern sind, mit Frost schlägst, läßt zittern,
Du, mit den lieben Worten glänzender Schönheit der Rede,
Du Kristall und Rubin, die beide in eines verschmolzen!

1259
Wenn du auch mir, der Harrenden, keine Kunde von dir gabst,
Hab ich jetzt doch zur Freude des Herzens die Wahrheit erfahren,
Gib dem um dich rasenden Tariel rasch eine Nachricht,
Das euer Wunsch sich erfülle, er werde Rose, du Veilchen.

1260
Tariels Schwurbruder ist jetzt gekommen, um dich zu suchen,
Awtandil, der arabische Ritter, zuhause gepriesen,
König Rostans Heerführer, nie noch von jemand getadelt;
Schreib ihm von dir eine Nachricht, mit einem weisen Verstande.

1261
Darum haben wir diesen Knecht jetzt zu euch gesendet,
Daß wir hörn von Kadsheti, ob wohl die Kadshis zu Hause?
Wir wolln genau die Zahl aller dortigen Krieger erkunden:
Wer und wieviel deine Wächter sind, oder auch wer deren Haupt ist.

1262
Was du von dort weißt, schreibe, tue sogleich es uns kund jetzt.
Dann schicke deinem Geliebten irgendein untrüglich Zeichen!
Alle von dir erlittenen Leiden verwandle in Freuden.
So Gott will, vereine ich euch als geborene Freunde.“

1263
Patman gab diesen Brief dem künsteerfahrenen Zaubrer:
„Überbring ihn der sonnengleichenden Jungfrau!“, so sprach sie.
Drauf überzog sich der Zauberer mit einer grünschimmernden Hülle;
Er verschwand im gleichen Moment, flog über die Dächer.

1264
Gleich dem Pfeil eines mächtigen Schützen flog er ins Weite;
Nach Kadsheti gekommen, dämmerte kaum erst der Abend;
Unsichtbar durchschritt er die Masse bewachender Mannen,
Jener Sonne gab er die Nachricht von dem, den sie lieb hat.

1265
Durch die geschlossenen Burgtore ging er, als stünden sie offen,
Mit dem verhüllten Körper erschien der schwarze Äthiopier;
Jene Sonne erschrak, vermutete gleich neues Unheil.
Wandelt’ die Rose in Safran, in Lazurfarbe die Veilchen.

1266
Der Äthiopier sagte: „Was hältst du von mir, daß du schwach wirst?
Ich bin der Diener von Patman, die mich heut zu dir schickte,
Dieser Brief soll mich rechtfertgen, denn ich sag dir nichts Falsches,
Warte auf Sonnenstrahlen, o Rose, verwelke nicht vorher!“

1267
Über die Wundernachricht staunte das Antlitz der Sonne,
Ihre Mandeln spaltend, bewegten sich Schwarzbernsteinkugeln.
Nun übergab der Knecht ihr sogleich den Brief eigenhändig,
Jetzt liest den Brief sie, sie schluchzt, ihn mit heißen Tränen befeuchtend.

1268
Sie befragte den Knecht auch: „Sag mir, wer ists, der mich sucht hier
Oder weiß, daß ich lebe und auf Erden noch wandle?“
Jener gab ihr zur Antwort: „Ich sage dir, was mir bekannt ist:
Seit du fortgingst, verfinsterte sich wegen dir unsre Sonne!

1269
Patmans Herz ist seit dieser Zeit durchbohrt wie von Speeren;
Tränen, die sie vergossen, glichen meerlüsternen Strömen,
Einmal hab ich ihr schon von dir eine Kunde gegeben,
Gott ruf ich an als Zeugen, daß sie nicht aufhört zu weinen.

1270
Jetzt kam ein Ritter zu uns, der schön von Gestalt und von Antlitz,
Er berichtete alles beredt, was an Leid ihr erlitten,
Er ists, der dich immerfort sucht mit dem Arm eines Heros;
Sie sandten mich hierher mit der Weisung, mich sehr zu beeilen.“

1271
Drauf sagte ihm die Jungfrau: „Mann, du sprichst wohl die Wahrheit,
Denn, wie wüßte es Patman, wem ich plötzlich entführt ward.
Irgendwo weilt gewiß jener, der mich mit Feuer umfangen,
Ich schreibe ihr und sag ihr, wie blutend immer mein Herz weint.“

NESTAN-DAREDSHANS BRIEF AN PATMAN

1272
Nestan schreibt: „Edle Frau, o Mutter, noch besser als Mutter!
Siehst du, was die Welt, die mich fing, mit mir nun getan hat?
Zu meinen früheren Leiden, o weh, da fügt sie noch andres;
Nun sah ich deinen Brief, der mir neue Hoffnung gemacht hat.

1273
Du hast mich von zwei Zaubrern befreit, meine Leiden erleichtert,
Jetzt bedrängen mich hier aber alle Kadshis gar mächtig:
Mich, die eine, bewacht ein Reich mit zehntausend Helden.
Übel bekamen mir Rat und Vorsatz, sie brachten mir Unglück.

1274
Was soll ich sonst als Nachricht von hiesigen Dingen berichten?
Noch kam die Kadshis-Königin, kamen zurück nicht die Kadshis.
Doch unzählige Krieger, die Kühnheit der Helden bewacht mich,
Was heißt denn das, mich aufsuchen, es ist unmöglich hier, glaub mirs!

1275
Wer da zu mir kommt, um mich zu suchen, bemüht sich vergeblich,
Er müht sich ab, er brennt, ist umfangen von lohenden Flammen;
Ich beneide ihn, weil er die Sonne sah und nicht erfrorn ist.
Weh mir, welch großer Jammer, ohne ihn leb ich mein Dasein!

1276
Ich erzählte dir meine Erlebnisse nicht, ich verschwieg sie,
Weil ich sie dir nicht berichten konnt’ ich ersparte mir Leiden:
Bitte meinen Geliebten, daß er sich meiner erbarme!
Er soll mich hier nicht suchen, schreib ihm, ich laß es ihm sagen!

1277
Nöte, die ich erduldet, genügen mir, jetzt solls genug sein:
Ich werd ihn tot sehn, werd eines doppelten Todes noch sterben.
Keiner kann mir helfen, bestimmt weiß ich nichts
Hört er auf dich nicht, steinige mich mit viel schwarzen Steinen!

1278
Du hießest mich, dir ein Lebenszeichen zu geben, jetzt tu ichs,
Jetzt schick ich ihm ein Stück jenes Schleiers, den er mir schenkte;
Er ist für mich als Liebespfand ein teuerer Anblick, die Farbe der Trauer.“
Wenn er auch gleich meinem Lose schwarz ist als Geschwätz nur!

NESTAN-DAREDSHANS SCHREIBEN AN DEN GELIEBTEN

1279
Nun schreibt sie ihrem Geliebten, weinend mit schluchzendem Herzen,
Ihre Tränen löschten die Flammen, die diese umfangen.
Dieses Schreiben könnte die Herzen der Hörer durchbohren;
Öffnend die Rosen, erschien der Kristall, der alles durchschimmert.

1280
„O du mein Eigen, mit eigener Hand schrieb ich diesen Brief dir.
Feder ist da mein Leib, in Galle getaucht ist die Feder,
Mein Papier ist dein Herz, ich hab es auf’s meine gepreßt jetzt,
Bind’ dich nicht los, mein verfinstertes Herz, bleib fürder gefesselt!

1281
Siehst du auch, o du mein Eigen, was alles geschäftig die Welt treibt?
Wenn das Licht auch hell leuchtet, so ist doch für mich alles finster.
Weise kennen, sie tadeln die Welt, weil sie Tadel verdient hat!
Weh mir, wie grausig schwer ist mein Leben ohne das Deine!

1282
Siehst du mein Eigen, wie uns die verfluchte Welt jetzt getrennt hat?
Ich, die Freudige, konnte den Freudigen nicht mehr erblicken,
Was soll mein Herz nun ohne dich tun, das dein Speer mir durchbohrt hat?
Mein verborgner Gedanke kündet dir dieses Geheimnis:

1283
Bei deiner Sonne! Ich glaubte nicht, daß du wirklich noch lebtest;
Still bedacht’ ich’s bei mir mein Leben erlosch und die Rettung!
Doch als ich von dir hörte, rühmt’ ich Gott dienend dem Schöpfer.
Seither erlittene Leiden wog ich nun auf gegen Freude,

1284
Daß du, Liebster, noch lebst, genügt meinem hoffenden Herzen,
Meinem schrecklich verwundeten Herzen, das übel verbrannt ist!
Denk an mich, bleibe mir gut, die für dich ich schon beinah verloren.
Ich bleib bemüht, die Liebe zu pflegen, die ich einst dir pflanzte.

1285
Sonst, du mein Eigen, was ist an dich über mich wohl zu schreiben?
Müd wird die Zunge, und keiner glaubt dir beim Anhörn die Kunde!
Patman entriß mich den Zaubrern, möge Gott sie beschützen!
Jetzt tat die Welt wieder, was sie nun einmal seit jeher gewohnt war.

1286
Jetzt fügt die Welt zu meinem Leid noch viel schlimmere Leiden;
Meinem Schicksal genügten noch nicht meine vielfachen Qualen,
Gabs mich doch auch noch den Kadshis gefangen, die schwer zu bekämpfen;
Alles hat uns das Schicksal gefügt, was je uns geschehen.

1287
In einem hohen Turm sitze ich, dessen Boden kaum sichtbar,
Durch einen hohlen Gang führt der Weg hoch, doch stehen da Wächter.
Tag und Nacht versäumen die Knappen hier nicht ihre Wache.
Sie zerschmettern die Feinde, die sie gleich Feuer umfangen.

1288
Denkst du dir etwa, daß ihre Kriegskunst der anderer gleichkäm?
Töte mich nicht mit noch schlimmerer Qual, als ich hier schon erlitten:
Ich werd dich tot erst erblicken, verbrenne wie Zunder durch Gluten!
Da wir getrennt sind, entsage, mach härter dein Herz als wie Felsen!

1289
O mein Geliebter, bereite dir nur nicht jetzt diesen Kummer,
Wenn du von mir sagst: «Die Pappelgleiche gehört einem andern!»
Ohne dich ist sinnlos mein Leben, wie ich das bedaure!
Entweder stürz ich vom Felsen mich oder ich greife zum Messer.

1290
Bei deiner Sonne! Dein Mond wird außer dir keinem gehören,
Keinem kann er gehören, selbst wenn da drei Sonnen kämen!
Hier stürz ich mich hinab, große Felsen sind in der Nähe.
Bete für meine Seele, daß sie Flügel erhalte vom Himmel!

1291
Flehe Gott an, er erlöse mich von der währenden Weltmüh,
Mache mich frei vom Feuer, Wasser, der Erde, den Lüften,
Daß er mir Flügel gäbe, im Aufflug erfülle mein Wünschen,
Daß ich nächtens und tags der Sonnstrahlen Flimmern erblicke!

1292
Ohne dich kann die Sonne nicht sein, diweil du ihr Teil bist,
Wohl wirst du sie begleiten, weil du den Sonnenweg wanderst!
Dort seh ich dich, ihr eins, mein betrübtes Herz mir erhellend.
War hier mein Leben auch bitter, so möge süß doch mein Tod sein!

1293
Schwer ist der Tod nicht für mich, da ich dir meine Seele empfehle,
Tief grub ich in mein Herz meine Liebe, da ist sie geblieben.
Denk ich an unsere Trennung, so fügt sich mir Wunde an Wunde;
Traure nicht, wein nicht um mich, du mein Eigen, bei meiner Liebe!

1294
Wende dich jetzt nach Indien, komm meinem Vater zu Hilfe,
Der, von Feinden bedrängt, jetzt vielfachen Beistands bedürftig.
Bitte, erfreue sein Herz, weil er unter der Trennung schwer leidet,
Denk an mich, die um dich weint viel nie zu trocknende Tränen.

1295
Was ich über mein Los geklagt hab, genügt wohl zur Klage;
Wie das Urteil des Herzens zu einem anderen dringt, wisse.
Sterben werd ich für dich, daß die Krähen dann über mir krächzen.
Doch solange ich lebe, genüg ich zum Leid dir, zur Trauer.

1296
Nimm hier als Wahrzeichen dieses Zeichen des Schleiers von dir hin!
Von einer Seite schnitt ich ein Stückchen vom Stoff, du mein Eigen!
Dieses nur mag dir anstatt jener großen Hoffnung verbleiben.
Kalt dreht das Rad der Sieben Himmel sich über uns zornig.“

1297
Als sie diesen Brief an ihren Geliebten gerichtet,
Schnitt einen Zipfel sie ab vom Schleier, den er ihr einst schenkte.
Schön stand ihr diese Fülle, Länge und Farbe der Haare,
Wohlgeruch weht von der Aloe, gefacht von rabschwarzen Flügeln.

1298
Nun ging der Knecht zurück, er wandte sich gen Gulanscharo.
In einem Nu gelangt’ er zu Patman, nicht tagelang wandernd.
Awtandil, als er von ihm lang Erwünschtes schließlich erreichte,
Dankte Gott mit erhobenen Händen, klar und nicht trunken.

1299
Er sagte Patman: „Jetzt endlich bin ich am Ziel meiner Wünsche,
All deine große Mühe kann ich unmöglich vergelten,
Ich gehe jetzt, das Jahr ist um, ich hab keine Muße.
Schnellstens bring ich Kadsheti seinen Vernichter, Verderber.“

1300
Drauf die edele Frau: «O Löwe, mein Feuer brennt mehr noch,
Weil es vom Licht jetzt entfernt ist, wird nun düster mein Herz sein;
Nimm keine Rücksicht auf mich, wer rasend ist, rast ohnehin schon,
Kämen dir Kadshis zuvor, fiels schwer für dich, dorthin zu kommen.»

1301
Pridons Diener, die ihn begleiten, rief nun der Ritter,
Sagte: „Waren wir bisher tot, so leben wir auf jetzt,
Neugeboren, nachdem wir erhört, unsere Wünsche erfüllt sind;
Ihr werdet sehn die blauunterlaufenen Wunden der Feinde.

1302
Geht und bringt nur nicht übereilt die Kunde zu Pridon;
Ich seh ihn nicht, ich eile, muß schleunigst jetzt meines Wegs ziehn.
Seine machtvolle Stimme soll er noch machtvoller steigern;
Euch geb ich alle die Schätze, die ich einstens erbeutet.

1303
Groß ist die Schuld schon, die ich dankbar euch fürderhin schulde.
Besser noch danke ich euch, wenn ich Pridon wiederum treffe.
Nun nehmt nur alles, was ich den Seeräubern kürzlich erst abnahm,
Mehr kann ich euch jetzt nicht geben, ich weiß, daß ich geizig erscheine.

1304
Da ich noch nicht daheim bin, kann ich euch jetzt nicht mehr schenken!“
Er gab ihnen das Schiff voll zahlreicher, kostbarer Schätze,
Sprach: „Nehmt dies, geht den gleichen Weg jetzt wiederum heimwärts,
Pridon gebt meinen Brief, der ich ihm als Bruder verschworen!“

AWTANDILS SCHREIBEN AN PRIDON

1305
Er schrieb: „Erhabener Pridon, glücklicher Könige König,
Der du an Tapferkeit gleich einem Löwen, lichtspendende Sonne,
Ruhmreiche Himmelsgabe, der du Feindblut läßt sprudeln,
Aus der Ferne ruft dir der jüngste Bruder den Gruß zu!

1306
Mühsal fand ich gewiß, doch auch viel Entgelt meiner Mühen,
Wohlgelang nun die Sache, um die ich so mächtig bemüht war.
Ich gewann Kunde vom Antlitz, das mit der Sonne wetteifert,
Was jenen Löwen, im Abgrund begraben, rasch wird beleben.

1307
Jene Sonne hält die Königin fest in Kadsheti.
Spiel scheints mir, hinzugelangen, doch muß den Weg man erkämpfen.
Von den Narzissen regnet dort Regen, die Rose befeuchtend;
Noch sind die Kadshis fern, doch gibts da unzählige Mannen.

1308
Heiteren Herzens frohlocke ich drob, der Tränenfluß stockt mir,
Wo du mit deinem Bruder bist, wird das Schwierige leicht sein;
Was ihr auch wünscht, bewirkt ihr, es wird euch niemals entgehen.
Keiner kann dir widerstehen, und weich wird vor dir selbst der Felsen.

1309
Nun vergib mir, ich kann dich nicht aufsuchen, mußte vorbeiziehn!
Weil ich nicht weilen konnte, ist jener Mond nun gefangen.
Bald kommen fröhlich heim wir, freu dich auf unsere Rückkehr!
Was soll ich mehr dir noch kundtun, hilf deinem Bruder als Bruder!

1310
Dieser Diener Güte kann ich niemals vergelten.
Höflichst bedienten sie mich dein Herz sei ihnen recht gnädig!
Was braucht der noch ein Lob, der bei euch eine zeitlang geweilt hat?
Gleiches erzeugt ihm Gleiches das ist ein Ausspruch der Weisen“.

1311
Diesen Brief schrieb er, verband ihn und rollt’ ihn zusammen,
Gab Pridons Dienern, er, die Rose mit Haaren wie Veilchen;
Er ließ mündlich ausrichten, was und wie’s jetzt wohl nötig.
In der offnen Korallenpforte zeigen sich Perlen.

1312
Awtandil fand ein in seine Richtung auslaufendes Schiff rasch,
Weg fuhr die Sonne, mit einem dem Vollmond gleichenden Antlitz,
Schwer ward es ihm, die trauernde Patman nun zu verlassen,
All denen, die er zurückließ, entquoll ein Strom warmen Blutes.

1313
Patman, Ussam, die Diener weinten auch bittere Tränen:
„Sonne, was tatst du, du hast uns verbrannt mit flammendem Feuer!
Warum verdunkelst du uns durch die Finsternis stetigen Fernseins?
Du hast mit deiner Hand uns begraben, die das gewollt hat.“

AWTANDILS ABREISE VON GULANSCHARO UND SEINE BEGEGNUNG MIT TARIEL

1314
Awtandil durchquerte das Meer auf günstigen Schiffen,
Ritt dann mit heiterem Antlitz landeinwärts für sich ganz alleine.
Ihn freut’ das Treffen mit Tariel und was er für ihn hat erkundet.
Hoch die Hände dankte er, baut auf Gott mit dem Herzen.

1315
Schon kam wieder der Frühling; viel Grün war der Erde entsprossen.
Für die Blüte der Rosen ward ihr Treffen vereinbart,
Als die wandelnde Sonne im Tierkreis des Krebses grad weilte.
Als er die Blumen sah, die er lang nicht gesehn hatte, seufzt er.

1316
Dröhnend schon donnerts; aus Wolken tropften kristallene Tropfen.
Mit seinen Lippen, die selber wie Rosen, küßt’ er die Rosen,
Er sprach zu ihnen: „Ich schau euch mit Augen voll süßer Gefühle,
Red ich mit euch, dann freue ich mich, als spräch ich mit ihr schon!“

1317
Als er des Freundes gedachte, entrannen ihm bittere Tränen.
Bis er bei Tariel ankam, ging er beschwerliche Wege,
Durch die Wüste, durch unbekannte, unwegsame Lande,
Wo er sie sah, erlegte er Löwen und Panther im Dickicht.

1318
Jetzt sah er Höhlen, erkannte sie, sagte: „O unsre Felsen!
Dort weilt mein Freund, dessentwegen ich schmerzliche Tränen vergieße;
Möge ich würdig sein, ihm zu berichten, was ich vernommen!
Ist er zurück nicht, was soll ich tun? Vergeblich die Mühe!

1319
Kehrte zurück er, so weilt er gewiß nicht lange zu Hause,
„Sicherlich ist er im Felde, streift wie Tiere durchs Weite,
Besser ists, ich gehe durchs Dickicht“, bedenkt er, hält Ausschau.
Also sprach er, wandte sich um und ritt nach den Feldern.

1320
Awtandil reitet und singt frei-fröhlich heileren Herzens,
Ruft den Namen Tariel mit liebevoll lockender Stimme.
Kurz noch reitet er — da erscheint der Glanz jener Sonne.
Vor dem Dickicht stand Tariel mit seinem geschliffenen Schwerte.

1321
Tariel hat einen Löwen getötet, sein Schwert war noch blutig;
Vor dem Dickicht stand er zu Fuß, sein Roß war nicht bei ihm;
Awtandils Rufe, die er hörte, erstaunten ihn heftig.
Er erkannte ihn, lief ihm entgegen, er rannte, ja sprang gar.

1322
Tariel warf das Schwert weg, zu seinem Schwurbruder eilend,
Abstieg der Ritter, als ob ein Planet überrundet den andern;
Beide küßten sich, schmiegten aneinander die Wangen,
Zuckersüß war die Stimme der oft schon gespaltenen Rose!

1323
Weinend sagte Tariel zarte, liebreiche Worte: —
Rot färbten blutige Tränen die achatenen Wälder,
Tränen bewässerten da den Pappelbaum vielfältig strömend —
„Da ich dich sah, was kümmerts mich, was ich an Leiden erlitten!“

1324
Tariel weinte, und Awtandil sprach jetzt lachend zum Freunde;
Lächelnd öffnete er die Koralle, da strahlten die Zähne,
Sagte zu ihm: „Ich hab eine Nachricht, die wird dich erfreuen;
Nun blüht die Blume von neuem, die Rose, die seither verwelkt war.“

1325
Tariel drauf: „O Bruder, heute erlebte ich Freude!
Was mich erfreute, habe ich heut schon gesehn deine Rückkehr,
Kein andres Heilmittel soll Gott erschaffen, du hast’s nicht vernommen?
Wie sollt ein Mensch das je finden, was nicht von oben bestimmt ist?“

1326
Als ihm Tariel nicht glaubte, fand Awtandil nicht mehr die Ruhe.
Er konnte länger nicht zögern, ihm, was er gefunden, zu sagen.
Er zog den Zipfel des Tuchs, dessen Lippen Rosen entfielen.
Als ihn Tariel sah, erkannt’ er ihn, stürzte sich auf ihn.

1327
Er erkannte die Schrift, den Schleier, öffnet’ den Brief auch,
Legte sie auf sein Gesicht die erbleichte Rose — , sank nieder,
Ihm entflohen die Sinne, das senkt’ die achatenen Wächter.
Weder Kain noch Salomo könnten die Leiden ertragen.

1328
Awtandil blickte auf Tariel, dem das Bewußtsein geschwunden.
Auf den Süßredenden eilte sogleich er zu, ihm zu helfen,
Doch dem Verbrannten, vom Feuer Umfangnen konnt’ er nicht helfen,
Lebenszeichen von ihr, die nahmen ihm wohl alles Leben.

1329
Awtandil setzt’ sich und weinte — er weint’ mit berückender Stimme,
Häufig zerreißt er den Raben, verscheucht vom kristallenen Dach ihn,
Spaltete mit Diamanthammer die geschliffnen Rubine,
Die drauß strömenden Quellen gleichen Korallen an Farbe.

1330
Er zerkratzt sein Gesicht Blut fließt ihm über die Wangen,
Spricht: „Kein Irrer hat das getan, was ich da getan hab.
Warum vergoß übereilig ich Wasser, ums Feuer zu löschen?
Plötzliche, zu große Freude kann das Herz richt ertragen.

1331
Ich hab den Freund getötet, was kann mich nunmehr entschuldgen?
Ich beschuldige mich einer Sache, die nicht überlegt war.
Ist ein Mensch untüchtig, wirkt er bei Schwerem nichts Gutes,
Wahr heißts: «Getadelte Ruhe ist mehr als lobwerte Eile!»

1332
Der bewußtlose Tariel liegt da fast wie ein Versengter;
Awtandil stand auf, ging durchs Dickicht, um Wasser zu suchen;
Er fand das Blut des Löwen, bracht’ es, die Flammen zu löschen,
Goß es ihm auf die Brust, aus Lazur ward da wieder Rubin rasch.

1333
Awtandil goß jenem Löwen das Löwenblut auf seinen Brustkorb;
Tariel zuckte auf, die Schar ind’schen Stammes bewegt’ sich,
Öffnet? die Augen, gewann die Kraft, sich wieder zu setzen;
Blau scheint das Licht des Mondes, wenn ihn die Sonne ließ bleichen.

1334
Winters erfrieren die Rosen, ihre Blätter fallen vom Frost ab,
Sommersonne verbrennt sie, sie klagen über die Dürre,
Aber die Nachtigall singt auf ihnen süßklingende Lieder,
Hitze verbrennt sie, Frost läßt sie frieren, es schmerzen die Wunden.

1335
So ist das Herz des Menschen: schwer ists zufriedenzustellen:
Gegen das Leid und die Freude verhält er sich wie ein Besessner.
Immer ist er verwundet, nie ist sein Leben vollkommen;
Sollte der Welt der vertrauen, der sein eigener Feind ist!

1336
Wieder sah Tariel das Schreiben derer, die ihn getötet,
Liest es, obgleich das Lesen des Briefes ihn mächtig erschüttert;
Tränen verdecken das Licht ihm, finster erscheint ihm der Tag selbst.
Awtandil stand auf und begann ihn ernsthaft zu mahnen:

1337
„Das ist nicht die Tat“, sagte er, „vernünftiger Menschen,
Haben wir eigentlich Grund zum Weinen, wir sollten doch lächeln,
Komm, steh auf, und suchen wir jene entschwundene Sonne!
Schnell bring ich dich dahin jetzt, wo du lange schon hinwillst.

1338
Wie wir uns freun sollten, wollen zuerst wir uns freuen,
Wollen aufsitzen, reiten, um nach Kadsheti zu kommen.
Unsre Schwerter sollen uns führen, die Feinde zerschmetternd,
Unversehrt wolln wir zurückkehrn, die Feinde in Leichen verwandeln.“

1339
Dann fragte Tariel nach der Nachricht, nicht mehr bewußtlos,
Blickte ihn an, hob die Augen, er strahlte schwarz-weiße Blitze.
Wie der Rubin von der Sonne, so lebt jetzt auf seine Farbe,
Wer ist es wert, daß der Himmel immerfort Gnade ihm spendet?

1340
Er dankte Awtandil, er führte mit ihm ein Gespräch gleich:
„Was sag ich dir nun zum Lob, den die Weisen rühmen noch sollten?
Wie eine Quelle der Berge hast du die Blumen bewässert,
Botst dem in den Narzissen gestauten Tau endlich Einhalt.

1341
Ich kanns dir nicht vergelten, das möge der Himmel bewirken,
Möge er dich mit großer Gnade an meiner Statt lohnen!“
Aufsaßen sie und ritten nach Hause, freudeergriffen;
Nun macht die Welt auch Asmat satt, die seither treulich gehungert.

1342
Einsam sitzt Asmat, kaum bekleidet, am Eingang der Höhle,
Sie erkannte Tariel mitsamt dem Ritter auf Schimmeln,
Schön sangen beide wie Nachtigalln mit ihren süßen Gesängen.
Gleich erkannte sie beide, sprang auf im Hemd, leicht bekleidet.

1343
Bisher sah sie ihn immer nur weinend zur Höhle zurückkehrn.
Nun war sie baß erstaunt, ihn lachend und singend zu sehen.
Sie sprang erschrocken auf, wie berauscht waren all ihre Sinne.
Noch weiß sie nicht, daß er jetzt die ersehnte Nachricht vernommen.

1344
Als sie sie sahen, riefen sie lachend, man sah ihre Zähne:
„O Asmat, die Gnade Gottes empfingen wir dankbar:
Wir fanden den entschwundenen Mond, erfüllt sind die Wünsche,
Nun ist das Feuer gelöscht, verwandelt sind Leiden in Freuden!“

1345
Awtandil stieg vom Roß ab, um Asmat zu umarmen,
Diese umfaßte die Pappel, sein Körper geschmeidig, er schwang sich,
Küßte auf Hals und Gesicht ihn, sie vergoß viele Tränen:
„Was erfuhrst, was tatst du, ich weinte flehend im Felde.“

1346
Awtandil gab Asmat drauf den Brief derer, die sie erzogen,
Jener Pappel mit welken Zweigen, des Monds, des verblaßten;
Er sagte: „Sieh hier den Brief von der, die Leiden erlitten!
Nah kam uns jetzt die Sonne, ach, endlich wichen die Schatten!“

1347
Als Asmat den Brief sah, die Schrift der Jungfrau erkannte,
War sie erstaunt, sie erschrak, erzitterte grad wie im Wahnsinn,
Von der Sohle bis hin zum Scheitel ergriff sie Erstaunen;
Sie sprach: „Was sehe, was hör ich? Sollte wirklich das wahr sein?“

1348
Awtandil sagte: „Fürchte dich nicht, die Nachricht ist Wahrheit;
Freude ward uns geschenkt, der schwere Kummer wich von uns,
Uns kam die Sonne jetzt nah, es ist nicht mehr finster und dunkel.
Böses ward vom Guten besiegt, lange währt nun das Gute!“

1349
Herzlich erfreut war der König der Inder, er sprach zu Asmat froh;
Sie umarmten einander, Freude ließ sie da weinen.
Rabenflügel besprengten mit zartem Tau jetzt die Rose,
Gott verläßt nicht den Menschen, hat einer es recht nur begriffen.

1350
Aufrichtig danken sie Gott: „Er hat uns geschenkt unser Bestes,
Wir sind gewiß jetzt, daß Awtandil nie uns Übles geraten,“
So sprach erfreut mit erhobenen Händen der König der Inder.
Sie traten froh in die Höhle, Asmat versorgt sie mit Maßen.

1351
Tariel sagte zu Awtandil: „Höre jetzt hier meine Worte —
Ich sag dir etwas, nenne mich nicht einen schlechten Erzähler:
Als ich die Dewis getötet und ihnen die Höhlen entrissen,
Seit dieser Zeit sind verwahrt hier ihre unschätzbaren Schätze.

1352
Ich hab sie niemals besichtigt, weils nie danach mich gelüstet,
Komm, wir öffnen die Schatzkammer, sehen, wie groß diese Schätze!“
Er tat das gern, sie erhoben sich beide, Asmat ging da auch mit;
Vierzig Türen zertrümmerter, sie — das alles ging kampflos.

1353
Unvergleichliche Schätze, die noch kein Auge erblickte:
Edelsteine in Füllen, die mit der Hand klar geschliffen,
Hell leuchtete da eine Perle, so groß wie ein Spielball,
Wer sollte dafür das Gold zählen, keiner könnte es zählen!

1354
Alle vierzig Hallen waren davon übergossen,
Auch viele Waffen fand man, als Waffenschmiede errichtet.
Alle Art Waffen warn da wie Eingesalznes gestapelt,
Eine versiegelte Truhe auch sahn sie, die niemand geöffnet.

1355
Drauf warn die Worte geschrieben: „Hier liegt eine kostbare Rüstung,
Panzer, auch Helme und Schwerter, diamantscharf geschliffen;
Das wär ein schlimmer Tag, wenn die Kadshis mit Dewis je kämpften.
Wer mich vor der Zeit öffnet, wird einen König ermorden!“

1356
Sie erbrachen die Truhe, für drei Mann fanden sie Rüstzeug,
Das drei Ritter im Kriege hätten anlegen können,
Panzerhemden, Schwerter, Helme und passende Schienen.
In Beryllkästen lagen sie wie Reliquien in Särgen.

1357
Beide legten da Rüstungen an, um sie zu erproben.
Keine Waffe noch konnt’ diese Helme und Panzer versehren.
Eisen zerschnitten mit Säbeln sie gleichwie baumwollne Fäden,
Eine Welt war das wert, sie würden davon nichts verkaufen.

1358
„Das genügt uns als Vorzeichen“, sagten sie, „wir hatten Glück heut!
Uns sah Gott au mit seinem von oben schauenden Auge.“
Alle die Rüstungen luden sie auf ihren Nacken, die Schultern,
Jeder eine für sich, die dritte verschnürn sie für Pridon.

1359
Gold auch nahmen sie mit und einzigartige Perlen;
Wieder gingen sie fort dann, die vierzig Kammern versiegelnd;
Awtandil sprach: „Wir halten von jetzt ab die Hand fest am Schwerte!
Heute Nacht geh ich noch nicht, doch wenns dämmert, ziehe ich weiter.“

TARIELS UND AWTANDILS REISE ZU PRIDON

1360
Als es tagte, brachen sie auf und nahmen Asmat mit,
Bis in Nuradins Lande ließ man sie hinter sich sitzen,
Dort gab ihnen der Händler ein Pferd für Gold, denn er schenkt nichts.
Awtandil wies den Weg, ja, sollte er andere nehmen?

1361
Sie ritten hin und trafen die Hirten von Nuradins Pferden.
Diese Herde gefiel ihnen, sie war Pridons hochwürdig.
Da sprach der Inder zu Awtandil: „Ich schlage jetzt einen Scherz vor:
Wir spielen Pridon heut einen Streich, überfalln seine Herde.

1362
Wir treiben weg seine Herde, er denkt dann, daß wir sie raubten,
Er wird zum Kampf ausziehen, die Fluren mit Blut blutrot färben,
Plötzlich erkennt er uns, trachtet erschrocken sein Herz zu besänftgen.
Schön ist ein guter Scherz, er mehrt noch die Freude des Frohen!“

1363
Sie begannen die besten Wallache Pridons zu fangen.
Da entzündeten Hirten die Fackel, sie schlugen sich Feuer,
Schrien: „Wer seid ihr, Ritter, wie könnt es euch danach gelüsten?
Diese Herde ist dem, der Feinde schlägt, die nicht mal stöhnen.“

1364
Jene ergriffen die Bogen, verfolgten die Hirten der Herde.
Hell schrien die Hirten, mächtig verstärkten sie noch ihre Stimme:
„Helft uns, helft uns, Räuber rauben, sie töten uns alle!“
Lärm entstand, man sammelt’ sich, meldete alles an Pridon.

1365
Pridon rüstete sich, saß auf, zog ihnen entgegen,
Es erhob sich ein Lärm rasch, Scharen bedeckten die Felder;
Da erschienen die Sonnen, die kein Winter erkaltet,
Sie trugen Helme; Visiere verdeckten ihre Gesichter.

1366
Als jetzt Tariel Pridon sah, sagt’ er: „Jetzt seh ich, was ich mir wünschte!“
Er nahm den Helm ab, lächelte, lachte schließlich dann mächtig;
Er sprach zu Pridon: „Warum verwünschst du unsere Ankunft?
Als ein schlechter Gastgeber trittst du zum Kampf uns entgegen!“

1367
Eiligst stieg Pridon ab, er warf sich vor ihnen nieder —
Sie auch stiegen vom Pferde, umarmten ihn — , küßten ihn herzlich.
Pridon dankte von Herzen Gott mit erhobenen Händen.
Auch seine Großen küßten sie, alle die ihnen bekannt warn.

1368
Pridon darauf: „Warum säumtet ihr? Ich erhoffte euch früher!
Ich bin bereit welche Dienste sollt’ ich euch ungern verrichten?“
Ähnlich wars, als träfen zwei Sonnen, dazu noch ein Mond sich;
Sie verschönten einander, zogen weiter des Weges.

1369
Beide stiegen in Pridons Palast ab, dem herrlich gebauten.
Pridon ließ seinen Schwurbruder Awtandil nah bei sich sitzen;
Tariel nahm einen Sessel mit goldhelldurchwirktem Sammet;
Jene Rüstung brachten sie preisend Pridon als Gabe.

1370
„Gegenwärtig“, sagten sie, „schenken wir dir noch nichts andres,
Vieles anderes Schönes haben wir anderswo doch noch.“
Pridon senkte unverzüglich sein Antlitz zur Erde;
„Mir dieses alles zu schenken“, sagte er, „das sieht euch ähnlich!“

1371
Diese Nacht ruhten sie friedlich dank der Gastfreundschaft Pridons,
Er ließ sie baden, beschenkte sie reich mit prächtgen Gewändern,
Mit den schönsten, die sich einander fast übertrafen,
Beispiellos Edelsteine und Perlen auf goldener Schale.

1372
Pridon sagte: „Das ist eines schlechten Gastgebers Sprache,
Fast scheint, als wären mir Weise lästger als Narren;
Nicht ist’s gut, jetzt zu säumen, den langen Weg müssen wir gehen,
Kämen die Kadshis uns zuvor, so würde es schwierig.

1373
Wozu brauchen wir große Heere, nur wenige Gute?
Dreihundert Mannen genügen, wir eilen, als ob wir entfliehen;
In Kadsheti machen wir Griffe an unsere Schwerter,
Wir finden bald sie, deren Pappelkörper uns tötet.

1374
Ich war schon in Kadsheti, ihr seht die befestigte Burg dort;
Felsen erheben sich hier, kein Feind kann je sie umzingeln,
Gehn wir nicht heimlich, gelingt uns das nie in offenen Kämpfen,
Deshalb brauchen wir keine Scharen, die folgen nie heimlich!“

1375
Alle waren zufrieden, mit seinen klugredenden Worten.
Nur Asmat blieb zurück, doch Pridon gab ihr Geschenke.
Dreihundert Reiter nahmen sie mit, es waren nur Helden.
Schließlich wird Gott doch den Sieg dem geben, dem einst er versagte.

1376
Alle drei Schwurbrüder fuhren zusammen über das Meer hin;
Pridon kannte den Weg, tags und nachts auch zogen sie vorwärts,
Pridon sagte: „Wir sind in Gegenden nah bei Kadsheti,
Nachts nur dürfen wir ziehen, damit sie uns nicht entdecken!“

1377
Nach diesem Vorschlag Pridons handelten alle die drei jetzt:
Tagsüber machten sie halt, doch nachts zogen eilends sie weiter,
Sie kamen an, die Burg erschien schon, zahllos die Wächter,
Rings waren Felsen, Wächter in Menge schrieen gewaltig.

1378
An den Toren des Tunnels wachten zehntausend Ritter.
Jene Löwen sahen die Stadt schon, weil da der Mond stand;
„Denken wir nach, was besser ist“, sagten sie, „schwer ist die Wahl jetzt!
Hundert besiegen tausend, wenn sie auf schlaue Art handeln.“

NURADIN-PRIDONS RAT

1379
Pridon darauf: „Ich rat euch, ich denke, das ist kein Irrtum:
Wir sind nur wenig, die Stadt ist aber von vielen zu stürmen;
Offener Kampf ist zu meiden, da gibts nichts zu prahlen,
Tausend Jahre kann keiner kommen, sind Tore verschlossen.

1380
Zu einem Seiltänzer machten als Kind mich meine Erzieher,
Ihre Künste lehrten sie mich, ließen fleißig mich üben;
Ich ging über ein Seil, keiner konnt’ mit den Augen mir folgen.
Junge Männer, die mich sahen, beneideten stets mich.

1381
Wer von uns eine Fangschlinge trefflich hinauswerfen könnte,
Sollte ein langes Seilende um einen Pfeiler rum werfen,
Drüber zu schreiten, scheint mir so leicht, wie das Gehn auf der Erde.
Schwer wird es für euch sein, noch unversehrt einen zu finden.

1382
Mit einem Schild draufzuschreiten, scheint mir nicht schwierig;
Ich werde hurtig hinabspringen, angreifen gleich einem Sturmwind;
Ich töte alle, öffne das Tor. Ihr sehts, wie ichs öffne!
Kommt sogleich an die Stelle, in der ihr Lärm und Getös hört!

AWTANDILS RAT

1383
Awtandil sagte: „He, Pridon, die Freunde beschweren sich nimmer;
Du vertraust deinen Löwenarmen, dich schmerzt keine Wunde.
Folgenschwer gibst du Rat für das Schreien und Stöhnen der Feinde,
Hörst du denn nicht, wie nahstehend Wächter schon Rufe austauschen?

1384
Gehst du auf dem Seil und die Wächter hörn klirrn deine Rüstung,
Dann entdecken sie dich, sie schneiden geschwind dir das Seil ab.
Dann wird alles umsonst sein, ein eitler Versuch wird es bleiben.
Dieser Rat ist nicht gut, wir müssen anders uns helfen.

1385
Besser ists, ihr bleibt im sichern Versteck erst verborgen,
Jene Mannen hemmen nicht Reisende, die in die Stadt ziehn.
Ich geh alleine als Kaufmann verkleidet, so täusch ich die Wächter,
Einem Maulesel lade ich Helm, den Panzer, das Schwert auf.

1386
Gut wär der Gang nicht zu Dreien, zweifelhaft wär der Erfolg dann:
Ich geh alleine als Kaufmann und täusche verkleidet sie listig,
Heimlich leg ich die Rüstung mir an, erscheine, betrüg sie,
Gott mög es fügen, ich ließe drin fließen viel blutige Bäche.

1387
Wachen im Innern erwehre ich mich, ohne Nöte zu leiden.
Ihr greift von außen die Tore an, alle wie reisige Helden,
Ich brech die Schlösser auf, öffne die Tore, Widerstand gibts nicht!
Gibts etwas Bessres, so sagt’s, ich rate so zu verfahren!“

TARIELS RAT

1388
Tariel sagt’: „Euer Mut ist größer als der von Heroen!
Eurer Kraft entspricht euer Rat und euer Entschluß auch;
Heißen Kampf begehrt ihr, kein nichtiges Schwingen der Schwerter,
Wir sollten kämpfend euch beistehn, wenn dieser Kampf einmal schwer wird.

1389
Aber teilet auch mir etwas von eurem trefflichen Rat zu:
Hört die, für die ich rase, die Kampfrufe für eine Sonne,
Während ihr hitzig im Kampf steht, wie dürft’ sie mich ferne vorn Kampf sehn?
Das entehrte mich, sagt mir nur keine schmeichelnden Worte!

1390
Besser ist aber mein Vorschlag, tun wir, was ich euch sage:
Teilen wir uns in je hundert Mann; wenn die Nacht dann dem Tag weicht,
Stürzen wir uns von drei Seiten heran auf hurtigen Rossen,
Treten sie uns entgegen, greifen wir kräftig die Säbel.

1391
Ungestüm greifen wir an, sie versäumen die Tore zu schließen,
Einer dringt ein, die anderen schlagen mit denen sich draußen.
Dieser eine wird denen drinnen ein Blutbad bereiten.
Wieder ergreifen wir die für uns nunmehr siegreichen Waffen!“

1392
Pridon darauf: „Ich hab es verstanden, das ists, was ich einseh:
Vor diesem feurigen Roß kann keiner das Tor jemals schließen;
Als ich dirs schenkte, wußte ich nichts von der Lauer auf Kadshis,
Sonst hätt ich dirs nicht geschenkt, ich verrate dir all meinen Geiz jetzt.“

1393
Solche Worte sprach freundlichgesinnt der heitere Pridon.
Darauf lachten alle mit weisen Worten Begabten.
Mit geziemenden Scherzen scherzten sie nun miteinander,
Sie stiegen ab und rüsteten sich für die Besten der Rosse.

1394
Miteinander sprachen sie keine bitteren Worte;
Sie beschlossen den Rat zu befolgen, den Taria vorschlug:
Je hundert Mann verteilten sie, alle gleicherweis Helden.
Sie bestiegen die Rosse, bedeckten ihr Haupt mit den Helmen.

1395
Jene Ritter erglänzten, daß sie selbst übertrafen die Sonne;
Alle drei überdeckt eine Säule von sieben Gestirnen;
Tariel sitzt mit schlankem Körper auf seinem Rappen,
Kämpfend vernichteten sie die Feinde in brennender Kampfwut.

1396
Meine jetzt folgenden Worte sind ihr Bild und ihr Gleichnis:
Regnet es aus den Wolken, daß in Gebirgen ein Strom schwillt,
Rollt und drängt sich rasend durch Schlüfte mit dröhnendem Brausen,
Mündet er aber ins Meer, wird er friedlich, ruhig und stille.

1397
Wenn auch Pridon und Awtandil unerreichbar an Wert sind,
Sollten wir Taria zu begegnen niemandem wünschen.
Diese Sonne verdeckt die Planeten, Plejaden erlöschen;
Nun, Hörer, gib gut acht, du hörst von gewaltigen Kämpfen!

1398
Alle drei standen jetzt bei den drei Toren, jeder nahm eines;
Dreihundert Mann, alle gleicherweis Helden, waren bei ihnen.
In jener Nacht erkundeten sie genau, nicht nur flüchtig.
Als es Tag ward, erschienen sie, brachen auf mit den Schilden.

1399
Erst gingen sie noch gemächlich, wie wenn sie Reisende wären;
Die drinnen ahnten nichts, sie wahrten keinerlei Vorsicht,
Keine Furcht im Herzen, waren sie ruhig und arglos.
Jene wandten sich um und setzten sogleich sich den Helm auf.

1400
Plötzlich spornten sie ihre Rosse, es sausten die Peitschen;
Als sie sie sahen, brachen die Tore, man hörte den Stadtlärm;
Von drei Seiten rückten die Drei vor, sie suchten Gefahren,
Trommeln und Pauken wurden geschlagen, Trompeten erklangen.

1401
Gottes zornigster Zorn brach damals ein in Kadsheti:
Kronos, der grimmig Blickende, mied die Sanftmut der Sonne,
Zornig wandt’ gegen sie sich das Rad der Runde des Himmels;
Voller Toten lagen die Fluren, stets wächst ihre Schar noch.

1402
Tariels Donnerstimme macht einen Menschen ohnmächtig,
Er zerfetzte die Rüstung, Panzer und Ketten zerbrachen,
Von drei Seiten stürzten sie sich auf die Tore der Gegner,
In die Stadt eingedrungen, vernichteten dort sie die Festung.

1403
Awtandil und löwengleich Pridon trafen einander,
Aufgerieben warn völlig die Feinde, ihr Blut floß in Strömen,
Zuriefen sie sich, erblickten einander und freuten sich mächtig;
Sie sprachen: „Wo ist Tariel?“, indes ihre Blicke rumschweiften.

1404
Keiner wußt’ es, sie konnten nichts über Tariel hören.
Gegen die Burgtore rannten sie ohne Furcht vor den Feinden,
Da waren Haufen von Rüstungen, abgebrochene Schwerter,
Zehntausend Wächter, sie warn alle leblos, getötet, dem Staub gleich.

1405
Alle Torwächter lagen herum als Verwundete, Kranke,
Von ihrem Kopf bis zum Fuß verwundet, die Rüstung zerrissen,
Offen die Tore der Festung, Trümmer zerschmetterter Türen,
Das war Tariels Tat, sie sagten: „Tarias Taten!“

1406
So warn die Wege geebnet; sie schritten jetzt durch jene Höhlung.
Sahn, wie die Schlange den Mond freigab, sich traf mit der Sonne.
Er nahm den Helm ab, anmutig standen die Haare wie Binsen.
Brust gepreßt an Brust, umschlangen einander den Hals sie.

1407
Sie umarmten und küßten sich herzlich, vergossen viel Tränen.
Als hätten Jupiter und Saturn sich getroffen, so war es.
Breitet die Sonne sich über die Rose, wird sie erstrahlen;
Seither von Leiden geprüft, erlebten endlich sie Freude.

1408
Nun also küßten sie sich, standen still, umarmten einander,
Oft preßten jetzt sie zusammen gespaltene Rosen der Lippen,
Nun nahten jene auch die drei Schwurbrüder kamen zusammen,
Grüßten jene Sonne, als hätte man sie schon gerufen.

1409
Mit hold lächelndem Antlitz kam ihnen die Sonne entgegen.
Freimütig, ruhigen Sinnes, küßte sie ihre zwei Retter,
Tief sich verneigend, dankte sie ihnen, sie redet’ mit Sanftmut,
Heiter entgegneten beide gemeinsam in glanzreichen Worten.

1410
Tariel grüßten sie, der gleicht einer grünenden Pappel,
Sie wünschten Glück ihm zum Siege und forschten nach ihrem Befinden.
Sie waren froh, daß die Rüstung sie noch nicht abgelegt hatten,
Daß sie in Löwen sich, Feinde in Rehe und Ziegen verwandelt.

1411
Von den dreihundert Mannen warn einhundertsechzig noch übrig,
Pridon bedauerte seine Leute, obgleich er sich freute,
Sie alle suchten, sie ließen nicht leben, die sich noch wehrten,
Schätze, die sie da fanden, wer könnte in Zahlen sie nennen?

1412
Maultiere und Kamele, alle schnellfüßig, nahm man,
Dreitausend luden sie voll mit Edelsteinen und Perlen,
Edelsteine alle geschliffen, Saphire, Rubine.
Jene Sonne setzten sie ehrfürchtig in eine Sänfte.

1413
Mit sechzig Mann besetzten sie nun die Burg von Kadsheti,
Führten die Sonne gleich fort, denn schwer wär sie sonst zu entführen,
Wandten zur Stadt sich des Seekönigreichs, obgleich der Weg weit war;
„Wir wollen Patman sehn“, sagten sie, „wir schulden ihr Vieles.“

ANKUNFT TARIELS BEIM KÖNIG DER MEERE

1414
Tariel sandte dem Seekönig frohe Botschaft mit Boten,
Er ließ sagen: „Ich, Tariel, komm als Vernichter der Feinde,
Ich führe meine Sonne mit, die mich mit Speeren durchbohrt hat,
Ich will dich ehrenvoll grüßen wie einen Erzeuger und Vater.

1415
Jetzt besitz ich das Land der Kadshis, auch ihren Reichtum,
König, gnädiger Herr, alles Gute kam mir von euch her,
Patman hat meine Sonne gerettet als Mutter und Schwester,
Wie soll ich Euch das vergelten, ich hasse eitles Versprechen.

1416
Komme, suche uns bald auf, ehe dein Land wir durchqueren.
Alles Kadshiland bring ich dir dar nun, nimms als Geschenk an,
Laß es von deinen Mannen besetzen und halte fest diese Festung!
Ich muß eilen, kann dich nicht besuchen, komm, zieh mir entgegen!

1417
Richtet von mir an Ussen aus, dem Gatten von Patman,
Er soll sie herschicken, die von ihr Gerettete freut sich,
Wen anders sollte sie sehn wollen als grade sie, die Befreite,
Die überglänzt selbst die Sonne wie der Kristall jede Pechart.“

1418
Als der Bote Tariels als Gast zum Herrscher des Meers kam
Von einer plötzlichen Nachricht regt sich immer das Herz auf!
Dankte er Gott und rühmte ihn, der das Gerechte entscheidet;
Gleich schwang er sich auf sein Roß, es bedurft’ keines anderen Ritters.

1419
Er ließ Gepäck aufladen, ordnet’ die Feier der Hochzeit,
Patman nahm er mit sich, sie zogen zehn Tagesreisen,
Nahm eine Menge des Schönsten, nicht Haufen schwarzdunkelen Bernsteins,
Freute sich auf den Löwen, die landeerleuchtende Sonne.

1420
Alle drei kamen dem Seekönig schon von weitem entgegen,
Stiegen ab sich verneigend, küßten ihn, trennten vom Heer sich;
Tariel pries er, der dankte mit tausend lobenden Worten.
Als er die Jungfrau sah, erfreut’ die Kristallaureole.

1421
Patman-Chatun, als sie sie schaute, verzehrte ein Feuer,
Sie umarmte sie, küßte ihr Antlitz, Hals, Hände und Füße;
„O Gott“, sagt’ sie, „wie dien ich dir, da du mir Finsteres aufhellst,
Ich erkannte, wie kurz doch das Böse, das Gute ist ewig!“

1422
Da umarmte die Jungfrau Patman mit sanften Worten, nicht hadernd:
«Mir heilte Gott mein gebrochenes, mein zerrissenes Herz jetzt,
Nun steh ich wieder in vollem Glanz, wie ich früher auch abnahm,
Ihre Strahlen schenkte die Sonne, drum blieb auch die Rose.»

1423
Hochzeit feiert’ der Meerkönig mit einem großen Gepränge,
Auch für Kadsheti dankte er, lange behielt er sie bei sich;
Freigebig schenkte er Gaben, die er mit sich geführt hat,
Perpera-Münzen wurden wie eine Brücke zertreten.

1424
Hoch erhob sich ein Berg von Stoff, von Brokat und von Atlas;
Tariel schenkte er eine Krone unschätzbaren Wertes
Aus einem ganzen goldenen Stück mit feinsten Saphiren,
Dann einen kostbaren Thron aus rotem, ganz reinem Golde.

1425
Nestan schenkte er einen Rock mit edelsten Steinen,
Rot einen Hyazinth, mit Badachschan und mit Rubinen,
Beide, die Jungfrau, der Ritter, thronten mit leuchtendem Antlitz,
Da entbrannten alle Betrachter in flammenden Feuern.

1426
Awtandil und Pridon schenkt unermeßlich er Gaben:
Einen wertvollen Sattel, eines der prächtigsten Rosse,
Ein Gewand voll Edelsteinen, die seltsam erstrahlen.
„Wie denn danken wir würdig? Seid im Reichtum nun glücklich!“

1427
Tariel, schön und beredt in Zunge und Worten, bedankt sich:
„Große Freude erlebte ich, weil ich Euch sah, o mein König,
Schöne vielfältige Gaben schenktet Ihr uns heute reichlich,
Nun weiß ich, daß wir guttaten, nicht vorüberzuziehen!“

1428
Drauf der Seekönig: „Herrscher, o Löwe, reich du an Tugend,
Der du denen, die bei dir sind, Leben gibst, Ferne stets tötest,
Wie könnt’ ich je dich gebührend beschenken — holdseliger Anblick?
Bin ich von dir getrennt, was nützt mirs, zum Schauen Erwünschter?“

1429
Tariel sagte zu Patman: „Du wurdest mir meine Schwester;
Schwester, die Herzensgüte kann ich dir niemals vergelten.
Was ich von Kadshis-Schätzen aus Kadsheti uns brachte,
Nimm es, ich gebs dir, ich denke es nie zu verkaufen!“

1430
Patman-Chatun verneigte sich, sprach überschwänglichen Dank aus:
„König, diese Begegnung umgibt mich unlöschbar mit Feuer,
Geh ich von dir weg, was wird dann? Dem Irrsinn verfall ich!
Glücklich, die bei euch weilen, unglücklich die, die euch fern sind!“

1431
Ringsum Strahlen verbreitend, sagten dem Seekönig beide,
Die mit kristallenen Zähnen, den perlmuschelzierenden Lippen:
„Wir, die wir fern sind, wolln keine Feste mit Harfe und Zimbeln,
Doch jetzt entlaßt uns, Zeit ists, daß endlich wir gehen, wir eilen.

1432
Du wurdest unser Vater, unser Erzeuger, die Hoffnung,
Aber wir bitten zudem Euch, daß Ihr uns rasch nun ein Schiff gebt!“
Drauf der König: „Ich schone mein Haupt nicht als Boden der Füße,
Seid ihr in Eile, so geht, eure Arme sollen euch schützen.“

1433
An dem Ufer des Meeres rüstet ein Bootsschiff der König.
Tariel fuhr davon, die von ihm getrennt waren, weinten,
Schlugen sich auf das Haupt, sie rauften sich Haare und Bärte,
Patmans Tränen ließen das Meer schwellen, dem sie zuflossen.

1434
Die drei Schwurbrüder fuhren über das Meer nun gemeinsam,
Nochmals bekräftigen sie die Worte, die einst sie geschworen,
Schön stand ihnen das Lachen, das Singen, in dem sie geübt warn,
Von ihren Lippen strahlte das Licht bin zu den Kristallen.

1435
Mit froher Botschaft sandten sie zu Asmat einen Boten,
Auch zu den Fürsten Pridons zur Kunde von ihren Gefechten:
„Dorthin kommt erhaben die Hüterin aller Gestirne,
Bisher oft frierend, sind wir künftig verschont nun von Frösten!“

1436
Jener Sonne boten sie Platz auf der Fahrt in der Sänfte,
Sich wie die Jugend ergötzend, erfreut übers Ende der Leiden;
Sie gelangten dorthin, in das Land, in dem Nuradin Herr ist.
Ihnen entgegen zog man, man hörte vielfältig Gesänge.

1437
Dort begegneten ihnen alle die Großen von Pridon,
Hocherfreut war Asmat, die keine Wunden mehr spürte;
Sie umarmten Nestan, kein Axthieb könnte sie trennen,
Jetzt krönte sich verdient die Treue, die ihr sie erwiesen.

1438
Nestan umarmte und küßte sie mit dem Mund auf ihr Antlitz;
„O du mein Eigen“, sprach sie, „auch dich betrübt’ ich mit Kummer,
Nun erwies Gott uns in hohem Maße die Gnade, ich seh es.
Wie soll ich all deine Herzensgüte vergelten? Ich weiß nicht!“

1439
„Gott sei Dank“, drauf Asmat, „die Rosen sind nicht erfroren!
Und offenbart die Vernunft nun endlich das bisher Verborgne.
Mir wird der Tod gar zum Leben, da ich euch freudig gesehen.“
Besser als Liebende Herr und Vasall sind, wenn sie sich lieben.

1440
Alle Großen des Reiches priesen Tariel huldreich:
„Weil Gott uns diese Freude gab, sei seine Gottheit gesegnet!
Er ließ uns euer Gesicht schaun, nun umfängt uns kein Feuer.
Die geschlagene Wunde wird Er selber jetzt heilen.“

1441
Alle kamen und preßten den Mund nun auf seine Hände;
Ihnen sagte der König: „Die Brüder starben für uns jetzt,
Jene ewige Freude fanden sie, nicht nur in Träumen!
Eins mit dem Einen nun, hundertzwanzigfach mehrten den Ruhm sie.

1442
Wenn auch ihr Tod mich sehr schmerzt — gewiß ist er schmerzlich für alle — ,
Ward ihnen dennoch der Unsterblichen große Belohnung.“
Sprachs, und leise weinend vermengte er Schnee mit dem Regen,
Von den Narzissen her weht der Nordwind, die Rose erfriert schon.

1443
Alle weinten mit ihm, als sie sahn, daß er Tränen vergossen.
Auch wer einen verloren, weinte mit seufzenden Klagen;
Still wards. Sie sagten: „Weil die Weisen als Sonne dich preisen,
Ist es besser zu singen, warum sollten wir klagen?

1444
Wer ist dessen würdig, daß Ihr so weint und betrübt seid?
Für Euch zu sterben ist besser als auf Erden zu wandeln!“
Pridon auch sagte dem König: «Bekümmer dich nur nicht deswegen!
Gott wird dir schon den Verlust mit tausend Freuden vergelten!»

1445
Awtandil auch bemitleidet ihn, bezeugt seine Trauer;
Alle priesen ihn, sagten: „Nun werden wir künftig nur lächeln,
Weil der verlorene Löwe die entschwundene Sonne getroffen,
Weinen wir nicht um die Toten, legen nicht Röhrn an die Augen!“

1446
Sie gelangten hin zur großen Stadt Mulghasansar:
Trommeln wirbeln, Trompeten schmettern, Jubel erhob sich!
Trommelklang, Zimbelsang stimmten schön zueinander.
Stadtbewohner drängten herzu, sie verließen den Markt rasch.

1447
Aus den Gassen eilten die Händler, Scharen, die schauten;
Weithin machte die Wache die Runde, in Händen die Waffen;
Mächtig drängten Familien, Gesinde zur Plage der Wächter,
Daß sie jene sehn konnten, darum baten sie alle.

1448
Abstiegen sie bei Pridon, sie sahn den Palast, der gefalln muß,
Viele Diener mit goldenen Gürteln eilten entgegen,
Golddurchwirkter Sammet war da als Läufer gebreitet,
Auf ihre Häupter streuten sie Gold, das die Menge dann auflas.

TARIELS UND NESTAN-DAREDSHANS HOCHZEIT BEI PRIDON

1449
Für die Jungfrau, den Recken war weiß-rot ein Thron hergerichtet,
Schön bestreut mit edelen Steinen, roten und gelben,
Für Awtandil ein andrer, gelb und schwarz immer wechselnd,
Beide kamen und setzten sich, Zuschauern stockte der Atem.

1450
Sänger kamen, man hörte den Klang süßklingenden Sanges;
Hochzeit feierten sie, man schenkte noch mehr zarte Stoffe,
Pridon tats, der Gastfreie, der gefällige Gastfreund;
Lieblich steht Nestan das Lächeln, es leuchten hell ihre Zähne.

1451
Herrliche Gaben Pridons, des Hochvermögenden trug man:
Neun der Perlenkleinode, so groß wie die Eier von Gänsen,
Auch einen Edelstein noch, an Lichtfülle gleichend der Sonne,
Von ihm konnte ein Maler nachts ein Gemälde noch malen.

1452
Jedem von ihnen schenkte er auch für den Hals ein Geschmeide.
Rundgeschliffene Edelsteine, ganze Saphire,
Dann bringt man eine Platte, nur schwer mit Händen zu halten,
Für den Löwen Awtandil Gabe des ruhmreichen Pridon.

1453
Diese Platte füllten große, hellschimmernde Perlen,
Alles schenkte er Awtandil mit lobpreisenden Worten.
Samt, golddurchwirkt, und kostbare Stoffe füllten das Haus an.
Tariel dankte unbefangen mit Worten voll Anmut.

1454
Acht Tage feierte Pridon mit großem Aufwand die Hochzeit;
Jeden Tag standen bereit als Spenden die kostbarsten Gaben.
Tag und Nacht verstummte der Klang nicht von Geigen und Harfen.
Jetzt kamen endlich zusammen die Würdigen: Recke und Jungfrau.

1455
Tariel sprach eines Tages Worte des Herzens zu Pridon:
„Eure Güte ist größer als die eines leiblichen Bruders,
Mit meinem Leben kann ich das hingebend Euch nicht vergelten.
Euch verdank ich, der Sterbende, Heilung für meine Wunde.

HÖGHZEIT BEI PRIDON

1456
Du weißt von Awtandil selber, wie er sich für mich geopfert,
Dafür hab ich den Wunsch, ihm tätig zu danken, zu helfen,
Geh du zu ihm und frag ihn, was er sich wünscht, er solls sagen!
Wie er mein Feuer erstickte, soll auch das seine erlöschen.

1457
Sag ihm: «Bruder, wie sollte ich dir deine Mühe vergelten?
Seine Huld wird dir Gott noch erweisen, droben im Himmel,
Kann ich aber den Wunsch nicht erfüllen, den ich dir wünsche,
Will ich mein Haus nicht wiedersehn — nicht den Palast, nicht den Schuppen.

1458
Sag mir, was wünschst du von mir, womit denn kann ich dir helfen?
Gehen wir nach Arabien, sei auch du mein Begleiter!
Rechtsfragen regeln wir nur mit Worten, Streit — mit dem Schwerte.
Eine ich euch nicht als Gatten, bin auch ich nicht Gatte der Gattin.»

1459
Als nun Pridon Tariels Botschaft zu Awtandil brachte,
Lachte jener, lächelte, schön strahlte heiter sein Antlitz,
Sagte: „Brauch ich denn einen Helfer? mir schadet niemand.
Meine Sonne ist nicht bei den Kadshis, noch fehlts ihr an Freuden.

1460
Meine Sonne sitzt auf dem Throne, dank Gottes Sorge,
Ruhmreich und ehrfurchtgebietend, frei und von niemand geschädigt,
Weder von Kadshis noch durch die Künste der Zauberer leidend,
Brauche ich Hilfe für sie — solln meine Worte dir schmeicheln.

1461
Kommt die Entscheidung für mich in mächtigen Sprüchen des Himmels,
Wird so Gott will mein Feuer auch euch mit Freuden erquicken,
Dann werden mich, den Sterblichen, Strahlen der Sonne erleuchten,
Vor dieser Zeit ists umsonst nur, daß ich mich ruhelos wende.

1462
Geh und künde Tariel die Antwort, die ich ihm erteilte:
«König, Du brauchst mir nicht zu danken, wie sehr du in Not warst,
Ich bin vor. Mutterleib an für eure Dienste geboren,
Gott gebe, Staub deiner Füße zu sein, bis daß du gerühmt bist.

1463
Du hast gesagt: «Ich will dich mit deiner Geliebten vereinen.»
Das ist aus Freundschaft Eurem empfindsamen Herzen entsprungen;
Aber dort schneidet mein Schwert nicht, nicht die Länge der Rede.
Besser ists, ich wart alles ab — die Entscheidung von oben!

1464
Das ist mein Wunsch fürs Künftige, ist mein Sehnen, mein Streben.
Ich möcht’ in Indien dich glücklich und ruhmreich auf deinem Thron sehn,
Daß bei dir die Leuchte sitzt mit dem strahlenden Antlitz,
Ihr Eure Feinde vernichtet und keiner erscheint mehr als Gegner.

1465
Wenn meines Herzens sehnliche Wünsche schließlich erfüllt sind,
Dann zieh ich nach Arabien, weil lange bei meiner Sonne,
Dann erst löscht sie das flackernde Feuer, wenn sie es selbst wünscht.
Ich begehre von Euch nichts, Schmeichelreden, die haß ich!»„

1466
Als diese Werte Awtandils Pridon nun Tariel mitteilt,
Sagte dieser: „Das tu ich nicht! Wahrsager brauche ich keinen!
Wie er das Mittel einst fand, mein Leben mir zu erhalten,
Ebenso soll er des Herzens Kraft seines Bruders erfahren.

1467
Geh und sag ihm von mir diese ungeschmeichelten Worte:
«Ich werd gewiß nickt hierbleiben, ohne den Meister zu sehen,
Viele von seinen geliebten Dienern hab ich getötet,
Nur um Verzeihung bitt ich, dann werde ich wieder zurückkehrn.

1468
Sag ihm das: «Laß über mein Verhalten nur nicht verhandeln,
Ich gebe meine Absicht nicht auf, daß morgen ich aufbrech,
Daß mein Wort ihm nichts gilt, das wird mir der König nicht antun,
Ehrerbietig bitte ich ihn um die Hand seiner Tochter.»„

1469
Pridon übermittelte ihm gleich Tariels Wünsche:
„Er bleibt nicht“, sagte er, „vergeblich ists, ihn hier zu halten.“
Ihm ward es schwer, sein Herz wird wieder von Qualen umfangen,
Den Vasallen geziemt die gebotene Ehrfurcht vorm König.“

1470
Awtandil kam, er fiel auf die Knie, um Tariel zu bitten,
Er umfing seine Füße, küßte sie, senkte die Augen,
Sagt: „Es genügt, was ich dieses Jahr an Rostan gefehlt hab,
Mach mich jetzt nicht noch einmal zum Zertrümmrer der Treue!

1471
Was du im Sinn hast, wird dir das Recht des Himmels nicht geben,
Wie kann ich solchen Verrat wohl meinem Meister noch antun?
Wie kann ich mich gegen den wenden, der meinetwegen erbleichte?
Wie könnte je ein Vasall seinen Herrn mit dem Säbel bedrohen?

1472
Das würde mich mit meiner Geliebten heftig zerstreiten,
Wehe, wenn zornig ergrimmt von Ärger ihr Herz nun betrübt ist!
Sie gibt keinem Kunde, ich warte auf sie ja mit Sehnsucht;
Kein lebendiger Mensch kann mir Verzeihung erwirken.“

1473
Tariel, die Strahlen verbreitende Sonne, sprach zu ihm lachend,
Faßt’ Awtandil bei der Hand, richtet ihn auf, hob ihn zu sich:
„Alles Gute gab mir die Hilfe von dir, meinem Bruder,
Es ist am besten, wenn dein Glück auch dich nun durch mich freut.

1474
Die übertriebne Furcht haß ich, Rücksichtnahme auf Freunde,
Hasse die ständige Sprödheit, den Ernst und das Zaudern,
Ist er mein Herzensfreund, soll er sein Herz auch mir schenken,
Sonst bleibt er für sich, ich für mich, besser ists Fernsein.

1475
Sehr wohl weiß ich, daß deine Liebste sie hier jetzt besucht hat,
Daß ich dir jetzt begegnet bin, darüber wird sie nicht grollen,
Wie könnt ichs wagen, dem König buntscheckig etwas zu schwätzen?
Einzig heg ich den Wunsch nur, ihn, den Begehrten, zu sehen.

1476
Das nur werd ich ihm sagen, ihn darum flehentlich bitten,
Daß er dir seine Tochter gibt nach seiner eignen Entscheidung.
Da ihr euch schließlich vereint, warum wollt ihr euch jetzt denn nicht sehen?
Durch einander verschönt euch, es welke nicht jeder alleine!“

1477
Als Awtandil erkannte, daß Tariel die Absicht nicht aufgibt,
Wagte er keinen Widerstand mehr, gab schließlich sein Jawort.
Pridon zählte die Mannen, die er als Gefolgschaft erwählte.
Er begleitete sie, er zog ein Stück Weges mit ihnen.

ANKUNFT DER DREI IN DER HÖHLE UND WEITERFAHRT NACH ARABIEN

1478
Dieses Verborgene offenbart Dionysios, der Weise:
Gott läßt das Gute erscheinen, er gebiert nicht das Böse,
Übles macht er im Nu kurz, das Gute erneuert er ewig,
Wer sich selbst übertrifft, den befreit er von Makeln und Mängeln.

1479
Pridons Haus verließen darauf jene Löwen, die Sonnen,
Führten die Sonne mit sich, vor der, die sie sehen, erschauern,
Rabenfittiche hängen über dem lichten Kristall ihr,
Das verschönte die Lieblichkeit, Zartheit, den Ballas-Rubin noch.

1480
Jene Sonne saß in der Sänfte, so kam sie mit ihnen,
Jagend zogen sie fort und ließen das Wild ringsum bluten.
Wo sie bewohnt noch das Land fanden, machten sie Zuschauern Freude,
Ihnen kam man entgegen, brachte Geschenke und pries sie.

1481
Ähnlich wars, als säße die Sonne zwischen zwei Monden;
Viele Tage zogen sie fort, Klug redend, die Heitern,
Mitten in großen Weiten, zu denen nie Menschen gelangten,
Kamen sie zu den Felsen, in denen einst Tariel hauste.

1482
Tariel sagte: „Ich sorge heute für eure Bewirtung,
Ich komme dorthin, wo ich gewesen, als ich noch raste;
Da soll Asmat uns bewirten, sie hat trocknes Fleisch noch in Vorrat,
Ich schenk euch Schönes, ihr lobt dann die große Fülle der Schätze.“

1483
Dorthin kamen sie, stiegen ab in der Höhle der Felsen.
Hirschfleisch tischte Asmat auf, sie bot es an, sie zerteilt’ es.
Heiter sprachen sie miteinander über Vergangnes,
Dankten Gott, daß er Unglückstage in Freuden verwandelt.

1484
Sie durchschritten die Höhlen, dort entzückte sie alles,
Alle die Schätze fanden sie, die einst Tariel versiegelt,
Weder von jemand gezählt noch jemals von einem erkundet;
Sie sagten nicht: „Wie sind wir besitzlos!“, sie waren zufrieden.

1485
Viel Schönes schenkte er ihnen, wonach’s einen jeden gelüstet’,
Pridons Begleiter beschenkte er auch, ob Führer, ob Mannen,
Alle waren jetzt reicher, die unterwegs warn mit Pridon,
Unberührt blieben sie scheinbar von der Hand eines Menschen.

1486
Zu Pridon sagte er: „Schwer wird es mir, meine Schuld abzutragen,
Aber man sagt: «Ein Mensch, der Gutes tut, wird nie verderben!»
Alle Schätze, so viel hier auch liegen, noch je liegen mögen,
Alle gehören sie dir, nun nimm sie, so wie sie dir zustehn!“

1487
Pridon verneigte sich tief, sprach überschwenglich den Dank aus:
„König, warum denkst du, ich sei verwirrt, unvernünftig?
Jeder Feind ist wie Stroh dir, gliche er auch einem Knüppel;
Meine Freude wird dauern, solange ich, Bruder, dich schaue.“

1488
Pridon schickte die Leute fort, um die Kamele zu holen,
Alle die kostbaren Schätze in sein Haus fortzuschaffen,
Sie brachen auf von dort, um nach Arabien zu ziehen,
Awtandil glich dem Monde, der der Sonne entgegnet.

1489
Nach langen Ritten kamen sie an Arabiens Grenze,
Dörfer fanden sie oftmals, Burgen auch dicht beieinander,
Die darin wohnten, trugen grüne und blaue Gewänder,
Awtandils wegen waren sie alle in Tränen gebadet.

1490
Tariel schickte eiligst zu König Rostan den Beten,
Er ließ sagen: „O König, ich wage vielfältige Wünsche.
Ich, der König der Inder, nah Eurem Königspalaste,
Ich zeig die Rosenknospe ungepflückt, unentblättert.

1491
Damals hat mein Besuch Euch Unangenehmes bereitet,
Übel wars, mich zu ergreifen, mich zu Roß zu verfolgen,
Deinen Mannen gab ich daher ein Zeichen des Zornes:
Viel Knappen, Diener Eures Palastes, hab ich getötet.

1492
Meinen Weg verlassend, trete ich deshalb vor Euch hin,
Daß Ihr mir mein Verfehlen vergebt, damit Ihr nicht zürnt mehr.
Gaben habe ich nicht, das bezeugen die Knappen und Pridon.
Nur Euren Awtandil bringe ich als ein kostbar Geschenk Euch.“

1493
Als der König den Boten empfing, der die Botschaft ihm brachte,
Wie er sich freute, kann eine Zunge kurz gar nicht sagen!
Tinatins Wangen strahlten in dreifachem Glanz aller Lichter,
Den Kristall und Rubin schönten Schatten der Brauen und Wimpern.

1494
Lärm von Pferdegetrappel vernahm man. Es dröhnte die Pauke,
Hin und her rannten die Mannen, wollten entgegen gleich reiten,
Fingen an, die Pferde zu holen und Sättel zu bringen,
Viele Ritter mit starken Armen und Herzen warn fertig.

1495
Aufsaß der König, die Fürsten und Ritter zogen entgegen.
Andre auch, die davon hörten, kamen aus anderen Orten;
Alle dankten Gott, brachen aus in jubelnde Rufe:
„Der du nichts Böses getan hast, viel Gutes harrt dafür deiner!“

1496
Als die, die auszogen und die nahten einander, sich sahen,
Sprach Awtandil zu Tariel herzerweichende Worte:
„Seht ihr die Felder dort, die vom Staube gefärbten?
Deswegen bin ich umflammt, mein Herz wird brennend betrübt sein.

1497
Das ist also mein Meister, er zieht euch jetzt ehrend entgegen,
Ich kann nicht hingehen, schäm mich, mein Herz ist von Flammen umfangen,
So wie ich ward durch meine Schild noch kein Mensch beschämt je,
Was ihr für mich etwa tun könnt, wißt ihr, auch Pridon ist bei euch.“

1498
Tariel sagte: „Gut tust du, daß so deinem Herrn du ergeben;
Nun bleibe hier, komm nicht mit mir, ohne mich sollst du hier bleiben.
Ich gehe hin und sage dem König, du hast dich verborgen,
Ich denk, ich eine mit Gottes Hilfe dich bald mit der Sonne,“

1499
Awtandil blieb zurück, er schlug sich ein notdürftig Zelt auf.
Dort blieb auch Nestan, vor der, die sie sehen, alle erschauern,
Leis weht von ihren Wimpern ein Hauch, der ähnlich dem Südwind.
Aufmachte sich der Inder, offen kam er, nicht heimlich.

1500
Pridon begleitete ihn eine Zeitlang über die Felder,
Tariel, der geschmeidig daherkam, erkannte der König;
Er stieg ab, verneigte sich vor ihm, der löwengleich mächtig.
Ehre erwies ihm der Inder, die einem Vater wohl zukommt.

1501
Tariel auch verneigte sich vor ihm und kam, ihn zu küssen,
Zum Ergötzen der Lippen küßt’ auf den Hals ihn der König;
Staunend sprach er zu ihm, er nahm sich dazu kühn die Freiheit:
„Du bist die Sonne, die Trennung von dir ist dem düsteren Tag gleich.“

1502
Seine Schönheit, sein Aussehn bewunderte staunend der König,
Er schaut ergriffen ins Antlitz ihm, lobt die Kraft seiner Arme;
Dann begrüßt’ ihn auch Pridon, er neigte sich tief vor dem König,
Vor dem König, der eilte, um Awtandil endlich zu sehen.

1503
Um einen Lobpreis für Tariel bemüht, erschöpft’ sich der König.
Tariel sagt: „O König, mein Herz gehorcht, du bezwangst es;
Warum ihr euch mit meiner Tugend beschäftigt, mich wunderts,
Da doch Awtandil dein ist, wie könnt’ dir ein andrer gefallen?

1504
Staune nicht, daß er nicht kam, daß er, verschämt fast, noch zögert,
Komm, wir lassen uns nieder, zum Ruhen lädt dieser Hügel,
Ich erzähl dir, weshalb’s nicht gelang, ihn zu euch zu bringen.
Eine Bitte richt ich an euch: ich möchte frei sprechen.“

1505
Beide Könige ließen sich nieder, rings umstanden von Mannen.
Heller strahlte Tariel, als das Licht eines Leuchters.
Die ihn sahen, entzückte sein Tun, sein adlig Benehmen;
Er begann zu dem König bedacht weise Worte zu sprechen:

1506
„König, ich halle mich für zu gering, um euch das zu sagen,
Aber ich komme zu euch als Bruder, als Flehnder mit Bitten:
Jene selbst bittet, die, der Sonne gleich, Strahlen aussendet,
Die mein Licht, mein Morgenrot ist, das die finstere Nacht scheut.

1507
Wir offenbaren es beide euch heute, bittend und flehend:
Awtandil verschaffte uns Heilung, viel Tage uns opfernd,
Alle die Leiden nicht achtend, die er gleich uns hat erlitten.
Langweilen werd ich dich nicht, lange Reden sind schwer zu begreifen.

1508
Euer Vasall eure Tochter: er liebt sie und sie ihn auch,
Darum werb ich für ihr, den Weinenden, den ach, Erbleichten.
Kniend fleh ich dich an hier, daß du ihm Flammen erspartest,
Daß ihr die Tochter den gebt mit der starken Brust, festen Armen.

1509
Weiter will ich euch heut nichts berichten, kurz nicht und lang nicht!
Danach zog er sein Halstuch und schlang es geschwind um den Hals sich,
Er kniete nieder, flehte ihn an gleichwie seinen Meister,
Jeder Mensch, der dieses mit ansah, staunte darüber.

1510
Als der König Tariel knien sah, wer er erschrocken,
Wich weit zurück, sich verneigend, fiel nieder bis auf die Erde,
Sprach; „Erhabener Herrscher, dahin schwand nun all meine Freude,
Eure Demut verwandelt mir euren Anblick in Kummer.

1511
Wie ist es möglich, daß einer euch nicht gewährt, was ihr wünschtet,
Daß meine Tochter ich schone, begehrtet ihr sie auch zum Töten,
Wünschst du das aus der Ferne, hätt ich keine Träne vergossen;
Sie könnte keinen finden, flöge sie auch in den Himmel.

1512
Ich kann keinen besseren Eidam als Awtandil finden;
Meiner Tochter gab ich das Königreich: sie hat es inne;
Ihre Rose blüht jugendlich, meine Blume ist alt schon,
Wie sollte ich ihr denn etwas versagen, womit sie zufrieden?

1513
Gäbst du sie einem Sklaven, könnt’ ich sie auch nicht verschonen.
er würde streitend dir widersprechen, befiel ihn richt Wahnsinn?
Liebte ich Awtandil nicht, wie hätt’ ich nach ihm denn wohl Sehnsucht?
Ich bezeug es, o Gott, es ist von mir schon genehmigt!“

1514
Tariel, als er diese Worte des Königs vernommen,
Neigte sich tief, mit seinem Antlitz die Erde berührend,
Auch der König verneigte sich vor ihm. als er vor ihm stand,
Beide dankten einander, keiner konnte da gram sein.

1515
Pridon saß auf, er jagte, um Awtandil Frohes zu melden.
Solch eine große Freude erfreute wahrlich auch ihn mit.
Er ging und brachte ihn, gab ihm’s Geleit bis zum König,
Doch jener schämte sich vor dem König, nur dunkel sein Leuchten!

1516
Drauf erhob sich der König, ging zu ihm, abstieg der Ritter;
Er hielt das Halstuch in seiner Hand, verbarg so sein Antlitz,
Hinter den Wolken verbarg sich die Sonne, ließ frieren die Rose:
Was aber hätt’ zu verbergen vermocht Held Awtandils Schönheit?

1517
Küssen wollt’ ihn der König, er vergoß nicht mehr Tränen:
Awtandil umfing seine Füße, Licht strahlte am Boden;
Jener befahl: „Erhebe dich, schäm dich nicht, du bist bewährt längst!
Weil du gehorchtest, schäme dich nicht, warum schämst du vor mir dich?“

1518
Er umarmte ihn heftig, bedeckte mit Küssen seit Antlitz:
„Du hast mir flammend ein Feuer entzündet, doch brachtst du schnell Wasser,
Die, die Achate gehäuft, Wimpern zum Hirschrudel machte,
Mit jener, der Sonne, werd ich dich, Löwe, vereinen, nun eile!

1519
Drauf umarmte der König den Hals des heldgleichen Löwen,
In seiner Nähe saß er, küßte ihn, sah ihm ins Antlitz,
So bekam die Sonne das Königreich, die dessen würdig.
Süß ist stets Freude dem Menschen, der vorher Leiden erlitten.

1520
Nun spricht der Ritter zum König: „Warum redst du von andrem,
Warum willst du die Sonne nicht sehn, warum hältst du zurück dich?
Geht ihr doch freudig entgegen, geleitet sie in euer Haus hin!
Mit ihren Strahlen bekleidet, wird sie als Lichtsäule leuchten.“

1521
Auch zu Tariel sprach er, sie ritten der Jungfrau entgegen,
Jene drei Riesen färbten die ‚Wangen mit Farben der Sonne,
Heut ward ihr Wunsch erfüllt, sie fanden jetzt, was sie lang suchten.
Sie gebrauchten die Säbel, vergebens nicht hingen am Leib sie.

1522
Nun begrüßte der König, der in der Ferne schon abstieg, die Jungfrau.
Strahlen von ihren Wangen blendeten hell seine Augen.
Aus der Sänfte kam sie, küßte ihn, kam ihm entgegen,
Sie pries der König, er konnte selbst das nicht alles begreifen.

1523
„Sonne, wie kann ich dich preisen“, sprach er, „du Lichte, du Heitre?
Nicht umsonst rasen auch Vernünftige von deiner Liebe,
Der du der Sonne gleichst und dem Monde, welch’ Gestirn bist du?
O ihr Rosen und Veilchen, ich begehre euch nicht mehr zu sehen“

1524
Alle, die’s sahn, bewunderten, wie sie die Strahlen aussandte,
Gleich der Sonne blendete sie der Schauenden Augen,
Sie überließ die brennenden Herzen der Freude des Schauens,
Wo sie sich jetzt auch zeigte, da liefen Scharen zusammen.

1525
Alle saßen auf, ritten fort, um nach Hause zu kommen,
Sie verglichen mit jener Sonne die sieben Planeten.
Unfaßbar war diese Schönheit, sie war ihnen gar nicht begreiflich.
Schnell gelangten sie zur Residenz, zum Palaste des Königs.

1526
Sie betraten ihn gleich, sahn Tinatin, die ihnen Leid schuf,
Schön stand der Trägrin von Zepter und Krone die Purpurgewandung.
Auf der Kommenden Antlitz warf sich der Strahl ihrer Schönheit;
Jetzt trat heldengleich ein der König der Inder — die Sonne!

1527
Tariel und seine Gattin verneigten sich tief vor der Jungfrau,
Traten hervor, sie küßten sie, sprachen vertraulich mit ihnen,
Sie erhellten das Haus, verwandelten Licht nicht in Dämmrung,
Zu ihren Wangen machten Rubin sie, Achat zu den Wimpern.

1528
Tinatin bot sie auf den Thron der erhabenen Fürsten;
Tariel sagte: „Setz du dich drauf, so wünscht es der Himmel
Heute mehr als an anderen Tagen kommt dir dein Thron zu,
Ich setze dir, der Sonne der Sonnen, an deine Seite den Löwen:

1529
An der Hand faßten beide sie, setzten sie auf ihren Thron hin,
Seitwärts setzten sie Awtandil, weil die Sehnsucht sie aufzehrt,
Das war das Beste von allen, die man je sah und auch nicht sah,
Ihnen gleichen nicht Liebend“, Wissi auch und Ramin nicht!“

1530
Schamhaft staunte die Jungfrau, daß Awtandil nunmehr bei ihr saß.
Sie ward blaß, und mächtig pochte ihr Herz vor Erregung;
Drauf sprach der König: „Mein Kind, so sehr du dich auch vor mir schämtest,
Ists doch ein Spruch der Weisen: Schließlich verdirbt nicht die Liebe.

1531
Nun, meine Kinder, möge euch Gott noch tausend Jahr schenken,
Glückliches Los und Ruhm auch, daß ihr nicht Leiden erduldet!
Möge der Himmel nie euch verändern, mögt ihr ihm gleichen!
Möge ich würdig sein, daß ihr einst Erde über mich ausstreut!“

1532
Nun befahl er den Rittern, Awtandil hoch zu verehren.
„Das ist jetzt euer König“, sagte er, „so fügte Gott es,
Jetzt hat er meinen Thron inne, ich leide lang schon am Alter,
Dient ihm so treu wie mir, befolget meine Gebote!“

1533
Tief neigten sich vor ihnen die Ritter, die Großen des Reiches:
„Erde sind wir zu Füßen derer, die uns gerufen,
Die der Gehorsam groß, Untreue totengleich machte,
Die, die den Feind geschwächt und unsre Herzen uns stärkten!“

1534
Tariel auch sprach preisend vom großen Erhoffen zu ihnen,
Sagte zur Jungfrau: „Ich eint’ euch, hinfort brennt nicht mehr das Feuer;
Dein Gemahl ist mein Bruder, ich wünsche euch als meine Schwester,
Die euch Untreuen, die mit euch Streitenden mach ich unschädlich!“

AWTANDILS UND TINATINS HOCHZEIT BEIM ARABERKÖNIG

1535
An diesem Tage thront Awtandil nun als Herrscher und König;
Schön schmückt Tariel, der bei ihm sitzt, nun all seine Zartheit;
Nestan gesellt sich zu Tinatin, die die Betrachter erschüttert,
Wie als neigt’ sich der Himmel zur Erde, als kämen vier Sonnen!

1536
Speisen begann man zu reichen vor dem, der die Mannen bereichert,
Die geschlachteten Kühe, zahlreicher sind sie als Moose,
Man begann Geschenke zu bringen, die ihrer würdig,
Von ihnen allen leuchtete Licht sonngleicher Gesichter.

1537
Saphirschüsseln warn da, Trinkschalen rot aus Rubinen,
Seltene Arten Gefäße trugen seltsame Zeichen;
O du Lobsinger der Hochzeit, gelobt darfst du sein von den Weisen,
Zu deinem Herzen hättst du gesprochen: reiß dich nicht los hier!

1538
Musikanten kamen von überall, Zimbeln ertönten.
Hochgetürmt liegt ein Berg von Gold und geschliffenen Rubinen.
Für die Zecher sprudelt an hundert Quellen der Wein auf.
Vor: der Dämmerung bis zum Morgenrot dauert das Fest an.

1539
Weder l.ahme noch Krüppel blieben ohne Geschenke,
Perlen flogen im Raume, ausgestreut gleich wie geschleudert.
Wertlos wurden zum Mitnehmen kostbarer Atlas und Goldbarrn.
Drei Tage war der König der Inder Awtandils Marschall.

1540
Folgenden Tags setzt’ der Araberkönig heiter das Fest fort;
Er sprach zu Tariel: „Lieblich zu schauen ist deine Sonne!
Du bist der Könige König, und sie ist die Königin immer;
Recht wärs, die Erde, die sie betreten, würd uns zum Kissen.

1541
König, unmöglich ists, hier zu sitzen als Eueresgleichen!“
Einen anderen Thron noch ließ er entfernt für ihn aufstelln.
Unten saß Awtandil, gegenüber seine Gemahlin.
Erst häufte man Geschenke wie Berge zu Tarias Ehren.

1542
Gastgeber ist der Araberkönig, jetzt unter Großen ein Tischgast,
Bald weilt er hier, bald bei jenen, er nennt sich nicht einmal Herrscher,
Alle preisen sie seine Freigebigkeit, seine Milde;
Pridon sitzt nahe bei Awtandil, wie ers als König gewohnt ist.

1543
Hochverehrt der König die Inderin, ihren Gemahl auch,
Liebt und beschenkt sie reich, wie Schwiegertochter und Eidam;
Was er da schenkte, ein Zehntel der Gaben kann man kaum nennen,
Je einen Zepter und Purpur und Kronen aus edelen Steinen.

1544
Er brachte ihnen Geschenke noch dar, die all ihrer würdig:
Tausend Edelsteine, alles Ballas Rubine
Und auch noch tausend Perlen, groß wie Eier von Tauben,
Tausend Rosse Pferde, an Größe Bergketten gleichend.

1545
Neun Platten schenkte er Pridon, die überladen mit Perlen,
Neun der edelsten Rosse, mit kostbarem Zaumzeug gerüstet,
Da verneigt’ sich der König der Inder frei, unbefangen,
Wie ein Nüchterner dankte er ihm, obgleich er vom Wein trank.

1546
Was soll ich lange erzähln eines Monats Tage verflossen,
Alle waren vergnügt, das Gastmahl wollte nicht enden,
Wunderbare Rubine brachte man Tariel als Dank dar,
Ihre Strahlen bedeckten alle wie Strahlen der Sonne.

1547
Tariel war wie die Rose, wenn winters glitzender Schnee fällt,
Awtandil sandt’ er zu Rostan, um ihn um Urlaub zu bitten,
Er ließ ihm sagen: „Deine Nähe ist mir eine Freude,
Feinde aber besetzen nein Reich, ich weiß, wo sie weiden.

1548
Die Unwissenden alle vernichtet die Kunst der Erkenntnis.
Euch auch wird, denk ich, das, was mir schadet, bekümmern;
Ich gehe fort, daß schmählich Versäumtes kein Unheil mir bringe,
Ich seh euch hocherfreut bald wieder, mög Gott es so fügen!“

1549
Rostewan drauf: „O König, warum nehmt ihr denn Rücksicht?
Was euch das Beste scheint, das tut, nachdem es bedacht ist!
Awtandil soll mit euch ziehen mit einem mächtigen Heerbann.
Eure Feinde und alle Untreuen sollt ihr zerfleischen.“

1550
Awtandil überbrachte Tariel Nachricht ganz kurz nur.
Dieser sagte: „Rede nicht, schließ die kristallenen Mauern!
Kannst du dich trennen, o Sonne, vom Mond, mit dem du vereint bist?“
Awtandil gab zur Antwort: „Ich bin dadurch nicht zu täuschen!

1551
Ist es nicht dein Begehren, daß du fortgehst, beim Abschied mich tadelst?
«Er liebt sein Weib, er hat mich verlassen», wie kann ich mirs vorstelln,
Daß ich von dir getrennt bliebe, immer und ewig nur klage?
Stets bringt dem Menschen das Weggehn vom Freunde vielfaches Unheil.“

1552
Streuenden Rosen ähnelt Tariels kristallenes Lachen;
Er sprach: „Fern von dir werd ich mehr als du immer klagen;
Weil du es wünschst, so gehe mit mir, ich werd dir nicht schmeicheln.
Awtandil befiehlt, daß Mannen von überall kommen.

1553
Heerscharen sammelte er in Arabien, säumte nicht länger,
Achtzigtausend Mann, allesamt vorzüglich bewaffnet.
Mannen und Pferde trugen eine choresmische Rüstung.
Wegen der Trennung von ihnen trauert der Araberkönig.

1554
Beide sich trennende Frauen — die eng miteinander verschwistert,
Diese verschworenen Schwestern durch Worte der Treue verbunden,
Brust geschmiedet an Brust und Hals an Hals treu sich schmiegend,
Weinten, die Zuschauer brauchten in Feuern gehärtete Herzen!

1555
Tritt der Mond in der Dämmrung dem Morgensterne entgegen,
Scheinen sie beide gleich, doch entfernen sie sich voneinander;
Freiwillig scheiden sie nicht, es trennt sie der Himmel.
Wer sie sehn will, sollte wie Berg und Hügel sich heben.

1556
Ähnlich wie bei diesen der jene einstmals erschaffen,
Trennt sie, nicht freiwillig wünschen sie sich zu verlassen,
Pressen die Rosen zusammen, spalten sie, weinen viel Tränen.
Alle, die sich trennten, rühmten sich nicht ihres Daseins.

1557
Nestan-Daredshan sagte: „Wäre ich dir nicht begegnet,
Von der Sonne getrennt, wär ich nicht so verwelkt in der Trennung;
Kunde empfängst du von mir, und du auch sollst Kunde mir geben.
Wie ich für dich verbrenne, sollst auch du für mich schmelzen.“

1558
Tinatin sagte: „Sonne, die du alle erfreut stimmst,
Sollte ich je dich verlassen, ertrüg ich von dir nur die Trennung?
Statt langes Leben von Gott zu erbitten, wünsch ich den Tod mir.
So viele Tage lebe, so viele Tränen ich weine!“

1559
Wiederum küßten die Frauen sich, drauf gingen fort sie von dannen.
Die, die zurückblieb, konnte beim Scheiden die Augen nicht wenden:
Immer schaut jene zurück, darob umsprühten sie Flammen.
Nicht ein Zehntel von dem, was ich möchte, kann ich hier schreiben.

1560
Rostan, durch die Trennung wahnsinniger noch als ein Irrer,
Sagte bekümmert tausendmal: „Wehe!“, nicht einmal nur seufzt er,
Heiß entfließt ihm ein Tränenquell, überhitzt wie ein Kessel,
Traurig ist Tariel, frischer Schnee zerschmilzt seine Schönheit.

1561
Tariels Rose zerdrückt der König bei seiner Umarmung:
„Das Zusammensein“, sprach er, „erscheint mir bis jetzt wie ein Traumbild;
Von dir getrennt, da bleib ich zurück mit vielfachen Leiden,
Wir erhielten das Leben durch dich, wir sterben durch dich auch.“

1562
Aufsaß Tariel munter, er schied vom König, nahm Abschied.
Alle Ritter vergossen flurenbenetzende Tränen:
„Dich erwartet die Sonne zum Kampf nun“, sprachen sie, „grüß sie!“
„Wie sollt’ für mich, der ich um euch weine, ein Fels was bedeuten?“

1563
Sie brachen auf, sie zogen mit großem Heer fort, mit Lasten,
Tariel, Pridon und Awtandil, wohlgelaunt alle Dreie,
Achtzigtausend Mann mit Rossen führten sie mit sich,
Alle Drei ziehn sie dahin mit ihren hilfswilligen Herzen.

1564
Drei Monde zogen sie, Gott mög nichts schaffen, was ihnen nicht gleich wär,
Ihnen zog man entgegen, nie wagte ein Feind sich zu nahen;
Auf einem kleinen Felde stiegen sie ab, um zu essen,
Wie es recht ist, speisten sie, Wein, nicht Buttermilch trinkend.

DIE HOCHZEIT VON TARIEL UND NESTAN-DAREDSHAN

1565
Tariel und seiner Gemahlin Wünsche erfüllten sich glücklich —
Sieben Königsthrone und unvergängliche Freuden!
Ihre Freude jetzt läßt sie die Leiden von einst rasch vergessen,
Keiner, der nicht gelitten, kann rein einmal Freude empfinden.

1566
Seht, wie zusammen sie thronen, nicht mal übertrifft sie die Sonne!
Pauken, Trompeten ertönten jetzt mächtig, man kürt’ ihn zum König.
Man überreichte die Schlüssel der Schatzkammer, weil man ihm traute.
„Das ist unser König!“ riefen sie, kündetens allen.

1567
Für Awtandil und Pridon stellten sie flink auf zwei Throne —
Majestätisch saßen drauf jene, man ehrte sie mehr noch;
Hat andre Menschen, ihnen gleich, wohl Gott je erschaffen?
Sie offenbarten all ihre Leiden, berichteten alles.

1568
Trinken und Schmaus, frohe Feste mehrten im Hause die Freude,
Wie’s für die Hochzeit üblich, haben sie diese gefeiert.
Allen Vieren gleicherweis brachten vor Freude sie Gaben,
Auch für die Armen häuften zusammen sie Schätze aus Spenden.

1569
Awtandil, Pridon priesen die Inder als Retter in Nöten:
„Gutes kam uns von euch her!“, das wiederholten sie öfters,
Jetzt sahn sie jene als Herrscher an, gaben sich, wie sie es wünschten,
Sie kamen immer zu ihnen, höflich sie zu besuchen.

1570
Zu Asmat, die sich opferte, sprach der König der Inder:
„Was du getan hast, tat kein Meister, tat auch kein Zögling,
Über das siebente Königreich Indiens, eines der Teile,
Setz ich dich ein als Herrscherin, sei du die Holde den Holden!

1571
Heirate, wen du willst, doch herrsche über das Reich treu!
Seither dientest du uns, sei auch künftig unsre Vasallin!“
Seine Füße küßte Asmat: „Von dir kam die Kraft mir!
Was sollt’ ich Bessres erwerben und es besitzen als Dienste?“

1572
Wenige Tage verbrachten die drei Verschwornen zusammen,
Waren fröhlich, erhielten unvergleichliche Gaben:
Was für seltene Perlen, welch wertvolle, rassige Rosse!
Aber die Liebessehnsucht bereitete Awtandil Kummer.

1573
Tariel sah, daß der Ritter nach seiner Gattin verlangte,
Sagte zu ihm: „Dein Herz sollte unzufrieden mit mir sein;
Weck, der Gedanke an dich hat versieben-, verachtfacht mein leiden!
Von dir getrennt, also gönnte das Leben mir nie rechte Freude.“

1574
Dann nahm auch Pridon von ihm Urlaub: „Ich möchte nun heimziehn,
Stets aber werde ich diesen Hof und dies Land auch betreten,
Ihr sollt den Dienst mir befehlen wie der Ältste dem Jüngsten,
Ich verlange voll Sehnsucht nach euch wie der Hirsch nach dem Wasser!“

1575
Urlaub gab ihm Tariel: „Geh nun und suche dein Haus auf,
Aber verlasse mich nicht, besuch mich, komme bald wieder!“
Und zu Awtandil sprach er: „Wie könnt’ ich mich ohne dich freuen?
Weil du eilst, ‘was tu ich? „Die Senne erwartet „den Löwen!“

1576
Als Geschenk gab er ihm viel schöne Gewänder für Rostan.
Schalen aus geschliffenen Steinen, nicht Löffel zum ‚Schöpfen.
„Bring ihm das alles, geh jetzt, folge mir immer!“ so sprach er.
Awtandil sagte: „Ich weiß nicht, wie soll ich ohne dich leben?“

1577
Einen Rock, einen Schleier schickte die Frau noch der andern.
Wer außer ihnen wäre das anzulegen wohl würdig?
Dann einen Edelstein der ihn trägt, der sagt nicht: es lohnt nicht!
Er erleuchtet die Nacht wie die Sonne, wie du ihn auch anschaust.

1578
Awtandil saß auf und ritt fort, er nahm von Tariel Abschied:
Beide wurden verbrannt von der Feuersglut ihrer Trennung;
Alle Inder weinten, benetzten mit Tränen die Felder.
Awtandil sagte: „Das Gift der Welt, das bracht’ mich dem Tod nah!“

1579
Pridon und Awtandil ritten einige Tage zusammen,
Dann trennte sie der Weg, ein jeder zog weinend den seinen,
Trefflich war ihnen, was sie vorhatten, immer gelungen,
Awtandil kam nach Arabien, er hat nicht vergeblich gelitten.

1580
Ihm kam das Arabervolk entgegen. Das Königreich ziert’ er;
Seine Sonne sah er, seine Begierden vergingen;
Er setzt’ mit ihr auf den Thron sich, erfreut ob der Schauenden Freude,
Ihm verlieh die Himmelsmacht Majestät durch die Krone.

1581
Niemals hatten alle drei Herrscher Streit miteinander,
Sie besuchten sich oft, erfüllt wurden all ihre Wünsche,
Die nicht gehorchten, trugen Wunden durch ihre Säbel,
Ihre Reiche mehrten sie, wurden berühmt, majestätisch.

1582
Alle bedeckten mit ihrer Gnade gleich wie mit Schnee sie,
Witwen und Waisen machten sie reich, es bettelte niemand;
Böse schwiegen, erlaubt nur säugten Lämmer die Schafe.
In ihren Reichen weideten Wolf und Ziege zusammen.

EPILOG

1583
Ihre Geschichte ging nun zu Ende wie Träume der Nächte.
Ihnen verging ihr Leben, ach, wie verweht doch die Zeit rasch!
Wer sie für lang hält, auch für diesen ist sie ein Nu nur.
Als Rustweli schreibe ich das, ein meßchischer Dichter.

1584
Für den Georgier-Gott Dawid, dem die Sonne den Weg weist,
Setze ich diese Geschichte zur Kurzweil in schmeichelnde Verse,
Der vom Osten bis Westen den Schrecken gewaltig läßt ziehen,
Der die Untreuen läßt verbrennen, die Treuen erfreuen.

1585
Wie kann die Taten Dawids ich schildern, den Mut seiner Tugend?
Diese fremden Geschichten berichten von seltsamen Herrschern;
Ihre Sitten und Taten, das Lob ihrer mächtigen Fürsten
Habe ich erst gefunden, mit Versen versehen zur Kurzweil.

1586
So ist nun diese Welt, auf sie kann sich niemand verlassen,
Sie ist ein Augenblick, schneller noch als ein Schlag mit den Wimpern.
Was ihr euch sucht, was wollt ihr? Entehrend ist doch das Schicksal,
Übt es Verrat nicht, ists gut; es folgt ihnen, wo sie auch hingehn.

1587
Amiran, Daredshans Sohn, ist von Mosse Choneli gepriesen,
Abdul-Messia von Schawtheli, man lobt seine Verse,
Dilargeth von Ssargis Thmogweli, der unerschöpflich,
Tariel von seinem Rustweli, der um ihn unstillbar weinte.



HERMANN BUDDENSIEG

R U S T A W E L I

Der Du aus dem Verborgenen kommend, sankst ins Verborgne:
Kamst aus Rußtawi Du einst, welcher Ort sah Deinen Tod?
Wer erforscht wohl untrüglich die Rätsel irdischer Bahnen,
Ob Dich Ungnade schlug, Dich aus der Heimat vertrieb,
Weil Du, selber ein König, beneidet zu nahe am Thron standst?
Herr doch über die Schmach in Deiner Liebe zum Land:
Alles, was lebt, hast Du liebend erleuchtet, gestaltklar verdichtet,
Überschwang ist da verklärt, freudig von Farben durchglüht.
Dreier Volksstämme Herren führst Du zum Bunde zusammen.
Hellas hat Dich genährt, Persien, Arabien auch,
Zonenmächtig den Osten paarst Du dem Willen des Westens.
Du hinterließt uns ein Werk als eine gründende Spur.
Immer ist es, als nähmen wir teil an dem, was Du vorführst:
Raum ist und Zeit überbrückt, Gegenwart bricht durch das Einst,
Gräßlich ein Blutbad am Freier zeigst Du, Vasallengehorsam,
Ritterminne und List, Zauberkunst, die rasch entrückt,
Zeugst von grimmigen Schlachten, Gelagen und harrender Treue,
Awtandils Mühen um Sieg, den ihm erst Tariel schenkt,
Als dessen Wildheit, sein nagender Kummer gestillt ist,
Und er, verwandelt ein Freund, sich einem Freund willig weiht.
Frauen treiben die Helden, daß sie im Kampf triumphieren:
Tinatin, Nestan, Asmat lenken die Männer zum Ziel,
Aber auch Patman und Pridon bereiten den Weg zur Vollendung,
Wo alle Wirrnis versöhnt, kunstvoll in Frieden verklingt.
Seeräuber, Händler, ja Mohren bevölkern die Dichtung, an Festen
Wird stets der Armen gedacht, Reichtum in Fülle verschenkt.
Weisheit kündet die Dichtung fürs schicksalträchtige Leben,
Kreisend in Not und im Leid, doch auch in bebender Lust,
Alternd nie, überdauert sie alle erloschnen Geschlechter,
Zeitlos gereift ist ihr Rat, wo du auch „immer ihn suchst.
Ungetrübt klar wirkt Dein Werk, Rustaweli, über die Zeiten:
Altgeorgisch verfaßt, sprüht’s heut noch Leben wie einst.
Unsterblich lebst Du jugendfrisch fort im Gedächtnis der Deinen,
Staunend rühmen Dich auch Andre in Versen bewegt.
Treu ehrt Dich heut Georgien, weil Deine Liebe nie altert
In allen Wirbeln der Welt! Wo findst du Ähnliches heut?